Haftung für offene Gehaltszahlungen – per Patronatserklärung

Bei der Patronatsvereinbarung handelt es sich um eine nichttypische Willenserklärung, die nach § 133, 157 BGB so auszulegen ist,  wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen müssen.

Haftung für offene Gehaltszahlungen – per Patronatserklärung

Dabei ist vom Wortlaut auszugehen, zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind jedoch auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Vor allem sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen1.

Der Begriff der Patronatserklärung wird als Sammelbezeichnung für verschiedene Formen von Unterstützungserklärungen einer Konzernobergesellschaft (Patronin) für operative Tochtergesellschaften verwendet. Unterschieden wird dabei zwischen sog. „weichen“ und „harten“ Patronatserklärungen. Während es sich bei einer „weichen“ Patronatserklärung nur um eine unverbindliche Absichtserklärung zur finanziellen Ausstattung der Tochtergesellschaft handelt, übernimmt die Patronin bei einer „harten“ Patronatserklärung gegenüber demjenigen, dem sie die Erklärung abgegeben hat, rechtsverbindlich die Verpflichtung, die Tochter finanziell so auszustatten, dass diese ihre Verpflichtungen erfüllen kann, oder für die Erfüllung der gesicherten Verbindlichkeiten einzustehen2.

Im hier entschiedenen Fall verfügt die Patronatsherrin nach dem Wortlaut der Erklärung „über die umfassende Verantwortlichkeit für die Erfüllung der Verpflichtungen in Bezug auf die Verträge der ROI Land Investments Swiss aufgrund der Zusammenarbeit“ des Arbeitnehmers mit dieser. Diese Regelung geht über das hinaus, was selbst für eine harte Patronatserklärung üblich ist. Die in der Vereinbarung übernommene Verpflichtung der Patronatsgeberin beschränkt sich nicht auf eine finanzielle Ausstattung der Tochtergesellschaft (ROI Swiss) im Innenverhältnis, sondern regelt vielmehr die „umfassende Verantwortlichkeit“ der Patronatsgeberin. Dies spricht für die Übernahme einer unmittelbaren – wenn auch akzessorischen – Haftung für die Verbindlichkeiten der ROI Swiss gegenüber dem Arbeitnehmer als Vertragspartner der Vereinbarung.

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Eine solche direkte Verpflichtung der Patronatsgeberin entspricht auch dem mutmaßlichen Willen der Vertragsparteien. Die Patronatsvereinbarung sollte den Arbeitnehmer beim „Auswechseln“ seines Vertragspartners aus der ursprünglichen Dienstleistungsvereinbarung möglichst gleichwertig und umfassend absichern. Denn der Abschluss der Patronatsvereinbarung war – für die Patronatsgeberin erkennbar – Voraussetzung für die Bereitschaft des Arbeitnehmers, ein Arbeitsverhältnis mit der ROI Swiss überhaupt einzugehen. Es entsprach daher dem Sinn und Zweck der Patronatsvereinbarung, die Ansprüche des Arbeitnehmers aufgrund seiner gleichbleibenden Tätigkeit auch nach Aufhebung des „Service Agreements“ mit der Patronatsgeberin weiterhin durch diese direkt abzusichern. Die ROI Swiss war bei Abschluss der Patronatsvereinbarung und des ersten Arbeitsvertrags am 12.02.2016 gerade erst – am 14.01.2016 – gegründet und noch nicht im Register eingetragen.

Weiter ergibt die Auslegung der Patronatsvereinbarung, dass sich diese Zusage auch auf die Haftung für Ansprüche des Arbeitnehmers aus dem (zweiten) Arbeitsvertrag mit der ROI Swiss vom 01.04.2016 erstreckt. Schon nach dem Wortlaut („in Bezug auf die Verträge der ROI Land Investments Swiss AG aufgrund der Zusammenarbeit von dessen Direktor mit der ROI Land Investments Swiss AG“) bezieht sich die Vereinbarung nicht auf die Erfüllung von Ansprüchen aus einem bestimmten Vertrag, sondern wird in Bezug auf „Verträge“ zugesagt. Eingeschränkt wird die Haftung lediglich dadurch, dass sich der Gegenstand der Verträge auf die Zusammenarbeit zwischen dem Arbeitnehmer und der ROI Swiss beziehen muss, also auf seine Tätigkeit für sie. Für eine Beendigung der Patronatsvereinbarung im Zusammenhang mit dem Abschluss des Arbeitsvertrags vom 01.04.2016 gibt es keine Anhaltspunkte. Eine ausdrückliche Beendigung ist nicht erfolgt. Das erkennbare Interesse des Arbeitnehmers an einer Absicherung seiner arbeitsvertraglichen Ansprüche durch seine vorherige Vertragspartnerin bestand – ca. sechs Wochen nach Abschluss des ersten Vertrags – unverändert fort.

