Hintergrunddienst – als vergütungsrechtliche Rufbereitschaft

Die von einem Krankenhausarzt außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit auf Anordnung des Krankenhauses geleisteten Hintergrunddienste stellten vergütungsrechtlich keinen Bereitschaftsdienst iSd. § 7 Abs. 4 Satz 1 TV-Ärzte/TdL, sondern Rufbereitschaft iSd. § 7 Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/TdL dar.

Hintergrunddienst – als vergütungsrechtliche Rufbereitschaft

Die Verpflichtung der Ärzte, sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen, stellt Bereitschaftsdienst dar (§ 7 Abs. 4 Satz 1 TV-Ärzte/TdL). Haben sich die Ärzte demgegenüber auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit lediglich an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufzuhalten, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen, handelt es sich um Rufbereitschaft (§ 7 Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/TdL). Damit definieren die genannten Tarifnormen die Begriffe des Bereitschaftsdienstes und der Rufbereitschaft für ihre vergütungsrechtliche Einordnung abschließend1. Einzige tarifliche Tatbestandsvoraussetzung für die vergütungsrechtliche Einordnung als Rufbereitschaft ist demnach, dass die Ärzte in dieser Zeit nach der Anordnung des Arbeitgebers ihren Aufenthaltsort in den Grenzen, die der Zweck der Rufbereitschaft vorgibt, frei wählen können.

Seinem Wesen nach ist der Bereitschaftsdienst eine Aufenthaltsbeschränkung verbunden mit der Verpflichtung, bei Bedarf sofort tätig zu werden2. Rufbereitschaft setzt hingegen voraus, dass der Arbeitnehmer die Möglichkeit haben muss, sich in dieser Zeit auch um persönliche und familiäre Angelegenheiten zu kümmern, an sportlichen oder kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen oder sich mit Freunden zu treffen3. Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst unterscheiden sich demnach dadurch, dass der Arbeitgeber beim Bereitschaftsdienst den Aufenthaltsort des Arbeitnehmers bestimmt, wohingegen dieser vom Arbeitnehmer bei der Rufbereitschaft grundsätzlich selbst gewählt werden kann4.

Allerdings ist der Arbeitnehmer auch während der Rufbereitschaft in der Wahl seines Aufenthaltsortes nicht völlig frei. Der Zweck der Rufbereitschaft besteht gerade darin, dass der Arbeitnehmer in der Lage sein muss, die Arbeit innerhalb einer angemessenen Zeitspanne auf Abruf aufnehmen zu können5. Kennzeichnend für Rufbereitschaft ist daher, dass zwischen dem Abruf und der Arbeitsaufnahme nur eine solche Zeitspanne liegen darf, deren Dauer den Einsatz nicht gefährdet und die Arbeitsaufnahme im Bedarfsfall gewährleistet. Der Arbeitnehmer darf sich nicht in einer Entfernung vom Arbeitsort aufhalten, die dem Zweck der Rufbereitschaft zuwiderläuft6. Mithin stehen mittelbare Einschränkungen des Aufenthaltsortes dem Vorliegen von Rufbereitschaft nicht zwangsläufig entgegen. Vielmehr ist die Eingrenzung der freien Wahl des Aufenthaltsortes und damit einhergehend der Möglichkeiten zur Gestaltung der Zeit der Rufbereitschaft gerade ein Wesensmerkmal dieses Dienstes.

