Kein Kopftuch im Kindergarten

Nach § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW dürfen in Baden-Württemberg Fachkräfte keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnlichen äußeren Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Trägers gegenüber Kindern und Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden in Einrichtungen zu gefährden oder zu stören. Dieses gesetzliche Gebot sieht das Bundesarbeitsgericht durch eine Kopftuch tragende Kindergärtnerin verletzt.

Kein Kopftuch  im Kindergarten

Die Klägerin des vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Rechtsstreits ist staatlich anerkannte Erzieherin und als eine Fachkraft im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 2 KiTaG BW in einer kommunalen Kindertagesbetreuungseinrichtung beschäftigt. Sie weigerte sich, ihr „islamisches Kopftuch“ während ihres Dienstes als Erzieherin abzulegen.

Dies sah das Bundesarbeitsgericht als von dem gesetzlichen Verbot des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW umfaßt an. Die bewusste Wahl einer religiös bestimmten Kleidung fällt unter das Verbot des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW. Das Tragen eines sog. islamischen Kopftuchs stellt eine religiöse Bekundung im Sinne dieser Vorschrift dar.

Das Kopftuch als religiöse Bekundung[↑]

Eine religiöse Bekundung im Sinne § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW ist die bewusste, an die Außenwelt gerichtete Kundgabe einer religiösen Überzeugung1. Zur Bestimmung des Erklärungswerts einer solchen Kundgabe ist auf diejenige Deutungsmöglichkeit abzustellen, die für eine nicht unerhebliche Zahl von Betrachtern naheliegt. Dabei kommt es im Streitfall für die Deutung vor allem auf die Sicht eines objektiven Betrachters in der Situation der Kinder und Eltern einer Betreuungseinrichtung an2. Ob einer bestimmten Bekleidung ein religiöser Aussagegehalt nach Art eines Symbols zukommt, hängt von der Wirkung des verwendeten Ausdrucksmittels ab, wobei alle sonstigen in Betracht kommenden Deutungsmöglichkeiten ebenfalls zu berücksichtigen sind. Der Symbolcharakter muss sich nicht aus dem Kleidungsstück als solchem ergeben. Eine religiöse Bekundung kann auch darin liegen, dass dem Kleidungsstück in der besonderen Art und Weise seines Tragens offensichtlich eine besondere Bedeutung zukommt, etwa weil es erkennbar aus dem Rahmen der in der Einrichtung üblichen Bekleidung fällt und ausnahmslos zu jeder Zeit getragen wird. Ein solch weitgehendes Verständnis entspricht dem Zweck des gesetzlichen Bekundungsverbots. Dieses will religiös-weltanschauliche Konflikte in Kindertagesbetreuungseinrichtungen schon im Ansatz verhindern und die Neutralität der Einrichtung und des Trägers auch nach außen wahren. Das verbietet eine Differenzierung zwischen Kleidungsstücken, deren religiöse oder weltanschauliche Motivation offen zutage tritt, und solchen, deren Tragen in der Einrichtung einen entsprechenden Erklärungsbedarf auslöst3.

Deshalb liegt im Tragen des sog. islamischen Kopftuchs eine religiöse Bekundung der Klägerin. Die Klägerin hat zu keiner Zeit behauptet, sie trage das Kopftuch nicht als Ausdruck ihres Glaubens. Sie hat vielmehr mit der Klageschrift ausgeführt, sie trage das Kopftuch in der Öffentlichkeit aus religiöser Überzeugung. Dies muss sie sich entgegenhalten lassen. Ihr weiterer Hinweis, das bei der Bewertung modische oder gesundheitliche Aspekte des Kopftuchtragens berücksichtigt werden müssen, ist unbeachtlich. Auch ein unbefangener Beobachter wird das sog. islamische Kopftuch regelmäßig als Ausdruck eines bekundeten Religionsbrauchs, den die Trägerin befolgen will, und nicht als modisches Accessoire auffassen4. Ein solches Kleidungsstück fällt aus dem Rahmen der üblicherweise in einer KiTa getragenen Bekleidung. Dies gilt umso mehr, als es von der Klägerin ausnahmslos und zu jeder Zeit getragen wird5. Ein objektiver Beobachter wird deshalb selbst unter Berücksichtigung der zunehmenden Verbreitung solcher Kopftücher im öffentlichen Leben und der Diskussion in den letzten Jahren es mit der Religion des Islam in Verbindung bringen. Ihm ist bekannt, dass muslimische Frauen aus religiösen Gründen ihr Haar mit einem Kopftuch oder einem vergleichbaren Kleidungsstück bedecken6.

