Massenentlassungsanzeige – und die aufgelöste Betriebsstruktur

Der in § 17 KSchG geregelte besondere Kündigungsschutz bei Massenentlassungen unterfällt in zwei getrennt durchzuführende Verfahren mit jeweils eigenen Wirksamkeitsvoraussetzungen, nämlich die in § 17 Abs. 2 KSchG normierte Pflicht zur Konsultation des Betriebsrats einerseits und die in § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG geregelte Anzeigepflicht gegenüber der Agentur für Arbeit andererseits. Beide Verfahren stehen selbstständig nebeneinander und sind auch vor einer Betriebsstilllegung durchzuführen1.

Massenentlassungsanzeige – und die aufgelöste Betriebsstruktur

Dies gilt ebenso bei Nachkündigungen2.Zwar kann man dann insbesondere den Sinn einer erneuten Massenentlassungsanzeige in Frage stellen, weil die Agentur für Arbeit schon aufgrund der zwischenzeitlichen Arbeitslosmeldungen der betroffenen Arbeitnehmer ihre Vermittlungsbemühungen begonnen hat oder solche nicht (mehr) erforderlich waren, weil die Arbeitnehmer wieder Arbeitsverhältnisse begründet haben. Der Gesetzgeber hat jedoch keine entsprechenden Ausnahmen in § 17 KSchG vorgesehen.

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall hat der Insolvenzverwalter eine nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG anzeigepflichtige Massenentlassung beabsichtigt. Als Betrieb iSv. § 17 Abs. 1 KSchG ist dabei entgegen der Auffassung der Revision die frühere Station Düsseldorf anzusehen. Von den ehemals knapp 360 Beschäftigten, welche dieser Station zugeordnet und deren Arbeitsverhältnisse noch nicht beendet waren, sollten alle nahezu zeitgleich entlassen werden, soweit nicht behördliche Zustimmungsverfahren zu durchlaufen waren. Der Schwellenwert des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG ist damit bezogen auf den Zeitraum von 30 Kalendertagen überschritten.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der Betriebsbegriff des § 17 Abs. 1 KSchG wegen Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Unterabs. i der Richtlinie 98/59/EG (sog. Massenentlassungsrichtlinie, MERL) unionsrechtlich determiniert. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist der Begriff „Betrieb“ dahin auszulegen, dass er nach Maßgabe der Umstände die Einheit bezeichnet, der die von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgabe angehören. Es muss sich um eine unterscheidbare Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stabilität handeln, die zur Erledigung einer oder mehrerer bestimmter Aufgaben bestimmt ist und über eine Gesamtheit von Arbeitnehmern sowie über technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung dieser Aufgaben verfügt. Da die MERL die sozioökonomischen Auswirkungen betrifft, die Massenentlassungen in einem bestimmten örtlichen Kontext und einer bestimmten sozialen Umgebung hervorrufen können, muss die fragliche Einheit weder rechtliche noch wirtschaftliche, finanzielle, verwaltungsmäßige oder technologische Autonomie besitzen, um als „Betrieb“ qualifiziert werden zu können3.

Bezogen auf die im November 2017 und Januar 2018 erklärten Kündigungen hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass die Station der Schuldnerin am Flughafen Düsseldorf für das dorthin zugeordnete Personal den Betrieb iSd. MERL und damit des § 17 KSchG darstellt4.

Gleiches gilt auch bezüglich der Nachkündigungen, welche wegen der Unwirksamkeit der ersten Kündigungen erklärt wurden. Dabei ist entgegen der Revision ohne Belang, dass die Station Düsseldorf ebenso wie die anderen Stationen als „unterscheidbare Einheit“ im Zeitpunkt des Kündigungszugangs im August 2020 nicht mehr existierte. Entscheidend ist, dass die Beschäftigten der vormaligen Station Düsseldorf bis dahin keiner anderen Organisationseinheit zugeordnet worden waren. Weder die Schuldnerin noch der Insolvenzverwalter nahmen eine Umstrukturierung des Gesamtbetriebs zur Fortführung der Geschäftstätigkeit oder im Zusammenhang mit dessen Abwicklung vor. Stattdessen wurde der Flugbetrieb zum 31.12.2017 vollständig eingestellt. Für das fliegende Personal, welches nicht in der Zentrale in Berlin mit Abwicklungsarbeiten betraut wurde, verblieb es daher formell bei der zuletzt maßgeblichen Stationszugehörigkeit, auch wenn es überwiegend schon zum 1.11.2017 freigestellt worden war. Ein organisatorischer Bezug zum Unternehmenssitz in Berlin wurde für diese Beschäftigtengruppe nicht mehr begründet. Damit blieb auch der örtliche Kontext zu Düsseldorf gewahrt. Die durch die Schließung der Station in Düsseldorf ausgelöste Massenentlassung hat nach der Konzeption der MERL und des § 17 Abs. 1 KSchG auch nach der Betriebsstilllegung allein dort ihre sozioökonomischen Auswirkungen, so dass das Massenentlassungsverfahren nach wie vor in der aufgelösten Struktur durchzuführen war. Ob bezogen auf die Luftfahrtbranche tatsächlich ein globalisierter Arbeitsmarkt besteht, ändert an dieser typisierenden, branchenunabhängigen Konzeption nichts.

Der Insolvenzverwalter hat das Konsultationsverfahren wirksam durchgeführt.

Die auf tarifvertraglicher Grundlage gebildete und für das Kabinenpersonal zuständige PV Kabine als zuständiges Gremium wurde im Konsultationsverfahren ordnungsgemäß nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG unterrichtet. Dies hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei entschieden.

Das Konsultationsverfahren ist vor Folgekündigungen noch einmal durchzuführen, wenn – wie hier – abermals ein Massenentlassungstatbestand vorliegt und noch eine beteiligungsfähige Arbeitnehmervertretung besteht5.

