Mutterschutzzeiten in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes

Die Nichtberücksichtigung von Mutterschutzzeiten bei der betrieblichen Zusatzversorgung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) ist verfassungswidrig, wie jetzt das Bundesverfassungsgericht entschied.

Mutterschutzzeiten in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes

Die VBL[↑]

Die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) ist eine Zusatzversorgungseinrichtung für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und hat die Aufgabe, den Arbeitnehmern der an der VBL beteiligten Arbeitgeber im Wege privatrechtlicher Versicherung eine Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Diese ergänzt die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Zusatzversorgungseinrichtung, der Arbeitgeber sowie dessen Arbeitnehmer befinden sich in einer rechtlichen Dreiecksbeziehung. Die Arbeitnehmer besitzen gegenüber ihrem Arbeitgeber einen arbeitsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung der Zusatzversorgung. Um diesem zu genügen, schließt der Arbeitgeber zugunsten seiner Arbeitnehmer mit der VBL einen privatrechtlichen Gruppenversicherungsvertrag ab. Aus diesem Vertrag erwächst den Arbeitnehmern gegenüber der VBL ein unmittelbarer versicherungsrechtlicher Anspruch auf eine Zusatzversorgungsrente.

Das System der Zusatzversorgung der VBL wird durch die Satzung der VBL näher ausgestaltet. Nach der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Rechtslage hatte Anspruch auf eine betriebliche Versorgungs- bzw. Versicherungsrente nur ein Arbeitnehmer, der eine Wartezeit von 60 sog. Umlagemonaten erfüllte. Als Umlagemonat galt ein Kalendermonat, für den der Arbeitgeber eine Umlage für mindestens einen Tag für laufendes zusatzversorgungspflichtiges Entgelt entrichtet, d. h. nach der Definition in der VBL-Satzung der Arbeitnehmer steuerpflichtigen Arbeitslohn bezogen hat. Da das Mutterschaftsgeld steuerfrei gestellt ist, wurden nach der alten Rechtslage für die Mutterschutzzeiten keine Umlagen durch den Arbeitgeber gezahlt, mit der Folge, dass die Zeiten des Mutterschutzes bei der Wartezeitberechnung keine Berücksichtigung fanden. Dagegen wurden nach einer speziellen Anrechungsregel der Satzung sämtliche Krankheitszeiten, in denen ein Arbeitnehmer gesetzliche Lohnfortzahlung oder einen Krankengeldzuschuss nach den tarifvertraglichen Regelungen des öffentlichen Dienstes erhalten hat, als Umlagezeiten berücksichtigt.

Der Ausgangsfall[↑]

In dem Ausgangsfall, welcher der jetzt vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Verfassungsbeschwerde zugrunde lag, war die Beschwerdeführerin als Beschäftigte des öffentlichen Dienstes über ihren Arbeitgeber bei der VBL versichert und befand sich im Jahre 1988 für rund drei Monate im gesetzlich vorgeschriebenen Mutterschutz. Die VBL lehnte in ihrem Fall einen Anspruch auf Betriebsrente mit der Begründung ab, dass sie insgesamt nur 59 Umlagemonate angesammelt und damit die Wartezeit nicht erreicht habe. Ihre Mutterschutzzeiten könnten nicht als umlagefähige Zeiten angerechnet werden.

Die daraufhin von der Beschwerdeführerin erhobene Klage auf Feststellung, dass die VBL die Mutterschutzzeiten zu berücksichtigen habe, blieb sowohl vor dem erstinstanzlich hiermit befasstem Amtsgericht Karlsruhe1 wie auch in der Berufungsinstanz vor dem Landgericht Karlsruhe2 ohne Erfolg.

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Prüfungsmaßstab, so das Landgericht Karlsruhe, für die Nichtberücksichtigung von Mutterschutzzeiten bei der Berechnung des versorgungspflichtigen Entgelts nach der VBL-Satzung a.F. sei das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG, das hier in Verbindung mit dem Gebot der Familienförderung aus Art. 6 Abs. 1 GG gesehen werden müsse. Aus dieser Wertentscheidung der Verfassung zugunsten der Familie sei die allgemeine Pflicht des Staates und sonstiger Versorgungsträger zu einem Familienlastenausgleich zu entnehmen. Der Satzungsgeber müsse auch darauf achten, dass Kindererziehende in den bestehenden Altersversorgungssystemen gegenüber Erwerbstätigen benachteiligt seien. Eine sachwidrige Ungleichbehandlung liege indes nicht vor.

