Personalgestellung – und der Verstoß gegen die Leiharbeitsrichtlinie

Das Bundesarbeitsgericht hat den Gerichtshof der Europäischen Union die Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) in der für kommunale Arbeitgeber (VKA) geltenden Fassung in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 über Leiharbeit fällt. Bejahendenfalls soll durch die Anfrage beim EuGH geklärt werden, ob die Leiharbeitsrichtlinie eine Bereichsausnahme wie die in § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG geregelte zulässt.

Personalgestellung – und der Verstoß gegen die Leiharbeitsrichtlinie

Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über folgende Fragen ersucht:

1. Findet Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 über Leiharbeit Anwendung, wenn – wie in § 4 Abs. 3 TVöD bestimmt – Aufgaben eines Arbeitnehmers zu einem Dritten verlagert werden und dieser Arbeitnehmer bei weiter bestehendem Arbeitsverhältnis zu seinem bisherigen Arbeitgeber auf dessen Verlangen die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung dauerhaft bei dem Dritten erbringen muss und dabei dem fachlichen und organisatorischen Weisungsrecht des Dritten unterliegt?
2. Sofern die Frage zu 1. bejaht wird:Ist es mit dem Schutzzweck der Richtlinie 2008/104/EG vereinbar, wenn wie durch § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG die Personalgestellung im Sinne von § 4 Abs. 3 TVöD aus dem Anwendungsbereich der nationalen Schutzvorschriften bei Arbeitnehmerüberlassung herausgenommen wird, sodass diese Schutzvorschriften auf die Fälle der Personalgestellung nicht anzuwenden sind?

Für das Bundesarbeitsgericht stellt sich zunächst die Frage, ob eine Personalgestellung im Sinne von § 4 Abs. 3 TVöD den Tatbestand einer Arbeitnehmerüberlassung im Sinne der Richtlinie 2008/104/EG erfüllt und damit deren Anwendungsbereich eröffnet ist.

Nach Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 gilt die Richtlinie 2008/104/EG für Arbeitnehmer, die mit einem (privaten oder öffentlichen) Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind und entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um vorübergehend unter deren Aufsicht und Leitung zu arbeiten. Das Leiharbeitsunternehmen und das entleihende Unternehmen müssen – ohne Erwerbszwecke zu verfolgen – eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/104/EG definiert Leiharbeitsunternehmen als natürliche oder juristische Personen, die mit Leiharbeitnehmern Arbeitsverträge schließen oder Beschäftigungsverhältnisse eingehen, um diese entleihenden Unternehmen zu überlassen. Entsprechend bezeichnet Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2008/104/EG Leiharbeitnehmer als Arbeitnehmer, die mit einem solchen Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind, um einem entleihenden Unternehmen überlassen zu werden.

Nach diesen Vorgaben der Richtlinie 2008/104/EG könnte die Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD zwar begrifflich eine Arbeitnehmerüberlassung im allgemeinen Sinn darstellen. Auch bei der Personalgestellung besteht ein Arbeitsverhältnis mit dem vertraglichen Arbeitgeber. Zugleich ist der gestellte Arbeitnehmer in den Betrieb des Dritten eingegliedert und dessen fachlichen und organisatorischen Weisungen unterworfen. Der Arbeitnehmer wird – allerdings nur in den Grenzen der aus dem fortbestehenden Arbeitsverhältnis vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung – also im Sinne der Richtlinie 2008/104/EG „im Auftrag“ des Dritten und unter dessen „Aufsicht und Leitung“ tätig. Das könnte dafür sprechen, auch im Fall der Gestellung ein „doppeltes Arbeitsverhältnis“ anzunehmen, wie es der Gerichtshof bei der Arbeitnehmerüberlassung getan hat1.

