Schmerzensgeld vom Arbeitgeber – und die tarifliche Ausschlussfrist

Die Ausschlussfrist gem. § 37 TVöD erfasst unabhängig von der Anspruchsgrundlage auch Schadens- und Schmerzensgeldansprüche wegen vorsätzlicher Pflichtverletzungen und Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (hier: Schmerzensgeldanspruch wegen Mobbings)1. Das gilt auch dann, wenn die tarifliche Ausschlussfrist kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das für das Arbeitsverhältnis einschlägige Tarifwerk als Ganzes zur Anwendung kommt. § 202 BGB steht dem nicht entgegen2.

Schmerzensgeld vom Arbeitgeber – und die tarifliche Ausschlussfrist

Die Ausschlussfrist gem. § 37 TVöD umfasst – unabhängig von der Anspruchsgrundlage – einen vom Arbeitnehmer geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts.

Nach § 37 Abs. 1 TVöD verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Beschäftigten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden. Für denselben Sachverhalt reicht die einmalige Geltendmachung des Anspruchs auch für später fällige Leistungen aus.

Soweit ersichtlich ist bisher nicht höchstrichterlich entschieden, ob § 37 Abs. 1 TVöD auch vorsätzliche Pflichtverletzungen und Verletzungen des Persönlichkeitsrechts, zB wegen Mobbings, erfasst. Die sachliche Reichweite einer tariflichen Ausschlussfrist ist durch Auslegung zu ermitteln3. In Anlehnung an die Entscheidung des 8. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 16.05.2007 – 8 AZR 709/06 – ist § 37 Abs. 1 TVöD dahingehend auszulegen, dass auch Schadens- und Schmerzensgeldansprüche wegen vorsätzlicher Pflichtverletzungen (§ 280 BGB) und Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (§ 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG) umfasst sind. Das ergibt die Auslegung der Tarifnorm.

Nach der (Grundsatz-)Entscheidung des 8. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 16.05.20074 erfasst eine tarifliche Ausschlussfrist, die nach ihrem Wortlaut, von dem bei der Auslegung einer Tarifnorm vorrangig auszugehen ist5, „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ umfasst, auch Ansprüche aus vorsätzlich unerlaubter Handlung. Dem steht die seit 01.01.2002 geltende Vorschrift des § 202 Abs. 1 BGB nicht entgegen, der zufolge die Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden kann. Zu den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis zählen wegen des einheitlichen Lebensvorgangs nicht nur vertragliche Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche, sondern auch solche aus unerlaubter Handlung. Eine solche Klausel verstößt auch nicht gegen § 276 Abs. 3 BGB, da die Haftung nicht im Voraus erlassen wird. Soweit sie auch die Haftung wegen Vorsatzes erfasst, ist sie jedenfalls dann nicht nach § 134, § 202 Abs. 1 BGB teilunwirksam, wenn die Haftung für fremdes vorsätzliches Handeln ausgeschlossen wird. Diesen Ausschluss lässt § 278 Abs. 1 Satz 2 BGB zu. Daher können derartige Ansprüche auch unter der Geltung des § 202 Abs. 1 BGB von einer Ausschlussfrist umfasst werden.

Weiterlesen:
Hinterbliebenenversorgung - und ihr Wegfall aufgrund einer Tarifregelung

Danach erfasst § 37 Abs. 1 Satz 1 TVöD die hier streitgegenständlichen Ansprüche.