Die Beschwerdeführerin habe während des Mutterschutzes kein zusatzversorgungspflichtiges Entgelt erhalten, da sie keinen steuerpflichtigen Arbeitslohn gezahlt bekommen habe. Weil der Arbeitgeber beziehungsweise die Beschwerdeführerin nicht zur Zahlung von Umlagen verpflichtet gewesen sei, würden die Zeiten des Mutterschutzes konsequenterweise auch nicht als Umlagemonate berücksichtigt. Bei der Berechnung der Versorgungsrente blieben die Mutterschutzzeiten jedoch auch nicht gänzlich unberücksichtigt, sie würden vielmehr im Rahmen der Ermittlung der gesamtversorgungsfähigen Zeit zur Hälfte angerechnet (§ 42 Abs. 1, 2 VBLS a.F. i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1b, § 54 Abs. 3, § 58 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI).

Die Alterssicherung auf der Grundlage der VBLS erfolge nach dem Abschnittsdeckungsverfahren. Dieses bewirke, dass die Versorgungsleistungen grundsätzlich aus den von den Mitgliedern selbst angesammelten Beiträgen zu finanzieren seien. Der Satzungsgeber der Zusatzversorgung dürfe daher eher auf Beitragsleistungen während Mutterschutz- und Kinderbetreuungszeiten bestehen als derjenige der gesetzlichen Rentenversicherung. Die VBL erhalte insbesondere keine Bundes- oder Landeszuschüsse zum Ausgleich „versicherungsfremder“ Leistungen wie Rentenanwartschaften für Mutterschutz- und Kinderbetreuungszeiten, wie dies in der gesetzlichen Rentenversicherung der Fall sei.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts[↑]

Mit ihrer unmittelbar gegen die Entscheidungen des Amts- und des Landgerichts und mittelbar gegen § 29 Abs. 7 Satz 1 VBLS a.F. sowie § 8 Abs. 5 Versorgungs-Tarifvertrag erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG und des allgemeinen Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs. 1 GG.

Und das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die mit der Verfassungsbeschwerde angefochtenen Urteile des Amtsgerichts und des Landgerichts Karlsruhe gegen das Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierung aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verstoßen. Das Bundesverfassungsgericht hob daher das Urteil des Landgerichts Karlsruhe auf verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurück.

Die VBL nimmt als Anstalt des öffentlichen Rechts eine öffentliche Aufgabe wahr. Ihre Satzung ist daher an die Beachtung des Gleichheitsgrundrechts gebunden. Die in der Satzung geregelte Nichtanrechnung von Mutterschutzzeiten als Umlagemonate für die Zusatzversorgung der VBL statuiert eine Ungleichbehandlung von Müttern in zweifacher Hinsicht. Zum einen werden Frauen mit Mutterschutzzeiten gegenüber männlichen Arbeitnehmern ungleich behandelt, da deren Erwerbsbiografien im öffentlichen Angestelltenverhältnis nicht durch die gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Mutterschutzzeiten unterbrochen wurden und auch nicht werden. Zum zweiten liegt eine Ungleichbehandlung von Frauen in Mutterschutz hier auch gegenüber denjenigen männlichen und weiblichen Versicherten vor, die Krankengeld und einen Krankengeldzuschuss des Arbeitgebers erhalten. Da der Arbeitgeber in den Zeiten der Lohnfortzahlung sowie des Bezugs eines Krankengeldzuschusses auch Umlagen entrichtet, werden die Krankheitszeiten bei der Berechnung der Zusatzversorgungsrente voll als umlagefähige Monate angerechnet. Für den Mutterschutz findet sich keine entsprechende Regel.

