Restmandat des Betriebsrats bei Betriebsstilllegung

Der Betriebsrat eines stillgelegten Betriebs ist nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht im Rahmen seines Restmandats nach § 99 Abs. 1 Satz 1, § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG zu beteiligen, wenn der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer nach der vollständigen Stilllegung des Betriebs eine Tätigkeit in einem anderen Betrieb des Unternehmens zuweist.

Restmandat des Betriebsrats bei Betriebsstilllegung

Nach § 21b BetrVG bleibt der Betriebsrat, dessen Betrieb durch Stilllegung, Spaltung oder Zusammenlegung untergeht, so lange im Amt, wie dies zur Wahrnehmung der damit im Zusammenhang stehenden Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte erforderlich ist. Die Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass das Amt des Betriebsrats endet, wenn die betriebliche Organisation, für die der Betriebsrat gebildet ist, wegfällt1. Der Gesetzgeber hat mit dem durch das BetrVG-ReformG eingefügten § 21b BetrVG die zuvor ergangene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Restmandat des Betriebsrats gesetzlich verankert2. Der Betriebsrat soll noch so lange im Amt verbleiben, wie dies seine hierbei zu beachtenden Beteiligungsrechte gebieten3. Das Restmandat ist funktional bezogen auf alle im Zusammenhang mit der Stilllegung sich ergebenden betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte4.

Der Betriebsrat eines stillgelegten Betriebs ist jedoch nicht im Rahmen seines Restmandats nach § 99 Abs. 1 Satz 1, § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG zu beteiligen, wenn der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer nach der vollständigen Stilllegung des Betriebs eine Tätigkeit in einem anderen Betrieb des Unternehmens zuweist.

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Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bedarf die Versetzung eines Arbeitnehmers der Zustimmung des Betriebsrats. Versetzung ist nach der Legaldefinition des § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die entweder die Dauer von einem Monat voraussichtlich überschreitet oder mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit geleistet werden muss. Der „Arbeitsbereich“ im Sinne von § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG wird in § 81 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 BetrVG durch die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs umschrieben. Der Begriff ist demnach räumlich und funktional zu verstehen. Er umfasst neben dem Ort der Arbeitsleistung auch die Art der Tätigkeit und den gegebenen Platz in der betrieblichen Organisation5. Die Vorschrift erfordert nach ihrem Wortlaut einen Wechsel des Arbeitsbereichs, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt wird. Der Arbeitsbereich ändert sich, wenn der bisherige Gegenstand der Arbeitsleistung und Inhalt der Arbeitsaufgabe ein „anderer“ wird und sich deshalb das Gesamtbild der Tätigkeit des Arbeitnehmers ändert. Es kommt darauf an, ob sich die Tätigkeiten vor und nach der Zuweisung so voneinander unterscheiden, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters nicht mehr als die bisherige Tätigkeit angesehen werden kann6. Demzufolge ist auch die auf Dauer angelegte Versetzung von einem Betrieb des Unternehmens in einen anderen Betrieb eine Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, weil der Arbeitnehmer aus einer betrieblichen Einheit herausgenommen und in eine andere Einheit eingegliedert wird. Darüber hinaus wird sich in der Regel der Arbeitsort verändern, was – von Bagatellfällen abgesehen – bereits eine Versetzung im Sinne von § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG darstellt7.

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Eine betriebsübergreifende Versetzung bedarf nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG regelmäßig der Zustimmung des Betriebsrats des abgebenden Betriebs. Sein Beteiligungsrecht dient dem Schutz der kollektiven Interessen der von ihm repräsentierten Belegschaft sowie den Individualinteressen der von einer solchen Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer.