Der Insolvenzverwalter hat das Konsultationsverfahren mit Schreiben vom 17.04.2020 rechtzeitig eingeleitet. Der Rechtzeitigkeit steht nicht entgegen, dass die Stilllegung bei der Verfahrenseinleitung bereits unumkehrbar war. Dies war hier unvermeidbar, weil die Nachkündigungen, wie dargelegt, auf derselben Stilllegungsentscheidung wie die formunwirksamen vorausgegangenen Kündigungen beruhten und die Stilllegung zwischenzeitlich vollzogen worden war. Insbesondere waren im Zeitpunkt der Nachkündigungen die für die Aufrechterhaltung des Flugbetriebs erforderlichen Lizenzen und Genehmigungen seit mehr als zwei Jahren erloschen. Es genügte, das Konsultationsverfahren rechtzeitig vor Erklärung der Nachkündigungen einzuleiten6. Anderenfalls wäre eine Nachkündigung in dieser Konstellation rechtlich unmöglich, weil mangels möglicher Einflussnahme der Arbeitnehmervertretung auf die Stilllegungsentscheidung ein Konsultationsverfahren niemals mehr rechtzeitig eingeleitet werden könnte7. Die Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung zur Stilllegung des Betriebs wäre dann ausgeschlossen. Die MERL lässt als lediglich teilharmonisierendes Unionsrecht aber die unternehmerische Entscheidungsfreiheit unangetastet und regelt nur das bei Massenentlassungen erforderliche Verfahren, wobei Entlassungen nach dessen ordnungsgemäßer Durchführung möglich bleiben müssen8. § 17 Abs. 2 KSchG statuiert als bloßes Umsetzungsrecht deshalb kein Verbot solcher Nachkündigungen, sondern knüpft an die der Planung zugrundeliegenden tatsächlichen Verhältnisse an. Die Einflussnahmemöglichkeit der Arbeitnehmervertretung reduziert sich dann faktisch auf die Abmilderung der Stilllegungsfolgen.

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Der Insolvenzverwalter hat der PV Kabine die zweckdienlichen Auskünfte erteilt und dabei die nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 6 KSchG geforderten Angaben gemacht. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei unter Bezugnahme auf die Schreiben des Insolvenzverwalters vom 17.04.2020 und 20.05.2020 eine ausreichende schriftliche Unterrichtung bejaht.

Der Insolvenzverwalter hat schon im Schreiben vom 17.04.2020 die Gründe für die geplanten Entlassungen unter Darstellung des bisherigen Verlaufs des Insolvenzverfahrens benannt. Dabei hätte schon die Angabe genügt, dass nicht beabsichtigt sei, den stillgelegten Betrieb wieder aufzunehmen9. Die Zahl und Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer wurde bezogen auf die Station Düsseldorf als den Betrieb iSv. § 17 Abs. 1 KSchG mitgeteilt. Da keine Sozialauswahl beabsichtigt war, erübrigte sich die Benennung von Auswahlkriterien. Gleiches gilt bezüglich der Berechnung von Abfindungen. Die Revision erhebt insoweit auch keine Rügen.

Der Revisionsangriff richtet sich vielmehr gegen die Ansicht des Landesarbeitsgerichts, der Insolvenzverwalter habe bereits im Schreiben vom 17.04.2020 den Zeitraum, in dem die (geplanten) Entlassungen vorgenommen werden sollten, hinreichend iSv. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KSchG benannt. Nach Auffassung der Revision fehlt es an der Angabe des Endes des geplanten Zeitraums. Diese Rüge, welche sich auf einen Rechtsfehler und nicht auf einen Verfahrensfehler bezieht, ist unbegründet.

Im Ausgangspunkt geht die Revision zutreffend davon aus, dass unter einem Zeitraum eine bestimmte Zeit bzw. eine Zeitspanne zu verstehen ist10. Dies beinhaltet bei der Angabe eines Zeitraums dessen von Beginn und Ende eingegrenzte Dauer. Zu Gunsten der Revision kann unterstellt werden, dass dieses Sprachverständnis auch für Art. 2 Abs. 3 Satz 1 Buchst. b Unterabs. iv MERL, welchen § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KSchG umsetzt, gilt. Dann müsste der Zeitraum angegeben werden, in dem die beabsichtigten Kündigungen den betroffenen Arbeitnehmern zugehen werden. Das wäre insoweit systemkonform, als der Massenentlassungsschutz an den Zugang der Kündigungserklärung anknüpft11.

Im Zeitpunkt der Einleitung des Konsultationsverfahrens kann der Arbeitgeber jedoch noch nicht angeben, wann die Kündigungen zugehen werden, denn dies hängt vom Verlauf des Konsultationsverfahrens, insbesondere dessen Dauer, ab. Ob und wie viele Kündigungen zu welchem Zeitpunkt erfolgen sollen, ist zudem gerade Gegenstand der zu führenden Beratungen. Es genügt daher jedenfalls zu Beginn des Konsultationsverfahrens die Mitteilung des Monats, in dem der Arbeitgeber nach seinem aktuellen Planungsstand die Kündigungen erklären will12. Dies entspricht der bereits erwähnten unionsrechtlich determinierten Zielsetzung des Konsultationsverfahrens, welches der Arbeitnehmervertretung Einfluss auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen soll, um ggf. Massenentlassungen zu vermeiden bzw. zu beschränken oder zumindest deren Folgen durch soziale Begleitmaßnahmen zu mildern13. Das Bundesarbeitsgericht hat dementsprechend bei Angabe der Kündigungsfristen die Angabe ausreichen lassen, die Kündigungen sollten „möglichst im Juli ausgesprochen“ werden14.