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Diese Ungleichbehandlung knüpft an das Geschlecht an. Sie ist nicht durch zwingende Gründe gerechtfertigt. Zwar verfolgt der Gesetzgeber mit der Freistellung der Arbeitgeber von der Umlage für Mutterschutzzeiten das verfassungsrechtlich vorgegebene Ziel einer tatsächlichen Gleichstellung. Den Arbeitgebern soll der Anreiz, Frauen im gebärfähigen Alter nicht zu beschäftigen, genommen werden. Diese Systementscheidung darf aber nicht über daran anknüpfende Regelungen wie die der Satzung der VBL zu Lasten von Müttern gehen. Der dem Gesetzgeber ebenso wie der VBL eingeräumte Spielraum bei der Verteilung der Lasten des Mutterschutzes rechtfertigt keine Diskriminierung von Müttern durch die Hintertür. Es sind auch sonst keine sachlichen Gründe erkennbar, die eine Benachteiligung von Müttern rechtfertigen könnten.

Der Verstoß gegen das geschlechtsbezogene Diskriminierungsgebot führt dazu, dass die Beschwerdeführerin eine Anrechnung ihrer Mutterschutzzeiten auf die Wartezeit im Rahmen der betrieblichen Zusatzversorgung der VBL verlangen kann. Denn eine Gleichbehandlung von Versicherten, die während ihrer Versicherungszeiten Mutterschutz in Anspruch genommen haben, und denjenigen, für die während ihrer Krankheit von ihren Arbeitgebern Umlagen entrichtet worden sind, lässt sich nachträglich nur dadurch erreichen, dass die Mutterschutzzeiten als Umlagezeiten berücksichtigt werden.

Grundrechtsbindung der VBL[↑]

Die Zusatzversorgung der im öffentlichen Dienst Beschäftigten nach der Satzung der VBL ist am Grundrecht auf Gleichbehandlung zu messen. Sie ist zwar privatrechtlich ausgestaltet und findet Anwendung auf die Gruppenversicherungsverträge, die die an der VBL beteiligten öffentlichen Arbeitgeber mit der VBL zugunsten ihrer Arbeitnehmer abschließen. Die Einordnung der Satzungsbestimmungen als privatrechtliche Allgemeine Geschäftsbedingungen in der Form Allgemeiner Versicherungsbedingungen ist verfassungsrechtlich auch unbedenklich3. Jedoch nimmt die VBL als Anstalt des öffentlichen Rechts eine öffentliche Aufgabe lediglich in privatrechtlicher Form wahr4. Daher ist die Satzung der VBL an die Beachtung des Gleichheitsgrundrechts gebunden.

Diskriminierung aufgrund des Geschlechts[↑]

Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG konkretisiert und verstärkt den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Das Geschlecht darf grundsätzlich nicht als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden. Das gilt auch dann, wenn eine Regelung nicht auf eine nach Art. 3 Abs. 3 GG verbotene Ungleichbehandlung angelegt ist, sondern in erster Linie andere Ziele verfolgt5. Es kommt auch nicht darauf an, dass neben dem Geschlecht weitere Gründe für die Ungleichbehandlung maßgeblich waren6.

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An das Geschlecht anknüpfende differenzierende Regelungen sind mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nur vereinbar, soweit sie zur Lösung von Problemen, die nur entweder bei Männern oder Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind. Fehlt es an zwingenden Gründen für eine Ungleichbehandlung, lässt sich diese einzig im Wege einer Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht legitimieren7.

Soweit eine Regelung an Schwangerschaft oder Mutterschaft anknüpft, differenziert sie unmittelbar nach dem Geschlecht. Es handelt sich nicht etwa um eine neutrale Vorschrift, die sich eventuell mittelbar ganz überwiegend auf Frauen oder ganz überwiegend auf Männer nachteilig auswirkt. Vielmehr trifft eine solche Regelung normativ kategorial ausschließlich Frauen (vgl. klarstellend § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG)8. Eine solche Regelung berührt zwar auch Art. 6 Abs. 4 GG als Grundrecht auf Schutz und Fürsorge von Müttern durch den Staat. Art. 6 Abs. 4 GG enthält allerdings in erster Linie einen positiven Regelungsauftrag, der Eingriffe in Rechte Dritter legitimiert9. Der Schutz von Müttern vor geschlechtsbezogener Diskriminierung ist im besonderen Gleichheitsrecht des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verankert.