Das Beteiligungsrecht aus § 99 Abs. 1 Satz 1, § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG soll es dem Betriebsrat des abgebenden Betriebs ermöglichen, der beabsichtigten Versetzung seine Zustimmung bei Vorliegen von Verweigerungsgründen iSd. § 99 Abs. 2 BetrVG zu versagen und den Arbeitgeber gerichtlich anzuhalten, den Arbeitnehmer ohne Änderung seines bisherigen Arbeitsbereichs im Betrieb weiterzubeschäftigen. Die Mitbestimmung nach § 99 Abs. 1 Satz 1, § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG setzt den Fortbestand der Einheit voraus, für die der Betriebsrat errichtet ist. Nach der gesetzlichen Konzeption ist seine Mitwirkung bei Vorliegen von Zustimmungsverweigerungsgründen auf die Unterlassung der beabsichtigten Versetzung oder deren Aufhebung (§ 101 BetrVG) gerichtet, sofern sie zunächst vorläufig durchgeführt worden ist. In einem solchen Fall ist der Arbeitgeber gehalten, den Arbeitnehmer in seinem bisherigen Arbeitsbereich zu belassen oder ihn dort wieder einzusetzen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bezweckt das Beteiligungsrecht nach § 99 Abs. 1 Satz 1, § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG vorrangig den Schutz der vorhandenen Belegschaft. Deren Interessen können durch eine betriebsübergreifende Versetzung schon deswegen berührt sein, weil die verbleibenden Arbeitnehmer einer Arbeitsverdichtung ausgesetzt sind, die jedenfalls eine Zustimmungsverweigerung als möglich erscheinen lässt8. Der Betriebsrat hat aber auch die Interessen der Beschäftigten wahrzunehmen, die bei der Auswahlentscheidung des Arbeitgebers unberücksichtigt geblieben sind.

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Darüber hinaus soll das Beteiligungsrecht auch die individuellen Interessen des von einer solchen Versetzung betroffenen Arbeitnehmers wahren, demgegenüber der Arbeitgeber bei Vorliegen eines Zustimmungsverweigerungsgrundes von der beabsichtigen Maßnahme absehen müsste. Ist der Arbeitnehmer nicht mit der Versetzung einverstanden, kann der Betriebsrat seine Zustimmungsverweigerung darauf stützen, dass die Versetzung diesen ohne rechtfertigenden Grund benachteiligt9. Entgegen der Auffassung des Betriebsrats dient das Beteiligungsrecht aber nicht dazu, das Direktionsrecht des Arbeitgebers einer umfassenden Kontrolle zu unterziehen oder dem betroffenen Arbeitnehmer durch die Zustimmungsverweigerung ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung zu verschaffen.

Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats des abgebenden Betriebs besteht allerdings nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung in den anderen Betrieb einverstanden ist. In einem solchen Fall bedarf weder der Arbeitnehmer eines Schutzes noch ist die Beteiligung des Betriebsrats im Interesse der von ihm repräsentierten Belegschaft geboten. Deren Schutz kann nicht erreicht werden, da ein versetzungswilliger Arbeitnehmer ebenso das Arbeitsverhältnis beenden und neu begründen könnte und demzufolge der Betriebsrat auch bei Vorliegen eines gesetzlichen Zustimmungsverweigerungsgrundes sein Ausscheiden aus dem Betrieb letztlich nicht verhindern kann8.

Dahinstehen kann, ob die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs nach vorheriger Betriebsstilllegung den Versetzungsbegriff iSd. § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG noch erfüllt, weil diese Vorschrift ihrem Wortlaut nach auf den Wechsel zwischen zwei Arbeitsbereichen ausgerichtet ist. Denn bei einer solchen Maßnahme hat jedenfalls der Betriebsrat des stillgelegten Betriebs im Rahmen seines Restmandats nicht mitzuwirken. Dessen Einbeziehung ist nach Sinn und Zweck des Beteiligungsrechts weder zur Wahrung von Belegschaftsinteressen noch zum Schutz der betroffenen Arbeitnehmer geboten.