Ob der Arbeitgeber im Laufe des Konsultationsverfahrens verpflichtet ist, den geplanten Zeitraum der Entlassungen zu präzisieren, hängt vom Verlauf des Konsultationsverfahrens und des Planungsstands sowie vom Kenntnisstand der Arbeitnehmervertretung15 ab. In der Rechtsprechung sowohl des EuGH als auch des Bundesarbeitsgerichts ist wegen der Dynamik des Verfahrens anerkannt, dass die erforderlichen Auskünfte seitens des Arbeitgebers zwar nicht unbedingt zum Zeitpunkt der Eröffnung der Konsultationen zu erteilen sind, er sie aber „im Verlauf des Verfahrens“ zu vervollständigen und alle einschlägigen Informationen bis zu dessen Abschluss zu erteilen hat16. Eine erneute Unterrichtung bzw. Ergänzung der bisher erteilten Informationen bezüglich des Zeitraums iSv. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KSchG ist aber nicht erforderlich, wenn der Betriebsrat bzw. die sonstige Arbeitnehmervertretung die aktuelle Planung des Zeitablaufs ohnehin kennt oder zumindest einschätzen kann. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Konsultationsverfahren selbst eine Verzögerung bewirkt hat, der Arbeitgeber aber erkennbar an der Massenentlassung konzeptionell unverändert festhalten will.

Das Bundesarbeitsgericht kann die hier erfolgte Unterrichtung abschließend beurteilen. In der Gesamtschau mag zwar noch nicht abschließend geklärt sein, wie weit das Unionsrecht zum Umfang der Auskunftspflicht in Massenentlassungssachen Vorgaben macht17. Ob aber die nach dem Unionsrecht für ein ordnungsgemäßes Konsultationsverfahren erforderlichen Informationen im konkreten Einzelfall erteilt wurden, haben nach der Aufgabenverteilung zwischen dem EuGH und den nationalen Gerichten letztere zu entscheiden18.

Vorliegend hat der Insolvenzverwalter der PV Kabine mit Schreiben vom 17.04.2020 mitgeteilt, dass die geplanten Entlassungen nach Durchführung und Abschluss des Konsultationsverfahrens sowie unter Beachtung der sonstigen Formalien und Beteiligungsverfahren erfolgen sollen. Aufgrund der in den Beteiligungsverfahren geltenden Fristen sei beabsichtigt, die Entlassungen ab Ende des Monats Mai 2020 vorzunehmen. Die Kündigungen sollten unter Berücksichtigung des § 113 InsO erklärt werden, soweit nicht eine kürzere vertragliche bzw. tarifvertragliche Kündigungsfrist einschlägig sei. Damit hat er unmissverständlich deutlich gemacht, für welchen Zeitpunkt er die Kündigungen plante und dass die Beendigung der noch bestehenden Arbeitsverhältnisse nach Abschluss der erforderlichen Beteiligungsverfahren so schnell wie möglich erfolgen sollte. Diese Unterrichtung entspricht den oben dargestellten Vorgaben des § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KSchG. Entgegen der Auffassung der Revision bedurfte es keiner weiteren Erläuterung, warum von der Kündigungsmöglichkeit des § 113 InsO Gebrauch gemacht werden sollte. Dies folgt schon aus der insolvenzrechtlichen Abwicklungsverpflichtung des Insolvenzverwalters.

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Einer weiteren Konkretisierung im Laufe des Konsultationsverfahrens bedurfte es bezogen auf den zu benennenden Zeitraum der Entlassungen nicht. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesarbeitsgericht deutlich gewordenen Annahme der Revision ist diese Information nicht erforderlich, um der Arbeitnehmervertretung „Planungssicherheit“ darüber zu verschaffen, wie lange sie noch konkrete Vorschläge in das Verfahren einbringen kann. Sie ist vielmehr lediglich Bestandteil der dem Gremium mitzuteilenden Informationen über den Planungsstand, mit dem der Arbeitgeber in das Konsultationsverfahren geht. Ob es bezüglich dieses Zeitpunkts beim mitgeteilten Planungsstand bleibt, ist nach dem Zweck des Konsultationsverfahrens gerade Teil der darin erfolgenden Erörterungen, deren Ergebnis es ua. sein kann, dass die geplanten Entlassungen verschoben werden und so die Massenentlassungen beschränkt bzw. deren Folgen abgemildert werden. Eine ergänzende Information ist daher nur erforderlich, wenn der Arbeitgeber den Zeitpunkt der Entlassungen nicht allein wegen der Dauer des Konsultationsverfahrens oder als Ergebnis dieses Verfahrens, sondern aus Gründen verschiebt, die der Arbeitnehmervertretung unbekannt sind. Ein solcher Fall liegt zB vor, wenn der Arbeitgeber mehrere Gremien beteiligen muss, mit diesen getrennte Konsultationsverfahren durchführt und aufgrund der Erörterung in einem dieser Verfahren den Entlassungszeitpunkt verschiebt. Das muss er den anderen Gremien mitteilen19.

Vorliegend wusste die PV Kabine aus dem Konsultationsverfahren heraus, dass sich die Kündigungserklärungen allein aufgrund der Dauer des Konsultationsverfahrens verschieben würden. Sie hatte selbst durch ihre Nachfragen, berechtigt oder nicht, das Verfahren verzögert. An der ursprünglichen, der PV Kabine aus der Unterrichtung bekannten Absicht des Insolvenzverwalters, die Kündigungen so schnell wie möglich nach Abschluss des Konsultationsverfahrens und weiterer Beteiligungsverfahren zu erklären, hatte sich hierdurch jedoch entgegen der Auffassung der Revision offensichtlich nichts geändert. Der Insolvenzverwalter hat entsprechend der angekündigten Vorgehensweise zunächst das Konsultationsverfahren mit dem Ziel eines einvernehmlichen Abschlusses betrieben. Dabei ist es entgegen der Ansicht der Revision ohne Belang, ob sich dieses unnötigerweise auch auf Stationen wie Köln bezogen hat, welche wegen der geringen Beschäftigtenzahl nicht von einer Massenentlassung betroffen waren. Der Insolvenzverwalter wollte die PV Kabine damit erkennbar umfassend informieren. Dies ist nicht zu beanstanden. Gleiches gilt für den Umstand, dass der Insolvenzverwalter das Konsultationsverfahren in zeitlicher Hinsicht nicht mit Blick auf die Zwei-Wochen-Frist des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG beschleunigt durchgeführt hat und diese Frist wegen der ergänzenden Unterrichtungen mit Schreiben vom 20.05.2020 und 5.06.2020 bezogen auf Entlassungen ab Ende Mai 2020 nicht hätte wahren können. Eine intensive Beratung, welche die Nachfragen der Arbeitnehmervertretung aufgreift, entspricht der Zielsetzung des Konsultationsverfahrens. Letztlich konnte die PV Kabine während des Konsultationsverfahrens den angepassten Zeitraum ohne weitere Unterrichtung selbst einschätzen.

