§ 18 Satz 2 MuSchG kann bei tariflichen Jahresarbeitszeitmodellen mit saisonal stark schwankender variabler Vergütung extensiv dahingehend auszulegen sein, dass zur Ermittlung des als Mutterschutzlohn zu zahlenden durchschnittlichen Arbeitsentgelts auf einen zwölfmonatigen Referenzzeitraum abzustellen ist. Entsprechendes kann in derartigen Fällen für den Referenzzeitraum zur Berechnung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld nach § 20 Abs. 1 Satz 2 MuSchG gelten.

Nach § 18 Satz 1 MuSchG erhält eine Frau, die wegen eines Beschäftigungsverbots außerhalb der Schutzfristen vor oder nach der Entbindung teilweise oder gar nicht beschäftigt werden darf, von ihrem Arbeitgeber Mutterschutzlohn. Die Pflicht der Arbeitnehmerin zur Arbeitsleistung wird durch das Beschäftigungsverbot suspendiert, das zugleich nach Maßgabe des § 18 Satz 1 MuSchG über die Vergütungspflicht des Arbeitgebers bestimmt. Ein Anspruch auf Mutterschutzlohn besteht allerdings nur, wenn allein das mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbot dazu führt, dass die Betroffene mit der Arbeit aussetzt (vgl. zu § 11 MuSchG aF BAG 9.10.2002 – 5 AZR 443/01, zu I 1 und I 4 der Gründe).
Nach § 18 Satz 2 MuSchG wird als Mutterschutzlohn das durchschnittliche Arbeitsentgelt der letzten drei abgerechneten Kalendermonate vor dem Eintritt der Schwangerschaft gezahlt. Die Arbeitgeberin hat im ersten Schritt der Ermittlung des Mutterschutzlohns auf diesen Referenzzeitraum abgestellt. Die Voraussetzungen für eine Anpassung des Referenzzeitraums nach § 21 MuSchG liegen nicht vor. Das Arbeitsverhältnis bestand länger als drei Monate. Unverschuldete Fehlzeiten iSv. § 21 Abs. 1 MuSchG lagen ebenso wenig vor wie nach § 21 Abs. 2 MuSchG nicht berücksichtigungsfähige Zeiten.
§ 18 Satz 2 MuSchG ist jedoch in einem Fall wie den vorliegenden – einer Flugbegleiterin mit saisonal stark schwankenden Einsatzzeiten – extensiv dahingehend auszulegen, dass für die Berechnung des Mutterschutzlohns ein Referenzzeitraum von zwölf Monaten zugrunde zu legen ist. Dieser Zeitraum ist wegen des tariflichen Jahresarbeitszeitmodells mit saisonal ungewöhnlich stark schwankender variabler Vergütung erforderlich, um das „durchschnittliche Arbeitsentgelt“ iSv. § 18 Satz 2 MuSchG zu ermitteln.
Für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist1. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Der Wortlaut gibt nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte; vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich. Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt daneben den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes eine Indizwirkung zu2. Dabei dürfen die Gerichte sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen, sondern müssen die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren. Eine Interpretation, die sich über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein3.
Nach seinem Wortlaut stellt § 18 Satz 2 MuSchG auf einen dreimonatigen Referenzzeitraum ab. Damit ist ein fester Zeitraum vorgesehen, der grundsätzlich auch bei schwankender Vergütungshöhe gelten soll. Allerdings soll nach der gesetzlichen Regelung zugleich ein „durchschnittliches Arbeitsentgelt“ ermittelt und als Mutterschutzlohn gezahlt werden. In besonders gelagerten Fällen und bei bestimmten Arbeitszeitmodellen kann dieses durch einen dreimonatigen Referenzzeitraum nicht zutreffend abgebildet werden. Unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der Leistung sprechen die Gesetzeshistorie und -begründung dafür, dass dann ausnahmsweise eine Anpassung des Referenzzeitraums vorzunehmen ist.
