Der Mindestlohnanspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG ist ein gesetzlicher Anspruch, der eigenständig neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch tritt. § 3 MiLoG führt bei Unterschreiten des gesetzlichen Mindestlohns zu einem Differenzanspruch1.

Der Arbeitgeber hat den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn erfüllt, wenn die für einen Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung den Betrag erreicht, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit 8,50 € (bis zum 31.12 2016) ergibt2.
Es gilt ein umfassender Entgeltbegriff, weshalb alle im Synallagma stehenden Geldleistungen des Arbeitgebers geeignet sind, den Mindestlohnanspruch des Arbeitnehmers zu erfüllen. Von den im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachten Entgeltzahlungen des Arbeitgebers fehlt folglich nur solchen Zahlungen die Erfüllungswirkung, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung beruhen3.
Danach kommt auch der im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall streitgegenständlichen Nähprämie, einem Provisionsanspruch, Erfüllungswirkung zu.
Mit der Zahlung der Nähprämie honoriert die Arbeitgeberin die für Nähleistungen erbrachte Arbeitsleistung. Anders als die Arbeitnehmerin meint, handelt es sich nicht um eine zusätzliche Leistung außerhalb ihrer vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung. Der Begriff der „Normalleistung“ hat keinen Eingang in den Wortlaut des Mindestlohngesetzes gefunden4. Die Nähprämien werden vielmehr als Gegenleistung für die Arbeitsleistung der Arbeitnehmerin gezahlt und unterfallen daher dem umfassenden Entgeltbegriff des Mindestlohngesetzes.
Einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung unterliegt die Nähprämie nicht.
Der Erfüllungswirkung steht nicht entgegen, dass die Nähprämie jeweils lediglich zum Quartalsende gezahlt wird. Sie ist jedenfalls im Auszahlungsmonat mindestlohnwirksam.
Für die Berechnung, ob der Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn erfüllt ist, kann angesichts der Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MiLoG nicht auf längere Zeiträume als einen Kalendermonat abgestellt werden5. Bei der (höchstens) monatsweise vorzunehmenden Betrachtung entscheidet sich jeweils, ob neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch ein Anspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG auf die gesetzlich geregelte Differenzvergütung tritt.
Damit ist die Nähprämie in dem jeweiligen Monat, in dem sie gezahlt wird, mindestlohnwirksam. Auf eine über diese Monate hinausgehende Mindestlohnwirksamkeit beruft sich die Arbeitgeberin nicht.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6. September 2017 – 5 AZR 441/16