Der Insolvenzverwalter hat mit der PV Kabine ausreichend gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG beraten und durfte die Konsultation mit Schreiben vom 05.08.2020 beenden.

Im Konsultationsverfahren besteht kein Einigungszwang und erst recht kein Zwang für den Arbeitgeber, die Vorstellungen des Betriebsrats zu übernehmen20. Es reicht aus, wenn der Arbeitgeber mit dem ernsthaften Willen zur Einigung in die Verhandlungen mit dem Betriebsrat geht21 und bereit ist, dessen abweichende Vorschläge ins Kalkül zu ziehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Dem steht nicht entgegen, dass der Arbeitgeber die Vermeidung oder Einschränkung von Entlassungen von bestimmten Bedingungen abhängig macht. Auch eine absolute Verhandlungs(mindest)dauer ist weder nach nationalem noch nach Unionsrecht vorgeschrieben22. Die Konsultationen sind ohne Einigung der Betriebsparteien beendet, wenn der Arbeitgeber annehmen darf, es bestehe kein Ansatz für weitere, zielführende Verhandlungen23. Dem Arbeitgeber kommt in diesem Rahmen eine Beurteilungskompetenz zu, wann er den Beratungsanspruch des Betriebsrats als erfüllt ansieht24.

Hiervon ausgehend wurde der Beratungsanspruch der PV Kabine erfüllt. Dies verdeutlicht insbesondere die Reaktion des Insolvenzverwalters auf die Nachfragen, welche die PV Kabine mit Schreiben vom 04.06.2020 und 20.07.2020 stellte. Der Insolvenzverwalter nahm hierzu mit Schreiben vom 17.06.2020 und 27.07.2020 ausführlich Stellung. Hinzu kommt die Beratung im Rahmen der Telefonkonferenz am 2.07.2020, welche ausweislich der Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ebenfalls die Nachfragen der PV Kabine zum Gegenstand hatte. In der Gesamtschau beschränkte sich der weitere Erörterungsbedarf der PV Kabine zum 5.08.2020 auf den von ihr angenommenen Betriebs(teil)übergang. Das Bundesarbeitsgericht hatte jedoch bereits am 14.05.2020 entschieden, dass es zu keinem Betriebs(teil)übergang iSv. § 613a Abs. 1 BGB gekommen ist25. Hierauf hat der Insolvenzverwalter im Konsultationsverfahren zuletzt mit Schreiben vom 10.07.2020 zu Recht verwiesen und durfte deshalb diesbezügliche Fragen der PV Kabine unbeantwortet lassen. Der Hinweis der PV Kabine auf die Bedenken des Achten Bundesarbeitsgerichts des Bundesarbeitsgerichts, welche dieser in seiner Entscheidung vom 27.02.202026 geäußert hat, ist demgegenüber unbeachtlich. Bei diesen Überlegungen handelt es sich um ein obiter dictum. Es ist nicht zu beanstanden, dass sich der Insolvenzverwalter daran orientiert hat, dass das Bundesarbeitsgericht entscheidungserheblich über das Vorliegen eines Betriebs(teil)übergangs befunden hat. Dies musste auch der PV Kabine bewusst sein. Es drängt sich daher der Eindruck auf, dass die weitere Thematisierung des Betriebs(teil)übergangs nur der Verzögerung des Verfahrens dienen sollte. Hierfür sprechen auch offensichtlich sachfremde Fragen wie die nach den durch die Einsetzung eines Generalbevollmächtigten verursachten Kosten.

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Die Kündigung ist nicht gemäß § 17 Abs. 3 KSchG iVm. § 134 BGB unwirksam.

Dabei kann offenbleiben, ob ein Verstoß gegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG zur Unwirksamkeit der Kündigung führen würde27. Nach dieser Vorschrift hat der Arbeitgeber der Agentur für Arbeit gleichzeitig (mit der Unterrichtung) eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG zuzuleiten. Der Insolvenzverwalter hat mit der Klageerwiderung behauptet, dass dies hier geschehen sei. Die Arbeitnehmerin hat dies in den Tatsacheninstanzen nicht bestritten. Der Vortrag gilt demnach als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Wenn die Arbeitnehmerin dies nunmehr erstmals in der Revisionsinstanz bestreitet, handelt es sich um neuen Sachvortrag, der in der Revisionsinstanz nicht mehr berücksichtigt werden kann28. Dass sich der klägerische Vortrag in den Tatsacheninstanzen nicht mit § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG befasst hat, räumt die Revision indirekt dadurch ein, dass sie nur auf die pauschale Rüge einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige in der Klageschrift verweist.

Die Massenentlassungsanzeige vom 18.08.2020 wurde vor Erklärung der streitgegenständlichen Kündigung ordnungsgemäß bei der zuständigen Agentur für Arbeit Düsseldorf erstattet.

Der nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG maßgebliche Betrieb befand sich in Düsseldorf. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Anzeigeerstattung, welche nach Beendigung des Konsultationsverfahrens und vor Zugang der Kündigungen erfolgen muss, war demnach die Agentur für Arbeit Düsseldorf für das Anzeigeverfahren nach § 17 Abs. 3 KSchG zuständig. Die weitergehenden Rügen der Revision sind unbegründet.

