Konzernbetriebsrat – und die Konzernspitze im Ausland

Die Errichtung eines Konzernbetriebsrats für einen Konzern mit deutschen (Tochter-)Gesellschaften kommt nicht in Betracht, wenn die Konzernspitze nicht in Deutschland, sondern im Ausland (hier: in der Schweiz) ansässig ist.

Konzernbetriebsrat – und die Konzernspitze im Ausland

Ein Konzernbetriebsrat kann nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur gebildet werden, wenn das herrschende Unternehmen seinen Sitz im Inland hat oder eine Teilkonzernspitze im Inland besteht1. Diese Rechtsprechung hat teilweise Kritik2, aber auch Zustimmung erfahren3. Das Bundesarbeitsgericht hält nach erneuter Prüfung an seiner Rechtsprechung fest.

§ 54 Abs. 1 Satz 1 BetrVG knüpft an den Konzerntatbestand des § 18 Abs. 1 AktG an. Das Aktiengesetz erstreckt sich nicht auf Konzerne, deren Obergesellschaft ihren Sitz im Ausland hat4. Damit kommt die Errichtung eines Konzernbetriebsrats nur in Betracht, wenn nicht nur die unter einer einheitlichen Leitung zusammengefassten Unternehmen, sondern auch eine Konzernobergesellschaft ihren Sitz im Inland hat5.

Eine Durchbrechung des Territorialitätsprinzips in der Betriebsverfassung, das in § 54 Abs. 1 Satz 1 BetrVG für die Bildung eines Konzernbetriebsrats durch die Bezugnahme auf § 18 Abs. 1 AktG ausdrücklich angeordnet wird, ist nicht durch eine am Sinn und Zweck der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmung im Konzern ausgerichtete Auslegung geboten.

Mit der möglichen Errichtung eines Konzernbetriebsrats will der Gesetzgeber einer Beeinträchtigung betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte infolge konzernspezifischer Entscheidungsstrukturen und der dadurch eröffneten faktischen und rechtlichen Einflussmöglichkeiten des herrschenden Konzernunternehmens entgegenwirken6. Die originären Zuständigkeiten der betriebsverfassungsrechtlichen Organe werden durch das zwingende Prinzip der Zuständigkeitstrennung von Konzernbetriebsrat, Gesamtbetriebsrat und Betriebsrat bestimmt7. Die gesetzlich zwingende und unabdingbare Zuständigkeitsverteilung setzt aber voraus, dass die Errichtung eines Konzernbetriebsrats überhaupt rechtlich möglich ist. Kann ein Konzernbetriebsrat nicht errichtet werden, weil die Konzernobergesellschaft ihren Sitz im Ausland hat, gehen die an sich dem Konzernbetriebsrat zustehenden Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz nicht ersatzlos unter, sondern werden von den Gesamtbetriebsräten und Betriebsräten der konzernangehörigen Unternehmen wahrgenommen8.

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Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte ergeben zudem nur dort einen Sinn, wo wesentliche Entscheidungen in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten getroffen werden und wo die gesetzlichen Mitbestimmungsrechte eingefordert, nötigenfalls gerichtlich durchgesetzt und ggf. auch vollstreckt werden können. Daran fehlt es bei einem Konzern mit einer im Ausland ansässigen Obergesellschaft. Ein im Inland gebildeter Konzernbetriebsrat hätte – anders als beim „Konzern im Konzern“ – keinen „Gegenspieler“9, gegen den Rechte der gesetzlichen Mitbestimmung durchgesetzt und Rechte (insbesondere aus Betriebsvereinbarungen) ggf. vollstreckt werden könnten. Es kann nicht der Entscheidung der im Ausland ansässigen Konzernobergesellschaft überlassen werden, wie sie den Anforderungen einer Konzernmitbestimmung Rechnung trägt10. Die Aufgaben des Konzernbetriebsrats lassen sich auch nicht darauf reduzieren, als eine „Plattform“ für einen Austausch zwischen den Belegschaftsvertretern verschiedener Unternehmen zu fungieren, der letztlich fruchtlos bleibt, wenn sich die Konzernobergesellschaft mit Auslandssitz einer Mitbestimmung verweigert11. Derartiges sieht das Betriebsverfassungsgesetz nicht vor.

Von der Notwendigkeit einer im Inland befindlichen Leitungsmacht geht im Übrigen auch § 82 Abs. 1 Satz 2 ArbGG aus. Danach ist für Angelegenheiten des Konzernbetriebsrats das Arbeitsgericht zuständig, in dessen Bezirk das Unternehmen, hier also die (Teil-)Konzernobergesellschaft, seinen Sitz hat. Eine Zuständigkeitsregelung für Angelegenheiten eines Konzernbetriebsrats in einem Konzern, dessen Konzernspitze sich im Ausland befindet, enthält das Gesetz nicht.

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Die Errichtung eines Konzernbetriebsrats für die inländischen Tochtergesellschaften einer im Ausland ansässigen Konzernobergesellschaft kann auch nicht mit einer analogen Anwendung von § 5 Abs. 3 MitbestG begründet werden. Für eine analoge Anwendung von § 5 Abs. 3 MitbestG fehlt es an der dafür erforderlichen unbewussten Regelungslücke im Gesetz sowie an der Vergleichbarkeit der in § 54 Abs. 1 Satz 1 BetrVG einerseits und in § 5 Abs. 3 MitbestG andererseits geregelten Sachverhalte12. Mangels einer Regelungslücke im Betriebsverfassungsgesetz kommt auch eine analoge Anwendung von § 2 Abs. 2 EBRG nicht in Betracht.

