Die Tarifvertragsparteien haben in § 23 Abs. 2 Satz 1 des Manteltarifvertrags für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen (im Folgenden: MTV Sicherheit) einen Rechtsbegriff – den Begriff des Sachbezugs – verwendet, der im juristischen Sprachgebrauch eine bestimmte Bedeutung hat. Deshalb ist der Begriff in seiner allgemeinen juristischen – einkommenssteuerrechtlichen – Bedeutung auszulegen, denn in § 23 Abs. 2 MTV Sicherheit ist eine anderweitige Bedeutung nicht vereinbart worden.

Hat der Arbeitnehmer auch einen Anspruch darauf, dass sein Arbeitgeber ihm anstelle der Sache den Barlohn in Höhe des Werts der Sachbezüge ausbezahlt, liegen auch dann keine Sachbezüge, sondern Lohn vor, wenn der Arbeitgeber die Sache zuwendet.
Maßgeblich für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits durch das Landesarbeitsgericht Hamburg ist die Auslegung des § 23 Abs. 1 und Abs. 2 MTV Sicherheit. Diese Bestimmung des Manteltarifvertrags für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen lautet:
§ 23 PRÄMIENLEISTUNGEN GEWERBLICHE BESCHÄFTIGTE
- Die gewerblich Beschäftigten erhalten eine Prämienleistung im Wert von € 2, 20 je Anwesenheitstag/Urlaubstag, maximal im Wert von € 44, 00 je Monat. Die Leistung erfolgt jeweils im Folgemonat durch Wertstellung auf einer Shopping-Card oder einer gleichwertigen Warenwertkarte/Tankkarte. Eine Auszahlung in bar ist ausgeschlossen.
- Erhält der/die gewerbliche Beschäftigte bereits ein Job-Ticket, Fahrgeld oder andere Sachbezüge so wird der Betrag der Prämienleistung monatlich um diesen Betrag gekürzt, um die Steuerfreiheit von € 44, 00 je Monat zu erhalten. Dabei werden je Anwesenheitstag/Urlaubstage zunächst € 2, 20 für das Job-Ticket gutgeschrieben. Ist der Wert des Job-Tickets durch Anwesenheitstage/Urlaubstage erreicht, erfolgt je weiterem Anwesenheitstag/Urlaubstag die Gutschreibung auf eine Shopping-Card oder eine gleichwertige Warenwertkarte. Besteht der Anspruch auf ein Job-Ticket, wird dieses auch dann gewährt, wenn der Wert durch Anwesenheitstage/Urlaubstage nicht erreicht wird.
- Die Umsetzung erfolgt auf Basis betrieblicher Regelungen bzw. durch Betriebsvereinbarung.
Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach ständiger Rechtsprechung des BAG den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln1. Somit ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an die Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt2. In diesem Zusammenhang ist ferner noch auf folgenden Auslegungsgrundsatz Bedacht zu nehmen: Bedienen sich die Tarifvertragsparteien eines Rechtsbegriffs, der im juristischen Sprachgebrauch eine bestimmte Bedeutung hat, ist der Begriff in seiner allgemeinen juristischen Bedeutung auszulegen, sofern sich nicht aus dem Tarifvertrag etwas anderes ergibt3.
Wendet man diese Auslegungsgrundsätze vorliegend an, so ergibt sich Folgendes:
Ohne Rechtsfehler geht das Arbeitsgericht Hamburg4 davon aus, dass unstreitig die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 MTV Sicherheit für eine Prämienleistung an den Kläger in der geltend gemachten Höhe dem Grunde nach vorliegen. Streitig ist zwischen den Parteien allein, ob die Beklagte eine Verrechnung mit dem Fahrgeld gemäß § 23 Abs. 2 MTV Sicherheit hat vornehmen dürfen. Ob die Beklagte berechtigt ist, die dem Kläger dem Grunde nach zustehende Prämie zu kürzen, hängt von der Auslegung des § 23 Abs. 2 MTV Sicherheit ab. Danach wird die Prämienleistung gekürzt, wenn der gewerbliche Beschäftigte bereits ein Job-Ticket, Fahrgeld oder andere Sachbezüge erhält.
