Im Falle einer groben Fahrlässigkeit und einem deutlichen Missverhältnis zwischen Arbeitsentgelt und Schadensrisiko kann zugunsten des Arbeitnehmers keine starre Haftungsobergrenze von drei Bruttomonatsverdiensten angenommen werden.

Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung
Nach den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts entwickelten Grundsätzen1
- hat ein Arbeitnehmer vorsätzlich verursachte Schäden in vollem Umfange zu tragen,
- bei leichtester Fahrlässigkeit haftet er dagegen nicht.
- Bei normaler Fahrlässigkeit ist der Schaden in aller Regel zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu verteilen,
- bei grober Fahrlässigkeit hat der Arbeitnehmer in aller Regel den gesamten Schaden zu tragen.
Der Umfang der Beteiligung des Arbeitnehmers an den Schadensfolgen ist durch eine Abwägung der Gesamtumstände zu bestimmen, wobei insbesondere Schadensanlass, Schadensfolgen, Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkte eine Rolle spielen. Eine möglicherweise vorliegende Gefahrgeneigtheit der Arbeit ist ebenso zu berücksichtigen wie die Schadenshöhe, ein vom Arbeitgeber einkalkuliertes Risiko, eine Risikodeckung durch eine Versicherung, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb und die Höhe der Vergütung, die möglicherweise eine Risikoprämie enthalten kann. Auch die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers und die Umstände des Arbeitsverhältnisses, wie die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Familienverhältnisse und sein bisheriges Verhalten können zu berücksichtigen sein2.
Damit können grundsätzlich auch bei einer groben Fahrlässigkeit Haftungserleichterungen im Einzelfalle in Betracht kommen. Ob eine Entlastung des Arbeitnehmers in Betracht zu ziehen ist und wie weit diese zu gehen hat, ist aufgrund einer Abwägung zu entscheiden, die der Tatrichter nach Feststellung aller hierfür maßgebenden Umstände (§ 286 ZPO) nach § 287 ZPO vornehmen muss3. Von Bedeutung kann dabei sein, ob der Verdienst des Arbeitnehmers in einem deutlichen Missverhältnis zum verwirklichten Schadensrisiko der Tätigkeit steht4.
Von diesen Grundsätzen weicht dagegen die Annahme ab, bei einem grob fahrlässigen Verhalten des Arbeitnehmers und einem deutlichen Missverhältnis zwischen Verdienst und dem Schadensrisiko sei die Haftung des Arbeitnehmers grundsätzlich auf höchstens drei Bruttomonatsvergütungen zu beschränken. Eine solche Haftungsobergrenze bejaht das Bundesarbeitsgericht nicht.
Trotz Stimmen in der Literatur5, die eine solche Haftungshöchstgrenze befürworten, hat das Bundesarbeitsgericht in st. Rspr. eine summenmäßige Begrenzung der Haftung des Arbeitnehmers abgelehnt und dies im Wesentlichen damit begründet, die Entscheidung über eine solche starre Haftungshöchstgrenze müsse dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben6. Dem ist die überwiegende Meinung in der Literatur gefolgt7.
Es besteht kein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Die Befürworter einer starren Haftungsobergrenze argumentieren, es dürfte sich mittlerweile eine Rechtsüberzeugung dahin gehend entwickelt haben, sich verstärkt festen Haftungsgrenzen zu öffnen. Dies ist nicht nachvollziehbar. Der Gesetzgeber, dessen Aufgabe die Festlegung bestimmter Haftungsobergrenzen wäre, hat bislang keinen Anlass gesehen, tätig zu werden. Es mag zwar sein, dass Instanzgerichte mehrfach eine Haftungsbegrenzung auf drei Bruttomonatsverdienste im Falle einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung angenommen haben. Es ist dem Tatrichter – dann aber unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – nach Abwägung aller Umstände unbenommen, zu dem Ergebnis zu gelangen, im Einzelfalle sei es dem Arbeitnehmer nur zumutbar, in Höhe von drei Bruttomonatsvergütungen zu haften. Das Bundesarbeitsgericht hat Urteile von Landesarbeitsgerichten bestätigt, die nach einer Abwägung im Einzelfalle zu dem Ergebnis gekommen waren, dem Arbeitnehmer sei eine Haftung nur in einer bestimmten Höhe zumutbar8. Dabei ist er bei einer grob fahrlässig begangenen Pflichtverletzung davon ausgegangen, dass auch eine Haftung in Höhe von 3,5 Bruttomonatsgehältern dem Arbeitnehmer zuzumuten sein kann9. Eine Haftungsbegrenzung auf drei Bruttomonatsverdienste ist in diesen Fällen im Sinne einer losgelöst vom Einzelfall stets geltenden Höchstgrenze nicht angenommen worden.
