Sozialplan wegen Betriebsänderung – und Abfindungsansprüche aufgrund einer zusätzlichen Betriebsvereinbarung

Jedenfalls dann, wenn die Betriebsparteien anlässlich einer Betriebsänderung ihrer Pflicht zur Aufstellung eines Sozialplans nachgekommen sind, können sie daneben eine eigenständige kollektivrechtliche Regelung treffen, die im Interesse des Arbeitgebers Mitarbeiter motivieren soll, freiwillig, etwa durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages, aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden. Eine solche freiwillige Regelung unterscheidet sich von einem Sozialplan durch die unterschiedliche Zwecksetzung und darf sich nicht als Umgehung der Beschränkungen der mit einem Sozialplan verfolgbaren Zwecke darstellen.

Sozialplan wegen Betriebsänderung – und Abfindungsansprüche aufgrund einer zusätzlichen Betriebsvereinbarung

Die Arbeitgeberin und der Gesamtbetriebsrat dürfen dabei in einer freiwilligen Kollektivvereinbarung den Anspruch auf eine weitere Abfindung vom Abschluss eines Aufhebungsvertrages und davon abhängig machen, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Gesamtbetriebsvereinbarung ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis besteht.

Zwar sind betriebliche Interessen, die personelle Zusammensetzung der Belegschaft im Unternehmensinteresse zu steuern, keine geeigneten Gesichtspunkte, Differenzierungen bei der Höhe von Sozialplanabfindungen zu rechtfertigen1. So ist es den Betriebsparteien verwehrt, in einem Sozialplan eine Gruppenbildung vorzunehmen, die dazu dienen soll, dem Arbeitgeber eine eingearbeitete und qualifizierte Belegschaft zu erhalten. Ein solches Ziel entspricht nämlich nicht dem Zweck eines Sozialplans. Dieser dient nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dem Ausgleich oder der Milderung der den Arbeitnehmern durch die Betriebsänderung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile. Betriebliche Interessen an der Erhaltung der Belegschaft oder von Teilen derselben sind daher nicht geeignet, Differenzierungen bei der Höhe von Sozialplanabfindungen zu rechtfertigen2. Dementsprechend dürfen Sozialplanleistungen auch nicht vom Verzicht auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht werden. Eine damit einhergehende Gruppenbildung und Ungleichbehandlung wäre nach Sinn und Zweck des Sozialplans sachlich nicht gerechtfertigt3.

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Aus Gleichbehandlungsgründen kann es auch unzulässig sein, in Sozialplänen zwischen betriebsbedingten Kündigungen einerseits und Eigenkündigungen oder Aufhebungsverträgen andererseits zu differenzieren, wenn diese im Rahmen der Betriebsänderung vom Arbeitgeber veranlasst wurden. Es ist im Hinblick auf den Zweck des Sozialplans mit dem Gebot der Gleichbehandlung der Belegschaftsangehörigen nach § 75 Abs. 1 BetrVG nicht vereinbar, dass die Betriebsparteien den Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile aus einer Betriebsänderung von der rechtsgeschäftlichen Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abhängig machen4.

Auch wenn Sozialplanleistungen ausschließlich an dem gesetzlich in § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG definierten Zweck auszurichten sind, ist es den Betriebsparteien aber nicht verboten, mit einer eigenständigen freiwilligen Regelung neben dem Sozialplan auch andere finanzielle Anreize zu setzen. Jedenfalls dann, wenn die Betriebsparteien ihrer Pflicht zur Aufstellung eines Sozialplans nachgekommen sind, können sie eine kollektivrechtliche Regelung treffen, die im Interesse des Arbeitgebers Mitarbeiter motivieren soll, freiwillig, etwa durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages, aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden. Die grundsätzliche Befugnis der Betriebsparteien zu einer solchen freiwilligen Betriebsvereinbarung folgt aus § 88 BetrVG5.

In dem hier vom Landesarbeitsgericht München entschiedenen Fall handelte es sich bei der Gesamtbetriebsvereinbarung um eine solche neben dem am gleichen Tag abgeschlossenen Sozialplan stehende freiwillige Regelung. Die Eigenständigkeit ergibt sich schon daraus, dass der Gesamtbetriebsrat bei Abschluss des Sozialplans einerseits und dem Abschluss der Gesamtbetriebsvereinbarung andererseits in unterschiedlicher Funktion tätig geworden ist. Während der Sozialplan entsprechend der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung vom Gesamtbetriebsrat kraft Auftrags aufgrund von Delegationsbeschlüssen für die örtlichen Betriebsräte verhandelt und abgeschlossen wurde (§ 50 Abs. 2 BetrVG), erfolgte der Abschluss der freiwilligen Gesamtbetriebsvereinbarung durch den Gesamtbetriebsrat in eigener originärer Kompetenz nach § 50 Abs. 1 BetrVG.

