Kein Teilurteil zum „Grundentgelt“

Nach § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht die Entscheidung durch Endurteil (Teilurteil) zu erlassen, wenn von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur der eine oder nur ein Teil eines Anspruchs zur Endentscheidung reif ist.

Kein Teilurteil zum „Grundentgelt“

Die Norm setzt danach die Teilbarkeit der Klageforderung voraus. Der Teil, über den entschieden wird, muss vom Rest des erhobenen prozessualen Anspruchs oder der geltend gemachten prozessualen Ansprüche unabhängig sein, sodass die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen – auch infolge abweichender Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht – ausgeschlossen ist1.

Für den Erlass eines Teilurteils darf es daher nicht auf Begründungselemente ankommen, die auch bei der weiteren Entscheidung über den noch nicht entscheidungsreifen Teil maßgebend sein können und die weder in Rechtskraft erwachsen noch das Gericht nach § 318 ZPO für das weitere Verfahren binden.

Eine Gefahr widersprechender Entscheidungen ist insbesondere dann gegeben, wenn in einem Teilurteil über eine Frage zu entscheiden ist, die sich aufgrund der materiellrechtlichen Verzahnung von prozessual selbständigen Ansprüchen im weiteren Verfahren über diese Ansprüche noch einmal stellt oder stellen kann2. Ob eine Entscheidung durch Teilurteil zulässig war, hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen3.

Danach durfte das Arbeitsgericht hier nicht durch Teilurteil über das vom Kläger mit seinem Klageantrag zu 1 verfolgte Begehren befinden. Wie das Vorbringen des Klägers zeigt, ist dieser Antrag – abweichend vom Wortlaut – auf die Feststellung gerichtet, dass die Beklagte ihm ab dem 1.02.2018 weiterhin einen Monatsgrundlohn („Grundentgelt“) zu zahlen hat, dessen Höhe nach den Vorgaben zur analytischen Arbeitsbewertung im Anhang zum LRTV 1978 zu ermitteln ist. Trotz der Bezugnahme im Klageantrag auf die von der Rechtsvorgängerin der Beklagten regelmäßig erstellte „betriebliche Basislohntabelle“ erstreckt sich die begehrte Feststellung nicht auf eine Pflicht zur Zahlung eines Monatsgrundlohns für einen bestimmten – in der genannten Tabelle als „Lohngruppe“ bezeichneten – Arbeitswert. Der Arbeitswert für die Summe der vom Kläger ausgeübten Arbeiten, die nach § 2 Nr. 1 des Anhangs zum LRTV 1978 den Gegenstand der vorzunehmenden Bewertung bilden, steht zwischen den Parteien nicht im Streit.

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Ausgehend hiervon bestand bei einer isolierten Entscheidung über den Klageantrag zu 1. Buchst. a die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen. Für den Erlass des Teilurteils kam es auf Begründungselemente an, die auch bei einer Entscheidung über die weiteren vom Kläger angebrachten prozessualen Ansprüche maßgebend sein können. 

Das mit dem Antrag zu 1. Buchst. a verfolgte Begehren setzt voraus, dass die BV 1967 nicht durch die BV Grundsätze abgelöst wurde. Nach § 2 Satz 1 LRTV 1978 iVm. § 1 Nr. 1 seines Anhangs hat eine Einstufung nach der tariflichen analytischen Arbeitsbewertung zu erfolgen, wenn diese durch eine Betriebsvereinbarung eingeführt wurde. Nur solange die – eine analytische Arbeitsbewertung bei der Beklagten vorsehende – Regelung in Nr. 1 BV 1967 im Werk R gilt, besteht daher eine (vertragliche) Pflicht der Beklagten, die entsprechenden Regelungen im Anhang zum LRTV 1978 auf das Arbeitsverhältnis des Klägers anzuwenden. Die Fortgeltung der BV 1967 hängt wiederum davon ab, ob die BV Grundsätze und damit ihre Bestimmung zur Aufhebung aller früheren Betriebsvereinbarungen über das Entgelt in § 9 Satz 1 wirksam ist. Hierbei handelt es sich im Rahmen der Entscheidung über den Klageantrag zu 1. Buchst. a um bloße Vorfragen, die nicht in Rechtskraft erwachsen.

