Persönliche Haftung von Organmitgliedern für nicht ausgezahlte Abfindungen

Organmitglieder (hier: der GmbH-Geschäftsführer) des Arbeitgebers haften im Regelfall nicht persönlich, wenn Abfindungen an ausgeschiedene Arbeitnehmer nicht zur Auszahlung kommen.

Persönliche Haftung von Organmitgliedern für nicht ausgezahlte Abfindungen

Ansprüche wegen der Verletzung vertraglicher Pflichten, seien es solche aus dem Arbeitsvertrag, §§ 611 ff. BGB, oder solche aus dem Aufhebungsvertrag, nach §§ 280 ff., § 241 Abs. 2 BGB scheiden schon deswegen aus, weil es zwischen dem Organmitglied und dem ehemaligen Arbeitnehmer zu keinen Vertragsbeziehungen gekommen ist, § 311 Abs. 1 BGB. Seinen Arbeitsvertrag hat der Arbeitnehmer mit der GmbH geschlossen. Der Arbeitnehmer hat also weder mit den Geschäftsführern der GmbH noch mit dem Vorstandsvorsitzendem der Muttergesellschaft kontrahiert. Es sind vorliegend auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vom Arbeitnehmer vorgetragen, dass einer dieser Organmitglieder im Zusammenhang mit dem Aufhebungsvertrag eine persönliche Haftung übernehmen wollte. Die Geschäftsführer haben an dem Vertragsschluss nicht persönlich mitgewirkt oder hierauf unmittelbar Einfluss genommen. Eine persönliche Einstandspflicht oder auch nur ein Wille dazu lässt sich auch nicht aus den erfolgten Info-Rundschreiben zur Abfindungsregelung 2008 ableiten. Sie stellen kein selbständiges Garantieversprechen dar, was eine Eigenhaftung ausnahmsweise hätte herbeiführen können1.

Auch eine persönliche Haftung der Geschäftsführer nach § 311 Abs. 3 BGB besteht nicht.

Die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 311 Abs. 3 iVm. § 241 Abs. 2 BGB richten sich nach den Grundsätzen, die die zivil- und arbeitsgerichtliche Rechtsprechung für die sogenannte Sachwalterhaftung aufgestellt hat2. Danach sind zwar Sachwalter und Vertreter in der Regel nur aus Delikt in Anspruch zu nehmen3. Ausnahmsweise kann aber ein Sachwalter auch persönlich wegen Verschuldens bei Vertragsschluss in Anspruch genommen werden, wenn er die Verhandlungen oder den Vertragsschluss in unmittelbarem eigenen wirtschaftlichen Interesse herbeigeführt oder dadurch, dass er ein besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hat, erheblich beeinflusst hat4. Nach dem mit der Schuldrechtsreform 2002 eingeführten § 311 Abs. 3 BGB kann, entsprechend diesen Grundsätzen, ein Schuldverhältnis mit der Folge einer persönlichen Haftung auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollten oder geworden sind. Das in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB aufgeführte Beispiel für einen Haftungsgrund des in besonderem Maße in Anspruch genommenen Vertrauens stellt jedoch keine abschließende Regelung dar. Es bleibt bei den bisher von der Rechtsprechung angewandten Grundsätzen5.