Der Grundsatzentscheidung vom 16.05.20076 folgend handelt es sich auch bei Ansprüchen auf Schadensersatz- und Schmerzensgeld wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts um „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ iSd. § 37 Abs. 1 Satz 1 TVöD. In der Entscheidung vom 16.05.2007 führte das Bundesarbeitsgericht aus, dass eine Verfallklausel, die sich nach ihrem Wortlaut auf „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ bezieht, sowohl Ansprüche aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung als auch solche wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst. Soweit damit in Abkehr zur früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts7 nunmehr auch Schadensersatzansprüche aus der Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Ausschlussfrist in § 37 Abs. 1 Satz 1 TVöD unterstellt werden, erscheint dies zur Vermeidung einer unangemessenen Differenzierung von allgemeinen Schadensersatzansprüchen und solchen wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts sachgerecht8. Im Anwendungsbereich des TVöD kann nichts anderes gelten9.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der Entscheidung des BAG vom 16.05.2007 (aaO) eine tarifliche Ausschlussfrist zugrunde lag, die mit § 37 Abs. 1 TVöD inhaltlich weitgehend übereinstimmt. Auch diese erfasste nach dem Wortlaut – ebenso wie § 37 Abs. 1 TVöD – ohne weitergehende Differenzierung „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“. Diese Tarifnorm lautet wie folgt: „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis müssen spätestens innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Entstehen des Anspruchs geltend gemacht werden; Ist dies geschehen, so bleiben die gesetzlichen Verjährungsfristen unberührt.“

Der hier vertretenen Auffassung steht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur einschränkenden Auslegung einzelvertraglicher Ausschlussfristen nicht entgegen.

Danach sind einzelvertragliche Ausschlussfristen dahingehend auszulegen, dass sie nicht auch die Haftung wegen Vorsatzes bzw. vorsätzlichen Vertragsverstößen und vorsätzlich begangener unerlaubter Handlungen ausgeschlossen werden. Nach § 202 Abs. 1 BGB kann die Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden. § 202 Abs. 1 BGB erfasst nicht nur Vereinbarungen über die Verjährung, sondern auch über Ausschlussfristen. § 202 BGB stellt eine Verbotsnorm im Sinne von § 134 BGB dar. Eine im Arbeitsvertrag vereinbarte Ausschlussfrist ist nichtig, sofern sie auch vorsätzliche Vertragsverstöße und vorsätzlich begangene unerlaubte Handlungen erfassen sollte10. Im Hinblick auf diese klare Gesetzeslage ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Vertragspartner mit solchen Vertragsklauseln keine Fälle anders als das Gesetz und unter Verstoß gegen die gesetzliche Verbotsnorm iSd. § 134 BGB regeln wollten. Anders verhält es sich bei tarifvertraglichen Ausschlussfristen, die auch Schadensersatzansprüche aus vorsätzlichem Handeln erfassen. Solchen Tarifklauseln steht § 202 Abs. 1 BGB (gerade) nicht entgegen, da das Gesetz die Erleichterung der Haftung wegen Vorsatzes nur „durch Rechtsgeschäft“ verbietet11.

Weiterlesen:
Hygienekleidung in der Fleischverarbeitung - und die Reinigungskosten

Beginn der Ausschlussfrist bei Mobbing

In Mobbing-Fällen beginnt die Ausschlussfrist wegen der systematischen, sich aus mehreren einzelnen Handlungen zusammensetzenden Verletzungshandlung regelmäßig erst mit der zeitlich letzten Mobbing-Handlung6.

Arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den TVöD

Dem Verfall nicht entgegen, dass der TVöD im konkreten Fall nicht kraft normativer Wirkung, sondern kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung findet.

Zunächst ist festzuhalten, dass § 202 Abs. 1 BGB nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung einer tariflichen Ausschlussfrist, die auch Schadensersatzansprüche aus vorsätzlichem Handeln erfasst und nach § 4 Abs. 1 Satz 1 oder § 5 Abs. 4 TVG normative Wirkung entfaltet, nicht entgegensteht. Die Rechtsprechung wird im Kern wie folgt begründet:

§ 202 Abs. 1 BGB spricht von einer Erleichterung der Haftung wegen Vorsatzes „durch Rechtsgeschäft“. Damit wird bereits nach dem Wortlaut der Norm auf einen Tatbestand abgestellt, der sich aus Willenserklärungen ergibt. Die amtliche Überschrift von § 202 BGB spricht zwar in Abweichung vom Wort „Rechtsgeschäft“ von „Vereinbarungen über die Verjährung“, jedoch folgt auch hieraus, dass sich § 202 BGB auf Verjährungsregelungen durch Parteivereinbarung bezieht und die Vertragsfreiheit der Parteien insoweit einschränkt. Auch die Gesetzesbegründung spricht von der Disposition der Parteien, von Parteivereinbarung bzw. dem Interesse beider Parteien12. § 202 BGB bezieht sich damit losgelöst von den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets ausschließlich auf die Parteien des materiell-rechtlichen Anspruchs, um dessen Verjährung es geht.

