Will ein Arbeitnehmer den in einer Betriebsvereinbarung geregelten Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsvertrags geltend machen, muss das Altersteilzeitarbeitsverhältnis innerhalb der Geltungsdauer der Betriebsvereinbarung beginnen. Die Umwandlung eines Arbeitsverhältnisses in ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis muss innerhalb der Laufzeit der Betriebsvereinbarung bewirkt werden1.
Die Betriebsvereinbarung wirkt nicht nach. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 10.12 20132 dargelegt, dass die Voraussetzungen für eine Nachwirkung der Betriebsvereinbarung nach § 77 Abs. 6 BetrVG nicht vorliegen3. Eine Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG tritt nicht ein, wenn ein Arbeitgeber – wie vorliegend die Arbeitgeberin – nach Ablauf der Kündigungsfrist keine Mittel mehr für Aufstockungsleistungen zur Verfügung stellt4. Die Betriebsparteien haben eine Nachwirkung der Betriebsvereinbarung zudem weder ausdrücklich vereinbart, noch folgt sie aus § 77 Abs. 6 BetrVG analog iVm. §§ 4, 5 Abs. 1 Satz 1 GBV EM. Das nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GBV EM bestehende Beteiligungsrecht über die Ausgestaltung von Altersteilzeit wird durch § 4 Abs. 3 Buchst. b 1. Spiegelstrich GBV EM wieder beschränkt. Nach dieser Vorschrift gilt die Erweiterung der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten nicht bei der Entscheidung über die Gewährung freiwilliger sozialer Leistungen. Bei den Aufstockungsleistungen nach der Betriebsvereinbarung handelt es sich um Sozialleistungen, die die Arbeitgeberin ohne vertragliche oder gesetzliche Verpflichtung als Ausgleich für die mit der Reduzierung der individuellen Arbeitszeit verbundenen finanziellen Einbußen der Arbeitnehmer in Altersteilzeit gezahlt hat. Die Entscheidung über die Gewährung solcher Leistungen unterliegt genauso wenig der erweiterten Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GBV EM wie die Entscheidung über die Einstellung dieser Leistungen5. Schließlich findet § 4 Abs. 5 TVG mangels Regelungslücke keine entsprechende Anwendung6.
Etwas anders gilt auch nicht deswegen, weil nur die Aufstockungsleistungen nach § 4 Betriebsvereinbarung eine freiwillige soziale Leistung der Arbeitgeberin darstellten und es sich dabei um einen „ungewichtigen Nebenpunkt“ innerhalb der Betriebsvereinbarung handele. Der Übergang vom Arbeitsverhältnis in ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis ist im Vergleich zur Vereinbarung eines „klassischen“ Teilzeitarbeitsverhältnisses gerade wegen der damit verbundenen Aufstockungsleistungen für den Arbeitnehmer attraktiv7. Es sind die Aufstockungsleistungen, die den Arbeitnehmer motivieren sollen, seinen Arbeitsplatz vorzeitig freizumachen. Mithilfe dieser Arbeitgeberleistungen erhält er über das Teilzeitentgelt hinaus die finanziellen Mittel, die einen Übergang in den gleitenden Ruhestand attraktiv machen und gleichzeitig in etwa seinen bisherigen Lebensstandard sichern8. Es handelt sich bei der Regelung zur Aufstockungsleistung mithin um ein Kernstück der Betriebsvereinbarung und keinesfalls um einen Nebenpunkt untergeordneter Bedeutung.
Der Arbeitnehmer wird durch die Zurückweisung seines Antrags auf Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsvertrags nicht wegen seines Alters benachteiligt.
