Das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV ist nicht nur für Vollarbeit, sondern auch für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst zu zahlen. Das ergibt für das Bundesarbeitsgericht die Auslegung der Norm, die die arbeitsvertragliche Vergütungsabrede in der Entgelthöhe korrigiert.

Die PflegeArbbV ist wirksam1. Das stellt die Arbeitgeberin nicht in Frage. Für eine (erneute) Prüfung der Wirksamkeit der PflegeArbbV besteht von Amts wegen kein Anlass2.
as Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV ist „je Stunde“ festgelegt. Damit knüpft die Norm – entsprechend den Gepflogenheiten der Tarifpartner und auch vieler Arbeitsvertragsparteien, als Entgelt einen bestimmten Euro-Betrag in Relation zu einer bestimmten Zeiteinheit (zumeist Stunde oder Monat, bisweilen auch Tag, Woche, Jahr) bzw. dem Umfang der in einer bestimmten Zeiteinheit zu leistenden Arbeit festzusetzen – an die „vergütungspflichtige Arbeitszeit“ an. Dieser Begriff hat zwar insofern eine gewisse Unschärfe, als die Vergütungspflicht des Arbeitgebers nach § 611 Abs. 1 BGB allein für die „Leistung der versprochenen Dienste“ besteht und damit unabhängig ist von der arbeitszeitrechtlichen Einordnung der Zeitspanne, während derer der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung erbringt3. Er hat sich aber zur Unterscheidung von Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne, zeitlichem Umfang der zu vergütenden Arbeit und Arbeitszeit im Sinne der Mitbestimmungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes eingebürgert4. Die Anknüpfung des Mindestlohns an die vergütungspflichtige Arbeitszeit bestätigt § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV, der die Fälligkeit des Mindestentgelts „für die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit“ regelt.
Damit ist das Mindestentgelt in der Pflegebranche zu zahlen für die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit bzw. – präziser – für alle Stunden, während derer der Arbeitnehmer innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit die gemäß § 611 Abs. 1 BGB geschuldete Arbeit erbringt oder, was im Streitfall nicht erheblich ist, aufgrund gesetzlicher Entgeltfortzahlungstatbestände von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung befreit ist. § 2 PflegeArbbV stellt weder auf die Art der Tätigkeit (§ 11 Abs. 1 iVm. § 5 Nr. 1 AEntG), noch auf die Intensität der Arbeit (Vollarbeit, Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst) ab. Ist der Anwendungsbereich der PflegeArbbV eröffnet, weil der Arbeitnehmer in einem Pflegebetrieb überwiegend pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI zu erbringen hat, muss deshalb das Mindestentgelt auch für die nicht pflegerischen (Zusammenhangs-)Tätigkeiten (wie zB im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI) und für alle Formen von Arbeit gezahlt werden.
Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst sind nicht nur arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit, § 2 Abs. 1 Satz 1, § 7 Abs. 1 Nr. 1a ArbZG5, sondern vergütungspflichtige Arbeit iSv. § 611 Abs. 1 BGB. Denn dazu zählt nicht nur jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient, sondern auch eine vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit, während derer der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz oder einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle anwesend sein muss und nicht frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann, er also weder eine Pause (§ 4 ArbZG) noch Freizeit hat6. Diese Voraussetzung ist bei der Arbeitsbereitschaft, die gemeinhin umschrieben wird als Zeit wacher Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung7, und dem Bereitschaftsdienst gegeben. In beiden Fällen muss sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort (innerhalb oder außerhalb des Betriebs) bereithalten, um im Bedarfsfalle die Arbeit aufzunehmen. Bei der Arbeitsbereitschaft hat der Arbeitnehmer von sich aus tätig zu werden, beim Bereitschaftsdienst „auf Anforderung“8. Zwar kann für diese Sonderformen der Arbeit eine gesonderte Vergütungsregelung getroffen und ein geringeres Entgelt als für Vollarbeit vorgesehen werden9. Von dieser Möglichkeit hat aber der Verordnungsgeber im Bereich der Pflege weder in § 2 noch in den übrigen Bestimmungen der PflegeArbbV Gebrauch gemacht. Deshalb ist es unerheblich, ob arbeitsvertraglich für den Bereitschaftsdienst eine geringere Vergütung vereinbart werden sollte. In einer solchen Auslegung wäre der – sprachlich gänzlich missglückte – § 3 Nr. 4 Arbeitsvertrag wegen Verstoßes gegen § 2 PflegeArbbV unwirksam, § 134 BGB.
