Eine nebenberufliche Lehrkraft an einer Abendrealschule wird dort nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts als Arbeitnehmer, nicht als freier Mitarbeiter tätig.

Arbeitnehmer und freie Mitarbeiter unterscheiden sich durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der zur Dienstleistung Verpflichtete befindet. Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist1. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 HGB)2. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls in Betracht zu ziehen und in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Die zwingenden gesetzlichen Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch abbedungen werden, dass die Parteien ihrem Arbeitsverhältnis eine andere Bezeichnung geben3. Der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist letztere maßgebend4.
Diese Grundsätze gelten auch für Unterrichtstätigkeiten. Entscheidend ist, wie intensiv die Lehrkraft in den Unterrichtsbetrieb eingebunden ist, in welchem Umfang sie den Unterrichtsinhalt, die Art und Weise der Unterrichtserteilung, ihre Arbeitszeit und die sonstigen Umstände der Dienstleistung mitgestalten und inwieweit sie zu Nebenarbeiten herangezogen werden kann. Wer an einer allgemeinbildenden Schule unterrichtet, ist in der Regel Arbeitnehmer, auch wenn er seinen Beruf nebenberuflich ausübt. Dagegen können etwa Volkshochschuldozenten, die außerhalb schulischer Lehrgänge unterrichten oder Lehrkräfte, die nur Zusatzunterricht erteilen, auch als freie Mitarbeiter beschäftigt werden5.
Aufgrund dieser typisierenden Betrachtungsweise hat das Bundesarbeitsgericht bereits entschieden, dass Lehrer an Abendgymnasien regelmäßig Arbeitnehmer des Schulträgers sind6. Gleiches gilt, so das Bundesarbeitsgericht in seinem aktuellen Urteil, auch für eine nebenberufliche Lehrkraft an der Abendrealschule:
Der Lehrer an einer Abendrealschule unterrichtet an einer allgemeinbildenden Schule. Abendrealschulen sind Schulen, die Berufstätige vorwiegend in Abendkursen in einem Lehrgang von mindestens zwei Jahren zum Realschulabschluss führen, § 2 der Verordnung der Landesregierung Baden-Württemberg über die Abendrealschulen vom 16. Juli 19687 (VO 1968). Als Ersatzschulen unterliegen sie den Bestimmungen des Privatschulgesetzes (§§ 1, 5 VO 1968) und damit der staatlichen Schulaufsicht. Fächerkanon und Abschlussprüfung sind detailliert durch Verordnung des Kultusministeriums geregelt8.
Nach § 2 Abs. 2 des Honorarvertrags muss der Kläger seinem Unterricht den Bildungsplan für Realschulen zugrunde legen. Er erteilt nicht bloß – wie in dem der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 9. März 2005 (BAG 09.03.2005 – 5 AZR 493/04, AP BGB § 611 Lehrer, Dozenten Nr. 167 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 3)) zugrunde liegenden Fall – Zusatzunterricht, sondern Pflichtunterricht (vgl. § 3 Abs. 1 VO 2006).
Zudem ist der Lehrer in dem vom Bundesarbeitsgericht jetzt entschiedenen Fall zur persönlichen Dienstleistung verpflichtet (§ 2 Abs. 5 Honorarvertrag), ein typisches Merkmal für ein Arbeitsverhältnis9.
Darüber hinaus kann der Lehrer nicht im Wesentlichen frei seine Arbeitszeit bestimmen, sondern ist bei der Gestaltung der Arbeitszeit eingebunden in die Unterrichtsabläufe beim Beklagten. Seinen Unterricht muss er zwischen 18:00 Uhr und 21:30 Uhr erteilen. Den Wochentag für seine Unterrichtstätigkeit kann er nicht frei wählen. Außerdem muss der Lehrer an den Lehrerkonferenzen teilnehmen (§ 2 Abs. 4 Honorarvertrag), Erkrankungen oder sonstige Verhinderungen dem Schulleiter vor Unterrichtsbeginn mitteilen (§ 4 Honorarvertrag) und kann nicht außerhalb der Schulferien mit dem Unterricht aussetzen. Zudem vertritt er verhinderte Lehrer, wenngleich mit Unterricht in seinen eigenen Fächern.