Der Arbeitnehmer macht nicht geltend, dass die Anknüpfung an das 55. Lebensjahr in § 1 Abs. 1 Betriebsvereinbarung als Anspruchsvoraussetzung altersdiskriminierend iSv. §§ 1, 3 Abs. 1 und Abs. 2, § 7 Abs. 1, § 10 AGG gewesen sei9. Vielmehr ist er der Ansicht, dass die Altersdiskriminierung darin zu sehen sei, dass er wegen der Altersgrenze in § 1 Abs. 1 Betriebsvereinbarung die Voraussetzungen für den Anspruch auf Altersteilzeit während der Geltungsdauer der Betriebsvereinbarung nicht erfüllen und demnach keinen (Erfolg versprechenden) Antrag stellen konnte. In seinem Schriftsatz vom 26.03.2015 hat der Arbeitnehmer ausgeführt, dass es ihm „nicht darum [gehe], dass er bereits mit 54 in die Altersteilzeit wechseln [wolle]“, sondern er „vielmehr die Auffassung [vertrete], dass der vereitelte Zugang zu einer Altersteilzeit mit 55 Jahren altersdiskriminierend [sei]“. Damit rügt der Arbeitnehmer in der Sache die Zurückweisung seines Antrags wegen der Abschaffung der ältere Arbeitnehmer begünstigenden Regelung als Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer.
Dabei legt der Arbeitnehmer ein unzutreffendes Verständnis von § 3 Abs. 1 AGG zugrunde. Die Vorschrift verlangt für eine unmittelbare Benachteiligung eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person in vergleichbarer Situation wegen des Alters. Gemeint ist das Lebensalter10. „Wegen“ seines Alters wird dem Arbeitnehmer aber der Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung nicht verwehrt, sondern weil die anspruchsbegründende betriebliche Vorschrift zum Zeitpunkt der Antragstellung im Frühjahr 2011 nicht mehr galt. Dies wird aus dem Ablehnungsschreiben der Arbeitgeberin vom 07.04.2011 deutlich. Darin wird die Ablehnung damit begründet, dass es nach Ablauf der Kündigungsfrist „keine Rechtsgrundlage“ mehr gebe. Im Schreiben vom 04.05.2011 ist davon die Rede, dass für den Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsvertrags „keine Ermächtigungsgrundlage“ mehr bestehe. Insofern wird der seit Mitte April 2011 55-jährige Arbeitnehmer so behandelt wie alle anderen Kollegen – gleich ob 40, 50- oder 60-jährig, die zu diesem Zeitpunkt einen Antrag auf Altersteilzeit gestellt haben. Der Antrag wird mangels Anspruchsgrundlage abgelehnt.
Die Einbeziehung einer in der Vergangenheit erfolgten Begünstigung der Vergleichsperson in den Wortlaut des § 3 Abs. 1 AGG („erfahren hat“) führt nicht dazu, dass eine unmittelbare Benachteiligung des Arbeitnehmers anzunehmen wäre. Denn dass einem vor dem 31.12 2010 gestellten Antrag eines Kollegen, der zu diesem Zeitpunkt bereits das 55. Lebensjahr vollendet hatte, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen entsprochen worden wäre, ändert nichts an der fehlenden Kausalität zwischen der konkreten Zurückweisung des klägerischen Antrags auf Altersteilzeit und seinem Alter.
Der Umstand, dass dem Arbeitnehmer die Inanspruchnahme von Altersteilzeit während der Geltungsdauer der Betriebsvereinbarung nicht möglich war, weil er die Altersgrenze nach § 1 Abs. 1 Betriebsvereinbarung damals (noch) nicht erreicht hatte, führt ebenfalls zu keiner Altersdiskriminierung. Es ist nicht Sinn und Zweck von §§ 1, 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1, § 10 AGG, zusätzliche Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Abschaffung einer Regelung aufzustellen, die ältere Mitarbeiter begünstigt. Denn jede Beendigung einer solchen Regelung führt zwangsläufig dazu, dass den jüngeren Arbeitnehmern der künftige Wechsel in die Gruppe der begünstigten Arbeitnehmer verwehrt wird. §§ 1, 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1, § 10 AGG dienen jedoch nicht der ewigen Perpetuierung einer altersdifferenzierenden Begünstigung, sondern der Verhinderung von altersbedingten Benachteiligungen. Mit anderen Worten: Das im Hinblick auf die Geltungsdauer einer begünstigenden Regelung „verspätete“ Altwerden wird durch das AGG nicht geschützt.