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Verletzung der Neutralitätspflicht[↑]

Das Verhalten der Klägerin ist geeignet, die Neutralität der beklagten Stadt gegenüber Kindern und Eltern einer KiTa und den religiösen Einrichtungsfrieden zu gefährden.

Das Verbot des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW knüpft an einen abstrakten Gefährdungstatbestand an. Es erfasst nicht erst Bekundungen, die die Neutralität des Trägers oder den religiösen Einrichtungsfrieden konkret gefährden oder gar stören. Das Verbot will schon der abstrakten Gefahr vorbeugen, konkrete Gefährdungen also gar nicht erst aufkommen lassen. Im Gesetzeswortlaut kommt dies darin zum Ausdruck, dass religiöse Bekundungen bereits dann verboten sind, wenn sie „geeignet“ sind, die genannten Schutzgüter zu gefährden7. Der Landesgesetzgeber wollte ersichtlich darauf Bedacht nehmen, dass auch Kindertagesbetreuungseinrichtungen Orte sind, an denen unterschiedliche religiöse und politische Auffassungen unausweichlich aufeinandertreffen, deren friedliches Nebeneinander der Staat aber zu garantieren hat8. Er hat ein solches Konfliktpotential erkennbar nicht nur für den Schulbereich (vgl. § 38 Abs. 2 SchulG BW) gesehen, sondern ist davon ausgegangen, dass es durch eine größere religiöse Vielfalt in der Gesellschaft auch in KiTas zu einem vermehrten Potential von Konflikten – auch unter den Eltern verschiedener Glaubensrichtungen oder mit Atheisten – kommen kann. In dieser Lage kann der religiöse/weltanschauliche Frieden in einer Einrichtung schon durch die berechtigte Sorge der Eltern vor einer ungewollten religiösen Beeinflussung ihres Kindes gefährdet werden. Hierzu kann das religiös bedeutungsvolle Erscheinungsbild des pädagogischen Personals Anlass geben9. Die berechtigte Sorge von Eltern kann sich in KiTas sogar noch verstärken, da Kinder im Kindergartenalter regelmäßig noch stärker beeinflussbar sein werden als Schüler. Eine Erzieherin nimmt ebenso wie ein Lehrer als Bezugs- und Autoritätsperson eine starke Mittelpunktfunktion ein10. Sie wird insbesondere bei einer Ganztagsbetreuung bei den zu betreuenden Kindern im Alter bis zu sechs Jahren im Vergleich zu einem Lehrer, der nur einzelne Fächer unterrichtet, sogar noch einen höheren Einfluss haben. Für das spätere Sozialverhalten der Kinder wirkt sie als zumeist erste Bezugsperson außerhalb des Elternhauses in hohem Maße prägend11. Gerade in diesem Alter orientieren sich Kinder am Verhalten der Bezugsperson und sind oft leichter beeinflussbar als Schulkinder. Jede bekehrende Wirkung auszuschließen, die das Tragen des islamischen Kopftuchs haben könnte, dürfte deshalb kaum möglich sein12. In diesem Alter dürfte es zumeist noch schwieriger sein, die Wirkung des Kopftuchs durch entsprechende Erklärungen abzuschwächen13.

