Scheinwerkvertrag – und die verdeckte Arbeitnehmerüberlassung

Auch bei einer durch einen Scheinwerkvertrag verdeckten Arbeitnehmerüberlassung ist zwischen dem Arbeitnehmer und dem Entleiher ein Arbeitsvertrag weder durch ausdrückliche noch durch konkludente Vereinbarung geschlossen worden noch ist bei einer bestehenden Überlassungserlaubnis ein Arbeitsverhälntis nach § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG zustande gekommen.

Scheinwerkvertrag –  und die verdeckte Arbeitnehmerüberlassung

Eine ausdrückliche Vereinbarung mit der Entleiherin besteht nicht. Auch die Voraussetzungen für einen konkludenten Vertragsschluss sind nicht gegeben. Ein Vertrag kann zwar auch durch übereinstimmendes schlüssiges Verhalten (Realofferte und deren konkludente Annahme) zustande kommen1. Eine konkludente Vereinbarung setzt aber ein schlüssiges Verhalten voraus, aus dem die andere Partei ein Vertragsangebot entnehmen kann, das sie ihrerseits dann – durch schlüssiges Verhalten oder ausdrücklich – annehmen kann2.

Hieran fehlt es. Dem Arbeitnehmer war bewusst, dass er ein Arbeitsverhältnis nicht zur Entleiherin, sondern zu seinen jeweiligen Vertragsarbeitgeberinnen begründet hatte. Ebenso war der Entleiherin bewusst, dass der Arbeitnehmer als Fremdarbeitskraft für sie tätig war. Dies war dem jeweils anderen Teil eindeutig erkennbar. Zu einem einvernehmlichen Austausch von Dienstleistung und Vergütung kam es zwischen den Parteien nicht. Seine Vergütung hat der Arbeitnehmer von seinen jeweiligen Vertragsarbeitgeberinnen erhalten.

Zwischen den Parteien ist auch kein Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG zustande gekommen. Dabei kann dahinstehen, ob der Arbeitnehmer aufgrund Werkvertrags oder aufgrund verdeckter Arbeitnehmerüberlassung bei der Entleiherin tätig war.

§ 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG fingiert das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses bei Fehlen einer Erlaubnis des Verleihers zur Arbeitnehmerüberlassung. Nach dieser Vorschrift gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zu dem zwischen dem Entleiher und dem Verleiher für den Beginn der Tätigkeit vorgesehenen Zeitpunkt als zustande gekommen, wenn der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam ist, wobei im Falle der Unwirksamkeit nach Aufnahme der Tätigkeit das Arbeitsverhältnis mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Unwirksamkeit fingiert wird. Gemäß § 9 Nr. 1 AÜG sind Verträge zwischen Verleihern und Entleihern sowie zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern unwirksam, wenn der Verleiher nicht die nach § 1 AÜG erforderliche Erlaubnis hat3.

Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts verfügten die drei Vertragsarbeitgeberinnen des Arbeitnehmers jeweils über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nach §§ 1, 2 AÜG. Diese wurden vor dem Jahr 2011 erteilt und lagen während der gesamten Dauer der Tätigkeit des Arbeitnehmers bei der Entleiherin vor. Die Fiktion des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG kann daher nicht eintreten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer der Entleiherin im Falle einer Arbeitnehmerüberlassung entgegen § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG nicht nur vorübergehend überlassen wurde. Eine einem Verleiher vor dem 1.12 2011 erteilte Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 AÜG war nicht auf die vorübergehende Überlassung von Arbeitnehmern beschränkt. Da bis zum 30.11.2011 eine zeitlich unbeschränkte Überlassung von Arbeitnehmern an einen Entleiher nach dem AÜG zulässig war, umfasste eine vor dem 1.12 2011 erteilte Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung auch eine nicht nur vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern. Das Erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vom 28.04.20114 enthält keine Regelungen, die vor dem 1.12 2011 erteilte Erlaubnisse zur Arbeitnehmerüberlassung beschränken. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 1 AÜG kann die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nur mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn die Erlaubnisbehörde aufgrund einer geänderten Rechtslage berechtigt wäre, die Erlaubnis zu versagen. Daraus wird deutlich, dass eine geänderte Rechtslage nicht per se die Unwirksamkeit einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung bewirkt oder die Erlaubnis einschränkt5.

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Dem steht nicht entgegen, dass keiner der „Werkverträge“ offen als Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bezeichnet wurde.