Aus den gleichen Gründen liegt auch eine mittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 2 AGG nicht vor.
Der Arbeitnehmer hatte unter der Geltung der Betriebsvereinbarung weder eine Anwartschaft noch eine vergleichbare gesicherte Rechtsposition erworben, die ihm durch die Kündigung der Gesamtbetriebsvereinbarung genommen wurde11. Der Arbeitnehmer erleidet lediglich einen Nachteil, den die Kündigung einer begünstigenden kollektiven Vorschrift zu einem bestimmten Termin oder Stichtag typischerweise mit sich bringt. Es besteht kein Anlass, die Folgen der Kündigung einer Betriebsvereinbarung über einen Anspruch auf Altersteilzeit ebenso nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu begrenzen wie die Folgen der Kündigung einer Betriebsvereinbarung über betriebliche Altersversorgung12. Die Einräumung eines Anspruchs auf Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses ist keine Gegenleistung des Arbeitgebers für geleistete Arbeit oder Betriebstreue. Der Arbeitnehmer hat durch den Wegfall der Möglichkeit, in Altersteilzeit zu wechseln, auch keine finanziellen Nachteile, die er nach der Kündigung der Betriebsvereinbarung nicht mehr ausgleichen könnte. Im Gegenteil, der Arbeitnehmer hätte im Rahmen der Altersteilzeit nur einen geringeren Entgeltanspruch gehabt. Ohne den Wechsel in die Altersteilzeit verbleibt es bei seiner bisherigen Vergütung.
Letztlich ergibt sich der Anspruch des Arbeitnehmers auch nicht aus dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser ist – soweit die Arbeitgeberin unter Geltung der Betriebsvereinbarung nach deren Voraussetzungen Altersteilzeit nur bestimmten Arbeitnehmern gewährte – schon nicht anwendbar, weil es sich insoweit um Normenvollzug handelte13.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. April 2015 – 9 AZR 999/13
- BAG 5.06.2007 – 9 AZR 498/06, Rn. 24[↩]
- BAG 10.12 2013 – 1 ABR 39/12, BAGE 147, 19[↩]
- BAG 10.12 2013 – 1 ABR 39/12, Rn. 23 ff., BAGE 147, 19[↩]
- vgl. bereits BAG 5.06.2007 – 9 AZR 498/06, Rn. 22[↩]
- zum Ganzen BAG 10.12 2013 – 1 ABR 39/12, Rn. 32, BAGE 147, 19[↩]
- BAG 10.12 2013 – 1 ABR 39/12, Rn. 35, aaO[↩]
- Däubler/Winter TVG 3. Aufl. § 1 Rn. 559[↩]
- BAG 11.04.2006 – 9 AZR 369/05, Rn. 52, BAGE 118, 1[↩]
- vgl. zur Rechtfertigung einer Altersgrenze für die Gewährung von Altersteilzeit: LAG Düsseldorf 15.12 2010 – 7 Sa 1288/10, zu II 2 a der Gründe; LAG Schleswig-Holstein 22.06.2010 – 5 Sa 415/09, zu II 5 der Gründe; 4.11.2009 – 6 Sa 18/09, zu II 3 c der Gründe[↩]
- BT-Drs. 16/1780 S. 31[↩]
- vgl. zu den Voraussetzungen, nach denen selbst ein entstandener Anspruch, der aus einer kollektiven Norm erwachsen ist, rückwirkend geändert werden kann BAG 2.02.2006 – 2 AZR 58/05, Rn.20 ff., BAGE 117, 53[↩]
- vgl. hierzu BAG 11.05.1999 – 3 AZR 21/98, zu III 2 der Gründe, BAGE 91, 310; Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto BetrAVG 6. Aufl. Anh. § 1 Rn. 593[↩]
- vgl. BAG 16.10.2014 – 6 AZR 661/12, Rn. 54 mwN[↩]










