Kirchliches Arbeitsrecht – und seine arbeitsvertragliche Vereinbarung

Die Geltung des kirchlichen Rechts (hier: zur betrieblichen Altersversorgung) folgt nicht aus den kirchlichen Rechtssetzungsakten selbst. Die Kirchen haben nicht die Rechtsmacht, eine normative Wirkung ihrer Regelungen im privaten Arbeitsverhältnis anzuordnen. Wählen sie die privatrechtliche Ausgestaltung ihrer Arbeitsverhältnisse, so haben sie auch nur die privatrechtlichen Gestaltungsmittel1. Die Geltung der jeweiligen kirchenrechtlichen Regelungen folgt mithin lediglich aus einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung.

Kirchliches Arbeitsrecht – und seine arbeitsvertragliche Vereinbarung

Dabei ist eine arbeitsvertragliche Regelung „Die zusätzliche Altersversorgung wird nach dem in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens geltenden Recht gewährt.“ als Jeweiligkeitsklausel zu verstehen:

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Verweisungen auf die für die betriebliche Altersversorgung beim Arbeitgeber geltenden Bestimmungen im Regelfall dynamisch. Sie verweisen, soweit keine gegenteiligen Anhaltspunkte bestehen, auf die jeweils beim Arbeitgeber geltenden Regelungen. Das Verständnis einer solchen Bezugnahme als dynamische Verweisung auf die jeweils geltenden Versorgungsregelungen ist sachgerecht und wird in der Regel den Interessen der Parteien eher gerecht als eine statische Verweisung auf einen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehenden Rechtszustand. Nur so wird eine einheitliche Anwendung der Versorgungsordnung auf alle von ihr erfassten Arbeitnehmer und Versorgungsempfänger des Arbeitgebers sichergestellt. Der Arbeitgeber will im Zweifel die betriebliche Altersversorgung nach einheitlichen Regeln, dh. als System, erbringen. Ein solches System darf nicht erstarren. Dies ist bei der Auslegung dahingehender Vereinbarungen zu berücksichtigen. Deshalb ist für den Regelfall eine dynamische Verweisung anzunehmen2. Will der Arbeitgeber eine Versorgung unabhängig von der jeweils geltenden allgemeinen Versorgungsordnung zusagen, muss er dies deutlich zum Ausdruck bringen3.

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Danach ist die Verweisungsklausel als dynamische Bezugnahme auf die jeweils bei der Arbeitgeberin geltenden Regelungen der betrieblichen Altersversorgung zu verstehen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Arbeitsvertragsparteien lediglich die am Tag des Vertragsschlusses geltende Versorgungsregelung, also die rückwirkend zum 1.01.1993 in Kraft getretene Treuegeld-Verordnung idF der Zweiten Verordnung zur Änderung der Treuegeld-Verordnung vom 17.06.1993, in Bezug nehmen wollten. Dafür fehlt es – unabhängig davon, ob dies für sich genommen ausreichend wäre – schon an einer konkreten Bezeichnung der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bei der Arbeitgeberin geltenden Versorgungsregelungen.

Die Auslegung dieser Verweisungsklausel des Dienstvertrags ergibt, dass von der Bezugnahme nur Regelungen erfasst werden sollen, die den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit und damit – soweit keine Rechtsgründe entgegenstehen – dem diese Grundsätze konkretisierenden dreistufigen Prüfungsschema des Bundesarbeitsgerichts für Eingriffe in bestehende Versorgungsrechte entsprechen.

Die Verweisungsklausel ist Bestandteil eines Formulararbeitsvertrags. Bereits das äußere Erscheinungsbild des Dienstvertrags der Parteien vom 20.01.1993 begründet damit eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Allgemeinen Geschäftsbedingung iSd. § 305 Abs. 1 BGB4. Nach Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB unterliegt die Verweisungsklausel daher der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB. Denn mit der Verweisung auf das jeweils geltende Recht in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens hat die Arbeitgeberin sich die Möglichkeit vorbehalten, die Arbeitsbedingungen einseitig durch ihre Organe zu ändern. Die Verweisung erfasst nicht nur auf dem sog. „Dritten Weg“, dh. durch Beschlüsse der Arbeitsrechtlichen Kommission zustande gekommene Regelungen, sondern auch Bestimmungen, die durch einseitige kirchliche Rechtsetzungsakte erlassen wurden.