Entgegen der Ansicht des Arbeitnehmers reicht auch im Falle der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung nach der zutreffenden und – soweit ersichtlich – heute nahezu einhelligen Ansicht im Schrifttum die erteilte Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung aus, um die Rechtsfolge des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG auszuschließen6.

Eine erteilte Erlaubnis stellt grundsätzlich einen wirksamen Verwaltungsakt dar, der, bevor er mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AÜG) oder – ebenfalls mit Wirkung ex nunc – widerrufen (§ 5 Abs. 1 AÜG) wird, Geltung beansprucht. Dem Gesetz sind keine Anhaltspunkte zu entnehmen, dass die Erlaubnis nur für die offene Arbeitnehmerüberlassung Wirkung entfalten soll.

Dem Arbeitnehmer ist zwar zuzugeben, dass im Falle eines Scheinwerkvertrags dieser gemäß § 117 Abs. 1 BGB als solcher nichtig wäre, wobei nach § 117 Abs. 2 BGB der Vertrag sodann an den Maßstäben des AÜG zu messen und in Ermangelung der formalen Anforderungen des § 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG nach § 134 BGB bzw. § 125 Satz 1 BGB nichtig wäre7. Dies kann jedoch nicht zu der Rechtsfolge des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG führen. Denn die Vorschrift verlangt gerade die Unwirksamkeit des Vertrags zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer und nicht des Vertrags zwischen Verleiher und Entleiher und dies zudem nicht aus jeglichem Unwirksamkeitsgrund, sondern einzig wegen Fehlens der Erlaubnis nach § 9 Nr. 1 AÜG.

§ 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG kann auch nicht analog herangezogen werden.

Zur wortsinnübersteigenden Gesetzesanwendung durch Analogie bedarf es einer besonderen Legitimation. Die analoge Anwendung einer Norm setzt voraus, dass eine vom Gesetzgeber unbeabsichtigt gelassene Lücke vorliegt und diese Planwidrigkeit aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann. Andernfalls könnte jedes Schweigen des Gesetzgebers – also der Normalfall, wenn er etwas nicht regeln will – als planwidrige Lücke aufgefasst und diese im Wege der Analogie von den Gerichten ausgefüllt werden. Analoge Gesetzesanwendung erfordert darüber hinaus, dass der gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt wie die gesetzessprachlich erfassten Fälle. Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass ein Gericht seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt. Die Aufgabe der Rechtsprechung beschränkt sich darauf, den vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck eines Gesetzes auch unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen oder eine planwidrige Regelungslücke mit den anerkannten Auslegungsmethoden zu füllen. Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den Wortlaut des Gesetzes hintanstellt und sich über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein8.

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Für eine entsprechende Anwendung der Rechtsfolge des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG im Falle einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung fehlt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Das Bundesarbeitsgericht hat hinsichtlich der Frage der Rechtsfolge bei einer nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung bereits ausgeführt, dass im Gesetzgebungsverfahren zum Missbrauchsverhinderungsgesetz die Erweiterung der Rechtsfolge aus § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG über die Fälle des Fehlens der Erlaubnis hinaus diskutiert und von Sachverständigen angemahnt wurde9. Das Problem der Legalisierungswirkung einer Vorratserlaubnis war zu diesem Zeitpunkt bereits seit Jahren offen angesprochen10. Dennoch ist eine Regelung im Missbrauchsverhinderungsgesetz unterblieben. Deshalb kann von einer unbewussten Untätigkeit des Gesetzgebers nicht ausgegangen werden. Erst nach § 9 Abs. 1 Nr. 1a des am 1.06.2016 vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurfs zur Bekämpfung des Missbrauchs bei Leiharbeit und Werkverträgen idF vom 20.05.2016 (AÜG-E) sollen Arbeitsverträge zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern unwirksam sein, wenn entgegen § 1 Abs. 1 Satz 5 und Satz 6 AÜG die Arbeitnehmerüberlassung nicht ausdrücklich als solche bezeichnet und die Person des Leiharbeitnehmers nicht konkretisiert worden ist, es sei denn, der Leiharbeitnehmer erklärt schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach dem zwischen Verleiher und Entleiher für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält.

