Bei dem Streit um Lohnnsprüche bzw. eine Haftung aus der Patronatsvereinbarung einer ausländischen Konzernobergesellschafthandelt es sich um eine Arbeitssache im Sinne der im Kapitel II, Abschnitt 5 der EuGVVO enthaltenen Zuständigkeitsordnung.

Die internationale Zuständigkeit bestimmt sich in einem solchen Fall gemäß Art. 66 Abs. 1 EuGVVO nach den Vorschriften der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia-VO, im Folgenden EuGVVO)1. Der Zulässigkeit der Klage steht in einem solchen eine fehlende internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht entgegen. Diese sind vielmehr nach Art. 21 Abs. 1 Buchst. b (i), Abs. 2 EuGVVO international zuständig.
Bei dem Streit um Ansprüche bzw. eine Haftung aus der Patronatsvereinbarung handelt es sich um eine Arbeitssache iSd. im Kapitel II, Abschnitt 5 der EuGVVO enthaltenen Zuständigkeitsordnung. Das ergibt sich für das Bundesarbeitsgericht insbesondere aus den Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union aus der Entscheidung vom 20.10.20222.
Der Abschnitt für Arbeitssachen der EuGVVO (Kapitel II, Abschnitt 5) findet Anwendung, wenn ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche hieraus den Gegenstand des Verfahrens bilden. Gemäß Art. 21 Abs. 1 Buchst. b (i) EuGVVO kann ein Arbeitgeber vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat.
Die in der Verordnung nicht ausdrücklich definierten Rechtsbegriffe „individueller Arbeitsvertrag“, „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ sind, damit eine einheitliche Anwendung der mit ihr aufgestellten Zuständigkeitsvorschriften in allen Mitgliedstaaten gewährleistet ist, autonom auszulegen3. Ein individueller Arbeitsvertrag iSd. EuGVVO ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs des Europäischen Union eine Vereinbarung, mittels derer sich eine Person – der Arbeitnehmer – verpflichtet, während einer bestimmten Zeit für eine andere Person – den Arbeitgeber – nach deren Weisung Leistungen zu erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält4.
Zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit nach Art. 21 Abs. 1 Buchst. b (i) und Abs. 2 EuGVVO hat der Gerichtshof bei der Beantwortung der Vorlagefrage 1 des Bundesarbeitsgerichts betont, dass ein Arbeitsverhältnis ein Unterordnungsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber voraussetze5. Hieraus hat er abgeleitet, dass es für die Anwendbarkeit von Art. 21 Abs. 1 Buchst. b (i) und Abs. 2 EuGVVO in bestimmten Fallkonstellationen ausreicht, wenn zwischen der Person, gegen die sich die geltend zu machenden Ansprüche richten, und dem Anspruchsteller zwar kein förmlicher Arbeitsvertrag, aber dennoch ein Unterordnungsverhältnis besteht6. Ob diese Voraussetzung vorliegt, müsse in jedem Einzelfall von den hierfür zuständigen nationalen Gerichten anhand aller Gesichtspunkte und aller Umstände geprüft werden, die die Beziehungen zwischen den Beteiligten kennzeichnen7.
Damit ist im vorliegenden Fall, wie auch der Gerichtshof der Europäischen Union bei der Beantwortung der Vorlagefrage 1 hervorgehoben hat8, Kapitel II Abschnitt 5 („Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge“) der EuGVVO auf die Patronatsvereinbarung zu erstrecken. Von dieser hing im vorliegenden Fall der Abschluss des Arbeitsvertrags zwischen dem Arbeitnehmer und der ROI Swiss ab, der wiederum – bei im Wesentlichen gleichbleibender Tätigkeit – die Dienstleistungsvereinbarung zwischen dem Arbeitnehmer und der Konzernobergesellschaft ersetzen sollte.