Auch das im Grundgesetz verankerte Recht auf Existenzsicherung (Art. 1 Abs. 1 iVm. Art.20 Abs. 1 GG) gebietet es nicht, feste Haftungshöchstgrenzen einzuführen. Ein unzumutbares Missverhältnis zwischen der Schadenshöhe und dem Einkommen des Arbeitnehmers kann nämlich nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch bei grober Fahrlässigkeit zugunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt und somit eine existenzbedrohende Haftung vermieden werden.
Eine starre Haftungsgrenze wäre auch mit der dogmatischen Herleitung der Beschränkung der Haftung im Arbeitsverhältnis nicht zu vereinbaren. Der Rechtsgedanke des § 254 BGB, der eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles erfordert, schließt feste summenmäßige Haftungsbeschränkungen aus10.
Eine generelle Haftungsobergrenze im Falle einer grob fahrlässig begangenen Pflichtverletzung würde schließlich auch nicht hinreichend berücksichtigen, dass die Möglichkeit einer Haftungsbegrenzung auch im Falle einer groben Fahrlässigkeit vor allem damit begründet wird, dass der Arbeitnehmer vor Schäden, die ihn in seiner Existenz bedrohen, geschützt werden müsse. Solange es dem Arbeitnehmer aber möglich und zumutbar ist, von seinem Lohn den verursachten Schaden vollumfänglich zu begleichen, ist auch keine Einschränkung der Haftung im Falle einer groben Fahrlässigkeit angezeigt11.
Eine feste summenmäßige Begrenzung wäre zudem ein unzulässiger Akt richterlicher Rechtsfortbildung. Der Gesetzgeber hat seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 12.10.198912 keine Haftungsobergrenze festgesetzt. Wenn der Gesetzgeber mehr als 20 Jahre von einer solchen Regelung Abstand nimmt, erscheint es angebracht, dass dieses „beredte Schweigen“ jedenfalls insofern respektiert wird, als Obergrenzen vom Gesetzgeber sozialpolitisch nicht für notwendig erachtet werden und daher für deren Einführung durch die Gerichte besonders schwerwiegende Gründe vorliegen müssen. Solche sind aber nicht ersichtlich. Im Gegenteil lässt das bestehende System im Einzelfalle gerechte Ergebnisse zu, bei denen eine Existenzgefährdung des Arbeitnehmers vermieden werden kann.
Keine Schadensquotelung analog § 81 Abs. 2 VVG
§ 81 Abs. 2 VVG läßt die Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung unberührt. Der Gesetzgeber hat mit dieser zum 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Vorschrift das „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ durch eine Quotelung ersetzt, um im Einzelfalle Entscheidungen zu ermöglichen, die den jeweiligen Schutzinteressen des Versicherungsnehmers Rechnung tragen13. Anders als zuvor soll der Versicherer im Falle einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles nicht mehr automatisch von der Leistungspflicht befreit werden.
Eine Berücksichtigung der auf der Grundlage von § 81 Abs. 2 VVG festgesetzten Quote im Rahmen der Arbeitnehmerhaftung würde dem Grundsatz widersprechen, dass sich die Versicherung nach der Haftung und nicht umgekehrt die Haftung nach der Versicherung richtet (sog. Trennungsprinzip14). Die Frage, mit welcher Quote der Arbeitnehmer haftet, kann aus Gründen der Rechtssicherheit nicht davon abhängen, ob und in welchem Umfang die Versicherung bei einem grob fahrlässigen Verhalten ihre Leistung gegenüber dem Versicherungsnehmer kürzt.