Weiterlesen:
Feststellung einer Insolvenzforderung - und der Streitwert

Eine „Vereinbarung“ im Sinne von § 202 Abs. 1 BGB liegt allerdings nicht vor, wenn auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ein Tarifvertrag kraft beiderseitiger Tarifbindung oder kraft Allgemeinverbindlicherklärung zwingend Anwendung findet (§ 4 Abs. 1 Satz 1 oder § 5 Abs. 4 TVG). Gilt für das Arbeitsverhältnis der Parteien ein Tarifvertrag kraft beiderseitiger Tarifbindung, so gelten die Rechtsnormen des Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluss oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, unmittelbar und zwingend, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG. Die Rechtsnormen eines Tarifvertrags sind Gesetze im materiell-rechtlichen Sinne und erfüllen den Gesetzesbegriff des Art. 2 EGBGB13. Für die Tarifgebundenen entspricht die Regelungswirkung daher derjenigen anderer Gesetze. Aufgrund dieser normativen Wirkung des Tarifvertrags, die gerade nicht Ausdruck der privatautonomen Gestaltung der Arbeitsvertragsparteien ist, handelt es sich bei den zwingend und unmittelbar geltenden Rechtsnormen eines Tarifvertrags nicht um ein „Rechtsgeschäft“ im Sinne von § 202 BGB, sondern um eine gesetzliche Regelung im Sinne von Art. 2 EGBGB.

Einzelvertragliche Ausschlussfristen, die auch die Haftung wegen Vorsatzes ausschließen, sind gem. § 134, § 202 Abs. 1 BGB unwirksam. Nicht geklärt ist allerdings, ob eine tarifliche Ausschlussfrist, die – wie hier – kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklausel auf den einschlägigen Tarifvertrag zur Anwendung kommt, an § 202 Abs. 1 BGB zu messen ist und im Bejahungsfall (teil-)nichtig ist. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Rechtsfrage – soweit ersichtlich – bisher offen gelassen. So hat der Achte Senat im Urteil vom 18.08.201114 unter der Randnummer 37 ausgeführt: „Ob eine individualvertragliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien und damit ein Rechtsgeschäft im Sinne von § 202 BGB jedoch dann vorliegt, wenn ein Tarifvertrag aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel insgesamt Anwendung findet oder wenn allein bezüglich der Ausschlussfristen ein Tarifvertrag Anwendung finden soll, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden.“

Auch in der Entscheidung vom 20.06.201315 wurde die Rechtsfrage unter Randnummer 24 wie folgt offen gelassen: „Der Senat hat für tarifvertragliche Ausschlussfristen, die Schadensersatzansprüche aus vorsätzlichem Handeln erfassen, entschieden, dass solchen Tarifklauseln § 202 Abs. 1 BGB nicht entgegensteht, da das Gesetz die Erleichterung der Haftung wegen Vorsatzes nur „durch Rechtsgeschäft“ verbietet (…). Da die Arbeitsvertragsparteien hier nicht auf einen Tarifvertrag Bezug genommen haben, braucht nicht entschieden zu werden, ob ein Rechtsgeschäft iSv. § 202 BGB dann ausscheidet, wenn ein Tarifvertrag aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel insgesamt Anwendung findet.