Die Frage nach der Wirksamkeit der BV Grundsätze könnte sich allerdings auch bei einer Entscheidung über die Klageanträge zu 5. bis 12. und 14. bis 19. stellen. Mit ihnen begehrt der Kläger ua. die Zahlung einer Vergütung nach der Lohngruppe 9 LRTV 1978. Er stützt sein Zahlungsverlangen darauf, dass er bei einer Anwendung des Lohngruppensystems nach den §§ 3 bis 7 LRTV 1978 in diese Lohngruppe einzustufen wäre, weil deren Voraussetzungen erfüllt seien. Da eine Einstufung nach diesem System aufgrund von § 2 Satz 1 LRTV 1978 iVm. § 1 Nr. 1 seines Anhangs nur erfolgen kann, wenn im Werk der Beklagten keine Betriebsvereinbarung gilt, mit der die Methode der analytischen Arbeitsbewertung eingeführt ist, könnte es auch im Rahmen dieser Klageanträge darauf ankommen, ob die BV 1967 durch die BV Grundsätze abgelöst wurde.

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Das Bundesarbeitsgericht ist in einem solchen Fall gleichwohl nicht an einer Entscheidung über eine Vorfrage gehindert, obwohl die Voraussetzungen für den Erlass eines Teilurteils nach § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht erfüllt sind. Wegen der Bindungswirkung des § 563 Abs. 2 ZPO ist die Gefahr sich insoweit widersprechender Entscheidungen der Vorinstanzen ausgeschlossen.

Die Bindungswirkung des § 563 Abs. 2 ZPO betrifft die rechtliche Beurteilung durch das Revisionsgericht, die der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt und zur Zurückverweisung geführt hat. Damit soll vermieden werden, die endgültige Entscheidung dadurch zu verzögern oder sogar zu verhindern, dass die Sache mehrfach zwischen Berufungs- und Revisionsgericht wechselt, weil keines der beiden Gerichte seine Rechtsauffassung ändert4. Die Vorinstanz soll den Fehler, der zur Aufhebung ihres Urteils geführt hat, nicht wiederholen5.

Diese Erwägungen gelten auch, wenn die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nicht lediglich auf den rechtsfehlerhaften Erlass eines Teilurteils, sondern – wie hier – auf einen weiteren selbständig tragenden Grund gestützt6 und der Rechtsstreit an das Arbeitsgericht zurückverwiesen wird. Der Zweck des § 563 Abs. 2 ZPO, eine Sachentscheidung nicht durch unterschiedliche Rechtsansichten der mit dem Rechtsstreit befassten Gerichte zu verzögern, besteht auch, wenn abweichend von dem im Gesetz vorgesehenen Regelfall eine Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz zu erfolgen hat. In diesem Fall richtet sich die in § 563 Abs. 2 ZPO angeordnete Bindungswirkung an das Arbeitsgericht7.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. Februar 2022 – 1 AZR 233/21

  1. vgl. BAG 16.07.2019 – 1 AZR 537/17, Rn. 13 mwN[]
  2. vgl. BAG 27.05.2020 – 5 AZR 387/19, Rn.19, BAGE 170, 327; BGH 21.09.2021 – KZR 88/20, Rn. 13[]
  3. vgl. BAG 24.02.2021 – 10 AZR 8/19, Rn. 30 mwN[]
  4. vgl. BAG 11.10.2016 – 1 AZR 679/14, Rn. 15 mwN[]
  5. vgl. BGH 1.06.2017 – IX ZR 204/15, Rn. 7[]
  6. vgl. auch BGH 20.06.2017 – XI ZR 72/16, Rn.20 ff.[]
  7. vgl. GK-ArbGG/Mikosch Stand Januar 2022 § 73 Rn. 130[]

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