§ 81 Abs. 2 VVG ist auch nach seinem Sinn und Zweck nicht zugunsten des Arbeitnehmers anzuwenden. Der Gesetzgeber wollte erkennbar eine Besserstellung des Versicherungsnehmers erreichen. Dieser zahlt schließlich auch die Prämien. Es ist nicht ersichtlich, dass er auch eine Besserstellung des den Versicherungsfall herbeiführenden Fahrers bezweckt, wenn dieser nicht zugleich Versicherungsnehmer ist15. Dies läge auch fern, da zwischen dem Fahrer und der Versicherung keine Sonderverbindung besteht. Im Übrigen ist der Arbeitnehmer ausreichend über die Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung geschützt. Zu einer weiteren Besserstellung über § 81 Abs. 2 VVG besteht kein Anlass.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15. November 2012 – 8 AZR 705/11
- BAG 27.09.1994 – GS 1/89 (A), BAGE 78, 56 = AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 103 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerhaftung Nr. 59[↩]
- BAG 28.10.2010 – 8 AZR 418/09, Rn. 18, AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 136 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitnehmerhaftung Nr. 3[↩]
- BAG 18.01.2007 – 8 AZR 250/06, Rn. 41, AP BGB § 254 Nr. 15 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitnehmerhaftung Nr. 2[↩]
- BAG 12.11.1998 – 8 AZR 221/97, zu II 3 a der Gründe mwN, BAGE 90, 148 = AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 117 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerhaftung Nr. 66[↩]
- Griese NZA 1996, 803, 808; Küttner/Griese Personalbuch 2012 19. Aufl. Stichwort Arbeitnehmerhaftung Rn. 16; Hanau/Rolfs NJW 1994, 1439, 1442; Lipperheide BB 1993, 720, 724 f.; Sommer NZA 1990, 837, 840[↩]
- vgl. BAG 28.10.2010 – 8 AZR 418/09, Rn. 25 mwN, AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 136 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitnehmerhaftung Nr. 3[↩]
- MüArbR/Reichold 3. Aufl. § 51 Rn. 38; Waltermann RdA 2005, 98, 105; MüKoBGB/Henssler 6. Aufl. § 619a Rn. 36; HWK/Krause 5. Aufl. § 619a BGB Rn. 33; Schaub/Linck ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 59 Rn. 52[↩]
- vgl. BAG 28.10.2010 – 8 AZR 418/09, Rn. 24 ff., AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 136 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitnehmerhaftung Nr. 3: Haftung in Höhe eines Jahresgehalts; 23.01.1997 – 8 AZR 893/95, zu I 4 der Gründe, NZA 1998, 140: Haftung in Höhe von knapp sechs Bruttomonatsverdiensten[↩]
- vgl. BAG 18.01.2007 – 8 AZR 250/06, Rn. 42, AP BGB § 254 Nr. 15 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitnehmerhaftung Nr. 2; 12.11.1998 – 8 AZR 221/97, zu II 3 b der Gründe, BAGE 90, 148 = AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 117 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerhaftung Nr. 66[↩]
- BAG 12.10.1989 – 8 AZR 276/88, zu II 2 e der Gründe, BAGE 63, 127 = AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 97 = EzA BGB § 611 Gefahrgeneigte Arbeit Nr. 23[↩]
- vgl. BAG 12.10.1989 – 8 AZR 276/88, zu II 2 b der Gründe, BAGE 63, 127 = AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 97 = EzA BGB § 611 Gefahrgeneigte Arbeit Nr. 23[↩]
- BAG 12.10.1989 – 8 AZR 276/88, BAGE 63, 127 = AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 97 = EzA BGB § 611 Gefahrgeneigte Arbeit Nr. 23[↩]
- BT-Drucks. 16/3945 S. 80[↩]
- vgl. BGH 27.10.2009 – VI ZR 296/08, Rn. 14, NJW 2010, 537[↩]
- vgl. Keysers/Nugel NJW-Special 2008, 681[↩]