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Einer Haftung der Patronatsgeberin steht nicht entgegen, dass die ROI Swiss bei Abschluss des Arbeitsvertrags mit dem Arbeitnehmer am 1.04.2016 (wie auch zuvor) keine unmittelbare Tochtergesellschaft der Patronatsgeberin war, sondern als Tochtergesellschaft der ROI D Canada Inc. zum 28.04.2016 deren „Enkelin“ wurde. Auch dies ergibt die Auslegung der Patronatsvereinbarung.

Zwar heißt es in § 1 Satz 1 der Vereinbarung, die Patronatsgeberin habe „eine Tochtergesellschaft, die ROI Land Investments Swiss“ gegründet, deren geschäftsführende Führungskraft der Arbeitnehmer sei und die Haftungsübernahme in § 2 soll nach § 1 Satz 3 „in Übereinstimmung mit dieser Annahme“ gelten. Die in § 1 Satz 1 und Satz 2 dargestellten Grundannahmen sind aber nicht streng konzernrechtlich und „technisch“ zu verstehen. Hierfür spricht bereits die Formulierung in § 1 Satz 1, die Patronatsgeberin habe die ROI Swiss „gegründet“. Denn bei Abschluss der Patronatsvereinbarung am 12.02.2016 war den Parteien bekannt, dass nicht die Patronatsgeberin, sondern die F T AG die ROI Swiss im Januar 2016 gegründet und angemeldet hatte.

Auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Vereinbarung ging es der Patronatsgeberin mit dieser Einschränkung lediglich darum, nicht für Rechtsgeschäfte der ROI Swiss zu haften, über die sie keine Kontrolle hatte. Solange sie auf die Verträge und Vertragsbeziehungen zwischen dem Arbeitnehmer und der ROI Swiss Einfluss nehmen konnte, blieben die Folgen der Patronatsvereinbarung für die Patronatsgeberin vorhersehbar. Wäre der Begriff „Tochtergesellschaft“ dagegen eng zu verstehen, hätte die Patronatsgeberin ihrer Haftung aus der Patronatsvereinbarung durch einen Umbau der Konzernstrukturen leicht entgehen können. Der hiernach erforderliche Einfluss der Patronatsgeberin auf die ROI Swiss bestand im streitgegenständlichen Zeitraum durchgehend. Bei Abschluss des Arbeitsvertrags am 1.04.2016 konnte die Patronatsgeberin über den damaligen Anteilseigner, ihren „President“ Herrn G, Einfluss nehmen. Nachdem die Gesellschaftsanteile an der ROI Swiss zum 28.04.2016 auf ihre hundertprozentige Tochtergesellschaft übergegangen waren, bestand der Einfluss fort.

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Der von der Patronatsgeberin erklärte Rücktritt von der Patronatsvereinbarung ist unwirksam. Die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 BGB liegen nicht vor.

Gemäß § 313 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BGB kann die benachteiligte Partei von einem gegenseitigen Vertrag zurücktreten, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben, die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, der Partei ein Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann und eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder zumutbar ist. Geschäftsgrundlage in diesem Sinne sind zum einen die gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragspartner, die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt geworden, beim Abschluss aber zutage getreten sind, zum anderen die dem Geschäftspartner erkennbaren oder von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen Partei vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt oder Nichteintritt bestimmter Umstände, auf denen der Geschäftswille der Parteien aufbaut3.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Patronatsgeberin hat ihren Rücktritt allein damit begründet, dass die ROI Swiss nicht, wie nach der Patronatsvereinbarung vorgesehen, als ihre Tochtergesellschaft gegründet wurde. Es ist aber nicht ersichtlich, dass sich dadurch die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend geändert hätten. Unabhängig davon hat die Patronatsgeberin nicht dargetan, dass ihr ein Festhalten an der Patronatsvereinbarung unter Berücksichtigung der tatsächlichen Entwicklung ihres fortbestehenden Einflusses unzumutbar wäre. Der Arbeitnehmer kann die Patronatsgeberin also grundsätzlich wegen nicht erfüllter Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag mit der ROI Swiss vom 01.04.2016 unmittelbar in Anspruch nehmen.

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Die weitere Annahme des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg4, das im Verfahren des Arbeitnehmers gegen die ROI Swiss ergangene Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 02.11.20165 binde auch die Patronatsgeberin bzw. führe ohne weiteres zu einer Haftung für die darin ausgeurteilten Ansprüche, ist allerdings nicht frei von Rechtsfehlern.

