Nach § 96 Abs. 8 SGB IX hat der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit der Schwerbehindertenvertretung entstehenden Kosten zu tragen. Dazu gehören auch Kosten, die anlässlich der Teilnahme der Vertrauensperson an einer Schulungsveranstaltung nach § 96 Abs. 4 Satz 3 SGB IX entstanden sind.
Um eine Schulung iSv. § 96 Abs. 4 Satz 3 SGB IX handelt es sich, wenn die bei der Schulung vermittelten Kenntnisse für die Arbeit der Schwerbehindertenvertretung erforderlich sind.
Zu den vom Arbeitgeber zu tragenden Kosten gehören neben den eigentlichen Seminargebühren die notwendigen Reise, Übernachtungs- und Verpflegungskosten der Vertrauensperson1. Da § 96 Abs. 4 Satz 3 SGB IX der für die Schulungsteilnahme von Betriebsratsmitgliedern geltenden Regelung des § 37 Abs. 6 BetrVG entspricht, richtet sich die Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme nach denselben Grundsätzen wie bei Betriebsratsmitgliedern.
Die Schwerbehindertenvertretung darf danach die Schulungsteilnahme für erforderlich halten, wenn die dort vermittelten Kenntnisse unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse im Betrieb notwendig sind, damit die Schwerbehindertenvertretung ihre gegenwärtigen oder in naher Zukunft anstehenden Aufgaben sach- und fachgerecht erfüllen kann.
Dabei ist zwischen der Vermittlung sog. Grundkenntnisse und anderen Schulungsinhalten zu unterscheiden. Bei erstmals gewählten Vertrauenspersonen ist keine nähere Darlegung der Schulungsbedürftigkeit notwendig, wenn Grundkenntnisse vermittelt werden, die sich auf die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung beziehen. Durch die Vermittlung von Grundwissen soll die Vertrauensperson erst in die Lage versetzt werden, ihre sich aus der Amtsstellung ergebenden Rechte und Pflichten ordnungsgemäß wahrzunehmen. Für andere Schulungsveranstaltungen muss ein aktueller, betriebsbezogener Anlass für die Annahme bestehen, dass die in der Schulungsveranstaltung zu erwerbenden besonderen Kenntnisse derzeit oder in naher Zukunft von der zu schulenden Vertrauensperson benötigt werden, damit die Schwerbehindertenvertretung ihre Aufgaben sach- und fachgerecht wahrnehmen kann2.
Bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme steht der Schwerbehindertenvertretung ein Beurteilungsspielraum zu. Dieser entbindet sie jedoch nicht von der Obliegenheit, im Streitfall darzulegen, weshalb die Vertrauensperson die bei der Schulungsveranstaltung vermittelten Kenntnisse benötigt, um ihre gesetzlichen Aufgaben sach- und fachgerecht wahrzunehmen3. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit hat die Schwerbehindertenvertretung die betriebliche Situation und die mit dem Besuch der Schulungsveranstaltung verbundenen finanziellen Belastungen des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Sie hat darauf zu achten, dass der Schulungszweck in einem angemessenen Verhältnis zu den hierfür aufzuwendenden Mitteln steht. Die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung ist nicht erforderlich, wenn sich die Schwerbehindertenvertretung vergleichbare Kenntnisse zumutbar und kostengünstiger auf andere Weise verschaffen kann, zB durch eine Teilnahme an einer durch das Integrationsamt nach § 102 Abs. 2 Satz 6 SGB IX durchgeführten Schulungs- und Bildungsmaßnahme für Vertrauenspersonen. Die Schwerbehindertenvertretung ist allerdings nicht gehalten, die kostengünstigste Schulungsveranstaltung auszuwählen, wenn sie eine andere Schulung für qualitativ besser hält. Der Beurteilungsspielraum der Schwerbehindertenvertretung bezieht sich auch auf den Inhalt der Schulungsveranstaltung. Nur wenn mehrere gleichzeitig angebotene Veranstaltungen auch nach Ansicht der Schwerbehindertenvertretung im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums als qualitativ gleichwertig anzusehen sind, kann eine Beschränkung der Kostentragungspflicht des Arbeitgebers auf die Kosten der preiswerteren Veranstaltung in Betracht kommen. Bei der Prüfung der Angemessenheit der Kosten können auch die Dauer der Veranstaltung im Hinblick auf die behandelten Themen und die örtliche Lage der Schulungsveranstaltung von Bedeutung sein4.
Bei dem Begriff der Erforderlichkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff.
Die Würdigung des Beschwerdegerichts, ob die Schwerbehindertenvertretung die Teilnahme der Vertrauensperson an einer Schulungsveranstaltung iSv. § 96 Abs. 4 Satz 3 SGB IX für erforderlich halten durfte, kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt darauf überprüft werden, ob der Rechtsbegriff selbst verkannt wurde und ob die Besonderheiten des Einzelfalls vollständig und frei von Verstößen gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze abgewogen wurden5.