Die Revision missversteht die Entscheidung des Zweiten Bundesarbeitsgerichts des Bundesarbeitsgerichts vom 22.09.201629, wenn sie annimmt, dass demnach bei einer Auflösung bisheriger Betriebsstrukturen die Massenentlassungsanzeige nicht mehr am früheren, bereits durch Stilllegung aufgelösten Betriebssitz erstattet werden könne. In dem dort entschiedenen Fall wurde eine Massenentlassungsanzeige bezüglich beabsichtigter Nachkündigungen nach Betriebsstilllegung sowohl bei der für den früheren Betriebssitz als auch bei der für den Beschäftigungsbetrieb zuständigen Agentur für Arbeit erstattet30. Dies hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgericht gebilligt31. Damit wurde die hier zu beurteilende Fallkonstellation nicht entschieden. Vorliegend wurden nicht zwei identische Anzeigen gegenüber den beiden in Betracht kommenden Agenturen erstattet. Nur diese, auf Absicherung bedachte, Vorgehensweise hat der Zweite Bundesarbeitsgericht beurteilt und zutreffend für ordnungsgemäß erachtet. In der hier zu entscheidenden Konstellation hat sich der Insolvenzverwalter aber dazu entschieden, bezüglich des an einer Station beschäftigten Personals nur eine Anzeige bei der seiner Ansicht nach zuständigen Agentur zu erstatten. Dies war bei den Kündigungen vom Januar 2018 auch schon der Fall, weshalb das Bundesarbeitsgericht bereits in seiner Entscheidung vom 14.05.2020 auf den unterschiedlichen Sachverhalt hingewiesen hat32. Daraus ist lediglich zu folgern, dass es bei nur einer Anzeigeerstattung nach der Stilllegung auf die Zuständigkeit der gewählten Agentur für Arbeit ankommt.

Hinsichtlich dieser örtlichen Zuständigkeit trifft § 17 KSchG selbst keine ausdrückliche Regelung. Aus dem Zweck des Anzeigeverfahrens folgt aber, dass die Anzeige bei der Agentur für Arbeit zu erstatten ist, bei der es zu den innerhalb der Sperrfrist zu bewältigenden sozioökonomischen Auswirkungen kommt33. Diese treten nach der Vorstellung der MERL typischerweise am Sitz des Betriebs auf, dessen örtliche Gemeinschaft von der Massenentlassung betroffen ist. Dort bzw. in dessen räumlicher Nähe wohnen die Arbeitnehmer, melden sich arbeitsuchend und würden den Arbeitsmarkt und damit auch die sozialen Verhältnisse belasten34. Für die durch die Massenentlassung verursachten Vermittlungsbemühungen macht es keinen Unterschied, ob der Betrieb noch existiert oder vollständig stillgelegt wurde. Entscheidend ist, dass der zuständigen Behörde iSv. Art. 4 Abs. 2 MERL ermöglicht wird, nach Lösungen für die durch die beabsichtigten Massenentlassungen aufgeworfenen Probleme zu suchen, also die besonderen sozioökonomischen Auswirkungen zu bewältigen, die solche Entlassungen in einem bestimmten örtlichen Kontext und einer bestimmten sozialen Umgebung hervorrufen können35.

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Entgegen der Auffassung der Revision steht das Verwaltungsverfahrensrecht einer Zuständigkeit der Agentur für Arbeit Düsseldorf nicht entgegen. Dabei kann unentschieden bleiben, ob man die örtlich zuständige Agentur für Arbeit anhand einer richtlinienkonformen Auslegung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG oder des § 327 Abs. 4 SGB III bestimmt36. § 17 Abs. 3 iVm. Abs. 1 KSchG begründet in Verbindung mit den „Fachlichen Weisungen“ der Bundesagentur für Arbeit37 jedenfalls wegen der Besonderheiten des Massenentlassungsrechts, das, wie ausgeführt, auf die sozioökonomischen Auswirkungen und damit einen speziellen örtlichen Bezug abstellt, in der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung der Zuständigkeitsvorschriften eine eigenständige und umfassende Zuständigkeit der Agentur für Arbeit, in deren Bezirk der betroffene Betrieb seinen Sitz hat oder hatte. Diese umfasst dann wegen der in § 18 Abs. 1 KSchG vorgesehenen Verknüpfung mit dem Anzeigeverfahren auch die Kompetenz zum Erlass von Verwaltungsakten im Rahmen von §§ 18, 20 KSchG. Dementsprechend kann die Revision keine Rechtsprechung benennen, die eine Vorlage an den Gemeinsamen Bundesarbeitsgericht der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 Abs. 1 RsprEinhG veranlassen würde.

Die Anzeige vom 18.08.2020 enthält die nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG erforderlichen Angaben bezüglich des Konsultationsverfahrens mit der PV Kabine.

Nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG hat der Arbeitgeber, der nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG verpflichtet ist, der Agentur für Arbeit Entlassungen anzuzeigen, seiner schriftlichen Anzeige die Stellungnahme des Betriebsrats „zu den Entlassungen“ beizufügen. Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG ist die Massenentlassungsanzeige auch dann wirksam erfolgt, wenn zwar keine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats vorliegt, der Arbeitgeber aber glaubhaft macht, dass er das Gremium mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG unterrichtet hat, und er gleichzeitig den Stand der Beratungen darlegt. Nach dem Zweck des Anzeigeverfahrens38 muss durch die Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats oder – ersatzweise – die Darlegung des Beratungsstands die Durchführung und ggf. das Ergebnis des Konsultationsverfahrens dokumentiert werden. Die Arbeitsverwaltung soll beurteilen können, ob die Betriebsparteien auf der Grundlage ausreichender Informationen tatsächlich über die geplanten Massenentlassungen und insbesondere deren Vermeidung beraten haben39. Daneben soll sie Kenntnis von einer – eventuell dem Arbeitgeber ungünstigen – Sichtweise des Betriebsrats erlangen40. Dementsprechend ist die Massenentlassungsanzeige unwirksam, wenn der Arbeitgeber ihr eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht beifügt (§ 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG) bzw. er Darlegungen gemäß § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG unterlässt oder den Stand der Beratungen mit dem Betriebsrat in einer Weise irreführend darstellt, die geeignet ist, eine für ihn – den Arbeitgeber – günstige Entscheidung der Behörde zu erwirken41.

