Höchstbefristungsdauer nach dem WissZeitVG – und die Betreuung eines Kindes in Adoptionspflege

Die Höchstbefristungsdauer nach dem WissZeitVG verlängert sich bei der Betreuung eines Kindes in Adoptionspflege.

Höchstbefristungsdauer nach dem WissZeitVG – und die Betreuung eines Kindes in Adoptionspflege

Die Befristung von Arbeitsverträgen mit nicht promoviertem wissenschaftlichen und künstlerischen Personal ist nach § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG bis zu einer Dauer von sechs Jahren zulässig. Nach abgeschlossener Promotion, dh. in der sog. Postdoc-Phase, ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 WissZeitVG eine Befristung bis zu einer Dauer von sechs Jahren – im Bereich der Medizin bis zu einer Dauer von neun Jahren – möglich. Eine Befristung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG setzt voraus, dass sie nach Abschluss der Promotion vereinbart wird. Die nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 WissZeitVG insgesamt zulässige Befristungsdauer verlängert sich gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG bei Betreuung eines oder mehrerer Kinder unter 18 Jahren um zwei Jahre je Kind. Innerhalb der jeweiligen Höchstbefristungsdauer sind nach § 2 Abs. 1 Satz 4 WissZeitVG auch Verlängerungen eines befristeten Vertrags möglich.

Die zulässige Höchstbefristungsdauer von sechs Jahren verlängert sich bei der Betreuung des Pflegekindes durch die wiss. Mitarbeiterin nach § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG um zwei auf acht Jahre.

Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG verlängert sich die zulässige Höchstbefristungsdauer bei der Betreuung eines oder mehrerer Kinder unter 18 Jahren um zwei Jahre je Kind. Von einer Betreuung ist regelmäßig auszugehen, wenn der Beschäftigte mit dem Kind in einem gemeinsamen Haushalt lebt1. In diesem Fall kann unterstellt werden, dass es zu einer betreuungsbedingten Mehrbelastung kommt, der durch eine Verlängerung der Höchstbefristungsdauer Rechnung getragen werden soll2.

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Zu den Kindern iSd. § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG gehören auch Kinder, die mit dem Ziel der Annahme als Kind in den Haushalt aufgenommen wurden3.

Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich allerdings nicht eindeutig, ob zu den Kindern iSv. § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG nur eigene Abkömmlinge (§§ 1589 ff. BGB) und angenommene Kinder (§§ 1741 ff. BGB) oder auch Kinder gehören, die mit dem Ziel der Annahme als Kind in den Haushalt aufgenommen wurden (sog. Adoptionspflege, § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BEEG). § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG enthält keine eigene Definition für den Begriff „Kind“. Die Vorschrift verweist weder auf die Bestimmungen des BGB noch auf die des BEEG. Der Gesetzessystematik lässt sich ebenfalls nicht eindeutig entnehmen, ob sich der Begriff „Kinder“ iSv. § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG nach den Verwandtschaftsregelungen des BGB oder dem Begriff des Kindes im BEEG bestimmt. Einerseits deutet die Formulierung in § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 WissZeitVG „Betreuung oder Pflege eines oder mehrerer Kinder unter 18 Jahren oder pflegebedürftiger sonstiger Angehöriger“ darauf hin, dass „Kinder“ iSv. § 2 WissZeitVG eine Teilgruppe der dort angesprochenen Angehörigen sein sollen. Andererseits besteht die Möglichkeit zur Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrags nach § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 WissZeitVG auch bei einer Inanspruchnahme von Elternzeit wegen der Betreuung eines Kindes, das mit dem Ziel der Annahme als Kind in den Haushalt aufgenommen wurde (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b BEEG). Sinn und Zweck des § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG sprechen jedoch dafür, dass die zulässige Höchstbefristungsdauer sich auch im Fall der Betreuung eines Kindes, das mit dem Ziel der Annahme als Kind in den Haushalt aufgenommen wurde, um zwei Jahre verlängert. Mit der Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG wollte der Gesetzgeber der Kinderlosigkeit von Nachwuchswissenschaftlern entgegenwirken4. Die Verlängerung der zulässigen Befristungsdauer sollte der Mehrfachbelastung der Nachwuchswissenschaftler durch Kinderbetreuung neben der Arbeit an der Dissertation bzw. Habilitation und der Tätigkeit an der Hochschule Rechnung tragen. Dadurch sollten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ermutigt werden, bereits in der Qualifizierungsphase Familien mit Kindern zu gründen5. Bei der Familiengründung durch Annahme eines Kindes besteht eine solche Mehrfachbelastung schon vor der Annahme des Kindes. Die Annahme eines Kindes setzt nach § 1744 BGB regelmäßig voraus, dass der Annehmende das Kind zuvor angemessene Zeit in Pflege gehabt hat (sog. Adoptionspflege). Bei einer Adoptionspflege sind die Pflegeeltern zur Betreuung und Erziehung des Kindes verpflichtet. Ihnen kann auch die Vertretung des Kindes in Angelegenheiten des täglichen Lebens übertragen werden (§ 1688 Abs. 1 BGB). Die Betreuung und Erziehung von Kindern im Rahmen der Adoptionspflege ist nach der Wertung des Gesetzgebers typischerweise nicht weniger zeitaufwändig als die Betreuung eigener Kinder, auch wenn den Pflegeeltern nicht das Sorgerecht zusteht. Daher kann bei der Adoptionspflege, bei der es sich um eine „rechtlich verfestigte Familienbeziehung“ handelt6, ein Anspruch auf Elternzeit bestehen (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b BEEG). Bei einer Dreifachbelastung mit der Tätigkeit an der Hochschule, der Arbeit an der Dissertation bzw. Habilitation und der Betreuung des mit dem Ziel der Annahme als Kind in den Haushalt aufgenommenen Kindes benötigen Nachwuchswissenschaftler mehr Zeit für die wissenschaftliche Qualifizierung. Sie befinden sich daher insoweit in einer vergleichbaren Situation wie Nachwuchswissenschaftler, die leibliche oder bereits adoptierte Kinder betreuen. Auch ihnen hilft die Verlängerung der zulässigen Befristungsdauer, die Mehrfachbelastung zu mildern. Damit werden die Nachwuchswissenschaftler zugleich ermutigt, ein Kind mit dem Ziel der Annahme als Kind in den Haushalt aufzunehmen und damit die Voraussetzungen für die Familiengründung durch Annahme eines Kindes zu schaffen.