Die Anrechnung von Mutterschutzzeiten als Umlagemonate für die Zusatzversorgung der VBL bestimmt sich gemäß § 29 Abs. 10 VBLS a.F. nach der Regelung des § 29 Abs. 7 VBLS a.F., die durch § 8 Abs. 5 Versorgungs-TV inhaltsgleich vorgegeben wird. § 29 Abs. 7 VBLS a.F. statuiert eine Ungleichbehandlung von Müttern in zweifacher Hinsicht.

In § 29 Abs. 7 Satz 1 VBLS a.F. wird als zusatzversorgungspflichtiges Entgelt der steuerpflichtige Arbeitslohn definiert; Mutterschaftsgeld ist als Lohnersatzleistung nach § 3 Nr. 1 Buchstabe d EStG jedoch steuerfrei gestellt. Der Ausschluss von Zeiten des Mutterschutzes aus der Wartezeitberechnung nach § 29 Abs. 7 Satz 1 VBLS a.F. stellt folglich eine Ungleichbehandlung von Frauen mit Mutterschutzzeiten gegenüber männlichen Arbeitnehmern dar, deren Erwerbsbiografien im öffentlichen Angestelltenverhältnis nicht durch die gesetzlich zwingend vorgegebenen Mutterschutzzeiten unterbrochen wurden und auch nicht werden können. Frauen, die Mutterschutz in Anspruch genommen haben und den Beschäftigungsverboten der § 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 MuSchG unterfallen, erwerben, wenn sie – wie die Beschwerdeführerin – aufgrund ihrer Mutterschutzzeiten die Wartezeit des § 38 Abs. 1 VBLS a.F. nicht erreichen, keinen Anspruch auf Versicherungsrente.

Zudem liegt eine Ungleichbehandlung von Frauen in Mutterschutz hier auch gegenüber denjenigen männlichen und weiblichen Versicherten vor, die Krankengeld und einen (im Verhältnis deutlich geringeren) Krankengeldzuschuss des Arbeitgebers erhalten. Zwar ist das von der Krankenversicherung gezahlte Krankengeld wie das Mutterschaftsgeld nach § 3 Nr. 1 EStG steuerfrei. Doch sind die Krankheitszeiten gemäß § 29 Abs. 7 Satz 5 VBLS a.F., der auf dem wortgleichen § 5 Abs. 5 Satz 5 Versorgungs-TV beruht, auf Basis des (fiktiven) Urlaubslohns, also praktisch in Höhe des normalen Arbeitsverdienstes als versorgungspflichtiges Entgelt anzurechnen10; in den Zeiten der Entgeltfortzahlung sowie des Bezugs eines Krankengeldzuschusses werden auch Umlagen entrichtet, die Krankheitszeiten bei der Berechnung der Zusatzversorgungsrente also voll als umlagefähige Monate angerechnet. Für den Mutterschutz findet sich keine entsprechende Regel.

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An das Geschlecht anknüpfende differenzierende Regelungen sind nach bisheriger Rechtsprechung mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nur vereinbar, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind. Fehlt es an zwingenden Gründen für solche Differenzierungen, lassen sie sich nur noch im Wege einer Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht legitimieren11.

Die Regelung der VBLS zur Berücksichtigung von Mutterschutzzeiten aus der Wartezeitberechnung für den Erwerb einer Rentenanwartschaft gilt zwar einer geschlechtsspezifischen Problemstellung, stellt jedoch eine Ungleichbehandlung dar, die nicht zwingend erforderlich ist. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in der Leitentscheidung zum Mutterschutz ausgeführt, dass dessen Ausgestaltung sich an der Gleichberechtigung orientieren muss12. Auf eine tatsächliche Gleichstellung zielt die Freistellung der Arbeitgeber von der Umlage für Mutterschutzzeiten. So wird versucht, eine mögliche negative Steuerungswirkung der Belastung mit den Kosten des Mutterschutzes für Unternehmen durch ein Ausgleichs- und Umlageverfahren zu verhindern13. Der Gesetzgeber verfolgt also ein verfassungsrechtlich vorgegebenes Ziel, wenn er den Mutterschutz umlagefrei stellt, denn täte er dies nicht, wäre ein Anreiz für Arbeitgeber vorhanden, Frauen in gebärfähigem Alter nicht zu beschäftigen. Diese Systementscheidung darf aber nicht über daran anknüpfende Regeln wie die der VBLS a.F. zu Lasten von Müttern gehen14. Zwar steht es dem Gesetzgeber ebenso wie der VBL frei zu entscheiden, wie genau die Lasten des Mutterschutzes verteilt werden. Jedoch rechtfertigt dies keine Diskriminierung von Müttern durch die Hintertür.