ine am Wortlaut und Sinn und Zweck der Tarifvorschrift orientierte Auslegung ergibt, dass es sich bei dem „Fahrgeld“ um einen Sachbezug im Sinne des Einkommenssteuerrechts handeln muss. § 23 Abs. 2 Satz 1 MTV Sicherheit stellt das Fahrgeld einem Job-Ticket oder anderen Sachbezügen gleich und erläutert zugleich den Sinn und Zweck der tariflichen Kürzungsregelung. Diese dient der Erhaltung der Steuerfreiheit von € 44, 00 je Monat, die sich wiederum aus § 8 Abs. 2 Satz 11 EStG ergibt. Damit wird deutlich, dass die Tarifvertragsparteien in § 23 Abs. 2 Satz 1 MTV Sicherheit einen Rechtsbegriff – den Begriff des Sachbezugs – verwendet haben, der im juristischen Sprachgebrauch eine bestimmte Bedeutung hat. Deshalb ist der Begriff in seiner allgemeinen juristischen – einkommens-steuerrechtlichen – Bedeutung auszulegen, denn in § 23 Abs. 2 MTV Sicherheit ist eine anderweitige Bedeutung nicht vereinbart worden.
Zum steuerpflichtigen Arbeitslohn rechnen nach § 8 Abs. 1 EStG alle Einnahmen in Geld oder in Geldeswert. Zu diesen Einnahmen gehören auch die Sachbezüge, nämlich die nicht in Geld bestehenden Einnahmen, wie in § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG im Klammerzusatz als Regelbeispiel aufgeführt („Wohnung, Kost, Waren, Dienstleistungen und sonstige Sachbezüge“). Diese Sachbezüge bleiben nach § 8 Abs. 2 Satz 11 EStG außer Ansatz, wenn die sich nach Anrechnung der vom Steuerpflichtigen gezahlten Entgelte ergebenen Vorteile insgesamt € 44,00 (ab 2004) im Kalendermonat nicht übersteigen5. Sachbezüge sind alle nicht in Geld bestehenden Einnahmen (§ 8 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ob die vom Arbeitgeber zugewandten Vorteile Sachbezüge i. S. d. § 8 Abs. 2 Sätze 1 und 11 EStG oder bare Löhne darstellen, entscheidet sich allerdings nicht allein danach, ob der Arbeitnehmer tatsächlich entweder eine Sach- oder Dienstleistung oder Geld erlangt. Denn ein Zufluss von Geld kann auch dann vorliegen, wenn der bare Lohn nicht an den Arbeitnehmer ausbezahlt, sondern auf seine Weisung anderweitig verwendet wird. Ein Sachbezug unterscheidet sich vom Barlohn durch die Art des arbeitgeberseitig zugesagten und daher arbeitnehmerseitig zu beanspruchenden Vorteils selbst und nicht durch die Art und Weise der Erfüllung des Anspruchs auf den Vorteil6. Kann der Arbeitnehmer lediglich die Sache selbst beanspruchen, liegen daher Sachbezüge i. S. d. § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG vor, die unter den weiteren Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG außer Ansatz bleiben. Unerheblich ist dann, ob der Arbeitnehmer die Sache unmittelbar vom Arbeitgeber bezieht oder ob der Arbeitnehmer die Sache von einem Dritten auf Kosten des Arbeitgebers bezieht. Hat der Arbeitnehmer dagegen auch einen Anspruch darauf, dass sein Arbeitgeber ihm anstelle der Sache den Barlohn in Höhe des Werts der Sachbezüge ausbezahlt, liegen auch dann keine Sachbezüge, sondern Lohn vor, wenn der Arbeitgeber die Sache zuwendet6. Überlässt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer indes unmittelbar einen Geldbetrag, ist dies dann eine Sachlohnzuwendung im Wege der abgekürzten Leistungserbringung, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber lediglich die Übernahme der Kosten für einen Sach- oder Dienstleistungsbezug oder dessen Bezuschussung beanspruchen kann, der arbeitsrechtliche Anspruch also nicht auf eine reine Geldleistung gerichtet ist6.
Unter Zugrundelegung der vorstehenden Rechtsgrundsätze stellt die in § 4 Abs. 3 des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 13.05.2003 zugesagte Fahrtkostenpauschale, die von der Abgabe eines amtlichen Nachweises abhängig war, einen Sachbezug dar. Etwas anderes gilt jedoch für das dem Kläger in den Monaten Juni, Juli und August 2014 gezahlte Fahrgeld i.H.v. jeweils € 45, 00 brutto, denn die Beklagte hat dem Kläger einen Geldlohn zugewandt, den sie nicht mit der Auflage verbunden hat, den empfangenen Geldbetrag nur in einer bestimmten Weise zu verwenden. Überlässt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer unmittelbar einen Geldbetrag, ist dies nur dann eine Sachlohnzuwendung im Wege der abgekürzten Leistungserbringung, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber lediglich die Übernahme der Kosten für einen Sachbezug oder dessen Bezuschussung beanspruchen kann, der arbeitsrechtliche Anspruch also nicht auf eine reine Geldleistung gerichtet ist7.
