Wer durch die Vorlage einer nicht auf einer ärztlichen Untersuchung beruhenden Bescheinigung versucht, seinen Arbeitsgeber über seine Impfunfähigkeit zu täuschen, verstößt in schwerwiegender Weise gegen seine auf § 20a Abs. 2 Satz1 IFSG beruhende arbeitsvertragliche Nebenpflicht. Etwaige arbeitsrechtliche Maßnahmen im Fall der Vorlage einer inkorrekten Impfunfähigkeitsbescheinigung obliegen nicht dem Gesundheitsamt, sondern allein dem Arbeitgeber.

In dem hier vom Arbeitsgericht Lübeck entschiedenen Fall streiten die Parteien über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, hilfsweise einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist. Die Krankenschwester steht bei der Arbeitgeberin seit 01.05.2004 in einem Arbeitsverhältnis als Krankenschwester. Die Krankenschwester ist aufgrund tarifvertraglicher Regelungen ordentlich unkündbar. Mit Schreiben vom 17.12.2021 informierte die Arbeitgeberin die bei ihr Beschäftigten über die zum 16.03.2022 eintretende einrichtungsbezogene Impfpflicht gem. § 20a Abs. 1 IfSG und bat bis zum 15.01.2022 um Vorlage eines der gem. § 20a Abs. 2 IfSG geforderten Nachweise. Die Krankenschwester legte der Arbeitgeberin eine „Impfunfähigkeitsbescheinigung“ vor. Die Arbeitgeberin legte die von der Krankenschwester vorgelegte Bescheinigung dem Gesundheitsamt gem. § 20a Abs. 2 Satz 2 IfSG vor. In der Folge teilte Gesundheitsamt der Arbeitgeberin mit: „Nach Überprüfung der vorgelegten Bescheinigungen Ihrer Mitarbeiterinnen stelle ich fest, dass sie aus dem Internet heruntergeladen sind und somit nicht auf einer ärztlichen Untersuchung beruhen. Zudem ist die die ärztliche Bescheinigung unterzeichnende Ärztin nicht bekannt.“ Nach Anhörung des bei ihr gebildeten Betriebsrats und der vom Betriebsrat erklärten Zustimmung sprach die Arbeitgeberin gegenüber der Krankenschwester innerhalb der Kündigungserklärungsfrist gem. § 626 Abs. 2 BGB eine außerordentliche Kündigung, hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist aus. Das Arbeitsgericht Lübeck stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Auslauffrist beendet wird und und wies die von der Krankenschwester erhobene Kündigungsschutzklage im Übrigen ab:
Auf die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes kam es vorliegend nicht an, da die Krankenschwester tarifvertraglich ordentlichen unkündbar ist, so dass es für die Begründetheit der streitgegenständlichen Kündigung allein darauf ankam, ob die Krankenschwester in schwerwiegender Weise gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten gem. § 626 Abs. 1 BGB verstoßen hat.
§ 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die erforderliche Überprüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt einen wichtigen Grund darstellt vollzieht sich zweistufig. Im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht1.
Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Krankenschwester hat durch die Vorlage der Bescheinigung, eines nicht auf einer ärztlichen Untersuchung beruhenden Dokuments, versucht, die Arbeitgeberin über ihre Impfunfähigkeit zu täuschen. Damit hat sie in schwerwiegender Weise gegen ihre auf § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG beruhenden arbeitsvertraglichen Nebenpflicht verstoßen.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Krankenschwester das Dokument aus dem Internet heruntergeladen hat und die Eintragungen dort tatsächlich nicht auf einer ärztlichen Begutachtung, weder persönlich noch virtuell, beruhen. Da das Suchen einer solchen Bescheinigung im Internet nebst Herunterladen und Ausdruck, ggf. gegen Bezahlung, ein aktives Handeln der Krankenschwester voraussetzt, kann unterstellt werden, dass die Krankenschwester wusste, dass es sich bei der von ihr der Arbeitgeberin vorgelegten Bescheinigung um eine nicht auf einer ärztlichen Untersuchung beruhenden Bescheinigung handelte, die nicht ansatzweise einen Nachweis noch nicht einmal Anhaltspunkte für eine bestehende Impfunfähigkeit belegen kann. Zugunsten der Krankenschwester ist auch nicht zu berücksichtigen, dass sie sich durch die Vorlage dieser Bescheinigung über das Gesundheitsamt den Weg zu einer ärztlichen Begutachtung wegen einer bestehenden Impfunfähigkeit ebnen wollte. Für das Gericht blieb auch nach den ausführlichen Erörterungen mit den Parteien im Arbeitsgerichttermin unklar, weshalb die Krankenschwester nicht von der ebenfalls im Infektionsschutzgesetz vorgesehenen Möglichkeit, keinen Nachweis vorzulegen, Gebrauch gemacht hat. Denn auch bei der Nichtvorlage eines Nachweises, folgt gem. § 20a Abs. 2 Satz 2 IfSG die Einschaltung des Gesundheitsamtes durch den Arbeitgeber.
