Gesundheitsschutz – und die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats

Die originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bezieht sich auf die Behandlung einer Angelegenheit. Betreffen Regelungsmaterien unterschiedliche Mitbestimmungstatbestände, folgt aus der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für die eine Angelegenheit keine solche für die andere.

Gesundheitsschutz – und die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen. Das Mitbestimmungsrecht bezieht sich auf Maßnahmen des Arbeitgebers zur Verhütung von Gesundheitsschäden, die Rahmenvorschriften konkretisieren. Es setzt ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv besteht und mangels einer zwingenden gesetzlichen Vorgabe betriebliche Regelungen verlangt, um das vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen. Unerheblich ist, ob die Rahmenvorschriften dem Gesundheitsschutz mittelbar oder unmittelbar dienen1.

Hiernach unterfallen in dem hier entschiedenen Fall die verfahrensgegenständlichen Regelungen, wonach bei Raumtemperaturen über 30°C das Lockern der Dienstkleidung auch den Verzicht auf das Tragen von Krawatten beinhaltet, der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG.

Mit ihnen sind Maßnahmen festgelegt, um die aufgrund von Hitze oder Kälte in den Arbeitsräumen auftretenden Belastungen für die Arbeitnehmer zu verringern. Es handelt sich um betriebliche Regelungen, welche die Pflichten der Arbeitgeberin nach § 3a Abs. 1 Satz 1 ArbStättV näher ausgestalten. Nach dieser Vorschrift hat der Arbeitgeber dafür zu sorgen, dass Arbeitsstätten so eingerichtet und betrieben werden, dass Gefährdungen für die Sicherheit und die Gesundheit der Beschäftigten möglichst vermieden und verbleibende Gefährdungen möglichst gering gehalten werden.

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Die in § 3a Abs. 1 Satz 1 ArbStättV festgelegte Verpflichtung des Arbeitgebers beim Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten ist eine ausfüllungsbedürftige, die Mitbestimmung des Betriebsrats auslösende Rahmenvorschrift iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG2. Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist eine auf die generalklauselartig verfasste Rahmenvorschrift des § 3a Abs. 1 Satz 1 ArbStättV gestützte Mitbestimmung auch nicht auf das Vorliegen einer konkreten Gefahrenlage beschränkt. Die Mitbestimmung knüpft aber an vorliegende oder festgestellte konkrete Gefährdungen iSv. § 3 ArbStättV iVm. § 5 ArbSchG an2.

Von solchen ist vorliegend auszugehen. Die Arbeitgeberin hat dies in den Instanzen nicht problematisiert. Sie und der örtliche Betriebsrat haben auch nicht darüber gestritten, ob der Regelungsbereich der BV Klima überhaupt mitbestimmungspflichtig ist, sondern ausschließlich darüber, ob die von der Einigungsstelle beschlossenen Maßnahmen der originären Regelungszuständigkeit des Gesamtbetriebsrats unterfallen. Entsprechend hat die Arbeitgeberin den Spruch nicht insgesamt, sondern nur partiell angefochten. Eine nähere Aufklärung zu feststehenden oder festgestellten Gefährdungen war daher in den Instanzen nicht veranlasst, ungeachtet dessen, dass die Rechtsbeschwerde eine dahin gehende Verfahrensrüge nicht erhoben hat. Nichts anderes folgt daraus, dass sich die Arbeitgeberin auf die im Anhörungstermin vor dem Beschwerdegericht zu Protokoll gegebene Erklärung des örtlichen Betriebsrats, „zur Frage Klima habe man auch eine Gefährdungsbeurteilung gemacht, in welcher auf eine Hitzeproblematik hingewiesen worden sei“, dahingehend eingelassen hat, „dies kann derzeit … nicht bestätigt werden“. Zum einen liegt hierin kein substantiiertes Bestreiten. Zum anderen steht die Einlassung im Widerspruch zu den Ausführungen in der Begründung des teilweise angefochtenen Einigungsstellenspruchs, dass „nach Angaben der Betriebsparteien … derzeit ca. 15 Filialen ‚klimakritisch‘“ seien. Soweit die Arbeitgeberin mit der Rechtsbeschwerdebegründung nunmehr pauschal eine „zum Gesundheitsschutz“ durchgeführte Gefährdungsbeurteilung als Voraussetzung für die Annahme eines zwingenden Mitbestimmungsrechts in Abrede stellt, handelt es sich um neuen Sachvortrag, der in der Rechtsbeschwerdeinstanz nach § 92 Abs. 2 ArbGG iVm. § 559 ZPO grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig ist.