Dementsprechend kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin den Gegenbeweis für eine Nichtgefährdung des Einrichtungsfriedens leisten könnte und welche Anforderungen insoweit zu stellen wären. Das Gesetz regelt einen abstrakten Gefährdungstatbestand, nach dem es gerade nicht auf die mögliche tatsächliche Gefährdung oder Störung ankommt. Eine Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse in einzelnen Einrichtungen ist nicht vorgesehen14. Somit ist es auch ohne Belang, dass die Klägerin bisher in einem friedlichen Verhältnis zu allen Beteiligten stand. Diese Situation könnte sich im Übrigen jederzeit durch den Wechsel von Kindern und Eltern verändern.

Formelle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes[↑]

Die Regelung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Die Vorschrift ist weder verfassungswidrig noch verletzt sie Art. 9 Abs. 1 EMRK.

Das Bekundungsverbot des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW ist nicht verfassungswidrig. Der Landesgesetzgeber durfte die Pflichten der bei den Einrichtungsträgern iSd. § 1 KiTaG BW beschäftigten Fachkräfte konkretisieren und ihnen auch das Tragen solcher Kleidung oder Zeichen in der KiTa untersagen, die ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gruppe erkennen lässt.

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Der Landesgesetzgeber war zuständig und berechtigt, ein Gesetz zu erlassen, das den Ausgleich der widerstreitenden Interessen und Grundrechte von Fachkräften der KiTas, Kindern und Eltern sowie des Trägers der Einrichtung regelt15.

Die Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers besteht gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (konkurrierende Gesetzgebung auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge). Der Begriff der öffentlichen Fürsorge ist weit aufzufassen. Zu ihm gehört auch die Jugendpflege, die das körperliche, geistige und sittliche Wohl aller Jugendlichen fördern will, ohne dass eine Gefährdung im Einzelfall vorzuliegen braucht. Diesem Ziel dient auch die Kindertagesbetreuung. Sie hilft den Eltern bei der Erziehung, fördert und schützt die Kinder und trägt dazu bei, positive Lebensbedingungen für Familien mit Kindern zu schaffen11. Zwar hat der Bundesgesetzgeber in §§ 22 – 26 SGB VIII Regelungen zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege getroffen, jedoch eröffnet der Vorbehalt in § 26 SGB VIII es den Ländern, Inhalt und Umfang der Aufgaben sowie Leistungen näher selbst zu regeln. Von dieser Kompetenz hat der Landesgesetzgeber mit den Regelungen des KiTaG BW Gebrauch gemacht und in § 7 Abs. 6 Satz 1 nähere Regelungen für das pädagogische Personal getroffen.

Die Regelung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW ist inhaltlich hinreichend bestimmt. Sie bezeichnet die von ihr erfassten Schutzgüter – die Neutralität des Trägers und den Einrichtungsfrieden – deutlich. Sie knüpft allein an die abstrakte Eignung eines Verhaltens an, diese Schutzgüter zu gefährden oder zu stören. Sie erfasst, dem generellen Charakter eines Gesetzes entsprechend, jegliche Art von Bekundungen, also auch jedes äußere Verhalten. Die bewusste Wahl einer religiös oder weltanschaulich bestimmten Kleidung fällt unter diese Regelung. Die Bestimmtheit des Satzes 1 wird nicht durch die Regelung in Satz 3 in Frage gestellt. Die „Darstellung christlicher Traditionen“ bedeutet etwas anderes als die Bekundung eines individuellen Bekenntnisses. Bei der im Gesetz genannten „Darstellung“ geht es nicht um die Geltendmachung einer persönlichen, inneren Überzeugung16.

