Klage auf Sozialkassenbeiträge – und das Teilurteil

Nach § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht die Entscheidung durch Endurteil (Teilurteil) zu erlassen, wenn von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur der eine oder nur ein Teil eines Anspruchs zur Endentscheidung reif ist.

Klage auf Sozialkassenbeiträge – und das Teilurteil

§ 301 Abs. 1 ZPO setzt die Teilbarkeit der Klageforderung voraus. Der Teil, über den entschieden wird, muss vom Rest des geltend gemachten prozessualen Anspruchs unabhängig sein, so dass die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen nicht besteht1.

Das Revisionsgericht ist auch ohne eine entsprechende Verfahrensrüge gehalten, die Zulässigkeit der Entscheidung durch Teilurteil zu überprüfen2. Dies gilt auch dann, wenn das Teilurteil in erster Instanz ergangen und – wie hier – vom Berufungsgericht nicht beanstandet worden ist. Ein unter Verstoß gegen § 301 Abs. 1 ZPO ergangenes Teilurteil leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel, der auch in der Revisionsinstanz nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 557 Abs. 3 Satz 2 ZPO von Amts wegen zu berücksichtigen ist3.

Danach konnte das Arbeitsgericht im hier entschiedenen Streitfall durch Teilurteil entscheiden:

Der prozessuale Anspruch einer Klage der Sozialkasse auf Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer ist jeweils der auf der Grundlage des maßgeblichen VTV in einem Kalendermonat anfallende Sozialkassenbeitrag4. Der prozessuale Anspruch einer Klage der Sozialkasse auf Beiträge für Angestellte ist jeweils der auf der Grundlage des VTV für jeden einzelnen beschäftigten Angestellten in einem Kalendermonat anfallende Beitrag5. Beitragsansprüche für mehrere Kalendermonate gegen denselben Beklagten können nach § 260 ZPO in einer Klage verbunden werden. Wenn sie – wie im Streitfall – in einer Klage hätten geltend gemacht werden können, kommt eine Prozessverbindung nach § 147 ZPO in Betracht. Über die zur Endentscheidung reifen Ansprüche kann nach § 301 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 ZPO durch Teilurteil entschieden werden.

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Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Arbeitsgericht Entscheidungsreife allein hinsichtlich der Beitragsansprüche für die Jahre 2011 bis 2014 bejaht hat.

Ein Anspruch ist zur Endentscheidung reif, sobald das Gericht darüber zu befinden vermag, ob der Klage stattzugeben ist oder sie als unzulässig oder als unbegründet abgewiesen werden muss. Dies setzt voraus, dass der entscheidungserhebliche Tatsachenstoff hinreichend geklärt worden ist. Dafür müssen die zulässigen Beweise hinsichtlich der beweisbedürftigen Tatsachen vom Gericht erhoben und gewürdigt worden sein6.

Das Arbeitsgericht durfte durch Teilurteil über die Beitragsansprüche für die Jahre 2011 bis 2014 entscheiden, weil sich die jeweils einschlägigen Verfahrenstarifverträge im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am 22.02.2017 nur auf originär tarifgebundene Arbeitgeber erstreckten.

Bei Erlass des Teilurteils bestand nicht die Gefahr divergierender Entscheidungen im Hinblick auf die noch rechtshängigen Beitragsansprüche für das Jahr 2015.

Ein Teilurteil ist unzulässig, wenn nicht auszuschließen ist, dass es in demselben Rechtsstreit zu einander widersprechenden Entscheidungen kommt. Die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen – auch infolge einer abweichenden Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht – ist gegeben, wenn in einem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über andere Ansprüche oder Anspruchsteile noch einmal stellt oder stellen kann. Dazu reicht die Möglichkeit einer unterschiedlichen Beurteilung von bloßen Urteilselementen aus, die weder in Rechtskraft erwachsen noch das Gericht nach § 318 ZPO für das weitere Verfahren binden. Vor diesem Hintergrund darf ein Teilurteil nur ergehen, wenn der weitere Verlauf des Prozesses die zu treffende Entscheidung unter keinen Umständen mehr berühren kann7.

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Nach diesen Maßstäben durfte das Teilurteil im Streitfall erlassen werden. Für die Beitragspflicht nach den Verfahrenstarifverträgen kommt es grundsätzlich auf die tatsächlichen Umstände im jeweiligen Kalenderjahr an8. Sie sind daher nicht materiell-rechtlich miteinander verzahnt, so dass der weitere Verlauf des Prozesses über die Beitragspflichten für das Jahr 2015 die getroffene Entscheidung über die Beitragsansprüche der Jahre 2011 bis 2014 auch nicht berühren konnte.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. Januar 2020 – 10 AZR 387/18

  1. BAG 16.07.2019 – 1 AZR 537/17, Rn. 13; 30.05.2018 – 10 AZR 780/16, Rn.20; 18.03.2014 – 3 AZR 874/11, Rn. 11 mwN[]
  2. BAG 30.05.2018 – 10 AZR 780/16, Rn.19; 17.04.2013 – 4 AZR 361/11, Rn. 15[]
  3. vgl. BGH 11.05.2011 – VIII ZR 42/10, Rn.19 ff., BGHZ 189, 356[]
  4. BAG 27.11.2019 – 10 AZR 476/18, Rn. 21; 30.10.2019 – 10 AZR 177/18, Rn. 17[]
  5. BAG 27.11.2019 – 10 AZR 476/18, Rn. 25[]
  6. Zöller/Feskorn 33. Aufl. § 300 Rn. 2; MünchKomm-ZPO/Musielak 5. Aufl. § 300 Rn. 2[]
  7. st. Rspr., zB BAG 30.05.2018 – 10 AZR 780/16, Rn.20; 29.06.2017 – 8 AZR 189/15, Rn. 41 mwN, BAGE 159, 316[]
  8. vgl. BAG 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 18; 10.09.2014 – 10 AZR 959/13, Rn. 43, BAGE 149, 84; 25.07.2001 – 10 AZR 483/00, zu III 1 der Gründe, BAGE 98, 250[]
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