Danach schuldet die Arbeitgeberin vorliegend jedenfalls für täglich 22 Stunden das Mindestentgelt nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV. Denn die Mitarbeitin musste sich, so sie keine Vollarbeit leistete, rund um die Uhr bei oder jedenfalls in der Nähe der zu pflegenden Schwestern aufhalten, um bei Bedarf tätig werden zu können. Sie durfte die in § 1 Arbeitsvertrag bezeichnete Pflegestelle nicht verlassen. Ob die Mitarbeitin in der Zeit von 11:45 bis 12:45 Uhr und 17:50 bis 18:50 Uhr tatsächlich Pausen im Rechtssinne hatte, braucht das Bundesarbeitsgericht nicht zu entscheiden.
Soweit die Arbeitgeberin die Zeit von 21:00 bis 06:30 Uhr als Rufbereitschaft bewertet wissen will, verkennt sie, dass eine solche nicht schon dann vorliegt, wenn die Arbeit nur „auf Zuruf“ (hier: der Pflegebedürftigen) aufgenommen werden muss. Rufbereitschaft setzt – in Abgrenzung zum Bereitschaftsdienst – vielmehr voraus, dass der Arbeitnehmer nicht gezwungen ist, sich am Arbeitsplatz oder einer anderen vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten, sondern – unter freier Wahl des Aufenthaltsorts – lediglich jederzeit erreichbar sein muss, um auf Abruf des Arbeitgebers die Arbeit alsbald aufnehmen zu können10. Dass die Mitarbeitin berechtigt gewesen wäre, des Nachts die in § 1 Arbeitsvertrag genannte Pflegestelle zu verlassen und eigenen Interessen nachzugehen, hat die Arbeitgeberin nicht behauptet. Ob die Mitarbeitin, wie die Arbeitgeberin vorbringt, nachts (durch-)schlafen konnte, ist für die Einordnung als Bereitschaftsdienst ohne Belang.
Nach § 4 ArbZG sind – nicht zur Arbeitszeit zählende und nicht nach § 611 Abs. 1 BGB zu vergütende – Pausen im Voraus feststehende Unterbrechungen der Arbeit, in denen der Arbeitnehmer weder Arbeit zu leisten noch sich dafür bereitzuhalten hat und frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann11. Unstreitig musste die Mitarbeitin vorliegend aber auch während der „Mittagsruhe“ an der Pflegestelle anwesend sein, um bei Bedarf jederzeit die Arbeit aufnehmen zu können.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. November 2014 – 5 AZR 1101/12
- vgl. BAG 22.07.2014 – 1 ABR 96/12, Rn. 17 ff.; zur Verfassungsmäßigkeit entsprechender Verordnungen siehe auch BAG 16.04.2014 – 4 AZR 802/11, Rn. 17 ff.[↩]
- vgl. BAG 10.09.2014 – 10 AZR 959/13, Rn. 21 f.[↩]
- BAG 19.09.2012 – 5 AZR 678/11, Rn. 15 mwN, BAGE 143, 107[↩]
- vgl. Wank RdA 2014, 285[↩]
- zur gesetzeshistorischen Entwicklung aufgrund von Vorgaben des Unionsrechts, vgl. BAG 11.07.2006 – 9 AZR 519/05, Rn. 42, BAGE 119, 41[↩]
- BAG 20.04.2011 – 5 AZR 200/10, Rn. 21 mwN, BAGE 137, 366[↩]
- vgl. ErfK/Wank 15. Aufl. § 2 ArbZG Rn. 21[↩]
- BAG 12.12 2012 – 5 AZR 918/11, Rn.19; vgl. zum Ganzen auch: Baeck/Deutsch 3. Aufl. § 2 ArbZG Rn. 33 ff.; Schliemann 2. Aufl. § 2 ArbZG Rn. 16 ff., jeweils mwN[↩]
- BAG 20.04.2011 – 5 AZR 200/10, Rn. 32, BAGE 137, 366[↩]
- EuGH 3.10.2000 – C-303/98 – [Simap] Rn. 50, Slg. 2000, I-07963; BAG 11.07.2006 – 9 AZR 519/05, Rn. 41, BAGE 119, 41; Baeck/Deutsch 3. Aufl. § 2 ArbZG Rn. 48 ff.; ErfK/Wank 15. Aufl. § 2 ArbZG Rn. 30; Schliemann 2. Aufl. § 2 ArbZG Rn. 28 ff., jeweils mwN[↩]
- BAG 23.09.1992 – 4 AZR 562/91, zu I 2 der Gründe; 16.12 2009 – 5 AZR 157/09, Rn. 10; Baeck/Deutsch 3. Aufl. § 4 ArbZG Rn. 9; ErfK/Wank 15. Aufl. § 4 ArbZG Rn. 1; Schliemann 2. Aufl. § 4 ArbZG Rn. 6, jeweils mwN[↩]