Keine Verletzung der Glaubensfreiheit[↑]

Die Lösung des verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnisses durch § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW beachtet die Grundsätze der praktischen Konkordanz der betroffenen Grundrechtspositionen hinreichend. Die Regelung liegt im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Landesgesetzgebers. Dieser durfte die positive Glaubensfreiheit sowie die Berufsausübungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Erzieherin hinter die Pflicht des öffentlichen Trägers einer kinderbetreuenden Einrichtung zur weltanschaulichen Neutralität, das Erziehungsrecht der Eltern und die negative Glaubensfreiheit der Kinder und Eltern zurücktreten lassen, um die Neutralität der Kindertagesstätten und deren Einrichtungsfrieden zu sichern.

Zwar schützt nach der Rechtsprechung Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht nur die innere Glaubensfreiheit, sondern auch die äußere Freiheit, den Glauben in der Öffentlichkeit zu manifestieren und zu bekennen. Dazu gehört auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln17. Auf Seiten der Kinder und Eltern entspricht dem aber umgekehrt die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben. Zwar hat der Einzelne in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen gänzlich verschont zu bleiben. Davon ist aber eine vom Staat geschaffene Lage zu unterscheiden, in der ein Einzelner dem Einfluss und den Symbolen eines bestimmten Glaubens ausgesetzt wird. Insofern entfaltet Art. 4 Abs. 1 GG seine freiheitssichernde Wirkung gerade in den Lebensbereichen, die nicht der gesellschaftlichen Selbstorganisation überlassen sind, sondern in denen der Staat Vorsorgeleistungen anbietet18. Gemeinsam mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht garantiert, umfasst Art. 4 Abs. 1 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht. Es ist Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten. Dem entspricht das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern falsch oder schädlich erscheinen19.

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Die Vermeidung religiöser/weltanschaulicher Konflikte in öffentlichen Kitas stellt ein gewichtiges Gemeingut dar. Zu diesem Zweck sind gesetzliche Einschränkungen der Glaubensfreiheit rechtlich zulässig. Dabei ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die landesgesetzliche Regelung religiöse Bekundungen von Erziehern in KiTas ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls untersagt. Der Gesetzgeber darf Gefährdungen des KiTa-Friedens auch dadurch vorbeugen, dass er Erziehungskräften bereits das Tragen religiös bedeutsamer Kleidungsstücke oder Symbole verbietet und Konflikt vermeidende Regelungen nicht an die konkrete Gefahr einer drohenden Auseinandersetzung knüpft20.

Diese von der Rechtsprechung zu den Schulgesetzen entwickelten Grundsätze gelten auch für Erzieher einer KiTa in öffentlicher Trägerschaft.

Maßgebliche Unterschiede zwischen Schulen und Kindertagesstätten sind nicht erkennbar. Zwar liegt dem Schulbesuch die gesetzliche Schulpflicht zugrunde. Zum Besuch einer KiTa besteht eine solche Pflicht nicht. Es steht den Erziehungsberechtigten grundsätzlich frei, ob sie ihr Kind in eine (bestimmte) KiTa schicken wollen oder nicht21. Deshalb besteht auch keine vom Staat geschaffene „Zwangssituation“, in der der Einzelne dem Einfluss eines anderen Glaubensbekenntnisses ohne Ausweichmöglichkeiten ausgesetzt ist. Gleichwohl ist das landesrechtliche Bekundungsverbot nicht unverhältnismäßig22. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII haben Eltern einen Anspruch auf Besuch einer Tageseinrichtung zur Kinderbetreuung. Verwiese man sie auf andere KiTas des kommunale oder gar eines anderen Trägers, so wäre dies – ungeachtet der Frage der Zumutbarkeit eines Wechsels – spätestens dann problematisch, wenn der kommunale Träger keine KiTas anbieten könnte, in der keine kopftuchtragenden oder andere religiöse Bekundungen abgebenden Erzieherinnen beschäftigt werden. Eine Verweisung der Eltern auf andere KiTas eines freien Trägers wäre hingegen mit dem Anspruch aus § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII schwerlich vereinbar. Hinzu kommt, dass zahlreiche faktische Zwänge einem Besuch einer anderen KiTa entgegenstehen können, wie beispielsweise die nur geringe Anzahl von KiTas im ländlichen Raum oder die Nähe einer Einrichtung zum Wohn- oder Arbeitsort der Eltern23.

