Kündigung in Unkenntnis der Schwangerschaft der Arbeitnehmer – Diskriminierung wegen des Geschlechts?

Wird einer Arbeitnehmerin gekündigt, ohne dass Kenntnis von ihrer Schwangerschaft bei Zugang der Kündigungserklärung besteht, so ist weder die Kündigung selbst noch ein „Festhalten“ an der Kündigung Indiz für eine Benachteiligung wegen des Geschlechts.

Kündigung in Unkenntnis der Schwangerschaft der Arbeitnehmer – Diskriminierung wegen des Geschlechts?

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis fristgemäß in der Probezeit. Binnen einer Woche machte die Klägerin unter Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Bescheinigung geltend, bei Zugang der Kündigung schwanger gewesen zu sein. Sie forderte die Beklagte auf, innerhalb einer weiteren Woche mitzuteilen, dass sie an der Kündigung „nicht festhalte“, damit sie keine Klage erheben müsse. Das erklärte die Beklagte zunächst nicht. Nachdem der Betriebsarzt einen Monat später sowohl die Schwangerschaft als auch ein zwischenzeitlich ausgesprochenes Beschäftigungsverbot bestätigt hatte, erklärte die Beklagte nach Wochen eine „Rücknahme“ der Kündigung. Die Klägerin lehnte in der Folgezeit jedoch eine außergerichtliche Einigung ab. Schließlich gab die Beklagte vor dem Arbeitsgericht eine Anerkenntnis-Erklärung ab, worauf die Unwirksamkeit ihrer Kündigung festgestellt wurde.

Wie schon vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht Hamm1 blieb die Klage auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern wegen Benachteiligung aufgrund des Geschlechts auch vor dem Bundesarbeitsgericht ohne Erfolg. Die Kündigung konnte schon deswegen keine Benachteiligung der Klägerin aufgrund ihres weiblichen Geschlechts sein, weil die Arbeitgeberin bei der Erklärung der Kündigung keine Information über die Schwangerschaft der Klägerin hatte. Die verlangte Rücknahme der Kündigung war rechtstechnisch nicht möglich, über die Notwendigkeit einer einvernehmlichen Verständigung der Parteien zeigte sich die Klägerin nicht hinreichend informiert. Ein Streit darüber, ob die besonderen Anspruchsvoraussetzungen des § 11 MuSchG auf Zahlung von Mutterschutzlohn vorliegen, ist für sich genommen nicht schon deswegen eine Diskriminierung, weil nur Frauen diesen besonderen Anspruch geltend machen können.

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Es ist umstritten, welche Bedeutung § 2 Abs. 4 AGG im Einzelnen zukommt2. Jedenfalls sind die Diskriminierungsverbote des AGG einschließlich der im Gesetz vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Kündigungsschutzgesetzes in der Weise zu beachten, als sie Konkretisierungen des Sozialwidrigkeitsbegriffs darstellen. Verstößt eine ordentliche Kündigung gegen Benachteiligungsverbote des AGG (§§ 1 bis 10 AGG), so kann dies zur Sozialwidrigkeit der Kündigung nach § 1 KSchG führen. § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen3.

Ob die Ausschließlichkeitsanordnung des § 2 Abs. 4 AGG, unabhängig von der Erhebung einer Kündigungsschutzklage und ungeachtet der Unwirksamkeit einer diskriminierenden Kündigung, darüber hinaus den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG nicht „sperrt“4, kann das Bundesarbeitsgericht im vorliegenden Fall dahinstehen lassen. Denn selbst bei unterstellter Anwendbarkeit des § 15 Abs. 2 AGG sind die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Entschädigungszahlung nicht erfüllt.

Die Klägerin hat einen Entschädigungsanspruch nicht für alle von ihr angeführten Diskriminierungssachverhalte rechtzeitig innerhalb der Fristen der § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht.

Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss ein Anspruch nach Abs. 1 oder Abs. 2 des § 15 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Im Falle einer Bewerbung beginnt die Frist grundsätzlich mit dem Zugang der Ablehnung (§ 15 Abs. 4 Satz 2 AGG), nicht jedoch vor dem Zeitpunkt, in dem der Bewerber von seiner Benachteiligung Kenntnis erlangt5.

