Keine Verwendung für die Arbeitskraft

Endet nach dem Arbeitsvertrag das Arbeitsverhältnis durch den Entzug einer für die Erbringung der Arbeit vom Auftraggeber (hier: der US-Army) vorgeschriebenen Einsatzgenehmigung automatisch mit Ablauf der Kündigungsfrist und der Arbeitnehmer wird nach der vertraglichen Regelung bis dahin unter Anrechnung von Urlaub freigestellt, so trägt das Risiko der mangelnden Verwendung der Arbeitskraft (Verwendungsrisiko) der Arbeitgeber bis zum Ablauf der Kündigungsfrist

Keine Verwendung für die Arbeitskraft

Dem Vergütungsanspruch steht gemäß § 297 BGB die mangelnde Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers nicht entgegen.

So die Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart in dem hier vorliegenden Fall einer Sicherheitsmitarbeiterin, die aufgrund einer Pflichtverletzung ihre Einsatzgenehmigung bei den US-Streitkräften verloren hatte und der deshalb von ihrem Arbeitgeber gekündigt worden ist. Die Klägerin war bei der Beklagten seit 19.11.2008 als Sicherheitsmitarbeiterin beschäftigt. Die Beklagte betreibt ein privates Wach- und Sicherheitsunternehmen, das ausschließlich mit der Bewachung und dem bewaffneten Schutz von US-amerikanischen Liegenschaften und Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland betraut ist. Voraussetzung für die Erbringung der Tätigkeiten ist eine vom US-Departement of the Army ausgestellte personenbezogene Einsatzgenehmigung. Diese ist der Klägerin vom US-Departement of the Army mit dem Hinweis auf eine von der Klägerin am 23.06.2011 begangene Pflichtverletzung entzogen worden. Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 01.07.2011 mit, dass ihr Arbeitsverhältnis durch den Entzug der Einsatzgenehmigung gemäß § 2 des Arbeitsvertrages mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zum 31.08.2011 enden wird. Die Beklagte rechnete daraufhin für die Monate Juli und August lediglich Urlaubsentgelt im Wert von insgesamt 1.476,73 EUR netto ab und zahlte diesen Betrag an die Klägerin aus. Die Klägerin verlangt aber für die Monate Juli und August 2011 jeweils 1.968,68 EUR abzüglich des Urlaubsgelds und hat daher Klage eingelegt.

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Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Stuttgarts ist der aus dem Arbeitsvertrag folgende Vergütungsanspruch der Klägerin nicht gemäß § 326 Abs. 1 S. 1 BGB erloschen. Zwar hat die Klägerin im fraglichen Zeitraum nicht gearbeitet. Wegen des absoluten Fixschuldcharakters der Arbeitsleistung liegt daher an sich Unmöglichkeit gemäß § 275 Abs. 1 BGB vor. Gemäß § 615 S. 3 BGB bleibt der Arbeitgeber jedoch zur Zahlung der Vergütung verpflichtet, wenn er das Risiko des Arbeitsausfalls trägt. Neben den Fällen des Wirtschaftlichkeits- und Betriebsrisikos sind hiervon insbesondere auch diejenigen Fälle erfasst, in denen dem Arbeitgeber kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung das Verwendungsrisiko zugewiesen ist.

Dies ist vorliegend der Fall. Gemäß Ziff. 2 des Arbeitsvertrages endet das Arbeitsverhältnis bei Widerruf der Einsatzgenehmigung mit Ablauf der Kündigungsfrist, wobei der Arbeitnehmer unter Anrechnung von bestehenden Urlaubsansprüchen bis zum Beendigungsdatum von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt sein soll. Eine ausdrückliche Regelung darüber, was in dem Zeitraum zwischen Entzug der Einsatzgenehmigung und Ablauf der Kündigungsfrist mit den Vergütungsansprüchen geschehen soll – ob es sich mithin um eine bezahlte oder unbezahlte Freistellung handelt – enthält Ziff. 2 des Arbeitsvertrages zwar nicht. Die Vereinbarung ist jedoch dahin auszulegen, dass die Beklagte das Verwendungsrisiko bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zu tragen hat.