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Im vorliegenden Fall ist der örtliche Betriebsrat für die angegriffenen Regelungen zuständig.

Die Ausübung der Mitbestimmungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz obliegt grundsätzlich dem von den Arbeitnehmern unmittelbar gewählten Betriebsrat. Dem Gesamtbetriebsrat ist nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur die Behandlung von Angelegenheiten zugewiesen, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Erforderlich ist, dass es sich zum einen um eine mehrere Betriebe betreffende Angelegenheit handelt und zum anderen objektiv ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche oder betriebsübergreifende Regelung besteht. Das Vorliegen eines zwingenden Erfordernisses bestimmt sich nach Inhalt und Zweck des Mitbestimmungstatbestands, der einer zu regelnden Angelegenheit zugrunde liegt. Maßgeblich sind stets die konkreten Umstände des Unternehmens und der einzelnen Betriebe. Allein der Wunsch des Arbeitgebers nach einer unternehmenseinheitlichen oder betriebsübergreifenden Regelung, sein Kosten- oder Koordinierungsinteresse sowie reine Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte genügen nicht, um in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung die Zustimmung des Gesamtbetriebsrats zu begründen3.

In Unternehmen mit mehreren Betrieben sind im Bereich des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG regelmäßig die Einzelbetriebsräte für die Regelung der davon erfassten Angelegenheiten zuständig. Der Gesamtbetriebsrat ist nur zuständig, wenn die Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes eine überbetriebliche Angelegenheit betreffen und diese durch die einzelnen Betriebsräte nicht geregelt werden können4. Hierfür ist bei den vorliegenden Regelungen zum Gesundheitsschutz im Zusammenhang mit dem Raumklima nichts ersichtlich. Eine solche mitbestimmte Angelegenheit bezieht sich typischerweise konkret auf die Gegebenheiten in den einzelnen Arbeitsräumen auf betrieblicher Ebene.

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Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde folgt eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für die strittigen Maßnahmen nicht aus dessen Kompetenz für – im Wege der GBV Unternehmenskleidung getroffene – Regelungen zu einer einheitlichen Unternehmensbekleidung. Es trifft zwar zu, dass der Gesamtbetriebsrat eine in seine Zuständigkeit fallende Angelegenheit gemeinsam mit dem Arbeitgeber zu regeln hat und nicht auf eine bloße Rahmenkompetenz beschränkt ist. Eine einheitliche mitbestimmungspflichtige Angelegenheit kann nicht aufgespalten werden in Teile, die in die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats fallen, und solche, für welche die örtlichen Betriebsräte zuständig sind5. Die Rechtsbeschwerde verkennt aber, dass es sich bei den verfahrensgegenständlichen Regelungen der BV Klima und dem Regelungsbereich einer einheitlichen Unternehmensbekleidung nicht um dieselbe „Angelegenheit“ iSd. § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG handelt. Die einheitliche Unternehmensbekleidung betrifft die betriebliche Ordnung und ist Gegenstand der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG6. Betreffen Regelungsmaterien unterschiedliche Mitbestimmungstatbestände, folgt aus der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für die eine Regelungsmaterie keine solche für die andere7.

Die streitbefangenen Regelungen sind schließlich nicht deshalb unwirksam, weil sie zu unbestimmt wären oder gegen normative Vorgaben verstießen oder die Einigungsstelle mit ihnen ihrem Regelungsauftrag nicht nachgekommen wäre.