Nach richtiger Auffassung kann es für die Vereinbarkeit einer tariflichen Ausschlussfrist mit § 202 Abs. 1 BGB keinen Unterschied machen, ob diese kraft normativer Wirkung oder kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme zur Anwendung kommt. Das gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – im Sinne einer Gleichstellungsabrede umfassend auf den für das Arbeitsverhältnis einschlägigen Tarifvertrag verwiesen wird. Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei einem Arbeitsvertrag um ein Rechtsgeschäft iSd. § 202 Abs. 1 BGB handelt. Durch den Arbeitsvertrag als Rechtsgeschäft wird nur die Anwendbarkeit des Tarifvertrages vereinbart. Unmittelbarer Inhalt des Arbeitsvertrags als Rechtsgeschäft ist nicht die tarifliche Ausschlussfrist selbst bzw. der Ausschluss der Haftung wegen Vorsatzes. Die Anwendbarkeit der tariflichen Ausschlussfrist folgt erst mittelbar aus dem Tarifvertrag. Die tarifvertragliche Ausschlussfrist bleibt eine von den Tarifvertragsparteien vereinbarte Tarifnorm, die Bestandteil des Tarifvertrags als Gesamtwerk ist. Dieser unterliegt auch bei Anwendbarkeit auf ein Arbeitsverhältnis kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme keiner gerichtlichen Kontrolle auf die Angemessenheit des Inhalts. Für ihn streitet weiterhin die Richtigkeitsgewähr. Es liegt allein in den Händen der Tarifvertragsparteien, eine Ausschlussfrist zu vereinbaren, zu ändern, zu ergänzen oder abzuschaffen. Die Haftung wegen Vorsatzes oder für unerlaubte Handlungen kann aus dem Geltungsbereich einer Ausschlussfrist ausgenommen werden. All dies macht deutlich, dass im Falle einer umfassenden Bezugnahme auf einen einschlägigen Tarifvertrag die dort enthaltene Ausschlussfrist nicht als ein Rechtsgeschäft der Parteien an § 202 Abs. 1 BGB gemessen werden kann. Die Vorschrift gilt nur für die von den Arbeitsvertragsparteien eigenständig geregelten Ausschlussfristen. Vorliegend kann zudem offen bleiben, ob die Anwendbarkeit des § 202 Abs. 1 BGB nur bei einer Gleichstellungsabrede ausgeschlossen ist. Dies ist bei § 2 des Arbeitsvertrages der Fall.

Weiterlesen:
Mehrere Betriebsübergänge - und der richtige Adressat des Widerspruchs

Das gilt hingegen nicht, wenn die Arbeitsvertragsparteien nicht auf das einschlägige Tarifwerk als Ganzes oder nur auf einzelne Tarifvorschriften Bezug nehmen. In diesen Fällen beruht die Geltung der tariflichen Ausschlussfrist auf dem Arbeitsvertrag der Parteien. Die Geltung der dergestalt in Bezug genommenen tariflichen Bestimmungen sind durch den Arbeitsvertrag als Rechtsgeschäft iSd. § 202 Abs. 1 BGB vereinbart. Folge einer solchen Teilverweisung („Rosinenpickerei“) ist die (Teil-)Nichtigkeit gem. § 134, § 202 Abs. 1 BGB der anzuwendenden Ausschlussfrist, wenn auch die Haftung wegen Vorsatzes umfasst ist.

Die hier vertretene Auffassung findet ihre Stütze in zahlreichen gesetzlichen Bestimmungen. So sind Bezugnahmeklauseln nach Maßgabe der §§ 305 ff. BGB einer vollen Rechtskontrolle unterworfen. Der Tarifvertrag als Bezugnahmeobjekt ist allerdings gem. § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB aus der Überprüfung ausdrücklich ausgenommen. Vergleichbares gilt für die Bezugnahme auf verkürzte Kündigungsfristen nach einem Tarifvertrag (§ 623 Abs. 4 Satz 2 BGB), auf die einschlägigen tariflichen Urlaubsregelungen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 BUrlG) oder auf die tariflichen Bestimmungen zur Höhe des fortzuzahlenden Entgelts im Krankheitsfall (§ 4 Abs. 4 Satz 2 BurlG). In keinem der vorgenannten Fälle werden die tariflichen Bestimmungen bei einer gesetzeskonformen Bezugnahme einer strengeren oder abweichenden Prüfung unterzogen als bei Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien.

Für die hier vertretene Auffassung sprechen der Sinn und Zweck tariflicher Ausschlussfristen und die damit verbundene Stärkung der Tarifbindung und Tarifautonomie.