Das Mutterschutzgesetz wurde durch das Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts vom 23.05.2017 vollständig neu gefasst und grundlegend reformiert. Hierbei hat der Gesetzgeber auch die 1968 in Kraft getretene Regelung zum Mutterschutzlohn (§ 11 MuSchG aF/§ 18 MuSchG nF) geändert. Nach § 11 MuSchG aF war vom Arbeitgeber mindestens der Durchschnittsverdienst der letzten 13 Wochen oder der letzten drei Monate vor Beginn des Monats, in dem die Schwangerschaft eingetreten ist, weiter zu gewähren. § 18 MuSchG nF sieht unter Vereinheitlichung des Berechnungszeitraums vor, dass als Mutterschutzlohn das durchschnittliche Arbeitsentgelt der letzten drei abgerechneten Kalendermonate vor dem Eintritt der Schwangerschaft zu zahlen ist. Weiter wurde die in § 11 MuSchG aF enthaltene Regelung zur Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsentgelts zur Vereinheitlichung der Berechnung der Mutterschutzleistungen in § 21 MuSchG nF in einen eigenen Paragraphen überführt. Zu dieser Überarbeitung der Bestimmungen zum Leistungsrecht (§ 18 ff. MuSchG nF – im Gesetzesentwurf der Bundesregierung noch §§ 17 ff.) heißt es in der Gesetzesbegründung4, Sinn der Regelung der bisherigen wie der neuen Vorschriften zum Mutterschutzlohn sei es, der schwangeren oder stillenden Beschäftigten bei Beschäftigungsverboten im Ergebnis durchgehend Leistungen in Höhe des früheren durchschnittlichen Arbeitsentgelts zu gewähren. Zugleich solle insbesondere die Zusammenfassung in einer Vorschrift unter Vereinheitlichung der Vorgaben zur Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsentgelts für den Arbeitgeber die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben erleichtern5. Nach der Gesetzesbegründung soll es also – unverändert – Sinn und Zweck des Mutterschutzlohns sein, trotz des Beschäftigungsverbots einen möglichst gleichbleibenden Verdienst der hiervon betroffenen Frau sicherzustellen.
Damit nimmt die Gesetzesbegründung die – bereits vor der Reform des Mutterschutzgesetzes gefestigte – ständige Rechtsprechung auf, nach der es Sinn und Zweck des Mutterschutzlohns ist, die Frau wirtschaftlich abzusichern und ihr Anreize zu nehmen, in Gefährdung ihrer Gesundheit und der Gesundheit des ungeborenen Kindes weiterzuarbeiten, um einen höheren Verdienst zu erzielen. Schwangere und Mütter eines Neugeborenen sollen vor wirtschaftlichen Nachteilen bewahrt werden, die andernfalls mit den Beschäftigungsverboten verbunden wären. Die Beschäftigungsverbote sollen zu keiner Verdienstminderung führen, damit jeder finanzielle Anreiz für die Arbeitnehmerin entfällt, die Arbeit zu ihrem und des Kindes Nachteil fortzusetzen6.
Grundsätzlich ist hiernach der gesetzlich festgelegte Referenzzeitraum maßgeblich, auch wenn die Frau vor oder nach dem Berechnungszeitraum mehr oder weniger verdient hat7. Eine gewisse Schwankungsbreite ist jedem Referenzzeitraum und generell der Bildung eines Durchschnitts immanent. Etwas anderes gilt jedoch ausnahmsweise dann, wenn der dreimonatige Bezugszeitraum nicht geeignet ist, den Durchschnittsverdienst abzubilden. Dies wird im Schrifttum ganz überwiegend für Fälle „außergewöhnlich schwankenden Arbeitsverdienstes“ angenommen8.
Ausgehend hiervon ist einem Fall wie dem vorliegenden auf einen zwölfmonatigen Referenzzeitraum abzustellen.