Entscheidend für die Frage, ob vergütungsrechtlich Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft im Sinne des TV-Ärzte/TdL vorliegt, ist danach nicht das Ausmaß der anfallenden Arbeitsleistung, sondern allein der Umfang der vom Arbeitgeber angeordneten Aufenthaltsbeschränkungen. Diese können allerdings auch konkludent erfolgen. Das ist beispielsweise anzunehmen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer dadurch in der freien Wahl des Aufenthaltsortes beschränkt, dass er die Zeit zwischen Abruf und Arbeitsaufnahme genau vorgibt und die Zeitspanne dabei so kurz bemisst, dass sie einer Aufenthaltsbeschränkung gleichkommt7. In einem solchen Fall ersetzt der Arbeitgeber die örtlichen Beschränkungen lediglich durch den Faktor Zeit8 und ordnet dadurch konkludent Bereitschaftsdienst an. Wann die (mittelbaren) Einschränkungen hinsichtlich der freien Wahl des Aufenthaltsortes so stark sind, dass sie faktisch einer Bestimmung des Aufenthaltsortes durch den Arbeitgeber iSv. § 7 Abs. 4 Satz 1 TV-Ärzte/TdL gleichkommen und damit eine Anordnung von Bereitschaftsdienst darstellen, ist letztlich eine Frage des Einzelfalls9. Unerheblich ist es hingegen, wenn sich der Arbeitnehmer abweichend von den Vorgaben des Arbeitgebers und damit überobligatorisch selbst in der Wahl seines Aufenthaltsortes beschränkt10.

Weiterlesen:
Das befristete Arbeitsverhältnis - für einen Arzt in der Weiterbildung

Dem Vorliegen von Rufbereitschaft steht es auch nicht entgegen, wenn der Arbeitnehmer sich nach Abruf nicht vom Aufenthalts- zum Arbeitsort begeben muss, sondern seine Arbeitsleistung telefonisch sofort bei Abruf erbringt. Dadurch wird der Arbeitnehmer in der Wahl seines Aufenthaltsortes beschränkt, weil er sich in Hörweite des mobilen Telefons und innerhalb eines funktionsfähigen Netzes aufhalten muss. § 7 Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/TdL setzt nicht voraus, dass zwischen Abruf und Arbeitsaufnahme eine zeitliche Verzögerung oder eine Ortsveränderung liegen muss11. Das haben die Tarifvertragsparteien mit der Regelung in § 7 Abs. 6 Satz 3 TV-Ärzte/TdL deutlich gemacht.

Nach diesen Maßgaben handelte es sich bei den von dem beklagten Universitätsklinikum angeordneten Hintergrunddiensten vergütungsrechtlich um Rufbereitschaft iSd. § 7 Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/TdL. Die mit ihrer Anordnung verbundenen Einschränkungen erreichten kein Ausmaß, das einer Aufenthaltsbeschränkung gleichkam und damit Bereitschaftsdienst iSd. § 7 Abs. 4 Satz 1 TV-Ärzte/TdL darstellte.

Mit der Verpflichtung, einen dienstlichen Telefonanruf anzunehmen und damit die Arbeit unverzüglich aufzunehmen, war keine räumliche Aufenthaltsbeschränkung verbunden, die über die sich bereits aus dem Wesen der telefonischen Rufbereitschaft ergebende Beschränkung12 hinausging. Die Einschränkungen, die sich daraus ergaben, dass der Arzt ein Mobiltelefon einsatzbereit bei sich führen musste, liegen im Wesen dieser Art der Rufbereitschaft, sofern sie außerhalb der eigenen Wohnung erbracht wird. Sie stehen deren Vorliegen, wie ausgeführt, nach dem Willen der Tarifvertragsparteien nicht entgegen. Sie führten auch nicht dazu, dass sich der Arzt lediglich im engeren Umkreis des Klinikums aufhalten konnte. Vielmehr war es ihm grundsätzlich möglich, sich frei zu bewegen. Hierbei konnte er sich auch um persönliche und familiäre Angelegenheiten kümmern und an sportlichen oder kulturellen Veranstaltungen teilnehmen, solange seine Erreichbarkeit und die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme im Klinikum sichergestellt waren.