Einer analogen Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG steht darüber hinaus entgegen, dass die Situation bei einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung nicht mit der Situation eines ohne Erlaubnis überlassenen Arbeitnehmers, für den § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher fingiert, vergleichbar ist. Das Bundesarbeitsgericht hat im Zuge der Problematik einer nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung bereits ausgeführt, dass die Bestimmung des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG erforderlich ist, weil bei Fehlen der nach § 1 AÜG erforderlichen Erlaubnis der Vertrag des Leiharbeitnehmers mit dem Verleiher nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam ist11. Damit der Arbeitnehmer in diesem Fall überhaupt in einem Arbeitsverhältnis steht, fingiert § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ein solches zum Entleiher. Genauso wenig wie das Arbeitsverhältnis des nicht nur vorübergehend überlassenen Arbeitnehmers zum Verleiher unwirksam ist, ist das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers zum Scheinwerkvertragsunternehmer (Verleiher) unwirksam.

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Die Auswechslung des Arbeitgebers aufgrund einer analogen Anwendung von § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG wäre darüber hinaus wegen des Entzugs des vom Arbeitnehmer gewählten Arbeitgebers auch verfassungsrechtlich bedenklich12. Eine derart weitreichende Rechtsfolge bedarf einer hinreichend klaren Regelung durch den Gesetzgeber, wie sie in § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG-E mit dem Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers vorgesehen ist.

Letztlich ist eine analoge Anwendung auch europarechtlich nicht geboten. Wegen der Vielzahl möglicher Verstöße gegen Vorschriften des AÜG durch Verleiher und Entleiher sowie möglicher Sanktionen ist die Auswahl wirksamer, angemessener und abschreckender Sanktionen iSv. Art. 10 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 über Leiharbeit (Leiharbeitsrichtlinie) nicht Aufgabe der Gerichte für Arbeitssachen, sondern Sache des Gesetzgebers13.

Im Falle eines Scheinwerkvertrags kann das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses auch nicht aus § 1 Abs. 2 AÜG hergeleitet werden14. Nach Streichung des § 13 AÜG aF gibt es in den Fällen der nach § 1 Abs. 2 AÜG vermuteten Arbeitsvermittlung keine gesetzliche Grundlage mehr für das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher15.

Entgegen der Ansicht des Arbeitnehmers und des Landesarbeitsgerichts ist auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis zustande gekommen, selbst wenn die Entleiherin und die Vertragsarbeitgeberinnen des Arbeitnehmers eine Arbeitnehmerüberlassung des Arbeitnehmers bewusst als Werkvertrag getarnt hätten. Deshalb kann dahinstehen, ob – wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat – eine rechtsmissbräuchliche Vertragsgestaltung vorliegt. Denn entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann ein solcher Gestaltungsmissbrauch nicht gemäß § 242 BGB zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit der Entleiherin führen.

Das Landesarbeitsgericht führt – teilweise unter Bezugnahme auf die von Brose16 vorgebrachten Argumente – aus, die Grundkonzeption des AÜG gehe von einer offenen Arbeitnehmerüberlassung aus. Der Gesetzgeber setze auch voraus, dass nur derjenige einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung bedürfe, der gemäß § 1 Abs. 1 AÜG einen Nutzungswillen habe. Fehle dieser, könne eine Verlängerung befristet erteilter Erlaubnisse versagt werden, § 2 Abs. 4 AÜG. Eine unbefristet erteilte Erlaubnis erlösche, wenn sie drei Jahre lang nicht genutzt werde, § 2 Abs. 5 AÜG. Wer eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung besitze, sie aber zunächst bewusst nicht einsetze und so die wirkliche Natur des Fremdpersonaleinsatzes nicht transparent mache, könne sich nicht auf die Erlaubnis berufen.

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Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

Sie widersprechen zum einen verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen. Für die Annahme, es könne einer Person verwehrt sein, sich auf eine erteilte – bestandskräftige – Erlaubnis seines Vertragspartners zu berufen, solange diese nicht widerrufen oder zurückgenommen worden ist, fehlt es an einer rechtlichen Grundlage. Die Erlaubnis wird unabhängig von einem konkreten Einzelfall erteilt und bleibt wirksam, bis sie entweder durch Zeitablauf ihre Wirksamkeit verliert (§ 2 Abs. 4 Satz 1 AÜG), erlischt (§ 2 Abs. 5 Satz 2 AÜG), zurückgenommen (§ 4 AÜG) oder widerrufen (§ 5 AÜG) wird17. Die Gerichte aller Rechtszweige sind an das Bestehen und den Inhalt von wirksamen Verwaltungsakten, selbst wenn sie rechtswidrig sind, gebunden, soweit ihnen nicht die Kontrollkompetenz eingeräumt ist. Diese Bindung entfällt nur, wenn der Verwaltungsakt nichtig ist18.