Für die hier entscheidungserhebliche Regelung der VBLS a.F. zum Mutterschutz sind auch sonst keine sachlichen Gründe erkennbar, die eine Benachteiligung von Müttern rechtfertigen könnten. Insbesondere ist die Anrechnung von Mutterschaftszeiten bei Bezug einer Versorgungsrente im Rahmen der Ermittlung der gesamtversorgungsfähigen Zeit nach § 42 Abs. 2 Buchstabe a VBLS a.F. in Verbindung mit § 54 Abs. 1 und 3, § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI zur Hälfte nicht geeignet, die Nichtberücksichtigung für die Wartezeit zu legitimieren. Vielmehr stellt auch diese Halbanrechnung Mütter schlechter als diejenigen, die einen Krankengeldzuschuss des Arbeitgebers beziehen, da deren Zeiten voll als Umlagemonate angerechnet werden. Zudem gilt die hälftige Anrechnung auch nur für die Versorgungsrente, käme also von vornherein für die Beschwerdeführerin nicht in Betracht, die lediglich einen Anspruch auf Versicherungsrente geltend macht.

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Unwirksamkeit der VBL-Satzungsbestimmung[↑]

Der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG führt dazu, dass die Beschwerdeführerin die Berücksichtigung ihrer Mutterschutzzeiten im Rahmen der Berechnung ihres versorgungspflichtigen Entgelts und der zurückgelegten Umlagemonate nach § 29 Abs. 7 und Abs. 10 VBLS a.F. verlangen kann. Entsprechend sind diese Zeiten auf die Wartezeit nach § 38 Abs. 1 VBLS a.F. anzurechnen.

Verstoßen Allgemeine Versicherungsbedingungen – wie hier in Form der Satzung der VBL – gegen Art. 3 GG, so bewirkt dies nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Rechtsprechung der Zivilgerichte die (teilweise) Unwirksamkeit der betroffenen Klausel. Hierdurch entstehende Regelungslücken können im Wege ergänzender Vertragsauslegung geschlossen werden15. Zwar führt der gleichheitswidrige Ausschluss von einer Vergünstigung dann nicht notwendigerweise dazu, dass dem Betroffenen ein Anspruch auf Gewährung der Vergünstigung zusteht. Das gilt insbesondere, wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, um eine verfassungsgemäße Regelung zu erzielen. Insofern können die für Gleichheitsverstöße des Gesetzgebers entwickelten Grundsätze entsprechend herangezogen werden16. Etwas anderes gilt aber, wenn der Gleichheitsverstoß nur durch eine Ausdehnung der begünstigenden Regelung auf die ausgeschlossene Gruppe beseitigt werden kann17. So liegt der Fall hier. Eine Gleichbehandlung der Versicherten, die während ihrer Versicherungszeiten Mutterschutz in Anspruch genommen haben, und denjenigen, für die während ihrer Krankheit gemäß § 29 Abs. 1 und Abs. 7 Satz 5 VBLS a.F. von ihren Arbeitgebern Umlagen entrichtet worden sind, lässt sich nachträglich nur dadurch erreichen, dass die Mutterschutzzeiten als Umlagezeiten angerechnet werden.

Bei einem Verstoß gegen das Gleichheitsgrundrecht stellt sich grundsätzlich die Frage nach einer zeitlichen Begrenzung18. So kann das Bundesverfassungsgericht die Fortgeltung einer verfassungswidrigen Norm zum Beispiel anordnen, wenn dies aus Gründen einer geordneten Finanz- und Haushaltsplanung geboten ist oder wenn die Verfassungslage bisher nicht hinreichend geklärt war und dem Gesetzgeber aus diesem Grund eine angemessene Frist zur Schaffung einer Neuregelung – auch für Tatbestände in der Vergangenheit – zu gewähren ist19. Entsprechend kann auch bei einem Grundrechtsverstoß durch die Ausgestaltung von Versicherungsbedingungen im Rahmen einer Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst, die auf der Satzung einer öffentlichen Anstalt beruht, eine zeitliche und sachliche Beschränkung der Folgewirkungen zulässig und geboten sein, wenn ansonsten eine schwerwiegende Störung des finanziellen Gleichgewichts im Versicherungssystem zu befürchten wäre20. Dies folgt bereits aus der Schutzpflicht gegenüber den Grundrechtspositionen anderer Versicherter aus Art. 14 Abs. 1 GG.

