Ordentliche verhaltensbedingte Kündigung – die fehlerhafte Spesenabrechnung

Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung ua. dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist. Sie ist durch solche Gründe „bedingt“, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die (fristgemäße) Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen – wie etwa eine Abmahnung – von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken1.

Ordentliche verhaltensbedingte Kündigung – die fehlerhafte Spesenabrechnung

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist2.

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Ein Arbeitnehmer, der bei Spesenabrechnungen bewusst falsche Angaben macht oder deren Unrichtigkeit zumindest für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, verletzt in erheblicher Weise seine vertraglichen Pflichten. Unkorrektheiten können selbst dann geeignet sein, eine – ggf. außerordentliche – Kündigung zu rechtfertigen, wenn es sich um einen einmaligen Vorfall und einen geringen Erstattungsbetrag handelt3. Bewusstes und damit vorsätzliches Handeln ist zwar von der Erklärung versehentlich falscher Angaben zu unterscheiden. Es liegt aber bereits dann vor, wenn die Unrichtigkeit und der auf ihr beruhende rechtswidrige Erfolg für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen wird4.

Die Bewertung eines Fehlverhaltens als vorsätzlich oder fahrlässig liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und ist Gegenstand der tatrichterlichen Würdigung iSv. § 286 ZPO. Das Revisionsgericht kann die Feststellung innerer Tatsachen nur daraufhin prüfen, ob das Tatsachengericht von den richtigen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und keine Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat5.

Aus dem Fehlen einer Unterschrift des Arbeitnehmers auf dem Abrechnungsformular kann nicht auf das Fehlen eines Täuschungsvorsatzes geschlossen werden. Auch wenn das Abrechnungsformular nicht unterschrieben war, kann der Arbeitnhmer, wenn er das Formular zur Abrechnung eingereicht hat, für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben, dass es falsche Angaben enthielte, dadurch eine Täuschung über die ihm entstandenen Kosten hervorrufen und eine ihm nicht zustehende Kostenerstattung erfolgen würde. Gerade wenn der Arbeitnehmer das Formular – wie er selbst geltend gemacht hat – weder selbst ausgefüllt noch kontrolliert hatte, musste er damit rechnen, dass es unzutreffende Angaben enthielte. Wenn er es dennoch mit dem Ziel eingereicht hat, auf seiner Basis eine Kostenerstattung zu erlangen, kann er eine Täuschung und Schädigung der Arbeitgeberin zumindest billigend in Kauf genommen haben. Daran ändert das Fehlen einer Unterschrift für sich genommen nichts. Der Arbeitnhmer kann es für möglich gehalten und gebilligt haben, dass sein Antrag auch ohne Unterschrift bearbeitet würde. Dies gilt jedenfalls dann, wenn unerklärlich bleibt, warum er ihn sonst hätte einreichen sollen. Dass es dafür einen anderen Grund als den Wunsch nach Kostenerstattung gab, ist bislang nicht festgestellt.

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Ein möglicher Täuschungs- und Schädigungsvorsatz des Arbeitnehmers entfiele nicht dadurch, dass die Erstattung von Reisekosten auf ein nicht unterzeichnetes Abrechnungsformular hin möglicherweise nicht den bestehenden Vorgaben entsprach und auf dem Formular Überschreibungen und Korrekturen vorgenommen wurden. Es ist nach den bisherigen Feststellungen weder ausgeschlossen, dass der Arbeitnehmer eine Erstattung ohne Unterschrift billigend in Kauf nahm, noch ist auszuschließen, dass schon er selbst das Formular mit falschen Angaben eingereicht hat.

Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitnehmer dagegen behauptet, er habe das fragliche Bündel Abrechnungen dem Sachbearbeiter mit dem ausdrücklichen Hinweis übergeben, diese weder selbst gefertigt noch kontrolliert und deshalb auch nicht unterschrieben zu haben. Träfe das zu, könnte dies einen Täuschungsvorsatz ausschließen. Der Arbeitnehmer hätte dann möglicherweise angenommen, den zuständigen Sachbearbeiter hinreichend in Kenntnis darüber gesetzt zu haben, dass die Angaben in den Abrechnungen nicht (schon) als Basis für eine Kostenerstattung dienen sollten.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11. Juli 2013 – 2 AZR 994/12

  1. BAG 27.09.2012 – 2 AZR 811/11, Rn. 16; 9.06.2011 – 2 AZR 284/10, Rn. 34[]
  2. vgl. BAG 25.10.2012 – 2 AZR 495/11, Rn. 16; 19.04.2012 – 2 AZR 186/11, Rn. 22[]
  3. BAG 6.09.2007 – 2 AZR 264/06, Rn. 23[]
  4. vgl. BAG 28.04.2011 – 8 AZR 769/09, Rn. 50; 20.03.1979 – 1 AZR 450/76, zu III 2 der Gründe; BGH 20.03.2003 – III ZR 305/01, zu 2 c bb (2) der Gründe[]
  5. BAG 9.06.2011 – 2 AZR 381/10, Rn. 16; 16.12 2010 – 2 AZR 485/08, Rn. 21[]
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