Die Nichtbeachtlichkeit einer Erlaubnis hätte zum anderen Auswirkungen auf mögliche Ordnungswidrigkeiten von Ver- und Entleiher. Dies wäre aber nicht mehr mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot von Strafnormen aus Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar19.

Dass es dem Entleiher nicht bereits nach geltender Rechtslage verwehrt ist, sich auf eine erteilte Erlaubnis zu berufen, zeigen auch die Materialien zu möglichen künftigen Änderungen des AÜG. Der Gesetzgeber hat bislang Sanktionen bei einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung nicht geregelt, sondern beabsichtigt dies erst noch20. So heißt es in der BR-Drs. 687/13, S. 9: „Mit der hier vorgeschlagenen Rechtsänderung greifen die Rechtsfolgen des § 10 Absatz 1 nunmehr bei allen Scheinwerkverträgen. Auch bei verdeckter Arbeitnehmerüberlassung mit Erlaubnis wird damit ein Arbeitsverhältnis zum Inhaber des Einsatzbetriebs fingiert, wenn die Überlassung im Einzelfall nicht eindeutig als Arbeitnehmerüberlassung kenntlich gemacht worden ist.“ In der Entschließung des Bundesrats zur Begrenzung der Leiharbeit und gegen den Missbrauch von Werkverträgen vom 26.02.201621 heißt es: „Missbrauch entsteht bei Vertragskonstruktionen, die von den Vertragsparteien zwar als ‚Werkvertrag‘ bezeichnet werden, tatsächlich jedoch als Arbeitsverträge oder Arbeitnehmerüberlassungsverträge durchgeführt werden. Bei solchen verdeckten Überlassungsverträgen kann der vermeintliche Werkvertragsunternehmer bislang eine Verleiherlaubnis vorhalten und sich auf diese berufen, wenn das Scheingeschäft deutlich wird. Die Länder unterstützen das Ziel, den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen durch gesetzliche Neuregelungen einzudämmen.“ Der Gesetzgeber geht ersichtlich davon aus, dass die geltende Rechtslage für den Fall einer „Vorratserlaubnis“ derzeit gerade nicht vorsieht, dass ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher zustande kommt. Die Gerichte dürfen aber Gesetzesvorhaben und (planmäßige) Regelungslücken nicht dazu nutzen, den Willen des Gesetzgebers zu missachten und dem Gesetzgebungsprozess vorzugreifen22. Auch Absichtserklärungen von Parteien in einer Koalitionsvereinbarung berechtigen Gerichte nicht, die geltende Rechtslage außer Acht zu lassen23. Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass der Richter seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt24.

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Auch der Schutzzweck des AÜG gebietet die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher nicht.

Sollen durch eine vertragliche Gestaltung zwingende soziale Schutzrechte umgangen werden, bleiben die bestehenden Ansprüche erhalten. Die Gestaltung ist insoweit nichtig, als sie diese Ansprüche vereitelt25. Sollen im bewussten und gewollten Zusammenwirken arbeitsrechtliche Schutzvorschriften umgangen werden, kann dies zur Folge haben, dass sich eine hieran beteiligte Person so behandeln lassen muss, wie sie bei Anwendung der umgangenen Vorschriften zu behandeln wäre26. Selbst wenn also davon auszugehen wäre, dass vorliegend in rechtsmissbräuchlicher Weise eine Anwendung des AÜG umgangen werden sollte, könnte dies allenfalls zu den im AÜG vorgesehenen Leistungspflichten führen, nicht aber zum Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und der Entleiherin. Diese dem Arbeitnehmer aus der (verdeckten) Arbeitnehmerüberlassung erwachsenden Rechte werden durch eine Vorratserlaubnis nicht verändert oder beschränkt, sodass der Schutz des AÜG insoweit voll erhalten bleibt27.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12. Juli 2016 – 9 AZR 51/15