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Das Bundesarbeitsgericht hält es aber für denkbar, dass die Personalgestellung aufgrund ihrer Besonderheiten und dem mit ihr verfolgten Ziel, Inhalt und Bestand des Arbeitsverhältnisses des von einer dauerhaften Aufgabenverlagerung betroffenen Arbeitnehmers einschließlich der bestehenden arbeits- und tarifvertraglichen Regelungen zu sichern, so maßgeblich von dem der Richtlinie 2008/104/EG zugrunde liegenden Leitbild der Leiharbeit abweicht, dass sie nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst wird.

Der eng gefasste Tatbestand des § 4 Abs. 3 TVöD setzt den Wegfall der Aufgaben des Arbeitnehmers bei seinem Arbeitgeber voraus, weil diese Aufgaben dauerhaft zu einem Dritten verlagert worden sind. Dies kann im Wege einer bloßen Funktionsnachfolge oder – wie im Ausgangsverfahren – aufgrund eines Betriebs(teil)übergangs erfolgen. In beiden Fällen kann der Arbeitnehmer bei seinem Arbeitgeber nicht mehr auf seinem bisherigen Arbeitsplatz beschäftigt werden. Ein Betriebs(teil)übergang löst nach § 613a BGB zwar zwingend den Übergang des Arbeitsverhältnisses des betroffenen Arbeitnehmers auf den Dritten als neuen Rechtsträger aus, ohne dass dies zum Beispiel über ein Gestellungsmodell umgangen werden kann2. Der Arbeitnehmer hat aber, wie in Rn. 4 ausgeführt, nach nationalem Recht die Möglichkeit, zu widersprechen und dadurch den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Dritten zu verhindern. Macht ein Arbeitnehmer von diesem Recht Gebrauch, setzt er sich dem Risiko einer betriebsbedingten (Änderungs-)Kündigung aus, weil sein Arbeitsplatz bei seinem bisherigen Arbeitgeber weggefallen ist. Gleiches gilt, wenn kein Betriebsübergang vorliegt und der Arbeitnehmer auch kein Übernahmeangebot erhält. In diesen Fällen eröffnet das Instrument der Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis mit seinem vertraglichen Arbeitgeber mit dem bisherigen Vertragsinhalt und zu den bisherigen Beschäftigungsbedingungen fortzusetzen.

Die Personalgestellung im Sinne des § 4 Abs. 3 TVöD betrifft damit ausschließlich Arbeitnehmer in festen Arbeitsverhältnissen, deren Aufgaben auf einen Dritten übergehen, und dient der Sicherung des dauerhaften Fortbestands ihres Arbeitsverhältnisses sowie der Absicherung ihrer Arbeitsbedingungen. Der vertragliche Arbeitgeber schuldet das bisherige Entgelt mit der Perspektive auf dessen Steigerung durch den Aufstieg in dem nach Entgeltstufen gegliederten Entgeltsystem des TVöD sowie regelmäßige Entgeltanpassungen3. Ferner behält der Arbeitnehmer etwaige Besitzstandssicherungen, wie sie im öffentlichen Dienst verbreitet sind. Außerdem wird die Zusatzversorgung, das heißt die betriebliche Altersversorgung des öffentlichen Dienstes, fortgeführt. Ein bereits erreichter tariflicher Ausschluss der Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses, der neben einem bestimmten Lebensalter eine bestimmte Dauer der Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst erfordert, bleibt erhalten. Damit ist der soziale Schutz des Arbeitnehmers sichergestellt.

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Gegen die Anwendbarkeit der Richtlinie 2008/104/EG auf Personalgestellungen nach § 4 Abs. 3 TVöD könnte aus Sicht des vorlegendas Bundesarbeitsgerichts auch sprechen, dass die von einer Personalgestellung betroffenen Arbeitnehmer ursprünglich zur Erledigung eigener Aufgaben des Arbeitgebers eingestellt worden sind und diese – wie der vorliegende Fall zeigt – gegebenenfalls auch jahrelang wahrgenommen haben. Das Arbeitsverhältnis ist also gerade nicht, wie es Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2008/104/EG in ihrer deutschen Sprachfassung mit der Formulierung „um“ vorsieht, zu dem Zweck eingegangen worden, den Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen zu überlassen.

