Ruhen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens – und der verfrühte Terminantrag

Der Antrag auf Bestimmung eines Termins zur streitigen Verhandlung im Sinne des § 54 Abs. 5 Satz 2 ArbGG kann erst wirksam gestellt werden, nachdem das Gericht das Ruhen des Verfahrens wegen des Nichterscheinens beider Parteien in der Güteverhandlung angeordnet hat.

Ruhen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens – und der verfrühte Terminantrag

Gemäß § 54 Abs. 5 Satz 1 ArbGG ist das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Parteien in der Güteverhandlung nicht erscheinen oder verhandeln. Auf den Grund des Nichterscheinens oder eine etwaige Ankündigung kommt es nicht an1. Auf Antrag einer Partei ist Termin zur streitigen Verhandlung zu bestimmen, § 54 Abs. 5 Satz 2 ArbGG. Dieser Antrag kann nach § 54 Abs. 5 Satz 3 ArbGG nur innerhalb von sechs Monaten nach der Güteverhandlung gestellt werden. Nach Ablauf der Frist ist gemäß § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG iVm. § 269 Abs. 3 bis 5 ZPO entsprechend anzuwenden mit der Folge, dass der Rechtsstreit als nicht anhängig geworden anzusehen ist.

Die Fiktionswirkung des § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG ist danach im hier entschiedenen Fall eingetreten:

Das Arbeitsgericht hat im Protokoll vom 20.10.2020 das Ruhen des Verfahrens „gemäß § 54 Abs. 5 ArbGG“ angeordnet, nachdem die Parteien zur Güteverhandlung nicht erschienen waren. Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass die Anordnung des Ruhens des Verfahrens nicht aufgrund von § 251 Satz 1 ZPO erfolgt ist. Die Parteien haben nicht vor dem Gütetermin das Ruhen des Verfahrens beantragt und sind deswegen nicht in der Güteverhandlung erschienen. Sie haben das Gericht nicht – auch nicht konkludent – um Aufhebung des Gütetermins ersucht, sondern ihm lediglich mitgeteilt, dass sie zum Gütetermin nicht erscheinen werden.

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Innerhalb von sechs Monaten nach der Güteverhandlung am 20.10.2020 hat keine Partei beim Arbeitsgericht einen Antrag auf Bestimmung eines Termins zur streitigen Verhandlung gestellt. Soweit der Kläger erstinstanzlich einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt und geltend gemacht hat, er habe rechtzeitig einen Terminantrag an das Gericht abgeschickt, hat das Arbeitsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung zu Recht zurückgewiesen, da die Frist des § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG keine Frist iSd. § 233 ZPO darstellt und daher eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht kommt2.

Bevor das Gericht gemäß § 54 Abs. 5 Satz 1 ArbGG das Ruhen des Verfahrens angeordnet hat, kann keine Partei nach Satz 2 die Bestimmung eines Termins zur streitigen Verhandlung beantragen. Dies ergibt die Auslegung der Norm anhand der anerkannten Auslegungsgrundsätze3. Vor diesem Hintergrund kann im Ergebnis offenbleiben, ob der Kläger mit seiner im Schriftsatz vom 16.10.2020 enthaltenen Bitte um „weitergehende prozessleitende Verfügungen“ einen solchen Antrag gestellt hat.

Bereits der Wortlaut des § 54 Abs. 5 Satz 3 ArbGG spricht entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts dafür, dass ein Terminantrag nur nach der Güteverhandlung, in der aufgrund des Nichterscheinens oder Nichtverhandelns das Ruhen des Verfahrens angeordnet wurde, gestellt werden kann. Nach dem Wortlaut der Norm kann der Antrag nur innerhalb von sechs Monaten nach der Güteverhandlung gestellt werden. Der Zeitraum der zulässigen Antragstellung wird dadurch formal begrenzt auf die Zeit beginnend mit dem Schluss der Güteverhandlung bis zum Ablauf darauffolgender sechs Monate. Die auf diesen Zeitraum bezogenen Wörter „nur innerhalb“ – anstelle einer Formulierung wie etwa „bis spätestens mit Ablauf von sechs Monaten“ oder „länger als zwei Monate“4 – zeigen, dass die Antragstellung nicht vor Beginn oder nach Ablauf des Zeitraums erfolgen soll. Das Gesetz bestimmt mit dem Ausdruck „sechs Monaten nach der Güteverhandlung“ einen einheitlichen Zeitraum, der im Rahmen der Auslegung nicht aufgespalten werden kann in den Zeitpunkt des Fristbeginns einerseits und die Zeitdauer andererseits.

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Zu Recht verweist die Revision auf die systematische Stellung des § 54 Abs. 5 Satz 2 ArbGG. Nach der vorangestellten Regelung des § 54 Abs. 1 Satz 1 ArbGG beginnt die mündliche Verhandlung mit einer Güteverhandlung. Diese Güteverhandlung ist obligatorisch vorgeschrieben; auf ihre Durchführung können die Parteien nicht verzichten5. Dieser Grundsatz würde aufgeweicht, wenn die Parteien vor der Güteverhandlung Termin zur streitigen Verhandlung beantragen und sodann durch ihr Ausbleiben im anberaumten Gütetermin das Gericht veranlassen könnten, unmittelbar einen Verhandlungstermin vor der Kammer anzuberaumen.

