Sachgrundlose Befristung im Steinkohlenbergbau

Die Regelung in § 2 Abs. 1 TV Befristung Steinkohlenbergbau idF vom 01.08.2010, wonach der Arbeitsvertrag bis zur Gesamtdauer von sieben Jahren ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes befristet werden kann, ist nicht von der den Tarifvertragsparteien durch § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG eröffneten Regelungsbefugnis gedeckt1.

Sachgrundlose Befristung im Steinkohlenbergbau

Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines Sachgrundes bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig.  Die den Tarifvertragsparteien durch § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG eröffnete Möglichkeit, die Höchstdauer der Befristung und die Anzahl der Vertragsverlängerungen abweichend von § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG festzulegen, ist zwar nach dem Gesetzeswortlaut nicht eingeschränkt. Aufgrund des systematischen Gesamtzusammenhangs und Sinn und Zwecks von § 14 TzBfG sowie aus verfassungs- und unionsrechtlichen Gründen besteht aber eine immanente Beschränkung der durch § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG eröffneten Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Grenze der tariflichen Regelungsbefugnis bei der Festlegung der Dauer eines sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisses auf maximal sechs Jahre und der höchstens neunmaligen Verlängerung bis zu dieser Gesamtdauer erreicht2.

§ 2 Abs. 1 TV Befristung Steinkohlenbergbau idF vom 01.08.2010 kann nicht „geltungserhaltend“ dahin ausgelegt werden, dass die Tarifvertragsparteien einen – nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wirksamen – Höchstbefristungszeitraum von sechs Jahren vereinbaren wollten3. Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 TV Befristung Steinkohlenbergbau idF vom 01.08.2010 ist eindeutig. Die Höchstdauer der Befristung beträgt danach abweichend von § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG sieben Jahre. Ein etwaiger Wille der Tarifvertragsparteien, die Befristungsmöglichkeit nach § 2 Abs. 1 TV Befristung Steinkohlenbergbau idF vom 01.08.2010 auf den nach der Rechtsprechung zulässigen Zeitraum zu begrenzen, hat jedenfalls in der tariflichen Regelung keinen Niederschlag gefunden.

§ 2 Abs. 1 TV Befristung Steinkohlenbergbau idF vom 01.08.2010 ist einer ergänzenden Auslegung im Sinne einer teleologischen Reduktion dahin, dass eine Höchstbefristungsdauer von sechs Jahren als vereinbart gilt, nicht zugänglich4.

Eine ergänzende Auslegung tarifvertraglicher Regelungen kommt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn damit kein Eingriff in die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie verbunden ist. Eine ergänzende Auslegung eines Tarifvertrags scheidet daher aus, wenn die Tarifvertragsparteien eine regelungsbedürftige Frage bewusst ungeregelt lassen und diese Entscheidung höherrangigem Recht nicht widerspricht. Voraussetzung für eine ergänzende Auslegung ist, dass entweder eine (anfänglich) unbewusste Regelungslücke vorliegt oder eine Regelung nachträglich lückenhaft geworden ist5.

Danach ist eine ergänzende Auslegung vorliegend ausgeschlossen. Der Tarifvertrag über befristete Arbeitsverhältnisse im deutschen Steinkohlenbergbau ist durch die Neuregelung des § 2 mit dem Tarifvertrag zur Änderung des Tarifvertrags über befristete Arbeitsverhältnisse im deutschen Steinkohlenbergbau vom 01.08.2010 nicht nachträglich lückenhaft geworden. § 2 TV Befristung Steinkohlenbergbau idF vom 01.08.2010 ist insgesamt unwirksam mit der Folge, dass § 2 TV Befristung Steinkohlenbergbau idF vom 29.06.2007 nicht abgelöst worden ist. Dies hat das Landesarbeitsgericht Hamm6 verkannt:

Das Landesarbeitsgericht ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass nach dem Ablösungsprinzip (Zeitkollisionsregel) ein Tarifvertrag, der einen bestimmten Komplex insgesamt neu regelt, grundsätzlich seinen Vorgänger insoweit ersetzt. Verständigen sich die Tarifpartner nur auf die Neuregelung einzelner Tarifbestimmungen, lösen sie die korrespondierenden Regelungen des fraglichen Tarifvertrags ab, während der Tarifvertrag im Übrigen bestehen bleibt. Das gilt, ohne dass der frühere Tarifvertrag durch eine ausdrückliche Vereinbarung aufgehoben werden muss7. Den Tarifvertragsparteien ist es zwar unbenommen; vom Ablösungsprinzip abweichende Vereinbarungen zu treffen. Im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit bedürfen solche Abweichungen aber besonderer Bestimmtheit und Deutlichkeit8. Dies ist nur anzunehmen, wenn ein entsprechender Wille der Tarifvertragsparteien einen hinreichend deutlichen Niederschlag in dem jeweiligen Tarifvertrag selbst gefunden hat9.