Auch bei dem Erhalt einer Kündigung beginnt die Frist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Gekündigte von seiner Benachteiligung Kenntnis erlangt hat. Dies muss nicht mit dem Zugang der Kündigung zusammenfallen, ist aber vorliegend jedenfalls für den 22.11.2010 anzunehmen, da unter diesem Datum die Anwälte der Klägerin die Mitteilung an die Beklagte verfassten, die Klägerin sei schwanger. Jedenfalls ab dem 22.11.2010 wusste die Klägerin zum einen um die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung, zum anderen, dass sie schwanger war und hatte damit Kenntnis von allen Umständen, die eine Benachteiligung wegen ihres Geschlechts ausmachen konnten. Den Entschädigungsanspruch hat die Klägerin jedoch nicht bis 22.01.2011 geltend gemacht, sondern erst durch die Klageerweiterung vom 08.02.2011, der Beklagten am 15.02.2011 zugestellt. Dies wahrt die Frist des § 15 Abs. 4 AGG nicht, soweit die Klägerin an den Ausspruch der Kündigung anknüpfen will. Die Klageerhebung wahrt aber hinsichtlich der Sachverhalte „Festhalten an der Kündigung“ und „Streit um den Mutterschutzlohn“ die Frist des § 15 Abs. 4 AGG.

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Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht Hamm erkannt, dass die Klägerin nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden ist.

Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, wobei vorliegend die Klägerin eine Benachteiligung wegen ihres Geschlechts geltend macht. Der Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligenden Handlung und dem Geschlecht der Klägerin ist dann gegeben, wenn die Benachteiligung an das Geschlecht der Klägerin anknüpft oder dadurch motiviert ist6. Ausreichend ist, dass ein in § 1 AGG genannter Grund Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst hat7. Nach der gesetzlichen Beweislastregelung des § 22 AGG genügt es, dass der Anspruchsteller im Streitfall Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Sodann trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat.

Als benachteiligende Handlung der Beklagten kommt unabhängig von der insoweit nicht gewahrten Frist des § 15 Abs. 4 AGG, aber im Rahmen einer Gesamtbetrachtung die der Klägerin unter dem 18.11.2010 ausgesprochene ordentliche, fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht.

Dass der Klägerin als Frau eine Kündigung ausgesprochen wurde, lässt für sich genommen keinen Schluss auf die Vermutung einer Ursächlichkeit zwischen der (zu ihren Gunsten als Benachteiligung gewerteten) Kündigungserklärung und ihrem Geschlecht als Diskriminierungsmerkmal zu. Ein in der Person des Anspruchstellers erfülltes Diskriminierungsmerkmal vermag eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine gesetzwidrige Motivation der Kündigungsentscheidung oder deren Verknüpfung mit einem pönalisierten Merkmal nach § 1 AGG nicht zu begründen8. Der während der Probezeit erklärten Kündigung sind – sie wurde fristgemäß erklärt – keine Hinweise für eine Anknüpfung an ein Diskriminierungsmerkmal zu entnehmen. Die Beklagte hat die Kündigung auch erst ausgesprochen, nachdem der sechswöchige Zeitraum für die Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG abgelaufen war.

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Die Klägerin war im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung schwanger. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass die Beklagte dies nicht wusste. Diese Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin nicht mit einer Revisionsrüge angegriffen. Die geschlechtsspezifische, nur Frauen betreffende Tatsache einer Schwangerschaft kann bei Ausspruch der Kündigung keine Rolle gespielt haben.

Die Benachteiligung ist auch nicht darin zu sehen, dass die Beklagte, nachdem ihr die Schwangerschaft der Klägerin bekannt gemacht wurde, an der Kündigung „festgehalten“ hat.

Die Missachtung der zugunsten der werdenden Mutter gesetzlich bestehenden Schutzpflichten durch den Arbeitgeber kann Indizwirkung für die Benachteiligung wegen des Geschlechts haben. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 MuSchG ist die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft auch dann unzulässig, wenn dem Arbeitgeber „zur Zeit der Kündigung“ die Schwangerschaft zwar unbekannt war, sie ihm aber innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.

Die Klägerin hat durch Anwaltsschreiben vom 22.11.2010 und sodann durch weiteres Anwaltsschreiben vom 25.11.2010 unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung die Beklagte über ihre Schwangerschaft unterrichtet. Spätestens mit Zugang dieses zweiten Anwaltsschreibens musste die Beklagte damit rechnen, dass ihre Kündigung nach § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG unzulässig war. Diese sich nach Ausspruch einer an sich diskriminierungsfreien Kündigung herausstellende Unzulässigkeit der Kündigung wegen bestehender Schwangerschaft entspricht der Europäischen Rechtslage, die in Art. 10 der Richtlinie 92/85 ebenfalls allein auf die Tatsache der Schwangerschaft und nicht auf die Kenntnis des Kündigenden von dieser abstellt9.

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Die Klägerin hatte schon mit ihrem Schreiben vom 22.11.2010 die Beklagte gebeten, um keine Klage erheben zu müssen, bis zum 29.11.2010 zu erklären, dass „sie an der Kündigung nicht festhalte“. Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen, vielmehr hat sie in der Folgezeit die Klägerin aufgefordert, ihre Angaben durch eine betriebsärztliche Untersuchung bestätigen zu lassen.