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ine Verweisung auf die jeweils geltenden Regelungen für die betriebliche Altersversorgung des Arbeitgebers hält nur dann einer Inhaltskontrolle nach § 308 Nr. 4 BGB oder § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB stand, wenn die in Bezug genommenen Änderungen den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Nur in diesem Fall ist der in der Jeweiligkeitsklausel liegende Änderungsvorbehalt für den Arbeitnehmer als Vertragspartner des Verwenders zumutbar. Dies beruht darauf, dass der Arbeitnehmer erwarten kann, für die durch seine Betriebszugehörigkeit bereits erbrachten Vorleistungen auch die ihm versprochene Gegenleistung zu erhalten, soweit dem nicht Gründe auf Seiten des Arbeitgebers entgegenstehen, die seine schützenswerten Interessen überwiegen5.

Es ist davon auszugehen, dass der kirchliche Arbeitgeber als Verwender der Jeweiligkeitsklausel nur eine rechtlich zulässige Regelung vereinbaren will. Daher ist – soweit keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen – eine dynamische Verweisung auf die geltenden Versorgungsregelungen so auszulegen, dass davon nur Regelungen erfasst sein sollen, die den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Aus diesen Grundsätzen folgt, dass die Gründe, die den Eingriff rechtfertigen sollen, um so gewichtiger sein müssen, je stärker der Besitzstand ist, in den eingegriffen wird6. Die bei Einschnitten in Versorgungsrechte zu beachtenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit hat das Bundesarbeitsgericht für Versorgungsanwartschaften durch ein dreistufiges Prüfungsschema konkretisiert7, das in derartigen Fällen grundsätzlich anzuwenden ist. Den abgestuften Besitzständen der Arbeitnehmer sind danach entsprechend abgestufte unterschiedlich gewichtete Eingriffsgründe des Arbeitgebers gegenüberzustellen8.

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Danach erfasst die arbeitsvertragliche Verweisungsklausel nur solche abändernden Versorgungsregelungen, die einer Prüfung anhand des vom Bundesarbeitsgericht entwickelten dreistufigen Prüfungsschemas standhalten. Anhaltspunkte dafür, dass die Arbeitgeberin sich weitergehende Änderungen vorbehalten wollte, liegen nicht vor9.

Das der Arbeitgeberin nach Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV zustehende Recht, ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten, steht dieser Auslegung nicht entgegen10

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 9. Mai 2023 – 3 AZR 226/22

  1. BAG 14.07.2015 – 3 AZR 517/13, Rn.19 mwN[]
  2. BAG 17.06.2008 – 3 AZR 553/06, Rn. 24; 27.06.2006 – 3 AZR 255/05, Rn. 18 mwN, BAGE 118, 326; 23.09.1997 – 3 AZR 529/96, zu I 2 der Gründe[]
  3. BAG 23.04.2013 – 3 AZR 23/11, Rn. 22; 18.09.2012 – 3 AZR 415/10, Rn. 25, BAGE 143, 90[]
  4. vgl. BAG 12.02.2015 – 6 AZR 831/13, Rn. 17, BAGE 150, 380[]
  5. BAG 14.07.2015 – 3 AZR 517/13, Rn. 27; 18.09.2012 – 3 AZR 415/10, Rn. 30 ff., BAGE 143, 90[]
  6. vgl. BAG 18.09.2012 – 3 AZR 415/10, Rn. 34, BAGE 143, 90[]
  7. st. Rspr. seit BAG 17.04.1985 – 3 AZR 72/83, zu B II 3 c der Gründe, BAGE 49, 57[]
  8. vgl. etwa BAG 14.07.2015 – 3 AZR 517/13, Rn. 28; 10.03.2015 – 3 AZR 56/14, Rn. 35 mwN[]
  9. vgl. zu einem insoweit wortgleichen Formularvertrag der Arbeitgeberin BAG 14.07.2015 – 3 AZR 517/13, Rn. 29[]
  10. vgl. dazu ausführlich BAG 14.07.2015 – 3 AZR 517/13, Rn. 30 ff.[]
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