Die Verlängerung des Referenzzeitraums auf ein Jahr ist bereits in den Jahresarbeitszeitmodellen des „Tarifvertrags Saisonalitätsmodelle Kabine Nr. 2“ vom 02.06.2017 (TV SMK) angelegt („saisonale Teilzeit“). Für das „Saisonalitätsmodell KA“, in dem die Flugbegleiterin beschäftigt wird, regelt § 4 Abs. 1 TV SMK einen „Jahresarbeitszeitquotienten“ von 83 % im Verhältnis zur tarifvertraglich geregelten Vollzeit. Die Grundvergütung wird in den saisonalen Teilzeitmodellen nach § 2 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. a TV SMK im Verhältnis zur jährlichen Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Mitarbeiters gekürzt. Das Arbeitszeitmodell der Flugbegleiterin ist also originär auf einen Zwölfmonatszeitraum ausgerichtet. Nach der Präambel des TV SMK wurden die saisonalen Teilzeitmodelle ua. mit Blick auf die starken saisonalen Schwankungen des Flugbetriebs entwickelt. Diese Schwankungen spiegeln sich in der sehr großen Spannbreite der von der Flugbegleiterin monatlich erzielten variablen Vergütungsbestandteile wider. Im Jahr vor dem Eintritt der Schwangerschaft differierten diese um fast 900 Euro: Während die Flugbegleiterin im Januar 2019 weder Bordverkaufsprovision noch Mehrflugstundenvergütung erhielt, beliefen sich die variablen Vergütungsbestandteile im Mai 2018 auf 893, 39 Euro brutto. Die saisonalen Schwankungen zeigen sich zugleich in mehreren Monaten mit hoher und mehreren Monaten mit niedriger variabler Vergütung. Zugleich machen die variablen Bestandteile auf das Jahr betrachtet einen nicht unerheblichen Teil der Gesamtvergütung aus. Im Ergebnis ist der gesetzliche Referenzzeitraum für das saisonale Jahresarbeitszeitmodell der Flugbegleiterin damit nicht geeignet, die „durchschnittliche“ Vergütung abzubilden, die zur wirtschaftlichen Absicherung als Mutterschutzlohn nach § 18 Satz 1 MuSchG gezahlt werden soll.
Die Arbeitgeberin ist darüber hinaus nicht zu einer Quotierung des errechneten Durchschnittsbetrags für die variablen Vergütungsbestandteile iHv. 83 % (entsprechend des Jahresarbeitszeitquotienten) berechtigt. Auch dies haben die Vorinstanzen zutreffend erkannt. Für eine entsprechende Kürzung gibt es keine Rechtsgrundlage. Sie lässt sich nicht aus § 2 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. c TV SMK ableiten, weil es sich beim Mutterschutzlohn – auch soweit ein Teil in den Abrechnungen gesondert als „Pauschale“ ausgewiesen wird – nicht um eine Zulage im tariflichen Sinn handelt. Bei der von der Arbeitgeberin selbst gewählten und auch von der Flugbegleiterin verwendeten monatsbezogenen Durchschnittsberechnung (Gesamtverdienst im Referenzzeitraum /Anzahl der Monate /(ggf.) 30 Tage) ist eine weitere „Quotierung“ nicht erforderlich.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31. Mai 2023 – 5 AZR 305/22
- vgl. BVerfG 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 ua., Rn. 66, BVerfGE 133, 168[↩]
- vgl. BVerfG 6.06.2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14, Rn. 74, BVerfGE 149, 126; BAG 11.12.2019 – 5 AZR 579/18, Rn. 14, BAGE 169, 126; 21.12.2016 – 5 AZR 374/16, Rn.20, BAGE 157, 356[↩]
- BVerfG 6.06.2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14, Rn. 73 mwN, aaO[↩]
- BT-Drs. 18/8963 S. 40[↩]
- vgl. BT-Drs. 18/8963 S. 92[↩]
- BAG 11.10.2000 – 5 AZR 240/99, zu A II 1 b cc (3) der Gründe, BAGE 96, 34; vgl. 25.02.2004 – 5 AZR 160/03, zu II 2 c der Gründe mwN, BAGE 109, 362; ebenso BeckOK ArbR/Dahm Stand 1.03.2023 MuSchG § 18 Rn. 1; Volk in Brose/Weth/Volk 9. Aufl. MuSchG § 18 Rn. 2; ErfK/Schlachter 23. Aufl. MuSchG § 18 Rn. 1; HWK/C. W. Hergenröder 10. Aufl. § 18 MuSchG Rn. 1[↩]
- Volk in Brose/Weth/Volk 9. Aufl. MuSchG § 18 Rn. 75; zu § 11 MuSchG aF Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß 9. Aufl. § 11 MuSchG aF Rn. 71[↩]
- zB BeckOK ArbR/Dahm Stand 1.03.2023 MuSchG § 18 Rn. 16 f.; Pepping in HK-MuSchG 6. Aufl. MuSchG § 18 Rn. 38; HWK/C. W. Hergenröder 10. Aufl. § 18 MuSchG Rn. 6; zu § 11 MuSchG aF Buchner/Becker 8. Aufl. § 11 MuSchG aF Rn. 100; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß aaO – jeweils mwN[↩]
Bildnachweis:
- Flugbegleiterin: Lukas Bieri