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Tatsachen, die eine Sachwalterhaftung der Geschäftsführer nach § 311 Abs. 3 iVm. § 241 Abs. 2 BGB schlüssig erscheinen ließen, hat der Arbeitnehmer nicht vorgetragen. Keiner der Geschäftsführer war am konkreten Vertragsschluss selbst beteiligt. Für die GmbH erfolgten die Verhandlungen und der Vertragsschluss durch die Personalabteilung. Es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die beklagten Geschäftsführer hierauf in irgendeiner Weise Einfluss genommen hätten oder von dem konkreten Vertragsschluss mit dem Arbeitnehmer auch nur Kenntnis gehabt hätten6. Sie haben auch keine Erklärung dahin gehend abgegeben, auch nicht in den Rundschreiben, dass sie selbst in eigener Person für die im Sozialplan niedergelegten Abfindungsansprüche einstehen wollten. Das allgemeine Interesse als Geschäftsführer oder Vorstandsvorsitzender am Erfolg des Unternehmens begründet keine Eigenhaftung7. Daher vermag die mit der Revision vorgetragene Ansicht: „… hinsichtlich einer Vertrauenshaftung liege das eigenwirtschaftliche Interesse der Geschäftsführer auf der Hand. Es sei um den Erhalt ihrer Vorstands- bzw. Geschäftsführerposten gegangen …“, nicht zu überzeugen. Ein derartiges „Eigeninteresse“ genügt nicht, um eine persönliche Haftung des Geschäftsführers oder des Vorstandsvorsitzenden der Muttergesellschaft zu begründen.

Die Geschäftsführer einer GmbH haften grundsätzlich nicht, § 13 Abs. 2 GmbHG. Eine persönliche Haftung des Vorstandsvorsitzenden der Muttergesellschaft nach § 93 Abs. 5 iVm. § 93 Abs. 2 und Abs. 3 AktG oder als Aufsichtsratsmitglied nach § 116 AktG kommt hier nicht in Betracht.

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Seinen Schadensersatzanspruch kann der Arbeitnehmer auch nicht auf Deliktsrecht stützen.

Soweit der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 263 StGB – Eingehungsbetrug – oder auf § 823 Abs. 1 BGB – Verletzung eines absoluten „Rechts am Arbeitsplatz /am Arbeitsverhältnis“ zu stützen versucht, kommen Ansprüche schon deswegen nicht in Frage, weil es, ebenso wie bei vertraglichen Anspruchsgrundlagen, insoweit an jedwedem substanziierten Vortrag des Arbeitnehmers für eine zurechenbare Verletzungshandlung der Geschäftsführer fehlt. Einen zielgerichteten rechtswidrigen Eingriff hat der Arbeitnehmer nicht vorgetragen. Dass die Rundschreiben keinen „gezielten Eingriff“ in Rechte oder Rechtsgüter des Arbeitnehmers darstellen, bedarf keiner weiteren Erörterung. Die Geschäftsführer haben auch nicht im Sinne einer Täuschung gegen ihre Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB oder eine weitest gefasste Fürsorgepflicht dadurch verstoßen, dass sie den Arbeitnehmer oder die GmbH nicht vom Abschluss des Aufhebuntgsvertrages abgehalten haben, der durch die damals gültigen Betriebsvereinbarungen vorstrukturiert war. Es ist auch nicht zu entscheiden, ob das vom Arbeitnehmer geltend gemachte „Recht am Arbeitsverhältnis“ überhaupt besteht, denn selbst wenn man dies bejahte, wäre ein solches Recht ähnlich dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und auch ähnlich dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht tatbestandsmäßig offen, sodass die Rechtswidrigkeit der besonderen Begründung anhand der Verletzungshandlung bedürfte8. Auch daran fehlt es vorliegend, sodass dahinstehen kann, ob überhaupt ein „Recht am Arbeitsplatz“ im Sinne eines räumlich-gegenständlichen Bereichs oder das „Recht am Arbeitsverhältnis“ im Sinne eines alleinigen Verfügungsrechts des Arbeitnehmers als absolutes Recht iSv. § 823 Abs. 1 BGB anzuerkennen ist9.

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§ 823 Abs. 2 BGB iVm. § 15a Abs. 1 InsO, § 64 Abs. 1 GmbHG aF bildet keine Grundlage für den vom Arbeitnehmer geltend gemachten Anspruch.