Weiterlesen:
Die Feststellungsklage eines Leiharbeitnehmers - und ihre Verwirkung

Sinn und Zweck tariflicher Ausschlussfristen ist es, innerhalb eines festgelegten, überschaubaren Zeitraums endgültig Klarheit – „reinen Tisch“ – über den Bestand der Forderungen und Rechte zu schaffen und damit Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu garantieren. Dieser Zweck wird verfehlt, wenn die Nichtigkeitsfolgen des § 202 Abs. 1 BGB für tarifgebundene und tarifungebundene Arbeitnehmer (mit einer Gleichstellungsabrede) divergieren. Da Arbeitgeber nicht immer Kenntnis von der Tarifbindung der Arbeitnehmer haben, würde zunächst offen bleiben, wann welche Ansprüche aus welchem Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Ausschlussfrist endgültig erledigt sind. So kann kein Rechtsfrieden und keine Rechtssicherheit geschaffen werden. Selbst wenn dem Arbeitgeber die Gewerkschaftszugehörigkeit eines Arbeitnehmers bekannt ist, kann dieser – zB nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis – seine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft beenden oder erst begründen. Daraus kann nicht folgen, dass die laufende Ausschlussfrist für eine Vorsatztat nicht mit dem Austritt unwirksam wird. Damit bietet auch die Kenntnis von der Gewerkschaftszugehörigkeit keine Gewähr für Rechtsfrieden und Rechtssicherheit. Die hier vertretene Auffassung erhält die dem Arbeitgeber mit der Tarifbindung verbundenen Vorteile. Sie ermöglicht im Hinblick auf § 202 Abs. 1 BGB eine Gleichstellung von tarifgebundenen und tarifungebundenen Arbeitnehmern hinsichtlich der anzuwendenden tariflichen Ausschlussfrist. Zugleich wird für Arbeitgeber ein Anreiz gesetzt, die Geltung tarifvertraglicher Regelungen auf einzelvertraglicher Ebene zu vereinbaren.

Weiterlesen:
Betriebsrente als Gesamtversorgung - und die Reform der gesetzlichen Rente

Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 5. Juli 2016 – 30 Ca 7767/15

  1. in Anlehnung an BAG 16.05.2007 – 8 AZR 709/06[]
  2. offen gelassen in BAG 18.08.2011 – 8 AZR 187/10, Rn. 37 und 20.06.2013 – 8 AZR 280/12, Rn. 24[]
  3. Schaub/Treber ArbR-HdB § 209 Rn. 12[]
  4. BAG 16.05.2007 – 8 AZR 709/06, Rn. 40 ff. BAGE 122, 304[]
  5. zu den Auslegungsgrundsätzen BAG 09.12.2015 – 10 AZR 488/14, Rn. 12 mwN[]
  6. BAG 16.05.2007 – 8 AZR 709/06[][]
  7. zu § 70 BAT BAG 25.04.1972 – 1 AZR 322/71 – Leitsatz 1 und unter III b aa der Entscheidungsgründe[]
  8. zweifelnd Schaub/Treber ArbR-HdB § 209 Rn. 16[]
  9. vgl. Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck, TVöD, Loseblatt, § 37 Rn. 57ff.; Sponer/Steinherr, TVöD, Loseblatt, § 37 Rn. 175; LAG Hamm 02.02.2012 – 17 Sa 1001/11; LAG Köln 02.03.2011 – 1 Ta 375/10[]
  10. vgl. BAG 25.05.2005 – 5 AZR 572/04, BAGE 115, 19[]
  11. BAG 18.08.2011 – 8 AZR 187/10, Rn. 32 ff.; 20.06.2013 – 8 AZR 280/12, Rn. 24[]
  12. vgl. BT-Drs. 14/6040 S. 109 f.[]
  13. BAG 14.06.1994 – 9 AZR 284/93, BAGE 77, 81[]
  14. BAG 18.08.2011 – 8 AZR 187/10[]
  15. BAG 20.06.2013 – 8 AZR 280/12[]