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Dieses Verständnis wird auch nicht durch die Änderungen des § 2 Abs. 1 WissZeitVG durch das am 17.03.2016 in Kraft getretene 1. WissZeitVG-Änderungsgesetz vom 11.03.20167 infrage gestellt. Die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG findet sich seit der Gesetzesnovellierung in § 2 Abs. 1 Satz 4 WissZeitVG nF. Diese Regelung wurde um § 2 Abs. 1 Satz 5 WissZeitVG nF ergänzt. Danach gilt Satz 4 auch, wenn hinsichtlich des Kindes die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 BEEG vorliegen. Das betrifft ua. Kinder, die mit dem Ziel der Annahme als Kind in den Haushalt aufgenommen wurden (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b BEEG). Mit dieser Ergänzung sollte ausweislich der Gesetzesbegründung keine Gesetzesänderung, sondern eine Klarstellung in Bezug auf den im WissZeitVG verwandten Begriff des Kindes erfolgen8. Um dem in der rechtswissenschaftlichen Kommentarliteratur aufgezeigten Auslegungsproblem abzuhelfen, sollte mit dem neuen Satz 5 klargestellt werden, dass Kinder im Sinne der „familienpolitischen Komponente“ nicht nur leibliche Kinder sind, sondern auch andere Kinder, zu denen eine rechtlich verfestigte Familienbeziehung besteht, insbesondere Stief- und Pflegekinder9. Damit hat der Gesetzgeber deklaratorisch den Begriff des Kindes im WissZeitVG vereinheitlicht und einen Gleichklang zu den Regelungen der Elternzeit im BEEG hergestellt.

Die Verlängerung der zulässigen Höchstbefristungsdauer setzt weder eine Vereinbarung der Parteien, die Befristung auf § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG zu stützen, noch die Kenntnis des Arbeitgebers von der Betreuungssituation voraus. Die zweijährige Verlängerung tritt „bei Betreuung“ eines oder mehrerer Kinder automatisch ein. Damit stellt das Gesetz auf den Umstand der Kinderbetreuung als solchen ab10, nicht auf eine Vereinbarung der Parteien. Daher genügt es, dass die Voraussetzung der Betreuung eines oder mehrerer Kinder unter 18 Jahren objektiv vorliegt.

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Die Höchstbefristungsdauer nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 WissZeitVG verlängert sich grundsätzlich um zwei Jahre, wenn während eines auf die Höchstbefristungsdauer anzurechnenden Beschäftigungsverhältnisses ein Kind unter 18 Jahren betreut wird. Das gilt auch dann, wenn der Betreuungsbedarf erst innerhalb der letzten zwei Jahre vor Ablauf der Höchstbefristungsdauer auftritt11. Der Betreuungsbedarf muss lediglich vor Ablauf der Höchstbefristungsdauer eingetreten sein. Das folgt aus dem Tatbestandsmerkmal der Verlängerung. Nach Ablauf der Höchstbefristungsdauer kann es nicht zu deren Verlängerung kommen12.