Dabei ist zu beachten, dass es sich um einen Formulararbeitsvertrag handelt (§ 305 Abs. 1 BGB), der den Regeln für die Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen unterliegt. Ansatzpunkt für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist der Wortlaut eines Formularvertrags nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus der Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis sind schließlich auch der von den Arbeitsvertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die Interessenlage der Beteiligten1. Bleibt bei der Auslegung einer Allgemeinen Geschäftsbedingung nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel, geht er nach § 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders. Der Arbeitgeber, der die Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendet, muss bei Unklarheiten die ihm am wenigsten günstige Auslegungsmöglichkeit gegen sich gelten lassen2.

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Bei Anwendung dieser Maßstäbe trägt die Beklagte das Verwendungsrisiko hinsichtlich der Arbeitskraft der Klägerin bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Hierbei ist zunächst zu beachten, dass einerseits bei Austauschverträgen grundsätzlich der Gläubiger der Leistung das Verwendungsrisiko zu tragen hat. Andererseits hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 19. März 20083 in Bezug auf die Wirksamkeit einer im Vergleich zu § 2 des Arbeitsvertrages nahezu identischen Vertragsklausel ausgeführt:

„Die sich nach einem Entzug einer Einsatzgenehmigung ergebende fehlende Beschäftigungsmöglichkeit zählt auch nicht zum allgemeinen Wirtschaftsrisiko des Arbeitgebers, das er durch die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung auf den Arbeitnehmer nicht überwälzen kann. Der Arbeitgeber kann bei der Bewachung von militärischen Einrichtungen der US-Streitkräfte über das eingesetzte Personal nicht frei entscheiden, sondern darf nur solche Arbeitnehmer einsetzen, die über eine Einsatzgenehmigung seines Auftraggebers verfügen, auf deren Erteilung und Entzug der Arbeitgeber keinen Einfluss hat. In den zu Grunde liegenden Vereinbarungen ist regelmäßig ein Vorbehalt des Auftraggebers des Arbeitgebers enthalten, wonach dieser bei Zweifeln an der Zuverlässigkeit des in den zu bewachenden Objekten eingesetzten Personals verlangen kann, dass diese nicht oder nicht mehr vom Arbeitgeber eingesetzt werden. Auf die den amerikanischen Streitkräften eingeräumte Rechtsposition müssen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einlassen. Sie folgt aus den Besonderheiten bei der Bewachung von militärischen Einrichtungen und entspricht den Befugnissen der Bundeswehr gegenüber zivilen Wachpersonen“4.

Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass dem Arbeitgeber auch das Verwendungsrisiko für den Zeitraum zwischen Entzug der Einsatzgenehmigung und dem Ablauf der Kündigungsfrist abgenommen sein soll. Gegenstand der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts war lediglich die Frage der Wirksamkeit der Beendigungsklausel. Dabei hat das Bundesarbeitsgericht gerade entscheidend darauf abgestellt, dass die Frist für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewahrt wurde5. Sinn macht die Einhaltung der Kündigungsfrist jedoch nur dann, wenn bis zu ihrem Ablauf auch noch Vergütungsansprüche bestehen.

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Die gegenseitige Interessenslage gebietet, die Klausel dahingehend auszulegen, dass die Beklagte die Klägerin bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31.08.2011 noch vergüten muss. Die sofortige Beendigung eines Arbeitsverhältnisses ist grundsätzlich nur unter den hohen Voraussetzungen des § 626 BGB möglich. Die Kündigungsfristen erfüllen insoweit eine wichtige Schutzfunktion. Die Bindung an eine Kündigungsfrist dient dem Schutz des Vertragspartners, der sich auf die Beendigung des Vertragsverhältnisses rechtzeitig einstellen können soll. Insoweit bewirken Kündigungsfristen einen zeitlich begrenzten Kündigungsschutz6. Ihre Schutzfunktion können Kündigungsfristen jedoch nur entfalten, wenn bis zu ihrem Ablauf auch Vergütungsansprüche bestehen und nicht lediglich das entgeltfreie Arbeitsverhältnis als weitgehend wertlose Hülle erhalten bleibt. Wollte man Ziff. 2 des Arbeitsvertrages derart verstehen, dass mit dem Erlöschen der Einsatzgenehmigung auch jegliche Vergütungsansprüche unmittelbar ausgeschlossen sein sollen – mithin die Freistellung ohne Fortzahlung der Vergütung erfolgen soll – wäre der betroffene Arbeitnehmer dieses absoluten Mindestschutzes beraubt. Eine derartige Klausel wäre auch im Hinblick auf § 307 Abs. 1 S. 1 BGB kaum zulässig, weshalb davon auszugehen ist, dass das Bundesarbeitsgericht in seiner oben genannten Entscheidung stillschweigend davon ausgegangen ist, dass die Vergütungspflicht bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortbesteht.