Mit der Regelung über die Stellung des Antrags zur streitigen Verhandlung in § 54 Abs. 5 Satz 2 ArbGG nach der Regelung zur Anordnung des Ruhens in Satz 1 hat der Gesetzgeber neben dem zeitlichen Ablauf auch einen logisch-inhaltlichen Ablauf des Verfahrens zum Ausdruck gebracht. Der Terminantrag ist das Mittel, um das ruhende Verfahren wieder zu betreiben. Solange das Ruhen des Verfahrens nicht angeordnet ist, bedarf es keines Terminantrags. Bis zum Zeitpunkt der Güteverhandlung steht nicht fest, dass es zur Anordnung des Ruhens kommen wird. Auch wenn beide Parteien – wie im vorliegenden Fall – dem Gericht vorab mitteilen, dass sie nicht beabsichtigen, zum Gütetermin zu erscheinen, sind diese Erklärungen nicht bindend. Es steht den Parteien frei, dennoch zum Termin zu erscheinen und damit ggf. eine einseitige Säumnissituation iSd. § 54 Abs. 4 ArbGG herbeizuführen. Bis zur tatsächlichen Anordnung des Ruhens geht der Antrag auf Bestimmung eines Termins zur streitigen Verhandlung daher ins Leere.

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In Bezug auf die Systematik des Gesetzes ist ferner zu beachten, dass § 54 Abs. 5 Satz 1 ArbGG dem Vorsitzenden hinsichtlich der Anordnung des Ruhens des Verfahrens kein Ermessen einräumt („ist … anzuordnen“)6. Könnte eine Partei bereits vor dem Gütetermin einen rechtswirksamen Antrag iSd. § 54 Abs. 5 Satz 2 ArbGG stellen, so wäre das Gericht dennoch gehalten, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen. Das Gesetz sieht keine Regelung vor, zu welchem Zeitpunkt das Gericht dann das Ruhen wieder aufheben und den Termin zur streitigen Verhandlung anberaumen sollte. Denkbar wäre allenfalls, die Regelung des § 54 Abs. 5 Satz 1 ArbGG teleologisch einschränkend dahin auszulegen, dass im Falle eines bereits vorliegenden Terminantrags das Ruhen des Verfahrens erst gar nicht anzuordnen, sondern unmittelbar Termin zur streitigen Verhandlung anzuberaumen wäre. Dies liefe jedoch dem Grundsatz zuwider, dass die Durchführung einer Güteverhandlung nicht zur Disposition der Parteien steht.

Die Berücksichtigung des Regelungszwecks der Norm gebietet keine andere Auslegung. § 54 Abs. 5 ArbGG ist auch Ausdruck des Beschleunigungsgrundsatzes. Die Aufgabe das Verfahren zu betreiben und den Fortgang des Prozesses zu fördern, kommt im Parteiprozess insbesondere den Parteien zu (vgl. § 282 ZPO; zum Grundsatz der Prozessförderungspflicht MünchKomm-ZPO/Prütting 6. Aufl. § 282 Rn. 1 mwN). Kommen sie dieser Aufgabe nicht nach, indem sie trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zur Güteverhandlung erscheinen, kommt es zum Ruhen des Verfahrens. Dies dient ausweislich der Gesetzesbegründung der Entlastung der Arbeitsgerichte, da sie von sich aus den Fortgang des Verfahrens nicht mehr betreiben müssen7. Hintergrund der Regelung des § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG ist die Vermutung des Fehlens des (Fort-)Bestehens eines Rechtsschutzinteresses der klagenden Partei nach dem Ausbleiben in der Güteverhandlung und sechs Monaten der Untätigkeit. Eine solche Regelung über eine Verfahrensbeendigung wegen unterstellten Wegfalls des Rechtsschutzinteresses ist grundsätzlich von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden8.

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Das mit dem Ausbleiben im Gütetermin (auch) ausgedrückte mangelnde Interesse am Fortgang des Verfahrens wird nicht dadurch beseitigt, dass die Partei schon zuvor einen Antrag auf Anberaumung eines Termins zur streitigen Verhandlung gestellt hat. Beantragt sie einerseits die Anberaumung eines Termins zur streitigen Verhandlung, erscheint andererseits aber nicht zur Güteverhandlung, obwohl die mündliche Verhandlung nach § 54 Abs. 1 Satz 1 ArbGG mit einer Verhandlung vor dem Vorsitzenden zum Zwecke der gütlichen Einigung der Parteien beginnt, verhält sie sich widersprüchlich. Sie muss sich letztlich an ihrem Nichterscheinen oder Nichtverhandeln im Gütetermin festhalten lassen. Zeigt jemand ein Verhalten, das nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte nur als Ausdruck eines bestimmten Willens aufgefasst werden kann, so ist seine wörtliche Verwahrung gegen eine entsprechende Deutung des Verhaltens unbeachtlich (protestatio facto contraria), denn er setzt sich in Widerspruch mit seinem eigenen tatsächlichen Verhalten und hat durch sein tatsächliches Verhalten die Geltendmachung einer anderweitigen Auslegung verwirkt9. Dabei ist es unerheblich, ob das Ausbleiben in der Güteverhandlung auf der Ansicht der Partei – oder beider Parteien – beruht, eine gütliche Einigung sei nicht möglich. Dies macht die Güteverhandlung nicht entbehrlich. Die Parteien können vor der Güteverhandlung nicht absehen, welche Hinweise der Vorsitzende erteilen wird und welche Einigungsmöglichkeiten unter der Mitwirkung des Vorsitzenden entstehen könnten.