Entgegen der Ansicht der Krankenschwester obliegt nicht ausschließlich dem Gesundheitsamt in dem hier streitigen Fall das Ergreifen von Maßnahmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Infektionsschutzgesetz die Voraussetzungen und Rechtsfolgen regelt, die durch das Gesundheitsamt, mithin öffentlich-rechtlich, zu bescheiden sind. Unabhängig von diesen Regelungen bestehen im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, wie es auch zwischen der Krankenschwester und der Arbeitgeberin besteht, arbeitsvertragliche Pflichten und Nebenpflichten, die nunmehr u.a. auch aus § 20a Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1-3 IfSG folgen. Sofern ein Beschäftigter also der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gem. § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG unterliegt, hat er im Fall der Vorlage einer der Nachweise gem. § 20a Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1-3 IfSG ordnungsgemäße und korrekte Nachweise vorzulegen. Etwaige arbeitsrechtliche Maßnahmen könnte das Gesundheitsamt auch kraft seiner hoheitlichen Aufgaben auch gar nicht aussprechen, sondern dies obliegt allein dem Arbeitgeber. Die Krankenschwester verkennt hier darüber hinaus, dass die Arbeitgeberin davon überzeugt war und ist, dass die von ihr vorgelegte Bescheinigung gefälscht war, so dass auch die von der Klägerseite angesprochene Sperrwirkung des Infektionsschutzgesetzes schon aus dem Grund nicht einschlägig sein kann, da die Arbeitgeberin nur bei einem Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit dem Gesundheitsamt die Bescheinigung hätte vorlegen müssen. Dass die Arbeitgeberin trotzdem vor dem Ergreifen arbeitsrechtlicher Konsequenzen das Gesundheitsamt … einbezogen hat, entspricht dem Grundsatz eines sorgfältig handelnden Arbeitgebers, der nicht vorschnell arbeitsrechtliche Maßnahmen ergreift. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass bei Vorlage eines gefälschten Nachweises durch den Beschäftigten, wenn keine Zweifel an der Unechtheit bestehen, selbst nach dem Infektionsschutzgesetz keine Vorlagepflicht beim Gesundheitsamt besteht und schon aus dem Grund die von der Klägerseite angenommene Sperrwirkung des Infektionsschutzgesetzes nicht eingreifen kann. Unabhängig davon handelt es sich bei den Regelungen des Infektionsschutzgesetzes und des Arbeitsrechts um zwei eigenständig nebeneinander existente, mit eigenen Voraussetzungen und Rechtsfolgen ausgestattete Rechtsgebiete, wobei das Arbeitsgericht vorliegend einzig über den Vorwurf einer schwerwiegenden arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung innerhalb des Arbeitsverhältnisses zu entscheiden hat.
Zu Lasten der Krankenschwester ist weiter auszuführen, dass sie die Wahl hatte auch keinen Nachweis vorzulegen. Aus welchen Gründen sie sich dennoch für die Vorlage eines gefälschten, noch dazu gemäß Infektionsschutzgesetz nicht existenten, „vorläufigen“ Impfunfähigkeitsnachweises entschieden hat, ließ sich auch nach den ausführlichen Erörterungen mit den Parteien im Arbeitsgerichttermin nicht abschließend klären.
Für die Annahmen der Krankenschwester sprechen auch nicht die Handreichungen des Bundesministeriums für Gesundheit, dort Ziffern 21 und 22. Unabhängig davon, dass sich daraus keine Rechtsfolgen ableiten, enthalten die Ausführungen ausschließlich Hinweise zum Vorgehen, wenn kein Nachweis vorgelegt wird. Das Papier verhält sich ausdrücklich nicht dazu, welche Folgen die Vorlage falscher Nachweise haben könnte.
Entgegen den Darlegungen der Krankenschwester enthält das Informationsschreiben der Arbeitgeberin auch keine Drohungen. Hier ist zunächst klarzustellen, dass die Krankenschwester noch nicht einmal behauptet, dass sie sich durch das vorgenannte Schreiben bedroht fühlte. Die Krankenschwester spricht allein davon, dass das Schreiben von Mitarbeitern der Arbeitgeberin als Drohung aufgefasst werden konnte.
Entgegen der Ansicht der Krankenschwester hat die Arbeitgeberin in dem vorgenannten Schreiben auch keine „Falschbeauskunftung“ vorgenommen. Sofern die Arbeitgeberin die innerbetriebliche Entscheidung trifft, dass sie ab 15.03.2022 verpflichtete Personen ohne ausreichenden Nachweis des Impfschutzes gegen das Corona-Virus nicht mehr beschäftigt, obliegt das ihrem Direktionsrecht, ggf. mit möglichen Auswirkungen auf etwaige Annahmeverzugsansprüche, die vorliegend jedoch nicht streitig sind.
Im Ergebnis ist sowohl dem Grunde als auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls vorliegend durch die Krankenschwester eine schwerwiegende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung begangen worden. Erschwerend kommt die fehlende Einsichtsfähigkeit der Krankenschwester hinzu, so dass vorliegend auch eine Abmahnung als milderes Mittel nicht von der Arbeitgeberin, selbst unter Berücksichtigung der langen Betriebszugehörigkeit der Krankenschwester, ausgesprochen werden musste.
Einzig unter Berücksichtigung der langen Betriebszugehörigkeit der Krankenschwester von ca.20 Jahren kommt das Gericht bei der abschließend vorzunehmenden Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass hier allein aus sozialen Erwägungen die hilfsweise außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 31.07.2022 angemessen und verhältnismäßig ist und das Arbeitsverhältnis damit mit Ablauf des 31.07.2022 enden wird.
Arbeitsgericht Lübeck, Urteil vom 13. April 2022 – 5 Ca 189/22
- BAG Urteil vom 23.06.2009, 2 AZR 103/08[↩]