Der Tarifvertrag über den Rationalisierungsschutz der Arbeitnehmer bei der Postbank – TV Ratio – verbietet nicht generell Änderungskündigungen, die sich nicht im Rahmen der Zumutbarkeitskriterien von § 5 TV-Ratio halten. Nach § 4 TV-Ratio haben die erfassten Arbeitnehmer nur dann einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung innerhalb der Zumutbarkeitsgrenzen des § 5 TV-Ratio, wenn ein entsprechender Arbeitsplatz frei ist.

Schon nach ihrem Wortlaut enthalten die Bestimmungen des TV-Ratio kein generelles Verbot von Änderungskündigungen, die sich nicht im Rahmen der Zumutbarkeitsregeln des § 5 halten. Ebenso wenig räumen sie einem von einer Rationalisierungsmaßnahme betroffenen Arbeitnehmer einen Anspruch auf Beschäftigung innerhalb der Zumutbarkeitsgrenzen des § 5 TV-Ratio auch dann ein, wenn kein entsprechender Arbeitsplatz frei ist.
Nach § 4 Abs. 1 TV-Ratio haben die erfassten Arbeitnehmer lediglich Anspruch darauf, dass ihnen ein nach § 5 TV-Ratio zumutbarer freier Arbeitsplatz angeboten wird. Für Angebote im sog. Kaskaden-Modell ergibt sich dies bereits unmittelbar aus Satz 2 der Bestimmung, der von Angeboten „zumutbarer freier Arbeitsplätze“ spricht. Aber auch der Anspruch auf Vermittlung eines zumutbaren Arbeitsplatzes im sog. Kernbereich der Beklagten nach Satz 1 der Vorschrift setzt voraus, dass ein entsprechender freier Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Das ergibt einmal ein Rückschluss aus Satz 2. Danach ist ein Angebot im sog. Kaskaden-Modell nur dann zu unterbreiten, wenn eine Vermittlung auf einen Arbeitsplatz nach Satz 1 „nicht möglich“, ein solcher Arbeitsplatz also nicht frei ist. Das folgt zudem aus § 4 Abs. 2 TV-Ratio. Danach können Arbeitnehmer im Wechsel mit verschiedenen Tätigkeiten betraut werden, „sofern die Vermittlung eines zumutbaren freien Arbeitsplatzes nach Absatz 1 nicht realisiert werden kann“.
Auch § 4 Abs. 2 TV-Ratio normiert für den Fall, dass ein freier Arbeitsplatz nach § 4 Abs. 1 TV-Ratio nicht zur Verfügung steht, keinen Anspruch auf eine Beschäftigung – und sei es mit wechselnden Tätigkeiten – innerhalb der Zumutbarkeitsgrenzen. Die Bestimmung sieht ihrem Wortlaut nach nur vor, dass die Arbeitnehmer mit entsprechenden Tätigkeiten betraut werden können. Anders als in § 4 Abs. 1 TV-Ratio heißt es nicht, sie hätten darauf Anspruch oder die Tätigkeiten seien ihnen zu übertragen.
§ 5 Abs. 4 Buchst. a TV-Ratio definiert zwar bei dauerhaften Versetzungen die räumliche Zumutbarkeit im Sinne des Tarifvertrags. Einen Anspruch auf die Zuweisung zumutbarer Tätigkeiten sieht aber auch diese Bestimmung nicht vor, wenn ein freier Arbeitsplatz nicht vorhanden ist. Aus der Protokollnotiz zu § 5 Abs. 4 TV-Ratio folgt nichts anderes. Aus ihr ergibt sich nicht, dass die Tarifvertragsparteien einen generellen Anspruch auf die Zuweisung von Tätigkeiten innerhalb der räumlichen Zumutbarkeitskriterien begründen wollten. Vielmehr ist im Falle der endgültigen Aufgabe von Betriebsteilen ein Einsatz der betroffenen Arbeitnehmer innerhalb der Zumutbarkeitsgrenzen des § 5 Abs. 4 Buchst. a TV-Ratio nur vorzusehen, sofern das „möglich“ ist. Ist dies nicht der Fall, soll zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat mit dem Ziel einer Einigung verhandelt werden. Eine Änderungskündigung mit dem Ziel einer – dauerhaften – Versetzung des Arbeitnehmers auf einen Arbeitsplatz außerhalb der Zumutbarkeitskriterien ist damit gerade nicht generell ausgeschlossen.