Kein Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung[↑]

§ 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW greift nicht in verfassungswidriger Weise in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) ein.

Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet den Gemeinden gegenüber dem Bund und den Ländern das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Diese Gewährleistung sichert ihnen grundsätzlich einen alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich („Allzuständigkeit“) sowie die Befugnis zu eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte in diesem Bereich. Der Gesetzesvorbehalt erlaubt es dem Gesetzgeber nicht, die kommunale Selbstverwaltung völlig zu beseitigen oder derart auszuhöhlen, dass den Gemeinden kein ausreichender Spielraum mehr bleibt. Als institutionelle Garantie verbürgt Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG den Gemeinden aber nicht die Selbstverwaltungsrechte in allen Einzelheiten. Gesetzliche Beschränkungen der Selbstverwaltung sind mit Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar, wenn und soweit sie deren Kernbereich unangetastet lassen24.

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Zum gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht gehört auch die Personalhoheit. Diese umfasst vor allem die Befugnis, das Gemeindepersonal auszuwählen, anzustellen, zu befördern und zu entlassen. Allerdings sind auch hier Beschränkungen mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn der Kernbereich unangetastet bleibt25.

§ 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW beschränkt zwar die Personalhoheit der Gemeinden, wenn vom Gemeindepersonal bestimmte Verhaltensweisen und von der Gemeinde als Arbeitgeber die Umsetzung dieser Pflichten verlangt werden. Darin liegt aber eine zulässige Beschränkung der nicht absolut geschützten gemeindlichen Personalhoheit. Sie unterliegt der Ausformung durch den Gesetzgeber, der dabei seinerseits durch die Selbstverwaltungsgarantie gesetzlich gebunden ist26. Nur der Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung darf nicht ausgehöhlt werden27. Im Streitfall hat der Landesgesetzgeber die Personalentscheidungsbefugnis der Kommunen nicht übermäßig begrenzt. Er hat lediglich einen Teilaspekt der Verhaltenspflichten des Gemeindepersonals geregelt. Eine rechtswidrige „Aushöhlung“ der Personalhoheit ist darin nicht zu sehen. Auch in anderer Hinsicht sind Beschränkungen der Auswahlbefugnis der Gemeinden anerkannt, beispielsweise bei der Einstellung von Frauenbeauftragten28.

Kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz[↑]

§ 7 Abs. 6 KiTaG BW verletzt den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht. Die Regelung behandelt die verschiedenen Religionen nicht unterschiedlich. Sie erfasst jede Art religiöser Bekundung unabhängig von deren Inhalt. Christliche Glaubensbekundungen werden nicht bevorzugt. Dies gilt auch mit Blick auf § 7 Abs. 6 Satz 3 KiTaG BW. Nach dieser Bestimmung widerspricht die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags nach Art. 12 Abs. 1 Landesverfassung Baden-Württemberg und die entsprechende Darstellung christlicher Traditionen nicht dem Verhaltensgebot des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW. Gegenstand der Regelung in Satz 3 der Vorschrift ist die Darstellung, nicht die Bekundung christlicher Werte. Bestimmte Werte darzustellen heißt, sie zu erörtern und zum Gegenstand einer Diskussion zu machen. Das schließt die Möglichkeit der Rückfrage und Kritik ein. Die Darstellung christlicher Traditionen ist nicht gleichzusetzen mit der Bekundung eines individuellen Bekenntnisses. Bei ihr geht es nicht um die Kundgabe innerer Verbindlichkeiten, die der Darstellende für sich anerkannt hätte. Außerdem bezeichnet der Begriff des „Christlichen“ – ungeachtet seiner Herkunft aus dem religiösen Bereich – eine von Glaubensinhalten losgelöste, aus der Tradition der christlich-abendländischen Kultur hervorgegangene Wertewelt, die erkennbar auch dem Grundgesetz zugrunde liegt und unabhängig von ihrer religiösen Fundierung Geltung beansprucht. Der Auftrag zur Weitergabe christlicher Bildungs- und Kulturwerte verpflichtet und berechtigt die Einrichtung deshalb nicht zur Vermittlung bestimmter Glaubensinhalte, sondern betrifft Werte, denen jeder Beschäftigte des öffentlichen Dienstes unabhängig von seiner religiösen Überzeugung vorbehaltlos zustimmen kann29.

