Zu den Anforderungen an einen gewichtigen Grund für die Aufrechterhaltung einer Aussetzung wegen Einflusses eines strafgerichtlichen Verfahrens auf die Entscheidung im Sinne von § 149 Absatz 2 Satz 2 ZPO. Ein gewichtiger Grund für die Aufrechterhaltung einer Aussetzung wegen des Einflusses eines strafgerichtlichen Verfahrens auf die Entscheidung liegt nicht allein in dem Einfluss eines strafgerichtlichen Verfahrens auf die Entscheidung.

In dem hier vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschiedenen Fall streiten sich die Parteien darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigungen der Arbeitgeberin geendet hat. Die Arbeitgeberin beruft sich zur Begründung ihrer Kündigungen auf den Verdacht einer Tatbeteiligung des Arbeitnehmers an einem gemeinschaftlichen Bandendiebstahl zu ihrem Nachteil.
Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen den Arbeitnehmer wegen einer Tatbeteiligung des Arbeitnehmers an einem gemeinschaftlichen Bandendiebstahl und erhob schließlich Anklage. Vor diesem Hintergrund hat das Arbeitsgericht im April 2012 den vorliegenden Rechtsstreit bis zum Abschluss des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens und des sich daran anschließenden Strafverfahrens gegen den Arbeitnehmer ausgesetzt, da im Falle einer Tatbeteiligung des Arbeitnehmers an einem gemeinschaftlichen Bandendiebstahl zu Lasten der Arbeitgeberin ein wichtiger Grund für die streitgegenständlichen Kündigungen vorläge und Beweisergebnisse aus dem Strafverfahren im vorliegenden Rechtsstreit verwertet werden könnten.
Nachdem der Arbeitnehmer erstinstanzlich strafrechtlich verurteilt worden war, hat das Arbeitsgericht auf Antrag der Arbeitgeberin den Rechtsstreit im Oktober 2013 fortgesetzt. Auf Antrag des Arbeitnehmers, wegen seiner gegen die strafgerichtliche Verurteilung eingelegte Berufung das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens auszusetzen, hat das Arbeitsgericht sodann erneut den Rechtsstreit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens ausgesetzt, da die weitere Aussetzung prozessökonomisch sei. Denn die von der Arbeitgeberin behauptete Tatbeteiligung des Arbeitnehmers an einem gemeinschaftlichen Bandendiebstahl lasse sich schneller und gründlicher im Strafverfahren klären. Eine Beweiserhebung im Arbeitsgerichtsprozess werde daher durch die Aussetzung vermieden. Außerdem vermeide die Aussetzung widerbesprechende Entscheidungen im Strafverfahren einerseits und im arbeitsgerichtlichen Verfahren andererseits. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde der Arbeitgeberin mit Beschluss vom 14.01.2014 zurückgewiesen.
Zwischenzeitlich wurde die Berufung des Arbeitnehmers gegen seine strafgerichtliche Verurteilung zurückgewiesen. Der Arbeitnehmer wird seine dagegen eingelegte Revision voraussichtlich noch begründen. Vor diesem Hintergrund beantragte die Arbeitgeberin erneut, das Verfahren fortzusetzen, was das Arbeitsgericht unter Verweisung auf den Aussetzungsbeschluss zurückwies und hierbei ergänzend eine Entlastung des vorliegenden Rechtsstreits und eine Vermeidung widersprechender Entscheidungen durch die Aussetzung hervorhob. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Arbeitgeberin hatte nun vor dem Landesarbeitsgericht Erfolg:
Nach § 149 Abs. 2 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG ist das Verfahren fortzusetzen, wenn seit der Aussetzung wegen des Verdachts einer Straftat nach § 149 Satz 1 ZPO ein Jahr vergangen ist. Dies gilt nach § 149 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht, wenn gewichtige Gründe für eine Aufrechterhaltung der Aussetzung sprechen. An das Vorliegen gewichtiger Gründe sind mit Blick auf das Grundrecht auf wirkungsvollen Rechtschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG und mit Blick auf die gerichtliche Verpflichtung zum Verhandeln zivilrechtlicher Ansprüche in angemessener Frist aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK strenge Anforderungen zu stellen1. Deswegen reichen als gewichtige Gründe nur besonders schwerwiegende Umstände aus2. Wie sich aus der Systematik des § 149 ZPO ergibt, reicht es als gewichtiger Grund nicht aus, dass ein strafgerichtliches Verfahren Einfluss auf die Entscheidung des ausgesetzten Rechtsstreits hat. Denn wenn ein Rechtsstreit nach § 149 Abs. 1 ZPO wegen des Einflusses eines strafgerichtlichen Verfahrens auf die Entscheidung ausgesetzt ist, ist er gemäß § 149 Abs. 2 Satz 1 ZPO nach einem Jahr auf Antrag fortzuführen, unabhängig davon, ob das strafgerichtliche Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist oder nicht. Von dieser Regel gibt § 149 Abs. 1 Satz 2 ZPO eine Ausnahme, wenn gewichtige Gründe für eine Aufrechterhaltung der Aussetzung sprechen. Also können gewichtige Gründe nicht allein in dem Einfluss eines strafgerichtlichen Verfahrens auf die Entscheidung liegen, sondern müssen außerhalb dessen liegen3.