Das vorgenannte Auslegungsergebnis wird ferner durch die folgende Erwägung gestützt: Unterstellte man die Rechtsauffassung der Beklagten und folgte deren Auslegung, wäre die Tarifregelung in § 23 MTV Sicherheit rechtsunwirksam. Sie würde gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, weil sie Arbeitnehmer ohne Sachgrund aus dem Kreis der Begünstigten ausschließen würde. Die Anordnung einer Verrechnung von Brutto-Fahrgeld mit Netto-Anwesenheitsprämien kann sachlich nicht gerechtfertigt sein, denn beide Leistungen dienen unterschiedlichen Zwecken: Das Brutto-Fahrgeld ist ein Entgeltbestandteil, während die Netto-Anwesenheitsprämie Anwesenheit belohnt und die steuerliche Begünstigung von Sachbezügen ausnutzt. Nimmt man Arbeitnehmern den Anspruch auf eine tarifliche Leistung, ohne dass ihnen aus einer anderen Rechtsquelle ein vergleichbarer Leistungsanspruch zusteht, liegt darin eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung.
Ohne Rechtsfehler hat das Arbeitsgericht auch den von der Beklagten angebotenen Zeugenbeweis durch die an den Tarifverhandlungen beteiligten Vertreter der Tarifvertragsparteien zu ihrer Behauptung, die Arbeitnehmer, denen individualvertraglich eine Fahrtkostenpauschale zugesichert worden sei, hätten nicht bevorzugt werden sollen, nicht erhoben. Der subjektive Wille der Tarifvertragsparteien ist nur insoweit von Bedeutung, als er in den tariflichen Normen seinen unmittelbaren Niederschlag gefunden hat. Das war, wie bereits oben dargetan, nicht der Fall.
Zutreffend hat das Arbeitsgericht Hamburg8 ferner angenommen, dass es weder berechtigt noch verpflichtet gewesen ist, eine Tarifauskunft zur Frage der Auslegung des § 23 MTV Sicherheit einzuholen. Eine Tarifauskunft darf zum einen nicht auf die Beantwortung der prozessentscheidenden Frage und damit auf die Erstattung eines Rechtsgutachtens gerichtet sein9, denn die Auslegung von Tarifverträgen und tariflichen Begriffen ist Sache der Gerichte für Arbeitssachen. Zum anderen kann der Wille der Tarifvertragsparteien wegen der weitreichenden Wirkung von Tarifnormen auf die Rechtsverhältnisse von Dritten, die an den Tarifvertragsverhandlungen unbeteiligt waren, im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nur dann berücksichtigt werden, wenn er in den tariflichen Normen unmittelbar seinen Niederschlag gefunden hat9. Der Einwand der Beklagten, die Nichteinholung einer Tarifauskunft stelle einen Verstoß gegen § 6 Abs. 1 EMRK, weil damit letztlich der Anspruch auf rechtliches Gehör und effektiven Rechtsschutz vorenthalten werde, ist vor diesem rechtlichen Hintergrund nicht nachvollziehbar. Die Tatsache, dass ein Gericht der Tarifauslegung der Beklagten und damit ihrer Rechtsauffassung nicht gefolgt ist, stellt offenkundig keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar.
Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 9. Februar 2016 – 4 Sa 47/15
- vgl. nur BAG Urteil vom 10.12 2014 – 4 AZR 503/12[↩]
- vgl. nur BAG Urteile vom 26.03.2013 – 3 AZR 68/11 – Rn. 25; 11.07.2012 – 10 AZR 236/11 – Rn. 12; 16.06.2010 – 4 AZR 944/08 – Rn. 18; 23.09.2009 – 4 AZR 382/08 – Rn. 14; alle veröffentlicht in Juris[↩]
- vgl. BAG Urteil vom 16.04.2014 – 4 AZR 802/11; BAG Urteil vom 22.07.2010 – 6 AZR 78/09; BAG Urteil vom 17.03.2010 – 5 AZR 317/09[↩]
- ArbG Hamburg, Urteil vom 29.07.2015 – 27 Ca 546/14[↩]
- BFH Urteil vom 11.11.2010 – VI R 41/10[↩]
- vgl. BFH Urteil vom 11.11.2010 – VI R 41/10[↩][↩][↩]
- BFH Urteil vom 11.11.2010 – VI R 40/10[↩]
- ArbG Hamburg, aaO[↩]
- vgl. nur BAG Urteil vom 12.12 2012 – 4 AZR 267/11[↩][↩]