Die Regelung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW behandelt die Klägerin auch nicht wegen ihres Geschlechts ungleich. Die Vorschrift verbietet religiöse Bekundungen unabhängig vom Geschlecht. Sie richtet sich nicht speziell gegen das von Frauen getragene sog. islamische Kopftuch30.

Kein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention[↑]

§ 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW verstößt nicht gegen Art. 9 EMRK.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass ein Verbot, während des Unterrichts an öffentlichen Schulen religiöse Symbole zu tragen, eine gemäß Art. 9 Abs. 2 EMRK notwendige Einschränkung der nach Abs. 1 der Bestimmung gewährleisteten Religionsfreiheit eines Lehrers ist. Sie sei wegen der möglichen Beeinträchtigung der Grundrechte der Schüler und Eltern gerechtfertigt, um die Neutralität des Unterrichts zu gewährleisten. Auf dieser Grundlage hat der Gerichtshof sowohl das Verbot, während des Unterrichts in einer Schweizer Grundschule ein islamisches Kopftuch zu tragen, als mit der Religionsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 EMRK vereinbar angesehen als auch das generelle Verbot für Studentinnen gebilligt, ein solches Kopftuch an türkischen Hochschulen zu tragen31.

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Für die von den Gemeinden getragenen öffentlichen Kindertagesbetreuungseinrichtungen und deren Erzieher gilt nichts anderes. Der Eingriff ist gesetzlich vorgesehen und in der demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer – wie dargestellt – notwendig und verhältnismäßig.

Kein Verstoß gegen die Diskriminierungsverbote des AGG[↑]

§ 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW verletzt als landesrechtliche Vorschrift auch nicht das Diskriminierungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG. Zwar kann das Bekundungsverbot zu einer unmittelbaren Benachteiligung einer Erzieherin aus Gründen der Religion iSv. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 Abs. 1 AGG führen, weil die Unterlassung ihrer religiösen Bekundung zu einer entscheidenden Bedingung für die Ausübung ihrer Tätigkeit wird. Eine unterschiedliche Behandlung aus religiösen Gründen zur Erfüllung einer wesentlichen beruflichen Anforderung ist aber gemäß § 8 Abs. 1 AGG zulässig, wenn der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Dies ist im Streitfall gegeben.

Der von der Regelung verfolgte Zweck, die Neutralität des Trägers und den religiösen Einrichtungsfrieden zu garantieren, ist rechtmäßig.

Die gesetzliche Anforderung, religiöse Bekundungen in der Einrichtung zu unterlassen, ist angemessen. Sie untersagt eine äußere Kundgabe der eigenen religiösen Überzeugung lediglich während des Aufenthalts im Bereich der Einrichtung und besteht ausschließlich um der – negativen – Religionsfreiheit anderer und dem Erziehungsrecht der Eltern willen. Der Begriff der Angemessenheit erfordert es nicht, das Tragen religiös bedeutungsvoller Kleidungsstücke nur mit Blick auf die konkreten Umstände und Verhältnisse der jeweiligen Einrichtung zu untersagen. Eine landesgesetzliche Bestimmung, die sich als verfassungsmäßiger Ausgleich widerstreitender Grundrechtspositionen erweist, ist angemessen im Sinne der bundesgesetzlichen Regelung des § 8 Abs. 1 AGG32.