Weiterlesen:
Sanktionsbemessumg bei berufsrechtlichen Verstößen von Ärzten

Dass der Arzt zusätzlich einen Ordner mit sensiblen Daten mit sich führen musste, schränkte ihn jedenfalls nicht in einem solchen Maße zusätzlich ein, dass dies einer Qualifikation als Rufbereitschaft entgegenstünde. Sah sich der Arzt während der Rufbereitschaft an einem Theater- oder Kinobesuch gehindert, dürfte dies weniger an der Notwendigkeit gelegen haben, Unterlagen bei sich führen zu müssen, als vielmehr daran, dass er in der Lage sein musste, jederzeit ein Telefonat entgegenzunehmen und in Fällen, in denen eine rein telefonische Klärung nicht möglich oder unzureichend war, die Arbeit im Klinikum zeitnah fortsetzen musste. Gerade dies liegt aber im Wesen der tarifvertraglich vorgesehenen Rufbereitschaft, die es erfordert, die Arbeit innerhalb einer angemessenen Zeitspanne auf Abruf aufnehmen zu können.

Soweit der Arzt (hier:) nach einem telefonischen Organtransplantationsangebot der Stiftung Eurotransplant im sog. Extended-Allocation-Modus entsprechend deren Vorgabe innerhalb einer Zeitspanne von 30 Minuten die Annahme eines solchen Angebots zu erklären hatte, ändert dies an dem Vorliegen von Rufbereitschaft auch dann nichts, wenn unterstellt wird, dass sich das beklagte Universitätsklinikum diese Vorgabe zu eigen gemacht hatte. Auch in diesen Fällen war der Arzt zunächst lediglich verpflichtet, durch die Annahme des Telefonanrufs seine Arbeit unverzüglich aufzunehmen. Erst danach begab er sich in das Klinikum. Eine mit dem Wesen der Rufbereitschaft nicht mehr zu vereinbarende räumliche Aufenthaltsbeschränkung war damit, wie dargelegt, jedoch nicht verbunden.

Weitere Vorgaben hinsichtlich des Aufenthaltsortes oder der Zeitspanne, innerhalb derer der Arzt die Arbeit aufzunehmen hatte, machte das beklagte Universitätsklinikum nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht.

Allerdings hätte das beklagte Universitätsklinikum gemäß § 7 Abs. 6 Satz 2 TV-Ärzte/TdL die Hintergrunddienste nicht als Rufbereitschaft anordnen dürfen. Dies führt gleichwohl nicht zu der vom Arzt begehrten Vergütung. Tarifwidrig angeordnete Rufbereitschaft wandelt sich nicht automatisch in Bereitschaftsdienst um.

Gemäß § 7 Abs. 6 Satz 2 TV-Ärzte/TdL darf der Arbeitgeber Rufbereitschaft nur anordnen, wenn erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. In Ermangelung einer tarifvertraglichen Definition ist der Begriff des Ausnahmefalls nach dem herkömmlichen Sprachgebrauch zu bestimmen, wonach es sich um eine Abweichung von der geltenden Regel handelt. Rufbereitschaft kann danach angeordnet werden, wenn Arbeit zwar gelegentlich anfällt, die Zeiten ohne Arbeitsanfall aber die Regel sind. Dabei kann nicht allein auf einen bestimmten Prozentsatz von Arbeitsanfall13 abgestellt werden. Auch der Anteil von Rufbereitschaften mit tatsächlichen Inanspruchnahmen in Relation zur Gesamtzahl der Rufbereitschaften sowie die Häufigkeit und Dauer der einzelnen Arbeitseinsätze während der jeweiligen Rufbereitschaften ist von Bedeutung, ohne dass sich eine absolute Grenze ziehen lässt14. Anhand der genannten Kriterien ist in einer wertenden Gesamtschau zu bestimmen, ob die zu beurteilenden Dienste allenfalls ausnahmsweise von Einsätzen unterbrochen sind oder ob nach den bisherigen Erfahrungen voraussichtlich mit dem Anfall von nicht nur gelegentlicher Arbeit zu rechnen ist.