Ein Konzernbetriebsrat kann auch nicht allein deshalb errichtet werden, weil die von der in der Schweiz ansässigen Konzernmuttergesellschaft abhängigen Unternehmen ihren Sitz in Deutschland haben. Der Gesetzgeber geht in § 54 Abs. 1 BetrVG iVm. § 18 Abs. 1 AktG sowie in weiteren Vorschriften (vgl. §§ 56, 76 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5, Abs. 6 BetrVG) von der Existenz eines Konzernarbeitgebers als Träger von Rechten und Pflichten nach dem Betriebsverfassungsgesetz aus. Die inländischen Unternehmen können auch nicht als Verhandlungspartner des Konzernbetriebsrats fungieren. Sie sind rechtlich selbständige juristische Personen und nicht verpflichtet, als Einheit gegenüber dem Konzernbetriebsrat aufzutreten. Sie scheiden daher als „Gegenspieler“ zum Konzernbetriebsrat aus. Außerdem ist die Zuständigkeit auf Unternehmensebene dem jeweiligen Gesamtbetriebsrat vorbehalten, so dass der Konzernbetriebsrat nicht ebenfalls auf dieser Ebene verhandeln kann13. Der Schutzzweck der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmung im Konzern ließe sich schließlich auch nicht erreichen, wenn der Konzernbetriebsrat auf Unterrichtungs- und Beratungsrechte gegenüber den Gesamtbetriebsräten bzw. den Betriebsräten beschränkt wäre, wie dies teilweise im Schrifttum vertreten wird14. § 54 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sieht eine hierauf reduzierte Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats nicht vor.

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Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 23. Mai 2018 – 7 ABR 60/16

  1. BAG 16.05.2007 – 7 ABR 63/06, Rn.20 ff.; 14.02.2007 – 7 ABR 26/06, Rn. 40 ff., BAGE 121, 212; zuletzt offengelassen von BAG 27.10.2010 – 7 ABR 85/09, Rn. 39, BAGE 136, 114[]
  2. vgl. etwa Bachmann RdA 2008, 107 ff.; Buchner FS Birk 2008 S. 11 ff.; Fitting 29. Aufl. § 54 Rn. 34 ff.; Gaumann/Liebermann DB 2006, 1157 ff.; HaKo-BetrVG/Schulze 5. Aufl. § 54 Rn. 21; DKKW/Trittin 16. Aufl. § 54 Rn. 48 ff.[]
  3. vgl. etwa Dzida/Hohenstatt NZA 2007, 945 ff.; Franzen GK-BetrVG 11. Aufl. § 54 Rn. 43; HWGNRH/Glock 10. Aufl. § 54 BetrVG Rn. 21; Henssler ZfA 2005, 289 ff.; Junker SAE 2008, 41 ff.; ErfK/Koch 18. Aufl. § 54 BetrVG Rn. 7; Kort NZA 2009, 464 ff.; Annuß in Richardi BetrVG 16. Aufl. § 54 Rn. 35; Ullrich DB 2007, 2710 ff.[]
  4. so im Ausgangspunkt auch Fitting 29. Aufl. § 54 Rn. 34c[]
  5. BAG 16.05.2007 – 7 ABR 63/06, Rn. 29; 14.02.2007 – 7 ABR 26/06, Rn. 53, BAGE 121, 212[]
  6. BAG 27.10.2010 – 7 ABR 85/09, Rn. 35, BAGE 136, 114; 13.10.2004 – 7 ABR 56/03, zu B IV 1 e cc (1) der Gründe, BAGE 112, 166[]
  7. BAG 14.11.2006 – 1 ABR 4/06, Rn. 34 mwN, BAGE 120, 146; 9.12 2003 – 1 ABR 49/02, zu B II 1 b aa der Gründe mwN, BAGE 109, 71[]
  8. BAG 14.02.2007 – 7 ABR 26/06, Rn. 62, BAGE 121, 212; ErfK/Koch 18. Aufl. § 54 BetrVG Rn. 7; aA Kort NZA 2009, 464, 465; Annuß in Richardi BetrVG 16. Aufl. § 58 Rn. 21[]
  9. ErfK/Koch 18. Aufl. § 54 BetrVG Rn. 7[]
  10. vgl. aber Buchner FS Birk 2008 S. 11, 21; Fitting 29. Aufl. § 54 Rn. 34d[]
  11. vgl. Hohenstatt in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen 5. Aufl. Abschn. D Rn. 146[]
  12. vgl. ausführlich BAG 14.02.2007 – 7 ABR 26/06, Rn. 54 ff., BAGE 121, 212[]
  13. vgl. Franzen GK-BetrVG 11. Aufl. § 58 Rn. 10[]
  14. vgl. DKKW/Trittin 16. Aufl. § 54 Rn. 92; Bachmann RdA 2008, 107, 110; Gaumann/Liebermann DB 2006, 1157, 1158; vgl. auch Buchner FS Birk 2008 S. 11, 21[]
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