Gussasphaltkocher und das Sozialkassenverfahren

Der Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20.12 1999 (VTV) gilt auch für Gussaphaltkocher. Ein Arbeitgeber im Geltungsbereich des VTV muss daher auch für diese Arbeitnehmer Beiträge leisten.

Gussasphaltkocher und das Sozialkassenverfahren

Ein Betrieb wird vom Geltungsbereich des VTV erfasst, wenn in ihm arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt werden, die unter die Abschnitte I bis V des § 1 Abs. 2 VTV fallen1. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst oder auf handels- und gewerberechtliche Kriterien kommt es nicht an2. Betriebe, die überwiegend eine oder mehrere der in den Beispielen des § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV genannten Tätigkeiten ausführen, fallen unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV, ohne dass die Erfordernisse der allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III geprüft werden müssen. Nur wenn in dem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend nicht die in den Abschnitten IV und V genannten Beispieltätigkeiten ausgeführt werden, muss darüber hinaus geprüft werden, ob die ausgeführten Tätigkeiten die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III erfüllen3. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass im Betrieb der Beklagten im streitgegenständlichen Zeitraum überwiegend bauliche Tätigkeiten verrichtet wurden, obliegt dem Kläger4.

Die Anwendbarkeit des VTV wird nicht durch die Einschätzung der Agentur für Arbeit, wonach die Beklagte baufremde Leistungen im Bereich des gewerblichen Güterverkehrs erbringe und die gesetzlichen Vorschriften zur Teilnahme an der Winterbeschäftigungsumlage (§§ 175a aF, 354 SGB III iVm. WinterbeschV) nicht zur Anwendung kämen, ausgeschlossen. Etwaige von der Agentur für Arbeit in diesem Zusammenhang getroffene Entscheidungen sind für die Anwendbarkeit des VTV nicht maßgeblich5.

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Nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 39 VTV erstreckt sich der betriebliche Geltungsbereich des Tarifvertrags auf Betriebe, in denen folgende Tätigkeiten verrichtet werden: „Vermieten von Baumaschinen mit Bedienungspersonal, wenn die Baumaschinen mit Bedienungspersonal zur Erbringung baulicher Leistungen eingesetzt werden“.

Bei den von der Beklagten benutzten Gussasphaltkochern handelt es sich um Baumaschinen iSd. Tarifvorschrift.

Eine Baumaschine ist eine Maschine, die bei der Ausführung von Hoch- und Tiefbauarbeiten verwendet wird. Als Maschine wird eine mechanische, aus beweglichen und unbeweglichen Teilen zusammengesetzte Vorrichtung bezeichnet, die Kraft überträgt oder Arbeitsvorgänge selbständig verrichtet bzw. Energie aus einer in eine andere Form umwandelt6.

Diese Voraussetzungen erfüllen die von der Beklagten benutzten Gussasphaltkocher7. Ihre Funktion besteht zunächst im Transport des Gussasphalts vom Hersteller zur Baustelle. Dies schließt aber entgegen der Auffassung der Beklagten nicht aus, dass es sich um Baumaschinen handelt. Die Kocher unterscheiden sich von bloßen Beförderungsmitteln dadurch, dass das Baumaterial nicht nur von einem zu einem anderen Ort gebracht wird, sondern gleichzeitig in dem für die sofortige Verwendung auf der Baustelle erforderlichen Verarbeitungszustand gehalten wird. Dies geschah in früheren Zeiten durch menschliche Arbeitskraft, die heute durch die maschinelle Arbeit des Rührwerks einerseits und die weitgehend automatisierte Erzeugung und Zuführung von Wärme zum Asphalt andererseits ersetzt wird. Indem während des Transports das Rührwerk tätig ist, Wärme erzeugt und dem Transportgut zugeführt wird, erfüllt der Transport eine über die bloße Beförderung hinausgehende spezielle Funktion im Rahmen der arbeitsteiligen Organisation des jeweiligen Bauprojekts. Nur so ist gewährleistet, dass der Asphalt, wie vom Straßenbauunternehmer gewünscht, sofort verbaut werden kann und sowohl Lagerung als auch Zubereitung des Baustoffs an der Baustelle entfallen können. Der Transport ohne gleichzeitige Erhitzung und Bewegung des Materials würde zusätzliche Arbeitsschritte auf der Baustelle erforderlich machen. Der Gussasphalt müsste dort durch Erhitzen und Umrühren in einen verarbeitungsfähigen Zustand versetzt werden.