  1. BAG 17.04.2013 – 10 AZR 668/12, Rn. 12[]
  2. BAG 27.06.2006 – 3 AZR 151/05, Rn. 26[]
  3. BAG 10.12 2013 – 9 AZR 51/13, Rn.20, BAGE 146, 384[]
  4. BGBl. I S. 642, im Folgenden Missbrauchsverhinderungsgesetz[]
  5. BAG 10.12 2013 – 9 AZR 51/13, Rn. 21, BAGE 146, 384[]
  6. Hamann AuR 2016, 136; ders. in Schüren/Hamann AÜG 4. Aufl. § 1 Rn. 114; Brauneisen/Ibes RdA 2014, 213; Deinert RdA 2014, 65, 73; Tilch NJW-Spezial 2014, 114, 115; Köhler GWR 2014, 28, 30; Lembke NZA 2013, 1312, 1317; Maschmann NZA 2013, 1305, 1310 f.; Francken NZA 2013, 1192; Schüren NZA 2013, 176, 177; sh. auch BR-Drs. 687/13 S. 9: „Die z. T. auf Vorrat beantragte und erteilte Erlaubnis … verhindert, auch wenn sie nie zweckentsprechend eingesetzt werden sollte, sondern nur für den Fall der Aufdeckung des Rechtsmissbrauchs vorgehalten wird, die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher“; aA J. Ulber/D. Ulber AÜG 2. Aufl. Einleitung Rn. 46; Ulber/J. Ulber AÜG 4. Aufl. Einleitung C Rn. 89; für eine Änderung de lege ferenda: etwa Brors/Schüren NZA 2014, 569, 572; Deinert RdA 2014, 65, 73[]
  7. vgl. Hamann NZA-Beilage 2014, 3, 9; Timmermann BB 2012, 1729, 1730[]
  8. BAG 10.12 2013 – 9 AZR 51/13, Rn. 23, BAGE 146, 384[]
  9. BAG 10.12 2013 – 9 AZR 51/13, Rn. 27, BAGE 146, 384 mit Verweis auf BT-Drs. 17/5238 S. 9 und der dort dargestellten Kritik von Düwell, der Gesetzentwurf sei „nicht effektiv genug“, da er „die vorgesehene Rechtsfolge für die anderen Fälle der gesetzwidrigen Arbeitnehmerüberlassung aus[spare]“[]
  10. vgl. Hamann jurisPR-ArbR 17/2011 Anm. 1; ders. jurisPR-ArbR 5/2009 Anm. 2; ders. jurisPR-ArbR 32/2005 Anm. 4; Ulber/J. Ulber AÜG 4. Aufl. Einleitung C Rn. 89[]
  11. BAG 10.12 2013 – 9 AZR 51/13, Rn. 30, BAGE 146, 384[]
  12. ausf. BAG 10.12 2013 – 9 AZR 51/13, Rn. 31, BAGE 146, 384[]
  13. ausf. für den Fall einer nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung BAG 10.12 2013 – 9 AZR 51/13, Rn. 32 ff., BAGE 146, 384[]
  14. so aber Ulber/J. Ulber AÜG 4. Aufl. Einleitung C Rn. 89[]
  15. ausf. BAG 10.12 2013 – 9 AZR 51/13, Rn. 25 mwN, BAGE 146, 384[]
  16. Brose, DB 2014, 1739[]
  17. vgl. Seier DB 2015, 494, 495[]
  18. BAG 14.09.2011 – 10 AZR 466/10, Rn.19; 18.07.2007 – 5 AZR 854/06, Rn. 25; 22.09.1995 – 5 AZB 19/95 – II 2 b der Gründe[]
  19. Seier DB 2015, 494, 495[]
  20. vgl. Giese/Scheuer BB 2015, 1461, 1464[]
  21. BR-Drs. 89/16 S. 3[]
  22. vgl. BAG 10.12 2013 – 9 AZR 51/13, Rn. 23, 38, BAGE 146, 384; Giese/Scheuer BB 2015, 1461, 1464[]
  23. BAG 3.06.2014 – 9 AZR 111/13, Rn. 12[]
  24. BVerfG 16.02.2012 – 1 BvR 127/10, Rn. 22; BAG 20.10.2015 – 9 AZR 743/14, Rn. 27, BAGE 153, 62[]
  25. vgl. BGH 23.06.1971 – VIII ZR 166/70, zu III 2 der Gründe, BGHZ 56, 285[]
  26. BAG 15.05.2013 – 7 AZR 494/11, Rn. 33; vgl. dazu BAG 20.07.1982 – 3 AZR 446/80, zu 3 b und d der Gründe, BAGE 39, 200[]
  27. vgl. hierzu Seier DB 2015, 494, 497[]
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