Den Interessen der Beklagten wird dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass das Arbeitsverhältnis automatisch, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit Ablauf der Kündigungsfrist endet und der Beklagten darüber hinaus gemäß § 626 BGB die Möglichkeit zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses verbleibt, wenn ihr die Fortzahlung der Vergütung bis zum Ende der Kündigungsfrist ausnahmsweise unzumutbar sein sollte, etwa weil die Pflichtverletzung, die zum Entzug der Einsatzgenehmigung geführt hat, so schwerwiegend ist, dass sie eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag.

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Nur ein solches, das Verwendungsrisiko auf die Vertragspartner verteilendes Auslegungsergebnis ist interessensgerecht und entspricht dem Vertragswillen verständiger und redlicher Vertragspartner. Mithin ist § 2 des Arbeitsvertrages derart zu verstehen, dass die Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung erfolgen sollte und somit das Verwendungsrisiko bis zum Ablauf der Kündigungsfrist von der Beklagten und erst anschließend von der Klägerin zu tragen ist.

Hierfür spricht letztlich auch der Umstand, dass die Freistellung „unter Anrechnung von bestehenden Urlaubsansprüchen“ erfolgen sollte. Eine „Anrechnung“ von – zweifellos bezahltem – Urlaub auf einen Freistellungszeitraum macht nur dann Sinn, wenn auch die Freistellung zu vergüten ist.

Durch die Freistellungserklärung im Schreiben vom 01.07.2011 – gerichtet auf unbezahlte Freistellung – konnte die Beklagte die vertraglich für den Fall des Entzuges der Einsatzgenehmigung vereinbarte Abrede einer bezahlten Freistellung nicht einseitig ändern.

Die von der Beklagten zitierte Entscheidung des Arbeitsgerichts Gießen7 ist nach dem Vorgesagten im Ergebnis und in der Begründung nach Ansicht des Arbeitsgerichts Stuttgart unzutreffend. Die Frage der Leistungsfähigkeit gemäß § 297 BGB ist für die Entscheidung irrelevant. Es handelt sich nicht um Annahmeverzugsansprüche gemäß § 615 S. 1 BGB, sondern es geht um die Frage, wer nach der vertraglichen Risikozuweisung das Verwendungsrisiko zu tragen hat. Die Regeln des Annahmeverzuges finden nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Falle einer einvernehmlichen Freistellung gerade keine Anwendung. Da mangels Arbeitspflicht des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber die Gläubigerstellung fehlt, kann ein Annahmeverzug nach §§ 293 ff BGB nicht begründet werden8. § 297 BGB ist somit im vorliegenden Fall unanwendbar.

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Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 26. April 2012 – 24 Ca 7542/11

  1. BAG, Urteil vom 19.03. 2008 – 5 AZR 429/07, NZA 2008, 757[]
  2. zuletzt etwa BAG, Urteil vom 29.06.2011 ? 7 AZR 6/10, NJW 2011, 3675, 3676[]
  3. BAG, 19.03.2008 – 7 AZR 1033/06, NZA-RR 2008, 570[]
  4. vorgehend LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.08.2006 – 16 Sa 11/06[]
  5. BAG, Urteil vom 19.03.2008 – 7 AZR 1033/06, NZA-RR 2008, 570, 571 a.E.[]
  6. so ausdrücklich Staudinger/Preis, 2011, § 622 BGB, Rn. 9[]
  7. ArbG Gießen, vom 17.07.2009 – 5 Ca 405/08[]
  8. so ausdrücklich BAG, Urteil vom 19.03.2002 – 9 AZR 16/01, NJOZ 2003, 1319, 1321[]