Weiterlesen:
Die Diensterfindung in der Insolvenz des Arbeitgebers

Beruft sich der Arbeitgeber auf die ihm tarifvertraglich eingeräumte Befugnis, Rufbereitschaft anzuordnen, hat er die Voraussetzungen des § 7 Abs. 6 Satz 2 TV-Ärzte/TdL im Einzelnen darzulegen. Dabei kann er, wie der Wortlaut der Tarifnorm zeigt, auf Erfahrungswerte abstellen, die er beispielsweise durch Arbeitsaufzeichnungen über einen repräsentativen Zeitraum gewonnen hat. Sofern solche nicht vorliegen, ist vom Arbeitgeber eine Prognose zur Schätzung des Arbeitsanfalls während der Rufbereitschaften für den jeweiligen Arbeitsbereich abzugeben15. Der Zeitrahmen, aus dem der Arbeitgeber seine Erfahrungswerte herleitet bzw. auf den sich seine Prognose bezieht, muss der Lage und Länge nach so beschaffen sein, dass er die betrieblichen Gegebenheiten repräsentativ abbildet und bereits absehbare Intensitätsschwankungen hinsichtlich des Arbeitsanfalls berücksichtigt. Erfolgt der Einsatz auf der Grundlage eines Schichtplans, muss der Zeitrahmen wenigstens den jeweiligen Schichtplanturnus abbilden16.

Bei Beachtung dieser tarifvertraglichen Vorgaben hätte das beklagte Universitätsklinikum die Hintergrunddienste nicht als Rufbereitschaft anordnen dürfen. Es fiel nicht lediglich im Ausnahmefall Arbeit an.

Im vorliegenden Fall belief sich der Arbeitsleistungsanteil während der Rufbereitschaften zwar nur auf ca. 4 %. Allerdings erfolgte nahezu in jedem zweiten Rufbereitschaftsdienst mindestens eine tatsächliche telefonische Inanspruchnahme. Entgegen der Ansicht des beklagten Universitätsklinikums ist für die Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers nicht allein auf die Arbeitseinsätze abzustellen, die nach einem telefonischen Abruf mit einem Tätigwerden im Klinikum verbunden waren, was nur in etwa einem Viertel der Rufbereitschaften vorkam. Neben diesen sind auch die Abrufe zu berücksichtigen, die keine Ortsveränderung zur Folge hatten, sondern sich in einem reinen Telefonat erschöpften. Aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23.09.201017 zur Auslegung der Bestimmungen zur Vergütung der Arbeitsleistung innerhalb der Rufbereitschaft im TV-Ärzte/VKA, die § 9 Abs. 1 Satz 5 und Satz 6 TV-Ärzte/TdL entsprechen, folgt nichts Anderes. In dieser Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht ua. darauf abgestellt, der Aufbau der tariflichen Vorschrift könne sich daraus erklären, dass die Tarifvertragsparteien die Aufnahme der Arbeit im Krankenhaus bei der Rufbereitschaft eines Krankenhausarztes als Regelfall vorausgesetzt und darum zunächst festgelegt hätten, welche Zeiten zu vergüten seien, und erst danach angeordnet hätten, welches Entgelt für diese Zeiten zu zahlen sei18. Daraus können aber entgegen der Annahme des beklagten Universitätsklinikums keine Rückschlüsse auf den Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen werden, bei der Befugnis zur Anordnung von Rufbereitschaft nur Einsätze im Klinikum zu berücksichtigen. Ein derartiger Wille hat im Wortlaut des § 7 Abs. 6 Satz 2 TV-Ärzte/TdL keinen Anklang gefunden.

Weiterlesen:
Mindestentgelt in der Pflegebranche - und der Bereitschaftsdienst

In der Gesamtschau dieser Umstände – Arbeitsanfall in nahezu der Hälfte aller Rufbereitschaften, dabei in mehr als einem Viertel aller Rufbereitschaften Inanspruchnahme im Klinikum, Arbeitsleistungsanteil insgesamt 4 % – ist während der Hintergrunddienste des Arztes erfahrungsgemäß nicht lediglich im Ausnahmefall Arbeit angefallen.