Der „Tag der Schwerbehindertenvertretung“ stellt nicht deshalb eine Schulung zur Vermittlung von Grundkenntnissen dar, weil in dieser Schulungsveranstaltung die Anwendung ausgewählter Grundkenntnisse anhand von Fallbeispielen geübt wurde. Es kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Vertrauensperson ihre gesetzlichen Aufgaben nur dann sach- und fachgerecht erfüllen kann, wenn sie nach dem Besuch einer Schulung zur Vermittlung von Grundkenntnissen die Anwendung der dort erworbenen Kenntnisse in einem weiteren Seminar anhand von Fällen übt. Es ist vielmehr anzunehmen, dass die Vertrauensperson bereits durch die Vermittlung der Grundkenntnisse in die Lage versetzt wird, ihre sich aus der Amtsstellung ergebenden Rechte und Pflichten ordnungsgemäß wahrzunehmen. Es bedarf daher der Darlegung besonderer Umstände dafür, dass eine Vertrauensperson, die bereits an einer Schulung zur Vermittlung von Grundkenntnissen teilgenommen hat, zusätzliche praktische Übungen benötigt, um ihre Aufgaben sach- und fachgerecht wahrnehmen zu können.
Auf die Darlegung eines aktuellen, betriebsbezogenen Anlasses kann auch nicht deshalb verzichtet werden, weil beim „Tag der Schwerbehindertenvertretung“ bereits erworbene Grundkenntnisse aufgefrischt wurden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Vertrauensperson, die alle Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung wahrnimmt, sich durch diese Tätigkeit die erworbenen Kenntnisse erhält und vertieft6. Daher setzt die Erforderlichkeit einer Wiederholungsschulung die Darlegung besonderer Umstände voraus, wie etwa eine wesentliche Änderung der betrieblichen Verhältnisse, der Gesetze oder der Rechtsprechung oder die sonstige Fortentwicklung von Erkenntnissen7.
Die bei dem „Tag der Schwerbehindertenvertretung“ vermittelten Rhetorikkenntnisse sind keine Grundkenntnisse, deren Erwerb ohne nähere Darlegung für erforderlich gehalten werden kann. Die Teilnahme der Vertrauensperson an einer Rhetorikschulung kann zwar erforderlich iSv. § 96 Abs. 4 Satz 3 SGB IX sein8. Rhetorikkenntnisse gehören aber nicht zum unverzichtbaren Grundwissen einer Vertrauensperson. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Vertrauensperson im Regelfall ihre gesetzlichen Aufgaben nur dann sach- und fachgerecht erfüllen kann, wenn sie an einer Rhetorikschulung teilgenommen hat. Dazu bedarf es vielmehr besonderer Umstände. Von Bedeutung für die Erforderlichkeit einer Rhetorikschulung können neben der Größe des Betriebs und der Zahl der zu vertretenden schwerbehinderten Menschen insbesondere schon vorhandene rhetorische Kompetenz der Vertrauensperson und die in der Amtszeit noch anstehenden rhetorischen Anforderungen sein. Es bedarf daher der Darlegung betrieblicher Gegebenheiten, aus denen sich ergibt, dass die Vertrauensperson ihre gesetzlichen Aufgaben nur dann sachgerecht erfüllen kann, wenn ihre rhetorischen Fähigkeiten durch Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung verbessert werden9.
Vorliegend durfte die Schwerbehindertenvertretung die Schulungsteilnahme nicht zum Erwerb praktischer Fähigkeiten oder zur Auffrischung der bereits erworbenen Kenntnisse für erforderlich halten. Die Schwerbehindertenvertretung hat nicht konkret vorgetragen, welche der beim „Tag der Schwerbehindertenvertretung“ vermittelten praktischen Fertigkeiten die Vertrauensperson benötigte, um seine Aufgaben sach- und fachgerecht wahrzunehmen. Sie hat auch nicht nachvollziehbar dargelegt, dass eine Auffrischung der bereits erworbenen Kenntnisse schon wenige Monate nach der Teilnahme an den Grundlagenschulungen erforderlich war. Die Schwerbehindertenvertretung hat zwar geltend gemacht, es falle der Vertrauensperson wegen einer „gewissen Lernschwäche“ schwer, neue Inhalte bereits nach einem ersten Hören so umfassend aufzunehmen und zu verarbeiten, dass er diese umsetzen könne. Er müsse neue Inhalte in regelmäßigen Abständen von drei bis sechs Monaten wiederholen, bis diese im Langzeitgedächtnis haften blieben. Es ist der Vertrauensperson jedoch zuzumuten, sich die bei einer Schulung vermittelten Kenntnisse im Bedarfsfall anhand der Seminarunterlagen zu vergegenwärtigen. Durch die Anwendung der Kenntnisse im Rahmen der Amtstätigkeit werden diese gefestigt und vertieft.