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Die Baumaschinen werden auch iSd. der Tarifvorschrift „mit Bedienungspersonal vermietet“. Dabei ist nicht entscheidend, ob die zwischen dem Kunden bzw. Bauunternehmen und der Beklagten geschlossenen Verträge in allen Einzelheiten dem gesetzlichen Bild des Mietvertrags, wie es in § 535 ff. BGB niedergelegt ist, entsprechen. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass die Arbeitnehmer des „Vermieters“ im arbeitsrechtlichen Sinne sowohl dessen Direktionsrecht unterliegen als auch gleichzeitig Weisungen des Kunden zu befolgen haben. Entscheidend ist, dass die Baumaschinen nach mietrechtlichen Grundsätzen zum Gebrauch überlassen werden8. Den insoweit sachkundigen Tarifvertragsparteien ist dabei bewusst und geläufig, dass bei der von ihnen im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber normierten Fallgestaltung ungeachtet der beim Vermieter der Baumaschinen verbleibenden Arbeitgeberstellung für das bereitgestellte Bedienungspersonal die Ausübung des Direktionsrechts begrenzt, dh. insoweit auf den jeweiligen Mieter übergeht, als dieser über Ort und Art ihres Einsatzes befindet9. In einem so verstandenen Sinne wird auch der Gussasphaltkocher mit dem Fahrer, der während des Transports die Arbeit des Rührwerks und die Wärmezuführung steuert und überwacht, dem Kunden für eigene Zwecke auf Zeit zum Gebrauch überlassen. Dies findet seine Bestätigung darin, dass – wie gerichtsbekannt – der entsprechende wirtschaftliche Vorgang branchenüblich durchweg als Vermietung oder Verleih von Baumaschinen mit Personal bezeichnet wird.

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Ob die Gussasphaltkocher im Streitfall zur Erbringung baulicher Leistungen im Tarifsinne eingesetzt wurden, kann das Bundesarbeitsgericht nicht abschließend beurteilen. Das Landesarbeitsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, wie der von der Beklagten zur Baustelle gebrachte Gussasphalt weiter verarbeitet wurde. In der Regel erfolgt der Einsatz von Gussasphaltkochern jedoch zur Erbringung baulicher Leistungen. Es wäre Sache der Beklagten, im Einzelnen darzulegen, dass dies bei ihr ausnahmsweise nicht der Fall war.

Eine Baumaschine wird zur Erbringung baulicher Leistungen eingesetzt, wenn ihre Verwendung auf die Erstellung des Bauwerks einwirkt. Diese Voraussetzung wird in den meisten Fällen des Einsatzes von Gussasphaltkochern gegeben sein. Dass der Einbau des Asphalts eine bauliche Leistung darstellt, steht außer Frage. Da der Gussasphalt heiß und flüssig eingebaut werden muss, geht die Entladung gewöhnlich „Hand in Hand“ mit dem Einbau vor sich, sodass eine sinnvolle Trennung der sich nahezu synchron vollziehenden Vorgänge nicht möglich ist. Denkbar ist aber auch, dass die Verwendung allein zur Vorbereitung oder Zurichtung von Baumaterial dient. So zeigt § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 32 VTV, dass die Herstellung und die Aufbereitung von Mischgut nur unter besonderen Bedingungen als bauliche Tätigkeit anzusehen ist.

Die in Betracht kommenden Baustellen können erhebliche Unterschiede aufweisen, die auch die Art des Einsatzes der Kocher beeinflussen. So kann Gussasphalt nicht nur auf kleinen oder großen Straßen und Brücken, sondern auch auf Sportanlagen, Plätzen sowie in Hallen, Häusern und Wohnungen verwendet werden. Diese Unterschiede können sich auf die Art der Koordinierung der Arbeitsschritte des Entladens und des Einbaus auswirken.

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Im Streitfall liegt es nahe, dass der Gussasphalt in einem mehrgliedrigen Arbeitsgang, dessen einzelne Abschnitte ineinandergreifen und nahezu gleichzeitig stattfinden, aus den Kochern – gegebenenfalls über Bohlen – auf die Straße gebracht und dort gewalzt wird. Sollte dies so oder ähnlich der Fall sein, würde der Gussasphaltkocher zur Erbringung baulicher Leistungen eingesetzt. Die Entladung des Gussasphaltkochers könnte in diesem Fall nicht sinnvoll von dem Aufbringen auf die Straße getrennt werden.

Bundesarbeitsgericht – Urteil vom 13. November 2013 – 10 AZR 842/12

  1. BAG 15.06.2011 – 10 AZR 861/09, Rn. 12; 27.10.2010 – 10 AZR 351/09, Rn. 10; 12.12 2007 – 10 AZR 995/06, Rn. 16; 20.03.2002 – 10 AZR 507/01, zu II 1 der Gründe[]
  2. BAG 15.06.2011 – 10 AZR 861/09 – aaO; 2.08.2006 – 10 AZR 756/05, Rn. 13[]
  3. BAG 15.06.2011 – 10 AZR 861/09 – aaO; 2.08.2006 – 10 AZR 756/05, Rn. 14[]
  4. BAG 2.08.2006 – 10 AZR 756/05, Rn. 13; 23.02.2005 – 10 AZR 413/04, zu II 2 a bb der Gründe[]
  5. BAG 8.12 2010 – 10 AZR 710/09, Rn. 13; 2.07.2008 – 10 AZR 305/07, Rn. 22; 20.03.2002 – 10 AZR 507/01, zu II 1 der Gründe[]
  6. BAG 2.08.2006 – 10 AZR 756/05, Rn.19[]
  7. im Ergebnis ebenso schon: BAG 2.08.2006 – 10 AZR 756/05, Rn.19 f.[]
  8. BAG 16.06.1982 – 4 AZR 862/79, BAGE 39, 146[]
  9. BAG 16.06.1982 – 4 AZR 862/79 – aaO; vgl. auch BAG 2.08.2006 – 10 AZR 756/05, Rn. 21[]
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