Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und Gesetze auszulegen. Ausgehend vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Darüber hinaus sind Sinn und Zweck der Regelung von besonderer Bedeutung1. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt2.

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Streitfall schlossen die Betriebsparteien einen Sozialplan. Der Sozialplan enthielt u.a. auch eine Höchstbetragsregelung: „Der sich insgesamt ergebende Abfindungsbetrag (Gesamtabfindung) wird auf einen max. Höchstbetrag von 75.000 € pro Arbeitnehmer beschränkt. Für Mitarbeiter, die 62 Jahre und älter am Stichtag 30.06.2019 sind, beträgt der Höchstbetrag 45.000 €.“
Des Weiteren schlossen die Betriebsparteien eine „Betriebsvereinbarung bezüglich einer Klageverzichtsprämie“ (BV Klageverzichtsprämie). Diese lautet auszugsweise:
„Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des Interessenausgleichs und Sozialplans vom 05.06.2019 fallen und Ansprüche auf eine Abfindung haben, gekündigt werden und keine Kündigungsschutzklage erheben, haben Anspruch auf eine höhere Abfindung.
Der Faktor gem. III. 1. c) aa) des Sozialplans erhöht sich um weitere 0,25 (Beispiel: Faktor bei einem Alter von 56 am Stichtag 30.06.2019 erhöht sich von 0,95 auf insgesamt 1,2).“
Der Arbeitgeber zahlte dem Arbeitnehmer die sozialplanmäßige Abfindung in Höhe von 75.000, 00 €, verweigerte aber unter Berufung auf den im Sozialplan vereinbarten Abfindungs-Höchstbetrag die Zahlung der Klageverzichtsprämie. Das Arbeitsgericht Weiden hat die Klage abgewiesen3, das Landesarbeitsgericht Nürnberg die Berufung des Arbeitnehmers zurückgewiesen4.
Das Bundesarbeitsgericht gab nun jedoch dem gekündigten Arbeitnehmer Recht; der Arbeitnehmer hat gegen die Arbeitgeberin einen Anspruch auf Zahlung der Klageverzichtsprämie iHv. 26.635, 12 Euro brutto. Dieser ergibt sich aus der BV Klageverzichtsprämie. Die Höchstbetragsregelung des Sozialplans findet auf Ansprüche aus dieser Betriebsvereinbarung keine Anwendung. Das ergibt für das Bundesarbeitsgericht deren Auslegung:
Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und Gesetze auszulegen. Ausgehend vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Darüber hinaus sind Sinn und Zweck der Regelung von besonderer Bedeutung1. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt2.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe unterfällt die Klageverzichtsprämie nicht dem im Sozialplanb geregelten Abfindungshöchstbetrag.
Hierfür spricht bereits der Wortlaut von Abs. 1 BV Klageverzichtsprämie. Danach haben Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des Interessenausgleichs und Sozialplans vom 05.06.2019 fallen und Ansprüche auf eine Abfindung haben, „Anspruch auf eine höhere Abfindung“, wenn sie gekündigt werden und keine Kündigungsschutzklage erheben. Diese Formulierung lässt erkennen, dass jeder Arbeitnehmer, der die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm erfüllt, für seinen Verzicht auf die Klageerhebung eine gegenüber dem Sozialplan betragsmäßig höhere Abfindung erhalten soll. Eine Anwendung des im Sozialplan festgelegten Höchstbetrags auch auf die in der BV Klageverzichtsprämie vorgesehene Leistung liefe dem zuwider, da den bereits von einer Kappung ihrer Sozialplanabfindung betroffenen Arbeitnehmern, die nicht gerichtlich gegen ihre Kündigung vorgegangen sind, keine höhere Abfindungszahlung zustünde.
Gesamtzusammenhang und Systematik der Regelung stützen dieses Verständnis.