Anders als die Rechtsbeschwerde meint, hat die Einigungsstelle mit Ziffer 7 Satz 3 dritter Spiegelstrich BV Klima („personenbezogene Maßnahmen wie Erlaubnis zum Tragen von an die Dienstkleidung angepassten Pullovern und Westen“) keine lediglich rahmenmäßige Vorgabe getroffen, die ihrerseits wieder ausfüllungsbedürftig wäre. Die Bestimmung legt vielmehr in dem von § 3a Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ArbStättV iVm. Punkt 3.5 des Anhangs der Arbeitsstättenverordnung (Anforderungen und Maßnahmen für Arbeitsstätten nach § 3 Abs. 1 ArbStättV) gesteckten Rahmen eine Maßnahme konkret fest. Diese mag ihrerseits – im Hinblick auf die „Anpassung“ der Pullover und Westen an die Dienstkleidung – ggf. auslegungsbedürftig sein, erschöpft sich aber nicht in einer erst noch näher auszugestaltenden Regelung und konkretisiert insoweit auch die nach Punkt 4.2 (2) letzter Spiegelstrich ASR A3.5 – Raumtemperatur – vorgesehene Maßnahme („… personenbezogene Maßnahmen [z.B. geeignete Kleidung]“). Auch steht es dem Gebot der Klarheit und Bestimmtheit von betriebsverfassungsrechtlichen Normen prinzipiell nicht entgegen, dass sie der Auslegung bedürfen, unbestimmte Rechtsbegriffe oder Generalklauseln enthalten8.

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Gleiches gilt für den in der Anlage 2 Maßnahmenkatalog festgelegten Verzicht auf das Tragen von Krawatten. Es handelt sich um eine konkrete Festlegung, auch wenn sie an den ausfüllungsbedürftigen Begriff des „Lockerns der Dienstkleidung“ nach Punkt 4.4 (2) Tabelle 4 unter f)) ASR A3.5 – Raumtemperatur – („Lockerung der Bekleidungsregelungen“) anknüpft.

Die Maßnahme des Krawattenverzichts ist – entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde – auch nicht deshalb unzulässig, weil sie über die eine Priorisierung von technischen und organisatorischen gegenüber personenbezogenen Maßnahmen festlegenden Vorgaben von Punkt 4.4 (2) ASR A3.5 – Raumtemperatur – hinausginge. Den Technischen Regelungen für Arbeitsstätten kommt kein Unabdingbarkeitsanspruch zu. Die im Wege der Mitbestimmung auszufüllende Rahmenvorschrift ist § 3a Abs. 1 Satz 1 ArbStättV. Das für die Konkretisierung heranzuziehende Arbeitsstättenrecht ist durch ein dreistufiges Regelungskonzept gekennzeichnet. Die ArbStättV enthält allgemein gehaltene Verhaltensvorgaben. Die Anforderungen an die Einrichtung und das Betreiben der Arbeitsstätten sind im Einzelnen im Anhang zur ArbStättV als deren normativer Teil verbindlich niedergelegt. In ihm sind einzelne Bereiche wie etwa die Raumtemperatur geregelt. Zu deren Ausfüllung dienen die Technischen Regeln für Arbeitsstätten. Sie sind selber keine Rechtsnormen, haben aber praktische Bedeutung, indem sie als dokumentierte, allgemein anerkannte Regeln bzw. gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse angesehen werden können. Bei ihrer Einhaltung ist davon auszugehen, dass der Arbeitgeber die Anforderungen der ArbStättV erfüllt (§ 3a Abs. 1 Satz 3 ArbStättV). Ihm – und damit auch den Betriebsparteien – ist es aber freigestellt; vom technischen Regelwerk abzuweichen, sofern durch andere Maßnahmen die gleiche Sicherheit und der gleiche Gesundheitsschutz erreicht werden (§ 3a Abs. 1 Satz 4 ArbStättV).

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Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18. Juli 2017 – 1 ABR 59/15

  1. BAG 28.03.2017 – 1 ABR 25/15, Rn. 18 mwN[]
  2. BAG 28.03.2017 – 1 ABR 25/15, Rn. 27[][]
  3. BAG 17.03.2015 – 1 ABR 48/13, Rn. 29 mwN, BAGE 151, 117[]
  4. vgl. für unternehmensweit einheitliche Arbeits- und Sicherheitsanweisungen für Montagearbeiten im Außendienst BAG 16.06.1998 – 1 ABR 68/97, zu B II der Gründe, BAGE 89, 139[]
  5. vgl. BAG 14.11.2006 – 1 ABR 4/06, Rn. 33 ff. mwN, BAGE 120, 146[]
  6. vgl. zB BAG 21.07.2009 – 1 ABR 42/08, Rn. 23, BAGE 131, 225[]
  7. vgl. für Interessenausgleich und Sozialplan BAG 3.05.2006 – 1 ABR 15/05, Rn. 27 mwN, BAGE 118, 131[]
  8. BAG 11.10.2016 – 1 AZR 679/14, Rn.20 mwN[]