Der arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer ist grundsätzlich nicht verpflichtet, an einem vom Arbeitgeber angeordneten Personalgespräch teilzunehmen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber nach § 106 Satz 1 und 2 GewO gegenüber allen Arbeitnehmern Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Das Weisungsrecht betrifft danach zum einen die Konkretisierung der Hauptleistungspflicht. Es ermöglicht dem Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer bestimmte Aufgaben zuzuweisen und den Ort und die Zeit ihrer Erledigung verbindlich festzulegen. Darin erschöpft sich das Weisungsrecht jedoch nicht. Vielmehr tritt eine nicht abschließend aufzählbare, je nach den Umständen näher zu bestimmende Vielzahl von Pflichten hinzu, deren Erfüllung unumgänglich ist, um den Austausch der Hauptleistungen sinnvoll zu ermöglichen. Auch hierauf kann sich das Weisungsrecht beziehen. Schließlich kann das Weisungsrecht auch den in fast allen Arbeitsverhältnissen bestehenden kollektiven Bereich betreffen, in dem es um diejenigen Regelungsbedürfnisse geht, die durch das Zusammenwirken mehrerer Arbeitnehmer im Betrieb entstehen. Auch auf diese Bereiche können Weisungen bezogen sein. Dagegen erstreckt sich das Weisungsrecht nicht auf die Bestandteile des Austauschverhältnisses, also die Höhe des Entgelts und den Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung. Da Weisungen regelmäßig keinem Formzwang unterliegen, muss dem Arbeitgeber auch die Möglichkeit zur Verfügung stehen, sie mündlich zu erteilen. Das beinhaltet die Berechtigung, den Arbeitnehmer zur Teilnahme an Gesprächen zu verpflichten, in denen der Arbeitgeber Weisungen in einem der oben genannten Bereiche vorbereiten, erteilen oder ihre Nichterfüllung beanstanden will. Stets muss der Arbeitgeber bei Weisungen billiges Ermessen walten lassen [1].
Ist der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, kommen Weisungen bezüglich seiner Arbeitsleistung nicht in Betracht, da der erkrankte Arbeitnehmer von der Erbringung der Arbeitsleistung befreit ist.
Ist dieArbeitnehmerin an den Tagen, an denen die Arbeitgeberin ein Personalgespräch führen wollte, arbeitsunfähig erkrankt, besteht keine Verpflichtung der Arbeitnehmerin, an einem Personalgespräch teilzunehmen, das sich auf die Arbeitsleistung beziehen sollte. Dabei ist es unerheblich, ob die Arbeitnehmerin aufgrund ihres Gesundheitszustandes in der Lage gewesen wäre, an dem von der Arbeitgeberin gewünschten Gespräch teilzunehmen. Sie war hierzu nicht verpflichtet. Eine teilweise Arbeitsunfähigkeit besteht nicht [2].
Im hier entschiedenen Fall war auch nicht ersichtlich, dass die Arbeitnehmerin verpflichtet war, an den Personalgesprächen teilzunehmen, weil es darin um sog. leistungssichernde Verhaltenspflichten hätte gehen sollen.
Zum einen besteht nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg während einer Arbeitsunfähigkeit unabhängig vom Thema generell keine Verpflichtung, an einem vom Arbeitgeber angeordneten Personalgespräch teilzunehmen.
Diese Frage ist, soweit ersichtlich, höchstrichterlich noch nicht entschieden worden. In der zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts war die betroffene Arbeitnehmerin nicht arbeitsunfähig erkrankt.
Ist ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, ist er primär nicht verpflichtet, seiner Hauptleistungspflicht nachzukommen. Dies gilt auch für Nebenpflichten, deren Erfüllung dazu dient, der geschuldeten Arbeitsleistung ordnungsgemäß nachzukommen, beispielsweise Pünktlichkeit oder das Tragen angemessener Bekleidung oder die betriebliche Sozialverträglichkeit des Verhaltens. Da auch derartige Nebenpflichten lediglich die Funktion haben, den Arbeitsvertrag ordnungsgemäß zu erfüllen, kann die Bereitschaft eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers, diesbezügliche Weisungen in einem Personalgespräch entgegen zu nehmen; vom Arbeitgeber nicht verpflichtend gefordert werden.
Die Arbeitgeberin hat insoweit ihr Ermessen auch nicht ordnungsgemäß ausgeübt:
Nach § 106 Satz 1 GewO hat der Arbeitgeber sein Weisungsrecht nach billigem Ermessen auszuüben. Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Ob die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. Das gebietet eine Berücksichtigung und Verwertung der Interessen unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls [3].
Gemessen an diesen Kriterien ist nicht erkennbar, dass die Arbeitgeberin ihr Ermessen in billiger Weise ausgeübt hat.
Die Arbeitgeberin hat bereits nicht vorgetragen, welches Interesse sie daran hatte, während der Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin mit dieser ein Personalgespräch zu führen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, welchen dringenden, unaufschiebbaren Gesprächsbedarf die Arbeitgeberin hatte, so dass es für sie nachteilig gewesen wäre, hiermit zu warten, bis die Arbeitnehmerin wieder arbeitsfähig war. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Arbeitsverhältnis von der Arbeitgeberin bereits gekündigt und hierüber ein Rechtsstreit zwischen den Parteien anhängig war.
Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 1. September 2015 – 7 Sa 592/14
- BAG, Urteil vom 23.06.2009 – 2 AZR 606/08[↩]
- vgl. BAG, Urteil vom 09.04.2014 ? 10 AZR 637/13[↩]
- BAG, Urteil vom 21.07.2009 – 9 AZR 404/08; juris[↩]
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