Im Verhältnis zu der Konzernobergesellschaft lag nach den Umständen, unter denen der Arbeitnehmer mit ihr die Patronatsvereinbarung geschlossen und am gleichen Tag ein Arbeitsverhältnis mit der ROI Swiss begründet hat, ein Unterordnungsverhältnis vor. Vor dem Abschluss des Arbeitsvertrags mit der ROI Swiss bestand zwischen dem Arbeitnehmer und der Konzernobergesellschaft eine Dienstleistungsvereinbarung, wobei der Zuschnitt der geschuldeten Tätigkeiten im späteren Arbeitsverhältnis zur ROI Swiss unverändert blieb. Die Parteien der Dienstleistungsvereinbarung wollten dieses Vertragsverhältnis lediglich aus steuer- und abgabenrechtlichen Gründen auf die ROI Swiss „überführen“. Die Konzernobergesellschaft konnte über ihre Organe und andere Gesellschaften Einfluss auf die ROI Swiss ausüben. Zugleich hatte der Arbeitnehmer die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses mit der neu zu gründenden Gesellschaft vom Abschluss der Patronatsvereinbarung mit der Konzernobergesellschaft abhängig gemacht, die der Garantie seiner Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis diente. Der Arbeitsvertrag mit der ROI Swiss wäre nicht zustande gekommen, wenn sich die Konzernobergesellschaft nicht in der Patronatsvereinbarung verpflichtet hätte.
All diese Umstände, welche die Rechtsbeziehungen der Parteien von üblichen Konzernsachverhalten unterscheiden, sprechen dafür, in einem Fall wie diesem ein Unterordnungsverhältnis zwischen der Konzernobergesellschaft und dem Arbeitnehmer anzunehmen. Nach der Auslegung von Art. 21 Abs. 1 Buchst. b (i) und Abs. 2 EuGVVO durch den Europäischen Gerichtshof führt dies dazu, dass der Arbeitnehmer sie nach diesen Vorschriften vor dem Gericht des Ortes verklagen kann, an dem oder von dem aus er zuletzt gewöhnlich seine Arbeit verrichtet hat.
Die deutschen Gerichte ist daher im vorliegenden Fall nach Art. 21 Abs. 1 Buchst. b (i), Abs. 2 EuGVVO zuständig, weil der Arbeitnehmer zuletzt gewöhnlich in Stuttgart seine Arbeit verrichtet hat.
Anwendbarkeit deutschen materiellen Rechts
Auch materiell ist auf die Patronatsvereinbarung deutsches Recht anzuwenden. Dies ergibt sich für das Bundesarbeitsgericht jedoch nicht aus Art. 6 Abs. 1, sondern aus Art. 8 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (im Folgenden Rom I-VO):
Das anzuwendende Recht bestimmt sich nach der Rom I-VO, die nach Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO für alle vertraglichen Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen gilt, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen. Sie findet ausweislich Art. 28 Rom I-VO auf Verträge Anwendung, die nach dem 17.12.2009 geschlossen wurden. Die als Grundlage für die Inanspruchnahme der Konzernobergesellschaft heranzuziehende Patronatsvereinbarung wurde im Jahr 2016 getroffen. Sie weist Verbindungen sowohl zur Bundesrepublik Deutschland als auch zu Kanada auf. Der Arbeitnehmer und die Konzernobergesellschaft haben ihren jeweiligen Sitz in unterschiedlichen Staaten. Die Rom I-VO ist unabhängig davon anwendbar, ob das berufene Recht dasjenige eines Mitgliedstaats iSd. Art. 1 Abs. 4 Satz 1 Rom I-VO oder eines Drittstaats ist. Sie enthält allseitige Kollisionsnormen9.