Gleichwohl folgt aus der fehlenden Befugnis des beklagten Universitätsklinikums, die Hintergrunddienste als Rufbereitschaften anzuordnen, kein Anspruch des Arztes auf Vergütung dieser Dienste als Bereitschaftsdienst. Die in § 7 Abs. 4 Satz 2 und § 7 Abs. 6 Satz 2 TV-Ärzte/TdL geregelte Anordnungsbefugnis ist nach dem Willen der Tarifvertragsparteien kein Tatbestandsmerkmal für die vergütungsrechtliche Einordnung eines Dienstes als Rufbereitschaft oder als Bereitschaftsdienst.

Ein bestimmter Arbeitsleistungsanteil ist weder der tariflichen Definition des Bereitschaftsdienstes in § 7 Abs. 4 Satz 1 TV-Ärzte/TdL noch der der Rufbereitschaft in § 7 Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/TdL begriffsimmanent. § 7 Abs. 4 Satz 2, Abs. 6 Satz 2 TV-Ärzte/TdL betreffen nur die Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers und bestätigen das Wortlautverständnis, dass weder der tatsächliche noch der zu erwartende Arbeitsleistungsanteil über das Vorliegen von Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft entscheidet. Daher wandelt sich tarifwidrig angeordnete Rufbereitschaft nicht automatisch in Bereitschaftsdienst um19. Auch tarifwidrig angeordnete Rufbereitschaft ist nach § 9 Abs. 1 TV-Ärzte/TdL lediglich als solche zu vergüten. Daher fehlt es entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts nicht an einer Vergütungsregelung, so dass für die Anwendung von § 612 Abs. 1, Abs. 2 BGB kein Raum ist20.

An dieser Rechtsprechung, die zu den Sonderregelungen Nr. 6 Abschn. B SR 2a und Nr. 8 SR 2c zum BAT ergangen ist, hält das Bundesarbeitsgericht fest. Ihr liegt die Erkenntnis zugrunde, dass sich die Tarifvertragsparteien des BAT bewusst entschieden hatten, für den Fall einer tarifwidrigen Anordnung von Rufbereitschaft keine Vergütungsregelung zu treffen und insbesondere diesen Dienst dann nicht als Bereitschaftsdienst zu bewerten, weil sie keinen vergütungsrechtlichen Anreiz zur Ableistung unzulässig angeordneter Rufbereitschaft schaffen wollten21. Die Tarifvertragsparteien des TV-Ärzte/TdL haben in Kenntnis dieser Rechtsprechung mit § 7 Abs. 4, Abs. 6 bzw. § 9 TV-Ärzte/TdL Tarifnormen geschaffen, die mit ihren Vorläuferbestimmungen inhaltlich übereinstimmen. Damit liegt nach wie vor eine bewusste Tariflücke hinsichtlich der Vergütung von tarifwidrig angeordneten Rufbereitschaften vor. Die Schließung einer solchen Lücke ist den Arbeitsgerichten versagt. Sie sind nicht befugt, gegen den Willen der Tarifvertragsparteien tarifliche Regelungen zu ergänzen. Eine derartige „Vertragshilfe“ wäre ein unzulässiger Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie22.

Der betroffene Arbeitnehmer wird hierdurch gleichwohl nicht rechtsschutzlos gestellt. Er kann individualrechtlich die Ableistung tarifwidrig angeordneter Rufbereitschaften verweigern. Kollektivrechtlich ist es die Aufgabe des Betriebsrats, im Rahmen der ihm zustehenden Mitbestimmungsrechte auf die Einhaltung der anzuwendenden Tarifverträge zu achten.