Auch könnte gegen die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2008/104/EG auf die Personalgestellung im Sinne von § 4 Abs. 3 TVöD sprechen, dass sie nur möglich ist, wenn eigene Aufgaben des Arbeitgebers, für die der Arbeitnehmer gerade eingestellt worden ist, dauerhaft zu einem Dritten verlagert worden sind. Damit ist die Personalgestellung bereits ihrem Charakter nach auf Dauer angelegt. Dies könnte die Gefahr einer Umgehung der Richtlinie durch aufeinanderfolgende Überlassungen und damit einen Missbrauch ausschließen.

Der Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 14.10.20204 festgestellt, dass die Überlassung eines Arbeitnehmers an ein entleihendes Unternehmen im Sinne der Richtlinie 2008/104/EG seiner Natur nach vorübergehend ist und die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, dafür zu sorgen, Leiharbeit bei demselben entleihenden Unternehmen nicht zu einer Dauersituation für den Leiharbeitnehmer werden zu lassen. Er hat weiter ausgeführt, dass aufeinanderfolgende Überlassungen desselben Leiharbeitnehmers an dasselbe entleihende Unternehmen den Wesensgehalt der Richtlinie 2008/104/EG umgehen und einem Missbrauch dieser Beschäftigungsform gleichkommen, weil sie den durch die Richtlinie hergestellten Ausgleich zwischen der Flexibilität für die Arbeitgeber und der Sicherheit für die Arbeitnehmer beeinträchtige, indem sie dem Schutz der Arbeitnehmer entgegenwirken.

Zweck der Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD ist – wie bereits in Rn. 27 dargelegt – aber gerade, dem vom dauerhaften Wegfall seines Aufgabenbereichs bei seinem vertraglichen Arbeitgeber betroffenen Arbeitnehmer Schutz und Sicherheit zu gewähren, indem das Risiko eines Arbeitsplatzverlusts oder eines Arbeitgeberwechsels und der damit verbundenen möglichen Nachteile vermieden wird. Insoweit könnte die Begrenzung der Dauer der Personalgestellung anders als bei der Leiharbeit im Sinne der Richtlinie 2008/104/EG nicht notwendig sein, um missbräuchlichem Handeln des Arbeitgebers zulasten des gestellten Arbeitnehmers entgegenzuwirken. Sie würde den mit der Personalgestellung bezweckten Schutz vielmehr entwerten.

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Schließlich ist nicht klar, ob die Personalgestellung gemäß § 4 Abs. 3 TVöD das von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2008/104/EG vorausgesetzte Merkmal der „wirtschaftlichen Tätigkeit“ des vertraglichen Arbeitgebers erfüllt.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2008/104/EG jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten5. Nach dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2008/104/EG steht zwar die fehlende Verfolgung eines Erwerbszwecks durch das überlassende Unternehmen der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht entgegen, was für die Erstreckung der Richtlinie 2008/104/EG auch auf die Personalgestellung sprechen könnte. Zudem wird im Rahmen der Personalgestellung vom Dritten regelmäßig ein Entgelt gezahlt, das jedenfalls die Personal- und die Verwaltungskosten umfasst6. Es ist aber nicht eindeutig, ob die Personalgestellung, die das Arbeitsverhältnis bei einer Aufgabenverlagerung absichert, eine Tätigkeit des vertraglichen Arbeitgebers darstellt, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten7.

Für den Fall, dass der Unionsgerichtshof diese erste Vorlagefrage bejaht und die Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/104/EG fällt, bedarf es der Klärung, ob die mit § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG erfolgte Herausnahme der Personalgestellung aus dem Anwendungsbereich des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (Bereichsausnahme) vor dem Hintergrund des mit ihr verfolgten Ziels der Arbeitsplatz- und Beschäftigungssicherung mit dem Schutzzweck der Richtlinie im Einklang steht.