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Entgegen der Ansicht des Sächsischen Landesarbeitsgerichts10 können im vorliegenden Zusammenhang aus der Regelung des § 17 Satz 1 TzBfG keine Rückschlüsse auf die Auslegung des § 54 Abs. 5 ArbGG gezogen werden. Unabhängig davon, dass der Wortlaut der Fristenregelungen nicht identisch ist – § 17 Satz 1 TzBfG enthält nicht den Begriff „nur“, ist der Regelungszweck von § 17 TzBfG mit jenem des § 54 Abs. 5 ArbGG nicht vergleichbar. Die Dreiwochenfrist des § 17 TzBfG iVm. § 7 KSchG dient insbesondere dem Interesse des Arbeitgebers an der Klärung der Frage, ob der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der Befristung geltend machen will11. Diesem Interesse wird es gerecht, eine Klageerhebung auch schon vor dem Ablauf der vereinbarten Vertragslaufzeit zuzulassen12. Eine vergleichbare Interessenlage besteht hinsichtlich des Antrags nach § 54 Abs. 5 Satz 2 ArbGG noch vor der Anordnung des Ruhens nicht.

Sind beide Parteien säumig, liegt eine Vergleichbarkeit mit der Situation des Erlasses eines Versäumnisurteils bei einseitiger Säumnis näher. Hier ist davon auszugehen, dass die Einlegung des Einspruchs vor der Verkündung des Versäumnisurteils unzulässig ist13. Ebenso wie der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil ist der Antrag auf streitige Verhandlung „auf Vorrat“ unzulässig.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21. Juni 2023 – 7 AZR 234/22

  1. vgl. GMP/Künzl 10. Aufl. § 54 Rn. 59; Schwab/Weth/Korinth ArbGG 6. Aufl. § 54 Rn. 40; HWK/Ziemann 10. Aufl. § 54 ArbGG Rn. 42[]
  2. vgl. GK-ArbGG/Schütz Stand Juni 2023 § 54 Rn. 76[]
  3. vgl. zu den Auslegungsgrundsätzen BAG 1.06.2022 – 7 ABR 41/20, Rn. 36 mwN[]
  4. vgl. insoweit auch die Gesetzesformulierungen zu den Klagerücknahmefiktionen in § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO und § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG[]
  5. Helml/Pessinger/Helml ArbGG 5. Aufl. § 54 Rn. 2; ErfK/Koch 23. Aufl. ArbGG §§ 54, 54a Rn. 2; GK-ArbGG/Schütz Stand Juni 2023 § 54 Rn. 7[]
  6. vgl. Schwab/Weth/Korinth ArbGG 6. Aufl. § 54 Rn. 39[]
  7. BT-Drs. 8/1567 S. 32[]
  8. vgl. BVerfG 17.09.2012 – 1 BvR 2254/11, Rn. 28; 19.05.1993 – 2 BvR 1972/92, zu B I 1 der Gründe[]
  9. vgl. BAG 27.05.2020 – 5 AZR 247/19, Rn. 30, BAGE 170, 311; 15.02.2017 – 7 AZR 223/15, Rn. 32 mwN[]
  10. Sächs. LAG 16.06.2022 – 9 Sa 24/22[]
  11. zum Normzweck der Klagefrist vgl. APS/Backhaus 6. Aufl. TzBfG § 17 Rn. 6 unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 13/4612 S. 13[]
  12. vgl. BAG 2.06.2010 – 7 AZR 136/09, Rn. 13 mwN, BAGE 134, 339[]
  13. hM, vgl. RG 7.02.1925 – IV 396/24 – RGZ 110, 169; Zöller/Herget ZPO 34. Aufl. § 339 Rn. 2; MünchKomm-ZPO/Prütting 6. Aufl. § 339 Rn. 5; Thomas/Putzo/Seiler ZPO 44. Aufl. § 339 Rn. 1; Musielak/Voit/Stadler ZPO 20. Aufl. § 339 Rn. 1; diff. Stein/Jonas/Bartels ZPO 23. Aufl. § 339 Rn. 5, der den Einspruch nach Säumnis aber vor Verkündung für zulässig erachtet[]
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