Das mangels Rechtswahl10 auf die Patronatsvereinbarung anzuwendende Recht bestimmt sich nach Art. 8 Rom I-VO. Da unter Berücksichtigung der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 20.10.202211 Kapitel II Abschnitt 5 der EuGVVO auf die Streitigkeit aus der Patronatsvereinbarung zu erstrecken ist, gilt entsprechendes für die Bestimmung des auf diese Vereinbarung anwendbaren Rechts nach der Rom I-VO. Der materielle Anwendungsbereich und die Bestimmungen der Rom I-VO stehen nach deren siebten Erwägungsgrund mit der Brüssel I-VO im Einklang. Soweit die Brüssel I-VO durch die EuGVVO (Brüssel Ia-VO) aufgehoben und ersetzt wurde, gilt dieses Ziel der Kohärenz auch in Bezug auf diese Verordnung12. Sowohl Art. 8 Rom I-VO als auch Art.20 Abs. 1 EuGVVO liegt der Begriff des Arbeitnehmers nach Art. 45 AEUV zugrunde13. Für einen Fall wie den vorliegenden sind daher die Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Maßgeblichkeit des Unterordnungsverhältnisses auf die Prüfung des Vorliegens eines Individualarbeitsvertrags iSv. Art. 8 Rom I-VO übertragbar und führen zum selben Ergebnis.
Nach Art. 8 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 Rom I-VO findet auf die Patronatsvereinbarung deutsches Recht Anwendung.
Da der Arbeitnehmer überwiegend in Stuttgart tätig geworden ist, ist gemäß Art. 8 Abs. 2 Satz 1 Rom I-VO deutsches Recht anzuwenden. Nach dieser Vorschrift findet grundsätzlich das Recht des Staates Anwendung, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet.
Die Anwendung eines anderen Rechts ist nicht wegen einer engeren Verbindung zu einem anderen Staat geboten, Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO.
Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Vertrag eine engere Verbindung zu einem anderen als dem in Art. 8 Abs. 2 Satz 1 Rom I-VO bezeichneten Staat aufweist, ist gemäß Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO das Recht dieses anderen Staates anzuwenden. Für die „Gesamtheit der Umstände“ müssen die Anknüpfungsmomente gewichtet werden. Sollen die Einzelumstände auf engere Verbindungen zu einem anderen Staat verweisen, müssen sie insgesamt das Gewicht der einschlägigen Regelanknüpfung deutlich übersteigen14.
Die Bewertung obliegt in erster Linie den Tatsacheninstanzen. Sie müssen alle Gesichtspunkte berücksichtigen, die das Arbeitsverhältnis kennzeichnen und würdigen, welche ihrer Auffassung nach „am maßgeblichsten“ sind15. Fehlt es an einer solchen Würdigung, ist dem Revisionsgericht eine eigene Rechtsanwendung möglich, wenn alle relevanten Tatsachen festgestellt sind16.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg17, das in der Vorinstanz für die Patronatsvereinbarung vom Vorliegen eines Verbrauchervertrags iSv. Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO ausgegangen ist18, hat sich folgerichtig mit Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO nicht auseinandergesetzt. Dem Bundesarbeitsgericht ist eine eigene Rechtsanwendung möglich, weil für die Patronatsvereinbarung alle relevanten Tatsachen festgestellt sind. Mit dem Sitz der Konzernobergesellschaft weist nur ein untergeordneter Umstand auf Kanada. Für die Vertragsabwicklung und die Tätigkeit des Arbeitnehmers spielt ihr Sitz nämlich keine entscheidende Rolle, so dass es bei der Regelanknüpfung verbleibt. Auf den Arbeitsvertrag zwischen dem Arbeitnehmer und der ROI Swiss kommt es für die Prüfung nicht an. Auch wenn auf diesen Vertrag nach der dort getroffenen Rechtswahl Schweizer Recht Anwendung finden sollte, ist die Patronatsvereinbarung, obwohl sie auf die Verträge zwischen dem Arbeitnehmer und der ROI Swiss bezogen ist, ein eigenständiges Rechtsgeschäft. Sicherungsverträge wie Patronatserklärungen und sogar Bürgschaften, denen eine Akzessorietät stets innewohnt, folgen grundsätzlich ihrem eigenen Recht und nicht notwendig dem der Hauptschuld19.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. März 2023 – 5 AZR 55/19
- vgl. hierzu BAG 24.06.2020 – 5 AZR 55/19 (A), Rn. 23 ff., BAGE 171, 132[↩]
- EuGH 20.10.2022 – C-604/20 – [ROI Land Investments] Rn. 35; verfehlt die Kritik von Junker EuZA 2021, 234 ff. zur Notwendigkeit des Vorabentscheidungsersuchens[↩]
- EuGH 20.10.2022 – C-604/20 – [ROI Land Investments] Rn. 28 f.[↩]
- EuGH 11.04.2019 – C-603/17 – [Bosworth und Hurley] Rn. 25; 20.09.2007 – C-116/06 – [Kiiski] Rn. 25 mwN; vgl. zum unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff auch ErfK/Preis BGB § 611a Rn. 18 f.[↩]
- EuGH 20.10.2022 – C-604/20 – [ROI Land Investments] Rn. 32; vgl. auch 9.07.2015 – C-229/14 – [Balkaya] Rn. 37; kritisch zur Entscheidung vom 20.10.2022 Ulrici jurisPR-ArbR 2/2023 Anm. 8 zu C I 2 b[↩]
- EuGH 20.10.2022 – C-604/20 – [ROI Land Investments] Rn. 36[↩]
- vgl. auch EuGH 11.04.2019 – C-603/17 – [Bosworth und Hurley] Rn. 25 mwN[↩]
- vgl. EuGH 20.10.2022 – C-604/20 – [ROI Land Investments] Rn. 35[↩]
- BAG 24.06.2020 – 5 AZR 55/19 (A), Rn. 78, BAGE 171, 132; MünchKomm-BGB/Martiny 8. Aufl. Rom I-VO Art. 2 Rn. 1; BeckOK BGB/Spickhoff Stand 1.05.2022 VO (EG) 593/2008 Art. 2 Rn. 1[↩]
- vgl. hierzu BAG 24.06.2020 – 5 AZR 55/19 (A), Rn. 79, BAGE 171, 132[↩]
- EuGH 20.10.2022 – C-604/20 – [ROI Land Investments] Rn. 35[↩]
- EuGH 20.10.2022 – C-604/20 – [ROI Land Investments] Rn. 50; 10.02.2022 – C-595/20 – [ShareWood Switzerland] Rn. 34[↩]
- MünchKomm-BGB/Martiny 8. Aufl. Rom I-VO Art. 8 Rn. 21; Staudinger/Magnus [2021] Art. 8 Rom I-VO Rn. 35[↩]
- vgl. BAG 26.04.2022 – 9 AZR 228/21, Rn. 39 mwN[↩]
- BAG 26.04.2022 – 9 AZR 228/21, Rn. 40; vgl. zu Art. 30 Abs. 2 Halbs. 2 EGBGB aF: BAG 7.05.2020 – 2 AZR 692/19, Rn. 32; 18.09.2019 – 5 AZR 81/19, Rn. 31, BAGE 168, 38[↩]
- BAG 26.04.2022 – 9 AZR 228/21, Rn. 40 mwN[↩]
- LAG Baden-Württemberg 15.08.2018 – 4 Sa 6/18[↩]
- vgl. hierzu aber EuGH 20.10.2022 – C-604/20 – [ROI Land Investments] Rn. 58[↩]
- BeckOGK/Köhler Stand 1.03.2023 Rom I-VO Art. 4 Rn. 512 ff.; Staudinger/Magnus [2021] Art. 4 Rom I-VO Rn. 408 ff., 413; MünchKomm-BGB/Martiny 8. Aufl. Rom I-VO Art. 4 Rn. 230 zur Bürgschaft[↩]