Kein Vertrauensschutz[↑]

Die Klägerin kann sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil sie bereits vor der Gesetzesänderung mit einem islamischen Kopftuch gearbeitet hat.

Vertrauensschutz in die bestehende Gesetzeslage kann nur dahingehend bestehen, dass neuen Gesetzen keine Rückwirkung beigelegt wird. Im Streitfall liegt aber weder eine echte noch eine unechte Rückwirkung vor. Das Gesetz kommt nicht auf Zeiten vor seinem Inkrafttreten am 18. Februar 200633 zur Anwendung. Dass die Klägerin Dispositionen in der Erwartung getroffen haben mag, die Rechtslage werde sich nicht ändern, führt nicht zu einer für sie günstigeren Bewertung. Die bloße Annahme, rechtlich werde alles bleiben, wie es ist, genießt keinen Schutz34.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12. August 2010 – 2 AZR 593/09

  1. BAG 10.12.2009 – 2 AZR 55/09, Rn. 16, AP GG Art. 4 Nr. 7 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Diskriminierung Religion Nr. 2; 20.08.2009 – 2 AZR 499/08, Rn. 14, AP GG Art. 4 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 4; BVerwG 16.12.2008 – 2 B 46.08, Rn. 6, ZTR 2009, 167; 24.06.2004 – 2 C 45.03, BVerwGE 121, 140[]
  2. BVerfG 24.09.2003 – 2 BvR 1436/02, BVerfGE 108, 282[]
  3. zu gleichlautenden schulgesetzlichen Regelungen: BAG 10.12.2009 – 2 AZR 55/09, aaO; 20.08.2009 – 2 AZR 499/08, Rn. 14 f., aaO; BVerwG 24.06.2004 – 2 C 45.03, Rn. 21 f., aaO; 16.12.2008 – 2 B 46.08, Rn. 3 – 8, aaO[]
  4. BAG 10.12.2009 – 2 AZR 55/09, Rn. 16, AP GG Art. 4 Nr. 7 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Diskriminierung Religion Nr. 2[]
  5. vgl. auch VGH Baden-Württemberg 14.03.2008 – 4 S 516/07, Schütz/Maiwald BeamtR ES/A II 1.5 Nr. 57[]
  6. VGH Baden-Württemberg 14.03.2008 – 4 S 516/07, aaO; so bereits BAG 10.10.2002 – 2 AZR 472/01, BAGE 103, 111, im Fall einer kopftuchtragenden Verkäuferin in der Privatwirtschaft[]
  7. vgl. BAG 10.12.2009 – 2 AZR 55/09, AP GG Art. 4 Nr. 7 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Diskriminierung Religion Nr. 2; 20.08.2009 – 2 AZR 499/08, Rn. 18, AP GG Art. 4 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 4[]
  8. vgl. BAG in den Entscheidungen vom 10.12.2009 – 2 AZR 55/09, aaO; und vom 20.08.2009 – 2 AZR 499/08, aaO, zu den weitgehend inhaltsgleichen Normen des Schulgesetzes NRW[]
  9. so BAG 20.08.2009 – 2 AZR 499/08, aaO; und 10.12.2009 – 2 AZR 55/09, Rn. 18, aaO; BVerwG 24.06.2004 – 2 C 45.03, Rn. 25, BVerwGE 121, 140[]
  10. so auch Wittinger VBl. BW 2006, 169, 171[]
  11. BVerfG 10.03.1998 – 1 BvR 178/97, BVerfGE 97, 332[][]
  12. so auch EGMR 15.02.2001 – 42393/98, NJW 2001, 2871[]
  13. vgl. Wittinger VBl. BW 2006, 169, 171[]
  14. VGH Baden-Württemberg 14.03.2008 – 4 S 516/07, Schütz/Maiwald BeamtR ES/A II 1.5 Nr. 57; BVerwG 24.06.2006 – 2 C 45.03, BVerwGE 121, 140;, jeweils zu inhaltsgleichen schulgesetzlichen Normen[]