Weiterlesen:
Belegkrankenhaus - und die Umsatzsteuer

Ansprüche des Arztes auf eine höhere Vergütung folgen schließlich nicht aus dem Arbeitszeitgesetz oder der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG. Unabhängig davon, wie die vom Arzt geleisteten Hintergrunddienste arbeitszeitrechtlich einzuordnen wären, folgen aus einem etwaigen Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz oder die Arbeitszeitrichtlinie keine Vergütungsansprüche23. Unionsrechtliche Regelungen oder Vorgaben zu der Höhe von Rufbereitschafts- oder Bereitschaftsdienstentgelten bestehen weder im Primärrecht des Art. 31 GRC noch im Sekundärrecht der Arbeitszeitrichtlinie. Die Höhe des finanziellen Ausgleichs ist jedenfalls außerhalb möglicher Diskriminierungskonstellationen24) nicht unionsrechtlich überformt. Art. 31 GRC und die Arbeitszeitrichtlinie regeln mit Ausnahme des hier nicht vorliegenden besonderen Falls des bezahlten Jahresurlaubs keine Fragen der Vergütung, weil die Europäische Union hierfür nach Art. 153 Abs. 5 AEUV nicht zuständig ist25.

Es kann dahinstehen, ob nichttarifliche Vergütungsansprüche unter dem Gesichtspunkt in Betracht kommen können, dass während der Rufbereitschaftszeiten eine volle Arbeitsleistung erbracht worden ist oder jedenfalls ein krasses Missverhältnis iSd. § 138 BGB zwischen der Arbeitsleistung während der Rufbereitschaft und der hierfür gezahlten Vergütung vorliegt26. Solche Ansprüche scheiden jedenfalls vorliegend ersichtlich aus. Ein Arbeitsleistungsanteil von ca. 4 % stellt keine volle Arbeitsleistung dar. Ein krasses Missverhältnis iSd. § 138 BGB kommt im Falle der Rufbereitschaft von vornherein nicht in Betracht, da gemäß § 9 Abs. 1 Satz 6 TV-Ärzte/TdL die Zeiten der tatsächlichen Inanspruchnahme unabhängig davon, ob sie im Krankenhaus zu erbringen sind27, mit dem Entgelt für Überstunden sowie etwaiger Zeitzuschläge zu vergüten sind. Das hat das beklagte Universitätsklinikum unstreitig getan.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. März 2021 – 6 AZR 264/20