Abs. 2 BV Klageverzichtsprämie verweist lediglich hinsichtlich der Berechnung der Prämie auf die Bestimmungen des Sozialplans. Eine Bezugnahme auf die Regelung des Sozialplans, in der die altersgestaffelte Deckelung auf Höchstbeträge vorgesehen ist, fehlt hingegen. Hätten die Betriebsparteien die Kappungsgrenze auf die Klageverzichtsprämie erstrecken wollen, hätte auch insoweit ein Verweis nahegelegen.
Aus dem Umstand, dass die Berechnung der Klageverzichtsprämie im Wege einer – durch das Beispiel in Abs. 2 BV Klageverzichtsprämie entsprechend erläuterten – Erhöhung des für die Sozialplanabfindung vorgesehenen Faktors um 0, 25 Prozentpunkte zu erfolgen hat, ergibt sich nichts anderes. Allein aus dieser Berechnungsweise lässt sich nicht ableiten, dass die von der Arbeitgeberin im Fall eines Verzichts auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage zu zahlende „höhere Abfindung“ insgesamt der im Sozialplan normierten Deckelung unterfällt. Der von den Betriebsparteien gleichzeitig geschlossene Sozialplan sieht zwar vor, dass die dort genannten Höchstbeträge auf den sich „insgesamt ergebende[n] Abfindungsbetrag (Gesamtabfindung)“ anzuwenden sind. Allerdings haben die Betriebsparteien den Begriff der „Gesamtabfindung“ in dem Sozialplan ausdrücklich definiert. Danach ergibt sich die Gesamtabfindung aus der „Addition der o.g. Beträge“ und damit ausschließlich aus denjenigen Beträgen, deren Berechnung im Sozialplan selbst geregelt („oben genannt“) wurde. Hierzu gehört nur die Abfindung, die sich unter Zugrundelegung der im Sozialplan selbst vorgesehenen Berechnungsformel sowie der dort festgelegten Faktoren und Beträge ergibt.
Auch die Tatsache, dass die Betriebsparteien die von der Arbeitgeberin anlässlich der Betriebsschließung zu zahlenden Leistungen in zwei getrennten Betriebsvereinbarungen geregelt haben, spricht gegen die Annahme einer „einheitlichen Abfindung“, die insgesamt der Höchstbetragsregelung des Sozialplans unterfallen sollte. Mit dieser Vorgehensweise wollten die Betriebsparteien erkennbar den sich aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ergebenden Vorgaben Rechnung tragen. Danach dürfen Leistungen, die nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dem Ausgleich oder der Abmilderung der mit einer Betriebsänderung für die Arbeitnehmer verbundenen wirtschaftlichen Nachteile dienen, nicht vom Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht werden. Es steht den Betriebsparteien jedoch frei, neben einem Sozialplan eine (freiwillige) kollektivrechtliche Regelung zu treffen, die im Interesse des Arbeitgebers an alsbaldiger Planungssicherheit die Gewährung finanzieller Leistungen für den Fall vorsieht, dass der infolge der Betriebsänderung entlassene Arbeitnehmer nicht gerichtlich gegen seine Kündigung vorgeht5. Die damit ersichtlich bewusst gewählte Trennung der rechtlichen Grundlagen beider – unterschiedlichen Zwecken dienenden – Leistungen belegt, dass gerade keine „einheitliche Abfindung“ geregelt werden sollte, die bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung einer Klageverzichtsprämie insgesamt den normativen Vorgaben des Sozialplans unterfiele.
Sinn und Zweck der BV Klageverzichtsprämie sprechen ebenfalls für diese Auslegung. Sowohl die Bezeichnung der dort geregelten Prämie als auch die tatbestandlichen Voraussetzungen ihrer Gewährung zeigen, dass damit für die Arbeitnehmer ein Anreiz geschaffen werden sollte, gegen eine wegen der Werkschließung von der Arbeitgeberin erklärte Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses keine Klage zu erheben. Gegenleistung für die Prämie sollte die Nichterhebung einer Kündigungsschutzklage sein. Damit zielt die Regelung darauf ab, zugunsten der Arbeitgeberin alsbald Planungssicherheit über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen der betroffenen Mitarbeiter zu erzielen sowie das mit möglichen Kündigungsschutzklagen verbundene Prozessrisiko zu vermeiden6. Der beabsichtigte Anreiz zum Klageverzicht wird für den einzelnen Arbeitnehmer aber nur dann gesetzt, wenn er sich auch finanziell auswirkt. Demgegenüber würde eine solche Prämie ihren Zweck verfehlen, wenn sie die nach dem Sozialplan ohnehin zu zahlende Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes nicht erhöhte. Arbeitnehmer, denen trotz eines Klageverzichts kein finanzieller Vorteil zukäme, würden nicht von einer Klageerhebung abgehalten.
