Konzernarbeitsverhältnis – und die konzernweite Weiterbeschäftigungspflicht

Ausnahmsweise kann eine konzernbezogene Weiterbeschäftigungspflicht in analoger Anwendung von § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1b LSGchG bestehen. Davon ist nicht nur auszugehen, wenn sich ein anderes Konzernunternehmen ausdrücklich zur Übernahme des Arbeitnehmers bereit erklärt hat, sondern auch und vor allem dann, wenn sich eine solche Verpflichtung unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag oder einer sonstigen vertraglichen Absprache ergibt.

Konzernarbeitsverhältnis – und die konzernweite Weiterbeschäftigungspflicht

Dies sind aber keine Beispiele für eine Ausdehnung des Kündigungsschutzes auf den Konzern. Vielmehr kann der Arbeitnehmer bei derartigen Fallgestaltungen einen vertraglichen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber auf Verschaffung eines Arbeitsvertrages haben, weil sich durch die gegebenen Umstände die Fürsorge- und Gleichbehandlungspflicht dahingehend konkretisiert, dass auch eine erweiterte „Versetzungspflicht“ anzunehmen ist1. Der Arbeitgeber hat entsprechend dem ultima-ratio-Prinzip vertraglich weitgespannte Einsatzmöglichkeiten des Arbeitnehmers zunächst auszuschöpfen, bevor er zum einschneidenden Mittel der Kündigung greift.

Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 LSGchG ist eine fristgerechte Kündigung u. a. sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in dem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Eine Kündigung ist iSv § 1 Abs. 2 Satz 1 LSGchG durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb voraussichtlich dauerhaft entfallen ist.

Betriebliche Erfordernisse, die eine Kündigung bedingen, können sich aus außerbetrieblichen Umständen ergeben. Passt der Arbeitgeber im Fall eines Auftragsverlustes oder eines reduzierten Auftragsbestands die Anzahl der benötigten Arbeitnehmer an die verbliebene Arbeitsmenge an, kann sich daraus ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung ergeben, wenn der Arbeitsanfall – dauerhaft – so zurückgegangen ist, dass zukünftig für einen oder mehrere Arbeitnehmer kein Bedürfnis für eine Beschäftigung mehr besteht. Behauptet der Arbeitgeber, das Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung sei wegen eines solchen Auftragsrückgangs entfallen, und bestreitet der Arbeitnehmer dies, hat das Gericht im vollen Umfang nachzuprüfen, ob die außerbetrieblichen Umstände für die Kündigung tatsächlich vorlagen und zu einem dauerhaften Rückgang des Beschäftigungsvolumens geführt haben. Ein Rückgang des Arbeitskräftebedarfs kann sich auch daraus ergeben, dass der Arbeitgeber sich zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, deren Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer dauerhaft entfallen lässt. Eine solche unternehmerische Entscheidung ist gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur daraufhin, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Ohne Einschränkung nachzuprüfen ist hingegen, ob die fragliche Entscheidung faktisch umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer wirklich entfallen ist2.

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Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1b LSGchG ist die Kündigung auch dann sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann. Auf diese Weise wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Kündigungsrecht normativ konkretisiert. Die Weiterbeschäftigung muss sowohl dem Arbeitnehmer als auch dem Arbeitgeber objektiv möglich sein. Dies setzt voraus, dass ein freier Arbeitsplatz zu vergleichbaren (gleichwertigen) oder zu geänderten (schlechteren) Arbeitsbedingungen vorhanden ist. Als „frei“ sind grundsätzlich nur solche Arbeitsplätze anzusehen, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt oder die bis zum Ablauf der Kündigungsfrist frei werden. Der anderweitige freie Arbeitsplatz muss für den Arbeitnehmer geeignet sein3.

Das Kündigungsschutzgesetz ist nicht konzernbezogen. Der Arbeitgeber ist vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung grundsätzlich nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer in dem Betrieb eines anderen Unternehmens unterzubringen. Das ergibt sich schon daraus, dass Vertragspartner des Arbeitnehmers das vertragsschließende Unternehmen, der Arbeitgeber, ist. Die Weiterbeschäftigung durch ein anderes Unternehmen führt zwangsläufig zu einem Vertragspartnerwechsel. Eine konzernbezogene Weiterbeschäftigungspflicht kann ausnahmsweise bestehen, wenn sich ein anderes Konzernunternehmen ausdrücklich zur Übernahme des Arbeitnehmers bereit erklärt hat. Entsprechendes gilt, wenn sich eine Unterbringungsverpflichtung unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag, einer sonstigen vertraglichen Absprache oder der in der Vergangenheit geübten Praxis ergibt. In solchen Fallgestaltungen kann der Arbeitnehmer einen vertraglichen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber auf Verschaffung seines Arbeitsvertrages haben. Weitere Voraussetzung einer unternehmensübergreifenden Weiterbeschäftigungspflicht ist ein bestimmender Einfluss des vertragsschließenden Unternehmens auf die „Versetzung“. Die Entscheidung über eine Weiterbeschäftigung darf grundsätzlich nicht dem zur Übernahme bereiten Unternehmen vorbehalten sein. Typischerweise reicht es aus, dass die Möglichkeit zur Einflussnahme jedenfalls faktisch besteht. Im Hinblick auf die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz gilt eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Der Arbeitgeber genügt seiner Darlegungslast in einem ersten Schritt, wenn er allgemein – zumindest konkludent – vorträgt, eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers sei nicht möglich. Hat der Arbeitnehmer daraufhin näher ausgeführt, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, muss der Arbeitgeber substantiiert erläutern, aus welchem Grund eine Beschäftigung auf dem anderen Arbeitsplatz nicht möglich sein soll. Dafür ist es nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer zuvor einen bestimmten Arbeitsplatz bezeichnet hat. Er genügt seiner Darlegungslast in der Regel schon dadurch, dass er angibt, an welchen Betrieb er denkt und welche Art der Beschäftigung er meint. Beruft sich der Arbeitnehmer dabei auf eine konzernweite Beschäftigungsmöglichkeit, hat er auch insoweit anzugeben, wie, d. h. bei welchem Unternehmen auf welchem – freien – Arbeitsplatz er sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt4.