Aus der Systematik des TV-Ratio lässt sich ebenso wenig ein Anspruch der von einer Rationalisierungsmaßnahme betroffenen Arbeitnehmer auf Beschäftigung innerhalb der Zumutbarkeitsgrenzen des § 5 Abs. 4 Buchst. a TV-Ratio oder sogar ein Verbot von Änderungskündigungen mit dem Ziel einer dauerhaften Beschäftigung außerhalb der Zumutbarkeitsgrenzen ableiten, sofern es an einem entsprechenden freien Arbeitsplatz fehlt. So knüpft § 6 TV-Ratio lediglich wirtschaftliche Vorteile – die Sicherung des Arbeitsentgelts und Mobilitätshilfen – an die Annahme eines zumutbaren Angebots. Umgekehrt sieht § 7 Abs. 2 TV-Ratio vor, dass ein Arbeitnehmer, der einen nach § 4 Abs. 1 TV-Ratio angebotenen Arbeitsplatz ablehnt, seine Rechte aus dem Tarifvertrag verliert. Mit der Frage, was gelten soll, wenn ein zumutbarer freier Arbeitsplatz nicht angeboten werden kann, befasst sich der TV-Ratio nicht. Kündigungsschutzrechtlich schließt § 7 Abs. 1 Satz 1 TV-Ratio allein betriebsbedingte Beendigungskündigungen im Zusammenhang mit einer Rationalisierungsmaßnahme aus.
Sinn und Zweck des TV-Ratio erlauben nicht die Annahme, die Tarifvertragsparteien hätten Beschäftigungsangebote außerhalb der Zumutbarkeitsgrenzen des § 5 Abs. 4 Buchst. a TV-Ratio selbst dann verbieten wollen, wenn ein zumutbarer Arbeitsplatz nicht frei ist. Zwar dient der Tarifvertrag ausweislich seines Titels dem Schutz der Arbeitnehmer. Welchen Schutz er vermittelt, kann aber nur den tatsächlich vereinbarten Regelungen entnommen werden. Diese wiederum mildern die Folgen für die von einer Rationalisierungsmaßnahme betroffenen Arbeitnehmer ausschließlich durch einen Anspruch auf Unterbringung auf einem zumutbaren freien Arbeitsplatz nach §§ 4, 5 TV-Ratio, durch finanzielle Hilfen nach § 6 TV-Ratio und durch das Verbot von Beendigungskündigungen gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 TV-Ratio. Aus dem Umstand, dass für Arbeitnehmer, denen ein zumutbarer Arbeitsplatz nicht angeboten werden kann, keine wirtschaftlichen Hilfen vorgesehen sind, kann nicht geschlossen werden, die Tarifvertragsparteien hätten ein Verbot von Versetzungen auf einen Arbeitsplatz außerhalb der Zumutbarkeitskriterien festlegen wollen. Es ist vielmehr ebenso gut möglich, dass sie für entsprechende Vereinbarungen kein Regelungsbedürfnis gesehen haben. Für den Fall des Wechsels eines Arbeitnehmers von Frankfurt am Main nach Bonn im Rahmen der hier fraglichen Maßnahme sieht § 4 Abs.02.1 GBV vom 10.06.2011 dafür finanzielle Leistungen wie die Zahlung einer Mobilitätspauschale vor. Bei einem Wohnungswechsel im Zusammenhang mit einer dauerhaften Versetzung verweist im Übrigen auch § 6 Abs. 7 TV-Ratio auf die Möglichkeit einer Kostenerstattung nach den bei der Beklagten jeweils gültigen Regelungen. Weshalb es, wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat, der Vereinbarung einer Mobilitätspauschale gemäß § 4 Abs.02.1 GBV nicht bedurft hätte, wenn eine Änderungskündigung den räumlichen Zumutbarkeitskriterien des § 5 Abs. 4 Buchst. a TV-Ratio nicht entsprechen muss, ist nicht nachvollziehbar. Die in § 4 Abs.02.1 GBV vorgesehenen Leistungen stützen eher ein Verständnis des TV-Ratio dahin, dass dieser Änderungskündigungen mit dem Ziel einer Versetzung auf Arbeitsplätze, die außerhalb der örtlichen Zumutbarkeitsgrenzen liegen, nicht generell ausschließt. Es kann deshalb dahinstehen, ob und ggf. inwiefern die Regelungen der GBV aus dem Jahr 2011 überhaupt von Bedeutung für die Auslegung des TV-Ratio aus dem Jahr 1997 sein können.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. Januar 2015 – 2 AZR 264/14