Vorliegend hat der Insolvenzverwalter mit dem das Formularblatt ergänzenden Schreiben vom 18.08.2020, welches am Folgetag bei der Agentur für Arbeit Düsseldorf eingegangen ist, den Stand der Beratungen ausführlich und zutreffend dargestellt. Insbesondere wurde mitgeteilt, dass das Konsultationsverfahren durch den Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 05.08.2020 für beendet erklärt wurde. Die angeführte Glaubhaftmachung des Vortrags erfolgte durch Übersendung des unstreitig geführten Schriftverkehrs mit der PV Kabine. Dies ist ausreichend42. Die Zwei-Wochen-Frist wurde gewahrt, weil die PV Kabine spätestens durch das per E-Mail versandte Schreiben des Insolvenzverwalters vom 27.07.2020 die nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG vorgeschriebenen Informationen erhalten hatte und damit iSd. § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG „unterrichtet“ worden war.

Die Rüge der Revision, wonach das Formblatt unter Ziffer 41 widersprüchlich ausgefüllt worden sei, greift nicht durch. Das Formblatt sieht bezüglich der „Stellungnahme des Betriebsrats“ keine Felder für drei Arbeitnehmervertretungen vor und kann deshalb insoweit nicht „richtig“ ausgefüllt werden. Die maßgeblichen Informationen sind jedoch in dem Begleitschreiben zutreffend übermittelt worden.

Die Anzeige beinhaltet auch die nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG erforderlichen Angaben. Sie stellt aus den genannten Gründen zutreffend auf die vormalige Station Düsseldorf ab. Soweit die Revision rügt, bei der Nennung der in der Regel Beschäftigten sei ein Arbeitnehmer unberücksichtigt geblieben, ist dies im vorliegenden Fall unbeachtlich. Bei 358 benannten Beschäftigten handelt es sich um eine marginale Abweichung, welche keinen Einfluss auf die Tätigkeit der Agentur für Arbeit hat. Mit dem Zweck der Massenentlassungsanzeige stünde es nicht im Einklang, wenn die fehlende Angabe einer einzigen Entlassung die Auflösung der Arbeitsverhältnisse auch aller anderen von der Massenentlassungsanzeige erfassten Arbeitnehmer hindern würde43. Zudem können sich ohnehin nur die Arbeitnehmer, die von der Massenentlassungsanzeige nicht erfasst sind, auf die zu niedrige Angabe der Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer berufen44.

Der Insolvenzverwalter hat im Rahmen der Mitteilung der Sozialdaten auch die sog. „Soll-Angaben“ nach § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG gemacht45.

Ein etwaiger Verstoß gegen § 17 Abs. 3 Satz 6 KSchG stünde der Wirksamkeit der Kündigung nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat eine Abschrift der Anzeige zuzuleiten. Es handelt sich hierbei nicht um ein Verbotsgesetz iSv. § 134 BGB.

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§ 17 Abs. 3 Satz 6 KSchG entspricht Art. 3 Abs. 2 MERL. Die Weiterleitung der Anzeige dient lediglich der Information der Arbeitnehmervertretung, nicht der Erfüllung der Aufgaben der Arbeitsverwaltung46. Auf dieser Grundlage kann der Betriebsrat bzw. die sonstige Arbeitnehmervertretung dann nach § 17 Abs. 3 Satz 7 KSchG gegenüber der Agentur für Arbeit weitere Stellungnahmen abgeben.

Ein Verstoß gegen § 17 Abs. 3 Satz 6 KSchG führt nicht zur Unwirksamkeit der Anzeige und damit der Kündigung47. Es besteht offenkundig kein Bezug zur individualrechtlichen Ebene48. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, dass Stellungnahmen des Betriebsrats zur Anzeige erst nach dem Zugang der Kündigung erfolgen können, wenn der Arbeitgeber die Kündigungen sofort nach Eingang der Anzeige erklärt49. Die Wirksamkeit einer Kündigung bestimmt sich aber nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs50. Daraus ergibt sich, dass sich das Wechselspiel von Information und Stellungnahme auf einen kündigungsrechtlich irrelevanten Zeitraum bezieht51.

Auch das Unionsrecht verlangt offenkundig bei einem Verstoß gegen die Weiterleitungspflicht keine Unwirksamkeit der betroffenen Kündigungen, weshalb diesbezüglich keine Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV besteht52. Der unionsrechtlich determinierte Arbeitnehmerschutz bei Massenentlassungen knüpft an den Zeitpunkt der Entlassung und damit ebenfalls an den Zugang der Kündigungserklärung an53. Wann eine Kündigung als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, mit der ein Gestaltungsrecht ausgeübt wird, wirksam wird, richtet sich nach dem jeweiligen Recht des Mitgliedstaates54 und darum nach § 130 Abs. 1 BGB. Der danach maßgebliche Zugang liegt vor, wenn die Willenserklärung derart in den Machtbereich des Empfängers gerät, dass dieser nach allgemeinen Umständen von ihr Kenntnis erlangen kann.

Die Kündigung scheitert auch nicht an einer fehlerhaften Anhörung der PV Kabine vor Erklärung der Kündigung.