Diesem „Festhalten“ an einer möglicherweise unzulässigen Kündigung kommt Indizwirkung iSd. § 22 AGG nicht zu. Dass die Beklagte nicht bis zum 29.11.2010 mitgeteilt hat, an der Kündigung nicht „festzuhalten“, „damit wir hier keine Klage erheben müssen“, wirkte sich im Gegenteil rechtswahrend für die Klägerin aus.

Auch die schwangere Arbeitnehmerin ist gehalten, den gesetzlichen Unwirksamkeitsgrund des § 9 Abs. 1 MuSchG innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG vor dem Arbeitsgericht geltend zu machen. Die fehlende Zustimmung der obersten Landesbehörde nach § 9 Abs. 3 MuSchG führt nicht zur Nichtigkeit der Kündigung, außerdem müssten auch Unwirksamkeits- und Nichtigkeitsgründe innerhalb der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG geltend gemacht werden10. Die von der Klägerin verlangte Mitteilung, „an der Kündigung nicht festzuhalten“ hätte also, wäre sie erfolgt, eine Klageerhebung wegen der Frist des § 4 Satz 1 KSchG nicht überflüssig gemacht.

Als einseitiges Rechtsgeschäft kann die zugangsbedürftige Willenserklärung der Kündigung nach dem Zugang an den Gekündigten vom Kündigenden grundsätzlich nicht mehr einseitig zurückgenommen werden11. Die Gestaltungswirkung seiner Willenserklärung kann der kündigende Arbeitgeber nicht mehr allein beseitigen, eine einseitige Kündigungsrücknahme ist ihm verwehrt. Die Wirkungen einer Kündigung können nur durch eine Vereinbarung beseitigt werden, durch die der gekündigte Arbeitnehmer ein Fortsetzungsangebot des Arbeitgebers annimmt. Steht nicht endgültig fest, ob der Arbeitnehmer das Angebot des Arbeitgebers auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses annehmen will, muss er vorsorglich Kündigungsschutzklage erheben, um die Wirkung des § 7 KSchG zu vermeiden. Sogar bei einer offensichtlich rechtsunwirksamen Kündigung gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam, wenn der betroffene Arbeitnehmer sich nicht rechtzeitig mit einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung wendet und ihre Rechtsunwirksamkeit nicht rechtzeitig geltend macht.

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Bundesarbeitsgericht Urteil vom 17. Oktober 2013 – 8 AZR 742/12

  1. LAG Hamm, Urteil vom 16.05.2012 – 3 Sa 1420/11[]
  2. vgl. zB Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz Rn. 103 ff.; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 55 ff.; Schleusener/Suckow/Voigt/Schleusener AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 29 ff.; Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 256 ff.; ErfK/Schlachter 13. Aufl. § 2 AGG Rn. 17 f.[]
  3. BAG 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, Rn. 28, BAGE 128, 238 = AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 182 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 82[]
  4. so zB KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 27; Stein in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 2 Rn. 50; Meinel/Heyn/Herms AGG § 2 Rn. 66 und § 15 Rn. 55; Schleusener/Suckow/Voigt/Schleusener AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 30; ebenso – im Hinblick auf das gemeinschaftsrechtliche Sanktionsgebot in der Form eines Schadensausgleichs – Jacobs RdA 2009, 193, 196 und Stoffels RdA 2009, 204, 211; aA zB Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 59; Sagan NZA 2006, 1257[]
  5. vgl. BAG 15.03.2012 – 8 AZR 37/11, Rn. 55, BAGE 141, 48 = AP AGG § 15 Nr. 11 = EzA AGG § 15 Nr. 18[]
  6. BT-Drs. 16/1780 S. 32[]
  7. BAG 22.01.2009 – 8 AZR 906/07, Rn. 37, BAGE 129, 181 = EzA AGG § 15 Nr. 1[]
  8. st. Rspr., vgl. BAG 22.10.2009 – 8 AZR 642/08, Rn. 28 f.; zuletzt 25.04.2013 – 8 AZR 287/08 – [Meister] Rn. 37[]
  9. vgl. EuGH 29.10.2009 – C-63/08 – [Pontin] Rn. 27, 37 bis 48, Slg. 2009, I-10467[]
  10. vgl. BAG 9.06.2011 – 2 AZR 703/09, Rn. 22[]
  11. BAG 29.01.1981 – 2 AZR 1055/78, zu II 2 a der Gründe, BAGE 35, 30; vgl. 26.11.1981 – 2 AZR 509/79, BAGE 37, 135; 19.08.1982 – 2 AZR 230/80, zu II 2 a der Gründe, BAGE 40, 56; Thüsing AuR 1996, 245; Fischer NZA 1999, 459; HaKo/Gallner 3. Aufl. § 4 KSchG Rn. 79[]
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