  1. vgl. BAG 4.08.1988 – 6 AZR 48/86, zu II 1 der Gründe; 27.02.1985 – 7 AZR 552/82, zu II 2 a der Gründe[]
  2. vgl. BAG 31.05.2001 – 6 AZR 171/00, zu II 1 a der Gründe; 4.08.1988 – 6 AZR 48/86, zu II 1 a der Gründe; 27.02.1985 – 7 AZR 552/82, zu II 2 a der Gründe[]
  3. BAG 31.01.2002 – 6 AZR 214/00, zu B I 2 der Gründe[]
  4. vgl. BAG 31.01.2002 – 6 AZR 214/00, zu B I 2 der Gründe; 31.05.2001 – 6 AZR 171/00, zu II 1 a der Gründe[]
  5. vgl. BAG 22.06.2011 – 8 AZR 102/10, Rn. 31[]
  6. vgl. BAG 31.01.2002 – 6 AZR 214/00, zu B I 2 der Gründe; 31.05.2001 – 6 AZR 171/00, zu II 1 b der Gründe[]
  7. vgl. BAG 31.05.2001 – 6 AZR 171/00, zu II 1 der Gründe; 4.08.1988 – 6 AZR 48/86, zu II 2 b, 3 b der Gründe; 4.12.1986 – 6 AZR 123/84, zu II 4 a der Gründe[]
  8. vgl. BAG 22.01.2004 – 6 AZR 543/02, zu II 2 c der Gründe; 19.12.1991 – 6 AZR 592/89, zu II 1 der Gründe[]
  9. bei einer Zeitvorgabe von 10 bzw.20 Minuten bis zur Arbeitsaufnahme bejaht: BAG 19.12.1991 – 6 AZR 592/89, zu II 1, 2 der Gründe; 31.01.2002 – 6 AZR 214/00, zu B I 2 der Gründe; bei einer Zeitvorgabe von 25 bis 30 Minuten verneint BAG 31.01.2002 – 6 AZR 214/00, zu B I 2 der Gründe[]
  10. vgl. BAG 31.05.2001 – 6 AZR 171/00, zu II 1 a der Gründe[]
  11. vgl. BAG 23.09.2010 – 6 AZR 330/09, Rn. 15; 29.06.2000 – 6 AZR 900/98, zu II der Gründe, BAGE 95, 210[]
  12. vorstehend Rn. 16[]
  13. Anteil der tatsächlichen Arbeitsleistung innerhalb der einzelnen Rufbereitschaft, sog. Arbeitsleistungsanteil[]
  14. vgl. BAG 4.08.1988 – 6 AZR 48/86, zu II 2 a der Gründe; 4.12.1986 – 6 AZR 123/84, zu II 3 a der Gründe; LAG Frankfurt 28.07.1988 – 9 Sa 977/87 – ZTR 1989, 74; anders KGH.EKD 8.12.2008 – I-0124/P16-08, zu II 3 c der Gründe[]
  15. vgl. KGH.EKD 8.12.2008 – I-0124/P16-08, zu II 3 c der Gründe[]
  16. vgl. zum Vorliegen von Bereitschaftszeiten iSd. § 9 Abs. 3, Abs. 1 TV-L BAG 6.09.2018 – 6 AZR 204/17, Rn. 40[]
  17. 6 AZR 330/09[]
  18. BAG 23.09.2010 – 6 AZR 330/09, Rn. 18 f.[]
  19. vgl. BAG 31.05.2001 – 6 AZR 171/00, zu II 1 b der Gründe; 4.08.1988 – 6 AZR 48/86, zu II 2 b, 3 der Gründe; 4.12.1986 – 6 AZR 123/84, zu II 4 a der Gründe; 27.02.1985 – 7 AZR 552/82, zu II 2 b, 3 a der Gründe[]
  20. vgl. dazu auch BAG 28.01.2004 – 5 AZR 530/02, zu IV 3 der Gründe, BAGE 109, 254[]
  21. vgl. BAG 4.08.1988 – 6 AZR 48/86, zu II 2 c und d der Gründe; 27.02.1985 – 7 AZR 552/82, zu II 2 b bb und cc der Gründe[]
  22. vgl. BAG 18.11.2015 – 4 ABR 24/14, Rn. 32[]
  23. BAG 24.03.2011 – 6 AZR 684/09, Rn. 28; 28.01.2004 – 5 AZR 530/02, zu IV der Gründe, BAGE 109, 254; vgl. zum Nachtarbeitszuschlag BAG 15.07.2020 – 10 AZR 123/19, Rn. 50 ff.[]
  24. dazu die Vorlage BAG 9.12.2020 – 10 AZR 332/20 (A[]
  25. vgl. für die Richtlinie 2003/88/EG EuGH 9.03.2021 – C-344/19 – [Radiotelevizija Slovenija] Rn. 57 ff.; 9.03.2021 – C-580/19 – [Stadt Offenbach am Main] Rn. 56 ff.; 20.11.2018 – C-147/17 – [Sindicatul Familia Constan?a ua.] Rn. 35; 21.02.2018 – C-518/15 – [Matzak] Rn. 49; 11.01.2007 – C-437/05 – [Vorel] Rn. 32 ff. mwN[]
  26. vgl. dazu BAG 24.03.2011 – 6 AZR 796/09, Rn. 40; 4.08.1988 – 6 AZR 48/86, zu II 5 a der Gründe; 27.02.1985 – 7 AZR 552/82, zu II 4 a der Gründe[]
  27. vgl. BAG 23.09.2010 – 6 AZR 330/09[]
Weiterlesen:
Einblicksrecht des Betriebsrats in Bruttoentgeltlisten