Die „Dichte des Regelwerks“, dem ein Lehrer an einer allgemeinbildenden Schule bei seiner Unterrichtstätigkeit unterliegt, ist dagegen nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts für die Frage der Weisungsgebundenheit kein taugliches, weil nicht messbares Kriterium. Das Bundesarbeitsgericht hat zwar seine typisierende Unterscheidung zwischen Lehrern an allgemeinbildenden Schulen einerseits und außerhalb schulischer Lehrgänge Unterrichtenden andererseits unter anderem darauf gestützt, dass für den Unterricht an allgemeinbildenden Schulen – auch des zweiten Bildungswegs – ein dichtes Regelwerk von Vorschriften bestehe10. Innerhalb des Unterrichts an allgemeinbildenden Schulen aber nochmals nach einer bestimmten „Dichte“ zu differenzieren, ist nicht möglich. Auch wenn der Kläger im Rahmen der Orientierung an dem Bildungsplan für Realschulen nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts von ihm genutzte Freiräume hatte, steht das einem Arbeitsverhältnis nicht entgegen.
Ohne Belang ist für das Bundesarbeitsgericht auch das Fehlen zentral gestellter Abschlussprüfungen in den von dem klagenden Lehrer unterrichteten Nebenfächern. Auch die mündliche Prüfung und die Kompetenzprüfung, bei denen der Kläger nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mitwirkte, unterliegen der staatlichen Regelung (§ 5 VO 2006).
Auch das Fehlen einer Erziehungsaufgabe bei Unterricht im zweiten Bildungsweg ist wegen des Alters der Schüler kein taugliches Kriterium für die Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft der dort tätigen Lehrkräfte11. Unerheblich ist ferner, dass Nebenarbeiten wie Elternabende, Klassenfeste oder Schulausflüge nicht anfallen. Das betrifft nicht nur den Kläger, sondern in gleicher Weise die im Arbeitsverhältnis stehenden Lehrkräfte des Beklagten. An der Abendrealschule findet nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nur ein vom jeweiligen Klassenlehrer ausgerichtetes Abschlussfest statt. Ansonsten gibt es weder Elternabende noch Schulausflüge und Klassenfeste.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Januar 2010 – 5 AZR 106/09
- BAG 14.03.2007 – 5 AZR 499/06, AP BGB § 611 Arbeitnehmerähnlichkeit Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 10; 25.05.2005 – 5 AZR 347/04, BAGE 115, 1; 16.02.2000 – 5 AZB 71/99, BAGE 93, 310[↩]
- BAG 25.05.2005 – 5 AZR 347/04, aaO; 22.04.1998 – 5 AZR 342/97 – BAGE 88, 263[↩]
- vgl. BAG 22.08.2001 – 5 AZR 502/99, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 109 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 86; 12.09.1996 – 5 AZR 1066/94, BAGE 84, 108[↩]
- BAG 25.05.2005 – 5 AZR 347/04, a.a.O.; 30.09.1998 – 5 AZR 563/97, BAGE 90, 36[↩]
- BAG 09.03.2005 – 5 AZR 493/04, AP BGB § 611 Lehrer, Dozenten Nr. 167 = EzA BGB 2002 Arbeitnehmerbegriff Nr. 3; 09.07.2003 – 5 AZR 595/02, AP BGB § 611 Lehrer, Dozenten Nr. 158[↩]
- BAG 12. September 1996 – 5 AZR 104/95, BAGE 84, 124[↩]
- GBl. BaWü 1968, 320[↩]
- zuletzt: Verordnung des Kultusministeriums Baden-Württemberg über die Abschlussprüfung an Abendrealschulen vom 5. September 2006, GBl. BaWü 2006, 297; VO 2006[↩]
- BAG 13.03.2008 – 2 AZR 1037/06, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 176 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 159; vgl. auch BAG 16.07.1997 – 5 AZR 312/96, BAGE 86, 170[↩]
- vgl. BAG 12.09.1996 – 5 AZR 104/95, BAGE 84, 124[↩]
- BAG 12.09.1996 – 5 AZR 104/95, BAGE 84, 124[↩]
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