Die Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme zum Zwecke des Erwerbs von Rhetorikkenntnissen darf jedoch nicht mit der Begründung verneint werden, eine spezielle Schulungsveranstaltung zu diesem Thema wäre besser geeignet gewesen, einen etwaigen Schulungsbedarf der Vertrauensperson im Bereich von Auftritt, Gesprächsführung und Verhandlung zu decken. Denn andernfalls würde das Gericht seine Entscheidung rechtsfehlerhaft auf Zweckmäßigkeitserwägungen stützen. Die Zweckmäßigkeit der Schulungsveranstaltung unterliegt nicht der gerichtlichen Kontrolle. Der Schwerbehindertenvertretung steht bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme ein Beurteilungsspielraum zu, der der Zweckmäßigkeitskontrolle entzogen ist. Dies gilt sowohl für den Inhalt der Schulungsveranstaltung als auch für deren Dauer. Zwar unterliegt die Entscheidung der Schwerbehindertenvertretung über die Erforderlichkeit der Schulung der arbeitsgerichtlichen Kontrolle. Diese ist aber auf die Prüfung beschränkt, ob in der Schulung Kenntnisse vermittelt werden, die für die Arbeit der Schwerbehindertenvertretung erforderlich sind, und ob der Schulungszweck in einem angemessenen Verhältnis zu den hierfür aufzuwendenden Mitteln steht. Hält sich die Entscheidung der Schwerbehindertenvertretung im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums, kann das Gericht die Entscheidung der Schwerbehindertenvertretung nicht durch seine eigene ersetzen10.
Im übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Schwerbehindertenvertretung die Teilnahme der Vertrauensperson an der Veranstaltung nur für erforderlich halten durfte, wenn die Vermittlung der benötigten Kenntnisse mehr als 50 % der Veranstaltung beanspruchte11. Sollte dies der Fall gewesen sein, ist zu würdigen, ob die Schwerbehindertenvertretung davon ausgehen durfte, dass der Schulungszweck in einem angemessenen Verhältnis zu den hierfür aufzuwendenden Kosten stand.
Für den Fall der Erforderlichkeit der Schulung bedarf es des Weiteren der Feststellung, ob die Schwerbehindertenvertretung oder die Vertrauensperson von dem Schulungsveranstalter auf Zahlung der Seminargebühren in Anspruch genommen worden ist12.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 8. Juni 2016 – 7 ABR 39/14
- vgl. zu den Kosten der Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einer Schulungsveranstaltung BAG 14.01.2015 – 7 ABR 95/12, Rn. 9[↩]
- vgl. zu § 37 Abs. 6 BetrVG: BAG 14.01.2015 – 7 ABR 95/12, Rn. 10; 20.08.2014 – 7 ABR 64/12, Rn. 15; 18.01.2012 – 7 ABR 73/10, Rn. 25, BAGE 140, 277[↩]
- vgl. zu § 37 Abs. 6 BetrVG: BAG 14.01.2015 – 7 ABR 95/12, Rn. 11; 18.01.2012 – 7 ABR 73/10, Rn. 27, BAGE 140, 277[↩]
- vgl. zu § 37 Abs. 6 BetrVG: BAG 14.01.2015 – 7 ABR 95/12, Rn. 13; 20.08.2014 – 7 ABR 64/12, Rn. 16; 18.01.2012 – 7 ABR 73/10, Rn. 27, aaO[↩]
- st. Rspr., vgl. BAG 14.01.2015 – 7 ABR 95/12, Rn. 14; 20.08.2014 – 7 ABR 64/12, Rn. 17[↩]
- vgl. zu § 37 BetrVG: etwa Fitting 28. Aufl. § 37 Rn. 156; Thüsing in Richardi BetrVG 15. Aufl. § 37 Rn. 105; Weber GK-BetrVG 10. Aufl. § 37 Rn.209; DKKW-Wedde 15. Aufl. § 37 Rn. 125 f.[↩]
- vgl. zu § 37 BetrVG: etwa Fitting 28. Aufl. § 37 Rn. 156; Weber GK-BetrVG 10. Aufl. § 37 Rn.209; DKKW-Wedde 15. Aufl. § 37 Rn. 125 f.[↩]
- vgl. Knittel SGB IX 9. Aufl. § 96 Rn. 90[↩]
- vgl. zu Rhetorikschulungen von Betriebsratsmitgliedern BAG 12.01.2011 – 7 ABR 94/09, Rn.20[↩]
- vgl. zum Sachmittelanspruch des Betriebsrats BAG 23.08.2006 – 7 ABR 55/05, Rn. 9 mwN[↩]
- vgl. zur Erforderlichkeit der Schulung eines Betriebsratsmitglieds: BAG 7.05.2008 – 7 AZR 90/07, Rn. 26; 4.06.2003 – 7 ABR 42/02, zu B III 3 der Gründe, BAGE 106, 223; 28.05.1976 – 1 AZR 116/74, zu 3 a der Gründe[↩]
- vgl. zum Freistellungsanspruch des Betriebsrats von Seminarkosten BAG 4.06.2003 – 7 ABR 42/02, zu B II der Gründe, BAGE 106, 233[↩]