Unabhängig davon besteht regelmäßig keine Rechtfertigung für die Aussetzung eines Kündigungsschutzprozesses bis zur rechtskräftigen Entscheidung eines strafgerichtlichen Verfahrens4 und damit erst Recht keine Rechtfertigung für eine Aufrechterhaltung einer Aussetzung gemäß § 149 Abs. 2 Satz1 ZPO als Ausnahme von der auf Antrag regelmäßigen Fortführung des Verfahrens nach einjähriger Aussetzung gemäß § 149 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Denn eine strafgerichtliche Verurteilung für sich genommen rechtfertigt weder eine Tatkündigung noch eine Verdachtskündigung; vielmehr haben die Gerichte für Arbeitssachen in einem Kündigungsschutzprozess ohne Bindung an das Strafurteil den Sachverhalt selbst aufzuklären und zu bewerten5.
Die Entscheidung darüber, ob gewichtige Gründe vorliegen, ist eine gebundene Entscheidung, also keine Ermessensentscheidung6.
Gemessen an diesen Maßstäben ist vorliegend kein gewichtiger Grund für eine Fortdauer der zweijährigen Aussetzung erkennbar. Der Umstand, dass das strafgerichtliche Verfahren Einfluss auf die arbeitsgerichtliche Entscheidung über die streitgegenständlichen Kündigungen hat, rechtfertigt nach dem oben Gesagten nicht die Aufrechterhaltung der Aussetzung bis zum rechtskräftigen Abschluss des strafgerichtlichen Verfahrens. Andere Umstände für eine Aufrechterhaltung der Aussetzung sind nicht ersichtlich. Anders als das Arbeitsgericht meint, reichen dafür prozessökonomische Erwägungen und die Vermeidung widersprechender Entscheidungen nicht aus. Denn diese Überlegungen sind keine selbständig tragenden Gründe, sondern haben ihren Grund darin, dass das strafgerichtliche Verfahren Einfluss auf die arbeitsgerichtliche Entscheidung hat.
Aus diesen Gründen ist auf Antrag der Arbeitgeberin das Verfahren nach § 149 Abs. 1 Satz 2 ZPO fortzusetzen.
Landesarbeitsgericht Baden -Württemberg, Beschluss vom 25. Juli 2014 – 17 Ta 8/14
- vgl. BVerfG, 5.08.2013 – 1 BvR 2965/10 – 22; Sächsisches LAG, 8.03.2012 – 4 Ta 17/1219; OLG Koblenz, 21.02.2011 – 10 W 79/11 7[↩]
- vgl. Wendtland, in: Vorwerk/Wolf, Beck?scher Online-Kommentar ZPO, Stand: 15.03.2014, § 149 Rn.11[↩]
- vgl. Sächsisches LAG, 8.03.2012 – 4 Ta 17/1219; OLG Koblenz, 21.02.2011 – 10 W 79/11 7: das Sächsische LAG und das OLG Koblenz lassen als Begründung für eine Zurückweisung eines Antrags auf Fortsetzung eines Verfahrens nach einjähriger Aussetzung nicht den Hinweis auf die Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens genügen[↩]
- vgl. BAG, 25.10.2010 – 2 AZR 801/09 17; 25.10.2012 – 2 AZR 700/11 15[↩]
- vgl. BAG 18.11.1999 – 2 AZR 852/98 23; 25.10.2010 – 2 AZR 801/09 17; 25.10.2012 – 2 AZR 700/11 – 15[↩]
- vgl. BVerfG, 5.08.2013 – 1 BvR 2965/10 22[↩]