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Von der Gefahr einer derartigen Störung kann aber vorliegend nicht ausgegangen werden. Eine Anrechnung von Mutterschutzzeiten, die auch schon vor dem 17. Mai 1990 in Anspruch genommen wurden, stellt jedenfalls dann keine echte rückwirkende Regelung dar, wenn der Versicherungsfall wie bei der Beschwerdeführerin bislang noch nicht eingetreten ist und Ausschlussfristen der Geltendmachung ihres Anspruchs nicht entgegenstehen. Denn die ausgezahlte Rente wird erst mit Eintritt des Versicherungsfalls berechnet (vgl. §§ 33 ff. VBLS). Auch sonst ist die Gefahr einer Störung des finanziellen Gleichgewichts der Zusatzversorgung durch die Berücksichtigung von Mutterschutzzeiten der Versicherten nicht ersichtlich. Das gilt auch, weil wegen der Ausschlussfristen in der Satzung der VBL eine rückwirkende Berücksichtigung von Mutterschutzzeiten nur sehr begrenzt in Betracht kommen dürfte.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28. April 2011 – 1 BvR 1409/10

  1. AG Karlsruhe, Urteil vom 09.06.2009 – 2 C 112/09[]
  2. LG Karlsruhe, Urteil vom 05.02.2010 – 6 S 18/09[]
  3. vgl. BVerfGE 124, 199, 218; BVerfGK 11, 130, 140; BVerfG, Beschluss vom 18.04.2008 – 1 BvR 759/05, DVBl 2008, S. 780[]
  4. vgl. BVerfGE 124, 199, 218; siehe auch BVerfGE 98, 365, 393; 116, 135, 153[]
  5. vgl. BVerfGE 85, 191, 206; 97, 35, 43[]
  6. vgl. BVerfGE 89, 276, 289[]
  7. vgl. BVerfGE 85, 191, 207; 92, 91, 109[]
  8. für das Recht der Europäischen Union: Art. 2 Abs. 2 Buchstabe c der Richtlinie 2006/54/EG; vgl. EuGH, Urteile vom 11.11.2010 – C-232/09 [Danosa]; vom 08.11.1990 – C-177/88 [Dekker], Slg. I-1990, 3941, 3973; vom 27.02.2003 – C-320/01 [Busch], Slg. I-2003, 2041, 2075; und vom 29.10.2009 – C-63/08 [Alabaster][]
  9. vgl. BVerfGE 109, 64, 84 ff.[]
  10. vgl. Gilbert/Hesse, Die Versorgung der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes, Satzung der VBL, § 29 B, Dezember 2001, Rn. 39[]
  11. BVerfGE 85, 191, 207 ff.; 92, 91, 109[]
  12. vgl. BVerfGE 109, 64, 89 m.w.N.; auch BVerfGE 87, 1, 42[]
  13. vgl. BVerfGE 109, 64, 90[]
  14. vgl. auch EuGH, Urteile vom 01.07.2010 – C-194/08 [Gassmayr]; vom 13.01.2005 – C-356/03 [Mayer][]
  15. vgl. BVerfGE 124, 199, 233 f.; BGHZ 174, 127, 175 ff.[]
  16. vgl. BVerfGE 82, 126, 154 f.; 103, 225, 240; 107, 27, 57; 120, 125, 167[]
  17. vgl. BVerfGE 29, 283, 303; 55, 100, 113 f.; 92, 91, 121[]
  18. vgl. BVerfGE 121, 241, 266[]
  19. vgl. BVerfGE 120, 125, 168 m.w.N.[]
  20. vgl. EuGH, Urteil vom 17.05.2001 – C-262/88 [Barber], Slg. 1990 I-1889, 1955[]