Nach § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG ist das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nicht anzuwenden auf die Arbeitnehmerüberlassung durch Arbeitgeber, wenn die Aufgaben eines Arbeitnehmers von dem bisherigen Arbeitgeber zu einem Dritten verlagert werden, das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber aufgrund eines Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes weiter fortbesteht und die Arbeitsleistung zukünftig bei dem entleihenden Arbeitgeber erbracht wird. Das erfasst den Tatbestand der Personalgestellung im Sinne von § 4 Abs. 3 TVöD. Mit dieser Bereichsausnahme – deren Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind – soll nach den Vorstellungen des nationalen Gesetzgebers dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Personalgestellung funktional als eine besondere Form der Aufgabenverlagerung anzusehen ist und im Bestandsschutzinteresse der von der Aufgabenverlagerung betroffenen Arbeitnehmer erfolgt8. Der nationale Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass es bei Gestellungen keines Schutzes der Arbeitnehmer durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz bedarf, weil die bisherigen Arbeitsbedingungen weiter gelten und auch die typischen Risiken der Arbeitnehmerüberlassung, insbesondere hohe Arbeitsplatzunsicherheit und der Einsatz an ständig wechselnden Orten, nicht gegeben sind, sondern der gestellte Arbeitnehmer seinen bisherigen Arbeitgeber behält9.

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Der Anwendung von § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG steht im Ausgangsverfahren nicht entgegen, dass die Arbeitgeberin als privatrechtliche Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) organisiert ist. § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG ist nicht auf die Personalgestellung durch juristische Personen des öffentlichen Rechts beschränkt. Die Bereichsausnahme erfasst auch solche privatrechtlich organisierten Arbeitgeber, die – wie die hier beklagte Arbeitgeberin, deren alleiniger Träger der Landkreis G als Körperschaft öffentlichen Rechts ist – im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, soweit diese an die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes gebunden sind10.

Aus Sicht des vorlegendas Bundesarbeitsgerichts ist jedoch nicht eindeutig, ob das Erreichen des mit der Richtlinie 2008/104/EG verfolgten Schutzzwecks durch die Bereichsausnahme des § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG in Frage gestellt wird. Würde der von der Richtlinie angestrebte Schutz der Arbeitnehmer bereits durch die Gestellung verwirklicht, könnte die Bereichsausnahme wirksam sein.

Nach dem Erwägungsgrund 12 der Richtlinie 2008/104/EG soll ein diskriminierungsfreier, transparenter und verhältnismäßiger Rahmen zum Schutz der Leiharbeitnehmer festgelegt und gleichzeitig die Vielfalt der Arbeitsmärkte und der Arbeitsbeziehungen gewahrt werden. Ziel der Richtlinie ist es, für den Schutz der Leiharbeitnehmer zu sorgen und die Qualität der Leiharbeit zu verbessern, indem die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern gesichert wird und die Leiharbeitsunternehmen als Arbeitgeber anerkannt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein angemessener Rahmen für den Einsatz von Leiharbeit festgelegt werden muss, um wirksam zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung flexibler Arbeitsformen beizutragen11.

Nach diesem Schutzzweck könnte es mit den Vorgaben der Richtlinie 2008/104/EG vereinbar sein, Arbeitnehmer in (auch privatrechtlich organisierten) Unternehmen der öffentlichen Hand, die unter den Voraussetzungen und mit den Rechtsfolgen des § 4 Abs. 3 TVöD an einen Dritten gestellt werden, von den Schutzbestimmungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes auszunehmen, weil diese Form der Personalüberlassung schon selbst dem Schutz und der Sicherheit von Arbeitsverhältnissen sowie deren Bedingungen dient und die strengen Tatbestandsvoraussetzungen der Gefahr eines Missbrauchs zulasten der Arbeitnehmer entgegenwirken.