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Die Zuweisung von anderen Tätigkeiten im Unternehmen berührt keine kollektiven Interessen der vom restmandatierten Betriebsrat repräsentierten früheren Belegschaft. Eine Betriebsgemeinschaft, die durch solche Maßnahmen des Arbeitgebers nachteilig betroffen sein könnte, besteht nach der endgültigen Einstellung der Betriebstätigkeit und Auflösung der betrieblichen Organisation nicht mehr. Ebenso fehlt es an einer Auswahlentscheidung des Arbeitgebers, die unter dem Gesichtspunkt der betriebsinternen Verteilungsgerechtigkeit einer Kontrolle zu unterwerfen wäre. Von der Zuweisung eines neuen Arbeitsbereichs sind sämtliche Arbeitnehmer der aufgelösten Einheit betroffen, deren Arbeitsverhältnis anlässlich der Stilllegung nicht beendet wird.

Die Individualinteressen der von einer solchen Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer verlangen ebenfalls keine Beteiligung des restmandatierten Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Diese werden durch das Mitbestimmungsrecht bei Betriebsänderungen (§§ 111 – 113 BetrVG) hinreichend gewahrt. Eine Betriebsstilllegung stellt unter den Voraussetzungen des § 111 Satz 1, Satz 3 Nr. 1 BetrVG eine Betriebsänderung dar. Über sie ist zwischen Unternehmer und Betriebsrat ein Interessenausgleich und ein Sozialplan (§ 111 Satz 1, § 112 Abs. 1 BetrVG) abzuschließen. Es ist Aufgabe der Betriebsparteien, im Rahmen solcher Vereinbarungen die Anforderungen, unter denen die Übertragung einer anderweitigen Tätigkeit zulässig ist, abstrakt oder einzelfallbezogen festzulegen. So können etwa persönliche und fachliche Zumutbarkeitskriterien für die Zuweisung einer geänderten Tätigkeit geregelt werden, durch die die wechselseitigen Interessen des Arbeitgebers und der Belegschaft zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden. Auf diese Weise wird das Direktionsrecht des Arbeitgebers begrenzt und dem Bedürfnis der betroffenen Arbeitnehmer Rechnung getragen, das Arbeitsverhältnis nur unter angemessenen Beschäftigungsbedingungen fortzusetzen. Demgegenüber ginge der durch das Beteiligungsrecht bei betriebsübergreifenden Versetzungen bezweckte Schutz des einzelnen Arbeitnehmers ins Leere. Das auf die Fortsetzung der Beschäftigung im bisherigen Arbeitsbereich gerichtete Regelungsziel der §§ 99, 101 BetrVG kann durch eine Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats nicht mehr erreicht werden. Nach der endgültigen Stilllegung des Betriebs und der damit verbundenen Auflösung der betrieblichen Organisation endet die Existenz der bisherigen betriebsverfassungsrechtlichen Einheit. Hierdurch entfällt zugleich die Einsatzmöglichkeit für die dort zuvor beschäftigten Arbeitnehmer. Eine Zustimmungsverweigerung könnte dem Arbeitnehmer ausschließlich ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung verschaffen. Dies widerspräche aber der Schutzfunktion des Beteiligungsrechts.

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Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 8. Dezember 2009 – 1 ABR 41/09

  1. BAG, 14.08.2001 – 1 ABR 52/00, AP BetrVG 1972 § 21b Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 24 Nr. 3[]
  2. BT-Drs. 14/5741 S. 39[]
  3. BAG, 14.11.1978 – 6 ABR 85/75, AP KO § 59 Nr. 6[]
  4. BAG, 12.01.2000 – 7 ABR 61/98, AP BetrVG 1972 § 24 Nr. 5 = EzA BetrVG 1972 § 24 Nr. 2[]
  5. BAG, 17.06.2008 – 1 ABR 38/07, AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 47 = EzA BetrVG 2001 § 95 Nr. 8[]
  6. BAG, 29.09.2004 – 1 AZR 473/03[]
  7. BAG, 20.09.1990 – 1 ABR 37/90, BAGE 66, 57,m.w.N.[]
  8. BAG, 22.11.2005 – 1 ABR 49/04, BAGE 116, 223[][]
  9. BAG, 20.09.1990 – 1 ABR 37/90, BAGE 66, 57[]