Schließlich entspricht nur das gefundene Auslegungsergebnis einem gesetzeskonformen Verständnis der BV Klageverzichtsprämie. Eine Auslegung, nach der die Höchstbetragsregelung des Sozialplans auch diese Prämie erfasst, verstieße gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 Abs. 1 BetrVG.
Der auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zurückzuführende betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz soll eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherstellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung ausschließen. Sind in einer Betriebsvereinbarung für verschiedene Arbeitnehmergruppen unterschiedliche Leistungen vorgesehen, verlangt der Gleichheitssatz, dass diese Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist. Entscheidend hierfür ist vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck. Dabei ist bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung der Gleichheitssatz bereits dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass diese die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten7.
Eine Berücksichtigung der Klageverzichtsprämie bei der Anwendung der im Sozialplan vorgesehenen Höchstbetragsregelung würde zu einer nach diesen Maßstäben nicht gerechtfertigten Differenzierung verschiedener Arbeitnehmergruppen führen. Arbeitnehmer, deren Sozialplanabfindung bereits ohne oder jedenfalls unter Hinzurechnung der Klageverzichtsprämie den Betrag von 75.000, 00 Euro übersteigt, erhielten für einen Klageverzicht keine oder nur eine geringere finanzielle Leistung als diejenigen Arbeitnehmer, deren Sozialplanabfindung niedriger ist. Diese Ungleichbehandlung wäre – gemessen am Zweck der Klageverzichtsprämie – sachlich nicht gerechtfertigt. Die Arbeitgeberin würde in allen Fällen, in denen die gekündigten Arbeitnehmer sich nicht gerichtlich gegen die Kündigung zur Wehr setzen, die mit der Prämienregelung beabsichtigte Planungssicherheit erlangen und den mit der Durchführung eines Kündigungsschutzverfahrens einhergehenden finanziellen und logistischen Aufwand sowie das damit verbundene Prozessrisiko vermeiden. Der Umstand, dass den betreffenden Arbeitnehmern nach dem Sozialplan eine unterschiedlich hohe Abfindung als Ausgleich oder Milderung für den Verlust ihres Arbeitsplatzes zu zahlen ist, rechtfertigt – bezogen auf den Zweck der Klageverzichtsprämie – keine unterschiedliche Behandlung.
Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Betriebsparteien seien übereinstimmend davon ausgegangen, dass bei der Deckelung der Gesamtabfindung auch die Klageverzichtsprämie einzubeziehen sei, weil andernfalls die für Sozialplan und BV Klageverzichtsprämie zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel von insgesamt 8 Mio. Euro überschritten worden wären, verkennt es, dass ein übereinstimmender Wille der Betriebsparteien nur dann bei der Auslegung berücksichtigt werden kann, wenn er im Wortlaut seinen Niederschlag gefunden hat8. Das ist vorliegend nicht der Fall. Abgesehen davon ist diese Erwägung auch unplausibel, weil bei Abschluss beider kollektivrechtlichen Vereinbarungen am 5.06.2019 noch nicht absehbar sein konnte, wie viele Arbeitnehmer letztlich gegen die nachfolgend ausgesprochenen Kündigungen gerichtlich vorgehen würden.