Zudem könnte für die Bereichsausnahme sprechen, dass sich die den jeweiligen Schutzzwecken von § 4 Abs. 3 TVöD und dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz beziehungsweise der Richtlinie 2008/104/EG zugrunde liegenden Interessen der betroffenen Arbeitnehmer nicht decken.

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Die Bestimmungen zum Schutz der Arbeitnehmer bei Überlassung sollen neben der Flexibilisierung des Personaleinsatzes Rahmenbedingungen für die Leiharbeit schaffen, durch die der soziale Schutz der Leiharbeitnehmer unabhängig von deren vertraglichen Vereinbarungen gewährleistet wird. Das besondere Schutzbedürfnis von Leiharbeitnehmern entspringt dem oftmals schwierigen Charakter ihrer Arbeitsverhältnisse. Die wechselnden, häufig nur wenige Wochen andauernden Einsätze erfordern eine große Anpassungsfähigkeit an neue betriebliche Gegebenheiten sowie ein hohes Maß an örtlicher Mobilität. Arbeitgeberspezifische Qualifikationen werden schwerer erworben, was zu geringeren Karrierechancen führen kann. Darum soll jedenfalls verhindert werden, dass die Leiharbeitnehmer das Lohnrisiko sowie die Gefahr eines geringeren Bestandsschutzes ihrer Arbeitsverhältnisse selbst tragen, weil etwa durch eine Synchronisierung des Zeitarbeitsverhältnisses zu ihrem Vertragsarbeitgeber mit der Einsatzdauer beim Entleiher das Risiko eines verminderten Arbeitsanfalls nicht – wie in anderen Arbeitsverhältnissen – vom Arbeitgeber, sondern allein vom Arbeitnehmer getragen wird12. Dieser Schutzzweck erklärt die vom Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vorgesehenen Rechtsfolgen zum Schutz der Leiharbeitnehmer vor dem missbräuchlichen Einsatz von Leiharbeit, insbesondere den gewerberechtlichen Erlaubnisvorbehalt mit nicht nur ordnungswidrigkeitenrechtlichen, sondern auch arbeitsrechtlichen Sanktionen wie beispielsweise die Fingierung eines Arbeitsverhältnisses zu dem Entleiher und dem Gebot zum Mindestentgelt sowie dem Anspruch auf Entgeltgleichheit (equal pay)13.

Die Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD bezweckt dagegen, wie bereits in Rn. 27 ausgeführt, dem Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis mit seinem Vertragsarbeitgeber zu den bisherigen tariflichen Bedingungen unter gleichzeitiger Fortsetzung seiner Tätigkeit im vertrauten Aufgabengebiet zu erhalten. Daher kommt sie abgesehen von Fällen einer reinen Funktionsnachfolge gerade dann zum Tragen, wenn der Arbeitnehmer mit dem Übertritt zum neuen Aufgabenträger infolge eines Betriebs(teil)übergangs, zum Beispiel wegen befürchteter Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen oder wegen möglicher Auswirkungen auf die Sicherheit des Arbeitsverhältnisses, nicht einverstanden ist. So kann der Dritte als potentiell neuer Arbeitgeber aus Sicht des Arbeitnehmers von Insolvenz bedroht sein oder so wenige Arbeitnehmer beschäftigen, dass das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet. Die von § 4 Abs. 3 TVöD eröffnete Möglichkeit der Personalgestellung wirkt in einem solchen Fall der Gefahr entgegen, dass dem Arbeitnehmer wegen des Wegfalls der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bei seinem vertraglichen Arbeitgeber betriebsbedingt gekündigt wird. Sie ist damit ein Instrument zur Absicherung der von Aufgabenverlagerungen betroffenen Arbeitnehmer, die nicht in ein Arbeitsverhältnis beim Übernehmer übertreten wollen oder können14. Macht der vertragliche Arbeitgeber von der Möglichkeit zur Personalgestellung Gebrauch, sind die betroffenen Arbeitnehmer davor geschützt, dass durch die Verlagerung von Aufgaben Einsparungen zu ihren Lasten erfolgen.