Das Landesarbeitsgericht ist unzutreffend davon ausgegangen, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf die geltend gemachte Antrittsprämie gegen die Patronatsgeberin aufgrund des zwischen dem Arbeitnehmer und der ROI Swiss ergangenen rechtskräftigen Urteils des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 02.11.20166 feststehe. Dieses Urteil konnte jedoch gegenüber der nicht an diesem Verfahren beteiligten Patronatsgeberin keine Bindungswirkung entfalten.

Der Patronatsvereinbarung sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Patronatsgeberin darin eine derartig weitreichende Verpflichtung begründet hat. Die von ihr eingegangene Verpflichtung reicht zwar weiter als bei einer üblichen harten Patronatserklärung. Dennoch wären mit Blick auf die gesetzlichen Regelungen, die für andere Formen des vertraglich vereinbarten Eintretens für eine fremde Schuld gelten7, hierfür konkrete Anhaltspunkte in der Vereinbarung erforderlich.

Bei einer Bürgschaft entfaltet ein zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner ergangenes Urteil nur dann gegenüber dem Bürgen eine Bindungswirkung, wenn dies ausdrücklich vereinbart worden ist8. Ob die Hauptschuld besteht, nie bestand oder etwa durch Erfüllung erloschen ist, ist wegen der fehlenden Rechtskrafterstreckung im Prozess des Gläubigers gegen den Bürgen neu zu prüfen9.

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Die Frage einer prozessualen Geltendmachung von Ansprüchen ist in der Patronatsvereinbarung nicht geregelt. Die mit ihr bezweckte Absicherung des Arbeitnehmers verlangt nach §§ 133, 157 BGB nicht die Auslegung der Vereinbarung im Sinne einer solchen Rechtskrafterstreckung. Der Arbeitnehmer hätte nämlich durch eine Streitverkündung (§§ 72, 74 ZPO) die Interventionswirkung des § 68 ZPO10 herbeiführen und damit die erstrebten Sicherungszwecke erreichen können.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Arbeitnehmer herangezogenen AGB-rechtlichen Unklarheitenregel. Abgesehen davon, dass § 305c Abs. 2 BGB nur bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen oder Einmalbedingungen iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB Anwendung findet und hierzu vom Berufungsgericht keinerlei Feststellungen getroffen worden sind, setzt die Unklarheitenregel voraus, dass eine streitige AGB-Klausel tatsächlich unklar ist und etwaige Zweifel nicht durch Auslegung behoben werden können11. Vorliegend fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten dafür, dass in der Patronatsvereinbarung eine Rechtskrafterstreckung von gegenüber der ROI Swiss erstrittenen Urteile geregelt werden sollte. Erhebliche Zweifel an ihrer richtigen Auslegung bestehen insoweit im Ergebnis daher nicht.

Somit musste der Arbeitnehmer, unabhängig von der Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 02.11.20165, die geltend gemachten Ansprüche auch im vorliegenden Verfahren schlüssig darlegen. Dies hat er bezüglich der von ihm geltend gemachten Antrittsprämie getan. Er hat in der Klageschrift und in der Berufungsbegründung vorgetragen, ihm stehe nach Ziffer 4.1 des Arbeitsvertrags vom 01.04.2016 eine Antrittsprämie iHv. 255.000 US-Dollar zu, die die ROI Swiss nicht gezahlt habe. Die Patronatsgeberin ist dem nicht ausreichend entgegengetreten (§ 138 Abs. 2 ZPO).

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. März 2023 – 5 AZR 55/19

  1. BAG 9.03.2021 – 9 AZR 312/20, Rn. 29, BAGE 174, 224; 19.11.2019 – 3 AZR 332/18, Rn. 18[]
  2. BAG 21.10.2014 – 3 AZR 1027/12, Rn. 56 mwN[]
  3. vgl. BAG 11.07.2012 – 2 AZR 42/11, Rn. 32 mwN[]
  4. LAG Baden-Württemberg 15.08.2018 – 4 Sa 6/18[]
  5. ArbG Stuttgart 02.11.2016 – 29 Ca 4733/16[][]
  6. ArbG Stuttgart 02.11.2016 – 29 Ca 4733/16 – dort Ziff. 2[]
  7. vgl. zur Bürgschaft: BGH 14.06.2016 – XI ZR 242/15, Rn. 24, BGHZ 210, 348[]
  8. vgl. BGH 14.06.2016 – IX ZR 242/15, Rn. 24, BGHZ 210, 348[]
  9. BGH 15.04.2010 – IX ZR 86/09, Rn. 3[]
  10. dazu Musielak/Voit/Weth 20. Aufl. ZPO § 68 Rn. 3[]
  11. vgl. MünchKomm-BGB/Fornasier 9. Aufl. § 305c Rn. 45; BAG 22.03.2017 – 5 AZR 424/16, Rn.20[]