Das Landesarbeitsgericht hat jedoch rechtsfehlerhaft angenommen, trotz der Unwirksamkeit der materiellen Regelungen des Tarifvertrags zur Änderung des Tarifvertrags über befristete Arbeitsverhältnisse im deutschen Steinkohlenbergbau habe dieser § 2 TV Befristung Steinkohlenbergbau idF vom 29.06.2007 abgelöst, weil § 139 BGB, wonach im Falle der Nichtigkeit eines Teils eines Rechtsgeschäfts das ganze Rechtsgeschäft nichtig ist, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre, bei Tarifverträgen nicht gelte.

Zwar ist ein Tarifvertrag regelmäßig nur teilunwirksam, wenn der verbleibende Teil auch ohne die unwirksame Bestimmung noch eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung darstellt10. Das folgt – nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB – aus seinem Normcharakter, der es gebietet, im Interesse der Kontinuität eine einmal gesetzte Ordnung aufrechtzuerhalten, soweit sie ihre Funktion auch ohne den unwirksamen Teil entfalten kann11. Dies betrifft jedoch nur Fälle, in denen ein Teil der Rechtsnormen eines Tarifvertrags unwirksam ist. Der Rechtsgedanke trägt nicht, wenn die gesamte normative Regelung des Tarifvertrags unwirksam ist, so dass es an einer aufrechtzuerhaltenden Ordnung fehlt. In einem solchen Fall erfasst die Unwirksamkeit der normativen Regelung im Zweifel auch eine ausdrückliche oder konkludente – schuldrechtliche – Ablösungsvereinbarung. Ohne besondere Anhaltspunkte kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien eine Ablösung auch für den Fall der Unwirksamkeit aller neu geregelten Rechtsnormen vereinbaren und damit im Ergebnis insoweit einen tarifrechtlich nicht geregelten Zustand herbeiführen wollen.

Danach ist § 2 TV Befristung Steinkohlenbergbau idF vom 29.06.2007 durch die Neuregelung des § 2 mit dem Tarifvertrag zur Änderung des Tarifvertrags über befristete Arbeitsverhältnisse im deutschen Steinkohlenbergbau vom 01.08.2010 nicht abgelöst worden.

Die normativen Regelungen des Tarifvertrags zur Änderung des Tarifvertrags über befristete Arbeitsverhältnisse im deutschen Steinkohlenbergbau vom 01.08.2010 sind insgesamt unwirksam. Dieser Änderungstarifvertrag enthält nur eine Neuregelung des § 2 TV Befristung Steinkohlenbergbau, mit dem die Tarifvertragsparteien von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, die Höchstdauer der sachgrundlosen Befristung und die Anzahl der Vertragsverlängerungen abweichend von § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG festzulegen. Die Unwirksamkeit der Vorschrift zur Höchstdauer der Befristung in § 2 Abs. 1 TV Befristung Steinkohlenbergbau idF vom 01.08.2010 führt zur Unwirksamkeit der gesamten Regelung. Die verbleibende Bestimmung in § 2 Abs. 2 TV Befristung Steinkohlenbergbau idF vom 01.08.2010 über die zulässige Anzahl der Verlängerungen knüpft ausweislich der Formulierung „innerhalb dieser Zeitspanne“ an die Regelung in Abs. 1 an und sieht vor, dass bis zu der in Abs. 1 bestimmten Gesamtdauer von sieben Jahren Vertragsverlängerungen erfolgen können. Die Regelung über die siebenmalige Vertragsverlängerung setzt daher eine siebenjährige Höchstbefristungsdauer voraus und ergibt somit ohne die unwirksame Bestimmung in § 2 Abs. 1 TV Befristung Steinkohlenbergbau idF vom 01.08.2010 keine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung.

Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass § 2 TV Befristung Steinkohlenbergbau idF vom 29.06.2007 nach dem Willen der Tarifvertragsparteien auch bei Unwirksamkeit der Neuregelung des § 2 durch den Tarifvertrag zur Änderung des Tarifvertrags über befristete Arbeitsverhältnisse im deutschen Steinkohlenbergbau vom 01.08.2010 abgelöst werden sollte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien eine Ablösung des § 2 TV Befristung Steinkohlenbergbau idF vom 29.06.2007 nur für den Fall der Wirksamkeit der Neuregelung beabsichtigt haben. Zwar wäre der TV Befristung Steinkohlenbergbau 2007 ohne die Regelung in § 2 nicht völlig sinnentleert, da der Tarifvertrag in § 3 und § 4 eigenständige Regelungen zur Schriftform und Kündigung enthält. An die Stelle des § 2 träte allerdings die gesetzliche Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG, so dass die Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes nur bis zur Dauer von zwei Jahren und bis zu dieser Gesamtdauer die höchstens dreimalige Verlängerung zulässig wäre. Dies widerspräche aber erkennbar dem Willen der Tarifvertragsparteien. Sie wollten mit der Neuregelung die Höchstdauer der sachgrundlosen Befristung von fünf auf sieben Jahre und der Anzahl der Verlängerungen von fünf auf sieben erweitern und nicht die bisherige tarifliche Möglichkeit, Arbeitsverträge sachgrundlos – erweitert, zu befristen, beschränken.