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Die Einordnung der Personalgestellung im Sinne von § 4 Abs. 3 TVöD unter die Schutznormen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes könnte deshalb den Interessen der im Rahmen einer solchen Gestellung überlassenen Arbeitnehmer entgegenstehen. Deren Schutzbedürfnis bei der Verlagerung ihrer Arbeitsaufgaben ergibt sich gerade nicht aus einem prekären Arbeitsverhältnis, sondern aus der Gefährdung ihres Arbeitsverhältnisses zum vertraglichen Arbeitgeber. Dieser Gefahr will § 4 Abs. 3 TVöD mit der Erweiterung des Direktionsrechts des vertraglichen Arbeitgebers auf eine Personalgestellung entgegentreten, die den dauerhaften Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und seiner Inhalte sichert. Die Rechtsfolgen bei einem Eingreifen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, insbesondere das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zum neuen Aufgabenträger nach § 9 Abs. 1 Nr. 1b, § 10 Abs. 1 AÜG, wirkten diesem Schutzbedürfnis entgegen. Zudem wären diese Rechtsfolgen, jedenfalls im Fall eines Widerspruchs gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber aufgrund eines Betriebs(teil)übergangs vom gestellten Arbeitnehmer nicht erwünscht. Durch die in § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG vorgesehene, den strengen Anforderungen nach § 9 Abs. 2 und Abs. 3 AÜG unterliegende, fristgebundene Erklärung, an dem Arbeitsverhältnis zum Verleiher festhalten zu wollen (Festhaltenserklärung), kann kein mit § 4 Abs. 3 TVöD vergleichbarer Schutz bewirkt werden. Zwar kann der Arbeitnehmer mit einer solchen Erklärung das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher zunächst verhindern. Das ändert aber nichts daran, dass seine Aufgaben beim vertraglichen Arbeitgeber entfallen sind und das Arbeitsverhältnis damit in seinem Bestand gefährdet ist.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 16. Juni 2021 – 6 AZR 390/20 (A)

  1. vgl. EuGH 11.04.2013 – C-290/12 – [Della Rocca] Rn. 37, 40[]
  2. BAG 20.03.2014 – 8 AZR 1/13, Rn. 24 mwN[]
  3. vgl. Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV E § 4 Stand Mai 2015 Rn. 61, 69[]
  4. EuGH 14.10.2020 – C-681/18, Rn. 60 f. und Rn. 70[]
  5. EuGH 17.11.2016 – C-216/15 – [Betriebsrat der Ruhrlandklinik] Rn. 44; 23.02.2016 – C-179/14 – [Kommission/Ungarn] Rn. 149; 1.07.2008 – C-49/07 – [MOTOE] Rn. 22[]
  6. zu diesem Merkmal EuGH 17.11.2016 – C-216/15 – [Betriebsrat der Ruhrlandklinik] Rn. 45[]
  7. BAG 14.10.2020 – 7 AZR 286/18, Rn. 58[]
  8. BT-Drs. 18/9232 Seite 22[]
  9. BR-Drs. 745/13[]
  10. BAG 14.10.2020 – 7 AZR 286/18, Rn. 63 ff.[]
  11. EuGH 14.10.2020 – C-681/18, Rn. 40[]
  12. Thüsing in Thüsing AÜG 4. Aufl. Einführung Rn. 6; Fieberg NZA 2014, 187[]
  13. Fieberg NZA 2014, 187, 189[]
  14. Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV E § 4 Stand Mai 2015/November 2017 Rn. 60 ff.[]

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