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Ausnahmsweise kann eine konzernbezogene Weiterbeschäftigungspflicht in analoger Anwendung von § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1b LSGchG bestehen. Davon ist nicht nur auszugehen, wenn sich ein anderes Konzernunternehmen ausdrücklich zur Übernahme des Arbeitnehmers bereit erklärt hat, sondern auch und vor allem dann, wenn sich eine solche Verpflichtung unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag oder einer sonstigen vertraglichen Absprache ergibt. Der Arbeitnehmer kann nach dem Arbeitsvertrag von vornherein für den Unternehmens- und den Konzernbereich eingestellt worden sein oder sich arbeitsvertraglich mit einer Versetzung innerhalb der Unternehmens- bzw. Konzerngruppe einverstanden erklärt haben. Bei einer solchen Vertragsgestaltung muss der Arbeitgeber als verpflichtet angesehen werden, zunächst eine Unterbringung des Arbeitnehmers in einem anderen Unternehmens- oder Konzernbetrieb zu versuchen, bevor er dem Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen kündigt. Gleiches muss gelten, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine diesbezügliche Zusage macht oder eine Übernahme durch einen anderen Unternehmens- oder Konzernbetrieb in Aussicht stellt. Dies sind aber keine Beispiele für eine Ausdehnung des Kündigungsschutzes auf den Konzern. Vielmehr kann der Arbeitnehmer bei derartigen Fallgestaltungen einen vertraglichen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber auf Verschaffung eines Arbeitsvertrages haben, weil sich durch die gegebenen Umstände die Fürsorge- und Gleichbehandlungspflicht dahingehend konkretisiert, dass auch eine erweiterte „Versetzungspflicht“ anzunehmen ist5. Der Arbeitgeber hat entsprechend dem ultima-ratio-Prinzip vertraglich weitgespannte Einsatzmöglichkeiten des Arbeitnehmers zunächst auszuschöpfen, bevor er zum einschneidenden Mittel der Kündigung greift.6 S.156)).

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Ein der Arbeitgeberin zurechenbarer Vertrauenstatbestand hinsichtlich der Übernahme einer konzernweiten Weiterbeschäftigungsverpflichtung wird diskutiert bei einer wiederholten Beschäftigung des Arbeitnehmers im Wege der Abordnung in andere Unternehmen. Ausreichend ist dagegen noch nicht das bloße Erteilen von Weisungen durch ein anderes Konzernunternehmen. Vertrauen auf Übernahme in ein rechtlich selbständiges Unternehmen wird der Arbeitnehmer zudem umso weniger haben, als er weiß, dass sein Arbeitgeber nicht die rechtliche Möglichkeit hat, die Übernahme gegenüber dem anderen Konzernunternehmen durchzusetzen7.

Landesarbeitsgericht Baden -Württemberg, Urteil vom 28. September 2015 – 17 Sa 51/14

  1. im Anschluss an BAG 18.09.2003 – 2 AZR 79/02[]
  2. BAG 20.02.2014 – 2 AZR 346/12 12 bis 15 mwN[]
  3. BAG 29.08.2013 – 2 AZR 721/12 15 bis 19; 25.10.2012 – 2 AZR 552/11 29, 30; 12.08.2010 – 2 AZR 558/0920[]
  4. BAG 22.11.2012 – 2 AZR 673/11 39; 18.10.2012 – 6 AZR 41/11 56 bis 58; 24.05.2012 – 2 AZR 62/11 27 bis 28; 23.04.2008 – 2 AZR 1110/06 22; 23.03.2006 – 2 AZR 162/0520 bis 22, 32; 23.11.2004 – 2 AZR 24/04 30 ff; 18.09.2003 – 2 AZR 79/02 36 ff[]
  5. vgl. insbes. BAG 18.09.2003 – 2 AZR 79/02 37 mwN[]
  6. Windbichler – Arbeitsrecht im Konzern § 4 IV 4.a[]
  7. BAG 23.03.2006 – 2 AZR 162/05 27; 23.11.2004 – 2 AZR 24/04 33; 27.11.1991 – 2 AZR 255/91 44[]
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Das Entlassungsverlangen des Betriebsrats