Danach hat sich im Streitfall die nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG zulässige Höchstbefristungsdauer wegen der Betreuung des mit dem Ziel der Annahme als Kind in den Haushalt der wiss. Mitarbeiterin aufgenommenen minderjährigen Kindes von sechs auf acht Jahre verlängert. Die sechsjährige Höchstbefristungsdauer war bei Beginn der Betreuung am 10.06.2011 während des auf die Höchstbefristungsdauer anzurechnenden Beschäftigungsverhältnisses bei der Hochschule noch nicht abgelaufen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren auf die gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG für die Postdoc-Phase zur Verfügung stehende Höchstbefristungsdauer von sechs Jahren (72 Monaten) vier Jahre und 24 Tage anzurechnen (24 Monate und ein Tag vom 01.04.2005 bis 1.04.2007, zehn Monate und 13 Tage vom 18.05.2009 bis 31.03.2010, 14 Monate und zehn Tage vom 01.04.2010 bis zum 10.06.2011).

Eine Befristung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG setzt lediglich voraus, dass die Höchstbefristungsdauer nicht überschritten wird. Von weiteren Voraussetzungen ist die Befristung – anders als nach der Neufassung (§ 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG nF) – nicht abhängig (vgl. zu § 57b Abs. 1 Satz 1 HRG in der bis zum 31.12 2006 geltenden Fassung BAG 16.07.2008 – 7 AZR 322/07, Rn. 16). Eine Mindestbefristungsdauer ist in § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG nicht vorgesehen. Da § 2 Abs. 1 WissZeitVG eine sachgrundlose Befristung regelt, ist es auch nicht erforderlich, dass die angestrebte wissenschaftliche Qualifikation in dem vereinbarten Zeitraum erreicht oder jedenfalls sinnvoll vorangetrieben werden kann13. Nur bei einer Sachgrundbefristung muss sich die Vertragslaufzeit am Sachgrund der Befristung orientieren und so mit ihm im Einklang stehen, dass sie nicht gegen das Vorliegen des Sachgrunds spricht14.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. April 2018 – 7 AZR 181/16

  1. BT-Drs. 16/3438 S. 12[]
  2. BAG 23.03.2016 – 7 AZR 70/14, Rn. 51, BAGE 154, 375[]
  3. Löwisch NZA 2007, 479, 483; Kittner/Däubler/Zwanziger-Däubler/Nebe BAGchR 9. Aufl. § 2 WissZeitVG Rn.19; aA Krause in Geis Hochschulrecht in Bund und Ländern Stand Juli 2011 WissZeitVG § 2 Rn. 39; ErfK/Müller-Glöge 16. Aufl. § 2 WissZeitVG Rn. 6a; Preis WissZeitVG § 2 Rn. 36; APS/Schmidt 4. Aufl. WZVG § 2 Rn. 17; KR/Treber 11. Aufl. § 2 WissZeitVG Rn. 30[]
  4. BT-Drs. 16/3438 S. 8[]
  5. BT-Drs. 16/3438 S. 9[]
  6. vgl. BT-Drs. 16/1889 S.19[]
  7. BGBl. I S. 442, WissZeitVG nF[]
  8. BT-Drs. 18/6489 S. 1, 8[]
  9. BT-Drs. 18/6489 S. 11[]
  10. BAG 8.06.2016 – 7 AZR 568/14, Rn. 27; 23.03.2016 – 7 AZR 70/14, Rn. 53, BAGE 154, 375[]
  11. BAG 8.06.2016 – 7 AZR 568/14, Rn. 26; 23.03.2016 – 7 AZR 70/14, Rn. 52, BAGE 154, 375[]
  12. BAG 8.06.2016 – 7 AZR 568/14, Rn. 26; 23.03.2016 – 7 AZR 70/14, Rn. 53, aaO[]
  13. Krause in Geis Hochschulrecht in Bund und Ländern Stand Juli 2011 WissZeitVG § 2 Rn. 13; ErfK/Müller-Glöge 16. Aufl. § 2 WissZeitVG Rn. 2; aA Preis WissZeitVG § 2 Rn. 12; KR/Treber 11. Aufl. § 2 WissZeitVG Rn. 38[]
  14. vgl. etwa BAG 25.10.2017 – 7 AZR 712/15, Rn. 12[]
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