Die Befristung ist gemäß § 14 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 TzBfG iVm. § 2 TV Befristung Steinkohlenbergbau idF vom 29.06.2007 gerechtfertigt. Die tarifliche Regelung ist wirksam. Die Arbeitgeberin kann die vereinbarte Befristung auf diese Tarifbestimmung stützen.

Die tarifliche Regelung in § 2 TV Befristung Steinkohlenbergbau idF vom 29.06.2007 ist wirksam. Sie hält sich innerhalb der den Tarifvertragsparteien durch § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG eröffneten Regelungsbefugnis.

Der Wirksamkeit der Tarifbestimmung steht nicht entgegen, dass sowohl die Höchstdauer der Befristung als auch die Anzahl der Verlängerungen abweichend von § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG geregelt sind. Nach § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG können durch Tarifvertrag nicht nur entweder die Höchstdauer der Befristung oder die Anzahl der Verlängerungen sachgrundlos befristeter Arbeitsverträge, sondern kumulativ beide Vorgaben abweichend von § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG geregelt werden12.

Durch die Festlegung einer fünfjährigen sachgrundlosen Befristung bei fünfmaliger Verlängerungsmöglichkeit in § 2 TV Befristung Steinkohlenbergbau idF vom 29.06.2007 haben die Tarifvertragsparteien den ihnen eröffneten Gestaltungsrahmen nicht überschritten.

Die Arbeitgeberin kann die Befristung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2018 auf § 2 TV Befristung Steinkohlenbergbau idF vom 29.06.2007 stützen.

Der TV Befristung Steinkohlenbergbau findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme Anwendung. Die Vereinbarung wurde iSd. § 14 Abs. 2 Satz 4 TzBfG im Geltungsbereich des TV Befristung Steinkohlenbergbau getroffen, denn die Parteien unterfielen im Falle beiderseitiger Tarifbindung dem Geltungsbereich des TV Befristung Steinkohlenbergbau 200713.

Die hier streitgegenständliche Befristung erfüllt die Voraussetzungen in § 2 TV Befristung Steinkohlenbergbau idF vom 29.06.2007. Das Arbeitsverhältnis bestand vom 01.01.2015 bis zum 31.12.2018. Es wurde nicht verlängert, sondern war von Anfang an auf die Dauer von vier Jahren befristet.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Februar 2021 – 7 AZR 99/19

  1. ausführlich BAG 17.04.2019 – 7 AZR 410/17, Rn. 16 ff.[]
  2. grundlegend und ausführlich BAG 26.10.2016 – 7 AZR 140/15, Rn. 17, 31 ff., BAGE 157, 141; vgl. auch BAG 17.04.2019 – 7 AZR 410/17, Rn. 17 ff.; 21.03.2018 – 7 AZR 428/16, Rn. 21; 14.06.2017 – 7 AZR 627/15, Rn.19[]
  3. vgl. zu den für Tarifverträge maßgeblichen Auslegungsgrundsätzen BAG 12.12.2018 – 4 AZR 147/17, Rn. 35, 42 mwN, BAGE 164, 326[]
  4. aA Löwisch BB 2020, 1140[]
  5. BAG 11.07.2019 – 6 AZR 460/18, Rn. 26; 23.04.2013 – 3 AZR 23/11, Rn. 29 mwN[]
  6. LAG Hamm 14.02.2019 – 11 Sa 576/18[]
  7. BAG 30.01.2002 – 10 AZR 359/01, zu II 1 b aa der Gründe mwN[]
  8. BAG 30.01.2002 – 10 AZR 359/01, zu II 1 b aa der Gründe mwN; 28.09.1994 – 4 AZR 738/93, zu 3 d der Gründe mwN[]
  9. BAG 30.01.2002 – 10 AZR 359/01, zu II 1 b aa der Gründe[]
  10. BAG 29.01.2020 – 4 ABR 26/19, Rn. 37; 16.11.2011 – 4 AZR 856/09, Rn. 27; 9.05.2007 – 4 AZR 275/06, Rn. 37 mwN[]
  11. vgl. zur Betriebsvereinbarung: BAG 28.07.2020 – 1 ABR 4/19, Rn. 29; 23.01.2018 – 1 AZR 65/17, Rn. 38, BAGE 161, 305; 29.04.2004 – 1 ABR 30/02, zu B IV 2 a aa der Gründe, BAGE 110, 252[]
  12. st. Rspr. des BAG, vgl. BAG 26.10.2016 – 7 AZR 140/15, Rn. 16, BAGE 157, 141; 18.03.2015 – 7 AZR 272/13, Rn.20 ff.; 15.08.2012 – 7 AZR 184/11, Rn. 17 ff. mwN, BAGE 143, 10[]
  13. vgl. BAG 18.03.2015 – 7 AZR 272/13, Rn. 36[]

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