  15. so BVerfG 24.09.2003 – 2 BvR 1436/02, BVerfGE 108, 282 für den Bereich der Schule; siehe auch BAG 10.12.2009 – 2 AZR 55/09, Rn. 21, AP GG Art. 4 Nr. 7 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Diskriminierung Religion Nr. 2; 20.08.2009 – 2 AZR 499/08, Rn. 21, AP GG Art. 4 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 4[]
  16. BVerwG 24.06.2004 – 2 C 45.03, BVerwGE 121, 140 zur inhaltsgleichen Regelung des § 38 Abs. 2 Satz 1 SchulG BW[]
  17. BVerfG 17.12.1975 – 1 BvR 63/68, BVerfGE 41, 29[]
  18. BVerfG 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91, BVerfGE 93, 1[]
  19. BVerfG 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91, aaO[]
  20. BAG 10.12.2009 – 2 AZR 55/09, Rn. 28, AP GG Art. 4 Nr. 7 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Diskriminierung Religion Nr. 2; 20.08.2009 – 2 AZR 499/08, Rn. 22, AP GG Art. 4 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 4; BVerwG 26.06.2008 – 2 C 22.07, BVerwGE 131, 242; 16.12.2008 – 2 B 46.08, ZTR 2009, 167, zum Schulbereich[]
  21. vgl. Hess. VGH 30.06.2003 – 10 TG 553/03, NJW 2003, 2846[]
  22. anders ArbG Dortmund 16.01.2003 – 6 Ca 5736/02; Engelken VBI. BW 2006, 209 f.[]
  23. siehe Wittinger VBl. BW 2006, 169, 170[]
  24. BVerfG 07.10.1980 – 2 BvR 584/76, 2 BvR 598/76, 2 BvR 599/76, 2 BvR 604/76, BVerfGE 56, 298[]
  25. BVerfG 26.11.1963 – 2 BvL 12/62, BVerfGE 17, 172[]
  26. BVerfG 26.10.1994 – 2 BvR 445/91, BVerfGE 91, 228[]
  27. BVerfG 26.10.1994 – 2 BvR 445/91, aaO[]
  28. BVerfG 26.10.1994 – 2 BvR 445/91, aaO; Wittinger VBl. BW 2006, 169, 173[]
  29. BAG 10.12.2009 – 2 AZR 55/09, Rn. 24, AP GG Art. 4 Nr. 7 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Diskriminierung Religion Nr. 2; 20.08.2009 – 2 AZR 499/08, Rn. 23, AP GG Art. 4 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 4[]
  30. BAG 10.12.2009 – 2 AZR 55/09 – Rn. 25, AP GG Art. 4 Nr. 7 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Diskriminierung Religion Nr. 2; 20.08.2009 – 2 AZR 499/08, Rn. 24, AP GG Art. 4 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 4[]
  31. EGMR 10.11.2005 – 44774/98, NVWZ 2006, 1389; 15.02.2001 – 42393/98, NJW 2001, 2871[]
  32. BAG 10.12.2009 – 2 AZR 55/09, Rn. 27 – 29, AP GG Art. 4 Nr. 7 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Diskriminierung Religion Nr. 2; 20.08.2009 – 2 AZR 499/08, Rn. 26 – 28, AP GG Art. 4 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 4[]
  33. vgl. GBl. BW vom 17.02.2006 S. 17, 30, 32[]
  34. BAG, 10.12.2009 – 2 AZR 55/09, Rn. 33, AP GG Art. 4 Nr. 7 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Diskriminierung Religion Nr. 2[]
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