§ 74 Abs. 1 TVPV ist § 102 Abs. 1 BetrVG nachgebildet. Die hierzu ergangene Rechtsprechung kann deshalb auf § 74 Abs. 1 TVPV übertragen werden. Der Inhalt der Unterrichtung ist dementsprechend nach ihrem Sinn und Zweck grundsätzlich subjektiv determiniert. Die Personalvertretung soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen, um sich über sie eine eigene Meinung bilden zu können. Der Arbeitgeber muss daher grundsätzlich nur die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt der Arbeitgeber nicht nach, wenn er der Personalvertretung bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen – und damit irreführenden – Kündigungssachverhalt schildert, der sich bei der Würdigung durch die Personalvertretung zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann. Die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers von der Relevanz oder Irrelevanz bestimmter Umstände ist zudem für den Umfang der Unterrichtung dann nicht maßgeblich, wenn dadurch der Zweck der Anhörung verfehlt würde55.

Nach diesen Grundsätzen hat der Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 07.08.2020 und 17.08.2020 nebst Anlagen die PV Kabine ordnungsgemäß über die beabsichtigte Kündigung aller Mitglieder des Kabinenpersonals einschließlich der Arbeitnehmerin unterrichtet. Dies hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei entschieden. Die Unterrichtung enthält die erforderlichen Angaben bezüglich des Kündigungsgrundes, der Sozialdaten und der – für nicht erforderlich gehaltenen – Sozialauswahl. Bezüglich § 2 Abs. 2 TV Pakt musste keine Unterrichtung erfolgen, weil diese Regelungen für den Kündigungsentschluss des Insolvenzverwalters ohne Bedeutung waren. Der Insolvenzverwalter durfte davon ausgehen, dass es mangels Anwendbarkeit des TV Pakt keiner Unterrichtung bedarf. Dies war durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bereits geklärt56. Soweit die Revision noch anführt, die Mitteilung in der Anhörung, wonach eine Massenentlassungsanzeige für die in Köln stationierten Arbeitnehmer nicht zu erstatten sei, sei falsch, ist dies unzutreffend. Die Rechtsansicht des Insolvenzverwalters traf zu. Ob ein Massenentlassungsverfahren durchzuführen war, bestimmte sich nach den zuletzt im Flugbetrieb maßgeblichen Strukturen. Sofern im Zeitpunkt der Nachkündigungen das Arbeitsverhältnis von höchstens 20 der einer Station der Schuldnerin zugeordneten Arbeitnehmern noch nicht wirksam beendet worden war, musste für diese Station kein Massenentlassungsverfahren durchgeführt werden.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. November 2022 – 6 AZR 15/22