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Die Eigenständigkeit ergibt sich aber vor allem aus der unterschiedlichen Zweckrichtung. Bei den aus der Gesamtbetriebsvereinbarung gezahlten Abfindungen handelt es sich um keine Sozialplanleistungen, sondern um Zahlungen mit dem Zweck, Mitarbeiter dazu zu motivieren, einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben. Ein solches „Freiwilligenprogramm“ dient im Rahmen einer Betriebsänderung dazu, zumindest Teile der Belegschaft unter Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen und den damit verbundenen Konflikten und Risiken abzubauen. Zudem erlaubt ein solches Programm es dem Arbeitgeber, gezielt Mitarbeiter anzusprechen, die nach den Kriterien der Sozialauswahl nicht zur Kündigung angestanden hätten und damit andere ansonsten von einer Kündigung betroffene Mitarbeiter zu halten. Solche Zwecke aufgrund freiwilliger Regelungen zu verfolgen ist zulässig.

Eine Unzulässigkeit ergibt sich auch nicht daraus, dass sich die freiwillige Gesamtbetriebsvereinbarung vom 28.08.2013 als Umgehung der Beschränkungen der mit einem Sozialplan verfolgbaren Zwecke darstellt. Eine solche Umgehung kann insbesondere vorliegen, wenn der Sozialplan keine angemessene Abmilderung der wirtschaftlichen Nachteile vorsieht oder wenn greifbare Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, dem „an sich“ für den Sozialplan zur Verfügung stehenden Finanzvolumen seien zum Nachteil der von der Betriebsänderung betroffenen Mitarbeiter Mittel entzogen und funktionswidrig im „Bereinigungsinteresse“ des Arbeitgebers eingesetzt worden6.

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Sozialplan vom 28.08.2013 keine angemessene Milderung der wirtschaftlichen Nachteile vorsieht oder dass dem für den Sozialplan zur Verfügung stehenden Finanzvolumen funktionswidrig Mittel entzogen wurden. Die Sozialplanformel stellt sich mit einem auf Betriebszugehörigkeit und Bruttomonatsverdienst bezogenen Faktor von 1, 5 eher als überdurchschnittlich dar. Für den Arbeitnehmer errechnet sich – allerdings ausgehend von einer hohen Bruttomonatsvergütung – bei rund vier Jahren Betriebszugehörigkeit eine Abfindung in Höhe von 157.700, 25 €. Eine Überkompensation der wirtschaftlichen Nachteile kann im Rahmen einer Sozialplandotierung grundsätzlich nicht verlangt werden7.

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Vor allem hat der Arbeitnehmer keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die für das Freiwilligenprogramm von der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellten Mittel andernfalls (zumindest teilweise) zur Aufstockung des Sozialplanvolumens zur Verfügung gestanden hätten. Das Sozialplanvolumen stellt sich als ausreichend dar und mit der Gesamtbetriebsvereinbarung verfolgt die Arbeitgeberin – wie ausgeführt – eigenständige Zwecke. Dass sich die Leistungen nach der Gesamtbetriebsvereinbarung als Verdoppelung der Abfindungen darstellen, weil die Berechnungsformel übernommen wurde und dass in der Gesamtbetriebsvereinbarung eine Deckelung der Ansprüche aus beiden Vereinbarungen auf 400.000, – € vorgesehen ist, führt nicht zur Annahme, dass letztlich „ein Topf“ für diese Leistungen vorliegt. Unabhängig von der Berechnung bleibt entscheidend, dass ganz unterschiedliche Zwecke verfolgt werden. Ein solches Freiwilligenprogramm hat auch nur dann eine Erfolgschance, wenn es entsprechend attraktiv ausgestattet wird.

Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 9. Dezember 2015 – – 5 Sa 591/15

  1. BAG v. 09.12.2014 -1 AZR 406/13 [Rn. 21], NZA 2015, S. 557[]
  2. BAG v. 06.11.2007 – 1 AZR 960/06 [Rn.19], NZA 2008, S. 232[]
  3. BAG v. 09.12.2014 – 1 AZR 146/13, NZA 2015, S. 438; BAG v. 31.05.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, S. 997[]
  4. BAG v.20.05.2008 – 1 AZR 203/07 [Rn.19], NZA-RR 2008, S. 636[]
  5. BAG v. 31.05.2005, a. a. O. [Rn. 23 f.]; BAG v. 09.12.2014 – 1 AZR 146/13 [Rn. 39], NZA 2015, S. 438[]
  6. BAG v. 31.05.2005, a. a. O. [Rn. 32][]
  7. BAG v. 22.01.2013 – 1 ABR 85/11 [Rn.19 ff.], NZA-RR 2013, S. 409[]
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