Selbst wenn man die Insolvenzreife der Arbeitgeberin schon vor oder spätestens zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrags unterstellt, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Geschäftsführer diese hätten erkennen können oder erkennen müssen. Zwar wird bei feststehendem – hier: unterstelltem – objektiven Tatbestand der Insolvenzverschleppung ein Verschulden vermutet, wofür die bloße „Erkennbarkeit“ der Insolvenzreife ausreicht. Der somit dann dem Geschäftsführer obliegenden Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er die objektiv bestehende Antragspflicht nicht schuldhaft verletzt hat, kann er aber schon dadurch genügen, dass er seiner ständigen Prüfungs- und Beobachtungspflicht nachgekommen ist, etwa unabhängigen, fachlich qualifizierten Rat eingeholt hat, auf den er sich verlassen durfte10. Solchen Sorgfaltspflichten und Obliegenheiten sind im vorliegend vom Bundesarbeitsgericht en Fall die Geschäftsführer nachgekommen, da sie zuvor bereits den Insolvenzberater Rechtsanwalt P hinzugezogen hatten und weitere unabhängige Gutachter mit der Beobachtung des Unternehmens betraut worden waren. Zudem verletzen Geschäftsführer ihre Antragspflicht dann nicht, wenn sich „zumindest vertretbar“ eine positive Fortbestehensprognose darstellen lässt11. Bei Abschluss des Aufhebungsvertrags war noch nicht absehbar, dass die Bankkredite – anders als bisher – im Folgejahr nicht mehr prolongiert werden würden.

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Außerdem könnte eine Insolvenzreife schon im Zeitpunkt des Abschlusses der Aufhebungsvereinbarung nicht zu dem vom ehemaligen Arbeitnehmer nunmehr geltend gemachten Schaden führen. Es fehlte an der haftungsausfüllenden Kausalität. Denn bei einem Insolvenzantrag vor Abschluss des Interessenausgleichs und Sozialplans, jedenfalls aber vor Abschluss der Aufhebungsvereinbarung, wäre es nicht zu der dem Arbeitnehmer gegebenen „Notiz“ mit der Mitteilung der Abfindungssumme gekommen. Vielmehr wäre der Arbeitnehmer der Gefahr einer Insolvenzkündigung mit kurzer Kündigungsfrist (§ 113 InsO) ausgesetzt gewesen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. März 2014 – 8 AZR 45/13

  1. vgl. BGH 18.06.2001 – II ZR 248/99[]
  2. vgl. BAG 18.08.2011 – 8 AZR 220/10; 13.02.2007 – 9 AZR 106/06; 24.11.2005 – 8 AZR 1/05[]
  3. vgl. BGH 4.07.1983 – II ZR 220/82 – BGHZ 88, 67[]
  4. vgl. BGH 3.04.1990 – XI ZR 206/88; 24.05.2005 – IX ZR 114/01[]
  5. Palandt/Grüneberg 73. Aufl. § 311 BGB Rn. 60[]
  6. vgl. BAG 24.11.2005 – 8 AZR 1/05, Rn. 26; BGH 4.05.2004 – XI ZR 41/03, Rn. 27[]
  7. vgl. BGH 3.10.1989 – IX ZR 157/88; 27.03.1995 – II ZR 136/94; BAG 13.02.2007 – 9 AZR 106/06[]
  8. BAG 4.06.1998 – 8 AZR 786/96, zu B III 2 der Gründe, BAGE 89, 80[]
  9. BAG 14.02.2002 – 8 AZR 175/01, zu B I 2 c der Gründe; vgl. auch 18.01.2007 – 8 AZR 234/06, Rn. 11; sowie 26.07.2007 – 8 AZR 796/06, Rn. 32, BAGE 123, 301[]
  10. BGH 14.05.2007 – II ZR 48/06, Rn. 14 ff.; vgl. BAG 10.02.1999 – 5 AZR 677/97, zu III 1 der Gründe[]
  11. BAG 10.02.1999 – 5 AZR 677/97, zu III 2 der Gründe[]
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