  1. BAG 13.02.2020 – 6 AZR 146/19, Rn. 30 mwN, BAGE 169, 362; 13.06.2019 – 6 AZR 459/18, Rn. 40, BAGE 167, 102[]
  2. vgl. BAG 22.09.2016 – 2 AZR 276/16, Rn. 37, BAGE 157, 1[]
  3. BAG 13.02.2020 – 6 AZR 146/19, Rn. 33 mwN, BAGE 169, 362; vgl. auch Brams Anm. AP KSchG 1969 § 17 Nr. 56; Lindemann Anm. AP KSchG 1969 § 17 Nr. 57; Krings NJW 2020, 2765; Schubert EWiR 2020, 509, 510; Senk Anm. AP BGB § 613a Nr. 480 unter II[]
  4. BAG 14.05.2020 – 6 AZR 235/19, Rn. 114 ff., BAGE 170, 244; 13.02.2020 – 6 AZR 146/19, Rn. 36 ff., BAGE 169, 362; zur Station Köln vgl. BAG 27.02.2020 – 8 AZR 215/19, Rn. 173 ff., BAGE 170, 98; kritisch Moll RdA 2021, 49, 52[]
  5. BAG 22.09.2016 – 2 AZR 276/16, Rn. 37, BAGE 157, 1; 22.04.2010 – 6 AZR 948/08, Rn.20, BAGE 134, 176[]
  6. vgl. BAG 22.09.2016 – 2 AZR 276/16, Rn. 38, BAGE 157, 1[]
  7. zur Ermöglichung der Einflussnahme vgl. EuGH 3.03.2011 – C-235/10 ua. – [Claes] Rn. 56; BAG 13.06.2019 – 6 AZR 459/18, Rn. 41 mwN, BAGE 167, 102[]
  8. vgl. EuGH 21.12.2016 – C-201/15 – [AGET Iraklis] Rn. 29 ff., 41[]
  9. vgl. BAG 22.09.2016 – 2 AZR 276/16, Rn. 40, BAGE 157, 1[]
  10. Wahrig Deutsches Wörterbuch 9. Aufl. Stichwort: Zeitraum[]
  11. vgl. hierzu BAG 13.06.2019 – 6 AZR 459/18, Rn. 34 mwN, BAGE 167, 102[]
  12. vgl. MHdB ArbR/Spelge 5. Aufl. Bd. 2 § 121 Rn. 140; KR/Weigand/Heinkel 13. Aufl. § 17 KSchG Rn. 116; in diesem Sinne auch LKB/Bayreuther 16. Aufl. § 17 Rn. 79; ErfK/Kiel 22. Aufl. KSchG § 17 Rn. 22; Lembke/Oberwinter in Thüsing/Rachor/Lembke KSchG 4. Aufl. § 17 Rn. 104; aA Salamon NZA 2015, 789, 791: auf Zugang der Kündigungserklärung abstellend[]
  13. vgl. EuGH 3.03.2011 – C-235/10 ua. – [Claes] Rn. 56; BAG 13.06.2019 – 6 AZR 459/18, Rn. 41 mwN, BAGE 167, 102[]
  14. BAG 28.05.2009 – 8 AZR 273/08, Rn. 57[]
  15. dazu BAG 13.06.2019 – 6 AZR 459/18, Rn. 41, BAGE 167, 102[]
  16. EuGH 10.09.2009 – C-44/08 – [Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK ua.] Rn. 52 f.; BAG 13.06.2019 – 6 AZR 459/18 – aaO; 26.02.2015 – 2 AZR 955/13, Rn. 29, BAGE 151, 83[]
  17. vgl. BVerfG 3.09.2018 – 1 BvR 552/17, Rn. 5[]
  18. BAG 26.10.2017 – 2 AZR 298/16, Rn. 27; in diesem Sinne auch EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston 21.06.2018 – C-61/17 – [Bichat] Rn. 67[]
  19. vgl. BAG 13.02.2020 – 6 AZR 146/19, Rn. 69, BAGE 169, 362[]
  20. BAG 13.06.2019 – 6 AZR 459/18, Rn. 48, BAGE 167, 102[]
  21. BAG 28.06.2012 – 6 AZR 780/10, Rn. 57, BAGE 142, 202[]
  22. vgl. BAG 13.06.2019 – 6 AZR 459/18, Rn. 51, aaO; 16.05.2007 – 8 AZR 693/06, Rn. 42[]
  23. vgl. BAG 26.02.2015 – 2 AZR 955/13, Rn. 29, BAGE 151, 83[]
  24. BAG 14.05.2020 – 6 AZR 235/19, Rn. 143, BAGE 170, 244; 22.09.2016 – 2 AZR 276/16, Rn. 50, BAGE 157, 1[]
  25. BAG 14.05.2020 – 6 AZR 235/19, Rn. 57 ff., BAGE 170, 244[]
  26. BAG 27.02.2020 – 8 AZR 215/19, Rn. 66 ff., BAGE 170, 98[]
  27. vgl. hierzu das Vorabentscheidungsersuchen BAG 27.01.2022 – 6 AZR 155/21 (A), Rn. 24 ff.[]
  28. BAG 24.01.1990 – 4 AZR 525/89, Rn. 14[]
  29. BAG 22.09.2016 – 2 AZR 276/16, BAGE 157, 1[]
  30. Rn. 14 der vorgenannten Entscheidung[]
  31. BAG 22.09.2016 – 2 AZR 276/16, BAGE 157, 1, Rn. 70[]
  32. BAG 14.05.2020 – 6 AZR 235/19, Rn. 125, BAGE 170, 244[]
  33. vgl. EuGH 27.01.2005 – C-188/03 – [Junk] Rn. 47 f.[]
  34. BAG 13.02.2020 – 6 AZR 146/19, Rn. 78, BAGE 169, 362; Spelge NZA-Beilage 2021, 34, 35, 38[]
  35. vgl. EuGH 13.05.2015 – C-182/13 – [Lyttle ua.] Rn. 32; 15.02.2007 – C-270/05 – [Athinaïki Chartopoiïa] Rn. 28; BAG 19.05.2022 – 2 AZR 467/21, Rn. 23[]
  36. ebenso BAG 13.02.2020 – 6 AZR 146/19, Rn. 79, BAGE 169, 362[]
  37. vgl. hierzu BAG 13.02.2020 – 6 AZR 146/19, Rn. 78, aaO[]
  38. dazu ausführlich BAG 13.02.2020 – 6 AZR 146/19, Rn. 71, 75, 81, 93 und 109, BAGE 169, 362[]
  39. BAG 28.06.2012 – 6 AZR 780/10, Rn. 53, BAGE 142, 202[]
  40. BAG 21.03.2013 – 2 AZR 60/12, Rn. 44, BAGE 144, 366; 21.03.2012 – 6 AZR 596/10, Rn. 21 f.[]
  41. BAG 14.05.2020 – 6 AZR 235/19, Rn. 136, BAGE 170, 244; 22.09.2016 – 2 AZR 276/16, Rn. 24, BAGE 157, 1[]
  42. APS/Moll 6. Aufl. KSchG § 17 Rn. 118[]
  43. BAG 28.06.2012 – 6 AZR 780/10, Rn. 50, BAGE 142, 202; im Ergebnis ebenso BAG 19.05.2022 – 2 AZR 467/21, Rn. 24[]
  44. BAG 28.06.2012 – 6 AZR 780/10 – aaO[]
  45. vgl. hierzu BAG 19.05.2022 – 2 AZR 467/21, Rn. 13 ff.[]
  46. EuArbRK/Spelge 4. Aufl. RL 98/59/EG Art. 3 Rn. 28[]
  47. ErfK/Kiel 22. Aufl. KSchG § 17 Rn. 33; HaKo-BAGchR/Pfeiffer 7. Aufl. KSchG § 17 Rn. 79[]
  48. LKB/Bayreuther 16. Aufl. § 17 Rn. 135[]
  49. zur Zulässigkeit dieser Vorgehensweise: BAG 13.06.2019 – 6 AZR 459/18, Rn. 33, BAGE 167, 102; 6.11.2008 – 2 AZR 935/07, Rn. 25, BAGE 128, 256[]
  50. vgl. BAG 17.02.2016 – 2 AZR 613/14, Rn. 26; 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, Rn. 66[]
  51. vgl. Schubert/Schmitt JbArbR Bd. 59 S. 81, 104[]
  52. vgl. hierzu EuGH 6.10.2021 – C-561/19 – [Consorzio Italian Management e Catania Multiservizi] Rn. 39 ff.[]
  53. BAG 13.06.2019 – 6 AZR 459/18, Rn. 34, BAGE 167, 102; 26.01.2017 – 6 AZR 442/16 -Rn. 23, BAGE 158, 104 unter Verweis auf EuGH 27.01.2005 – C-188/03 – [Junk] Rn. 39[]
  54. EuGH 21.12.2016 – C-201/15 – [AGET Iraklis] Rn. 29 ff., 33[]
  55. vgl. zu § 102 BetrVG BAG 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn. 43 f. mwN[]
  56. BAG 21.01.2020 – 1 AZR 149/19, Rn. 26 ff., BAGE 169, 243[]
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Klageanträge - und ihre Auslegung

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