Die so verstandene BV Klageverzichtsprämie ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg nicht deshalb unwirksam, weil durch sie das Verbot, Sozialplanleistungen von einem Verzicht des Arbeitnehmers auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage abhängig zu machen, umgangen worden wäre.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts darf durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung, in welcher Leistungen für den Fall der Nichterhebung einer Kündigungsschutzklage versprochen werden, nicht das Verbot umgangen werden, Sozialplanabfindungen von einem entsprechenden Verzicht abhängig zu machen. Eine solche Umgehung kann vorliegen, wenn der von den Betriebsparteien geschlossene Sozialplan seine Funktion nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, die infolge der Betriebsänderung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile der betroffenen Arbeitnehmer auszugleichen oder zu mildern, nicht ansatzweise erfüllt. Zwar können die Betriebsparteien grundsätzlich frei darüber entscheiden, ob und welche Nachteile, die der Verlust des Arbeitsplatzes infolge einer sozialplanpflichtigen Betriebsänderung für die Arbeitnehmer mit sich bringt, durch Sozialplanleistungen ausgeglichen oder in welchem Umfang diese zumindest gemildert werden sollen. Allerdings verfehlt der Sozialplan seine Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion, wenn er keine hinreichend angemessene Abmilderung der wirtschaftlichen Nachteile vorsieht9. Soweit das Bundesarbeitsgericht darüber hinaus angenommen hat, eine etwaige Umgehung könne auch vorliegen, wenn dem „an sich” für den Sozialplan zur Verfügung stehenden Finanzvolumen zum Nachteil der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer Mittel entzogen und funktionswidrig im Bereinigungsinteresse des Arbeitgebers eingesetzt wurden10, hält er daran nicht mehr fest. Die Betriebsparteien verfügen über einen Gestaltungsspielraum bei der Entscheidung, ob, in welchem Umfang und wie sie die von ihnen prognostizierten wirtschaftlichen Nachteile der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer ausgleichen oder abmildern wollen. Hierbei haben sie einen weiten Ermessensspielraum11. Damit verbietet sich die Annahme, es gäbe ein „an sich” für den Sozialplan zur Verfügung stehendes finanzielles Volumen, welches „funktionswidrig“ eingesetzt werden könnte.
Damit ist – entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts – der Abschluss der BV Klageverzichtsprämie nicht zu beanstanden. Es ist nicht ersichtlich, dass der von den Betriebsparteien geschlossene Sozialplan die in § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vorgesehene Funktion verfehlen würde. Auch der Arbeitnehmer behauptet nicht, dass die ihm durch die Betriebsänderung entstandenen Nachteile durch die Zahlung einer Abfindung iHv. 75.000, 00 Euro nicht – spürbar – abgemildert worden wären.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7. Dezember 2021 – 1 AZR 562/20
- vgl. zB BAG 22.10.2019 – 1 ABR 17/18, Rn. 25[↩][↩]
- BAG 15.05.2018 – 1 AZR 37/17, Rn. 15 mwN[↩][↩]
- ArbG Weiden 11.03.2020 – 3 Ca 879/19[↩]
- LAG Nürnberg 14.10.2020 – 2 Sa 215/20[↩]
- vgl. BAG 9.12.2014 – 1 AZR 146/13, Rn. 39; 31.05.2005 – 1 AZR 254/04, zu II 2 der Gründe, BAGE 115, 68[↩]
- vgl. auch BAG 9.12.2014 – 1 AZR 146/13, Rn. 41[↩]
- vgl. BAG 13.08.2019 – 1 AZR 213/18, Rn. 55 mwN, BAGE 167, 264[↩]
- vgl. etwa BAG 22.10.2019 – 1 ABR 17/18, Rn. 25 mwN[↩]
- vgl. BAG 31.05.2005 – 1 AZR 254/04, zu II 2 d der Gründe, BAGE 115, 68[↩]
- BAG 31.05.2005 – 1 AZR 254/04, zu II 2 d der Gründe, aaO[↩]
- vgl. BAG 11.11.2008 – 1 AZR 475/07, Rn. 23 mwN, BAGE 128, 275[↩]