Stufenzuordnung bei der (Wieder-)Einstellung – nach dem TV-L

Einschlägige Berufserfahrung im Sinne von § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L kann bei Aufbaufallgruppen auch in einer niedrigeren Entgeltgruppe erlangt werden, wenn die höhere Bewertung der Tätigkeit nach der Wiedereinstellung aus der bloßen Erhöhung des Zeitanteils eines Arbeitsvorgangs resultiert.

Stufenzuordnung bei der (Wieder-)Einstellung – nach dem TV-L

Die Stufenzuordnung nach der Wiedereinstellung der Arbeitnehmerin richtet sich nach § 16 Abs. 2 TV-L. Bei der Wiederbegründung eines Arbeitsverhältnisses handelt es sich um eine Einstellung im Sinne dieser Tarifnorm. Die Tarifvertragsparteien haben nicht zwischen Neueinstellungen und Wiedereinstellungen unterschieden1.

Das Vorliegen einschlägiger Berufserfahrung iSv. § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L setzt nicht kumulativ voraus, dass der Beschäftigte vor seiner erneuten Einstellung in derselben Entgeltgruppe eingruppiert war und wegen seiner Berufserfahrung keine Einarbeitungszeit benötigt. Für das Vorliegen einschlägiger Berufserfahrung ist vielmehr allein maßgeblich, ob die frühere Tätigkeit fachliche Anforderungen gestellt hat, welche den Entfall einer Einarbeitungszeit erwarten lassen. Das ist regelmäßig nicht nur dann der Fall, wenn die frühere Tätigkeit im Wesentlichen unverändert fortgesetzt wird, sondern auch dann, wenn sie gleichartig war und zwischen früherer und nunmehriger Tätigkeit eine eingruppierungsrechtliche Gleichwertigkeit besteht. In beiden Konstellationen ist jedoch keine Identität der Eingruppierung erforderlich.

Nach der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 16 Abs. 2 TV-L ist einschlägige Berufserfahrung eine berufliche Erfahrung in der übertragenen oder einer auf die Aufgabe bezogen entsprechenden Tätigkeit. Der Beschäftigte muss also in der früheren Tätigkeit einen Kenntnis- und Fähigkeitszuwachs erworben haben, der für die nach der Einstellung konkret auszuübende Tätigkeit erforderlich und prägend ist und ihm damit weiterhin zugutekommt2. Das ist nach dem hinter dem Stufensystem des TV-L stehenden Leistungsgedanken der Fall, wenn die frühere Tätigkeit im Wesentlichen unverändert fortgesetzt wird oder zumindest gleichartig war3.

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Das Bundesarbeitsgericht hat zwar wiederholt ausgeführt, dies setze grundsätzlich voraus, dass der Beschäftigte die Berufserfahrung in einer Tätigkeit erlangt habe, die in ihrer eingruppierungsrechtlichen Wertigkeit der Tätigkeit entspreche, die er nach seiner Einstellung auszuüben habe4. Das Entgeltsystem des TV-L gehe davon aus, dass es keine entgeltgruppenübergreifende Berufserfahrung gibt. Nach der Vorstellung der Tarifvertragsparteien versetze die in früheren Arbeitsverhältnissen erworbene Berufserfahrung den Beschäftigten nur dann in die Lage, ohne nennenswerte Einarbeitungszeit die Tätigkeit beim neuen Arbeitgeber auszuüben, wenn die Vorbeschäftigung qualitativ im Wesentlichen die gesamte inhaltliche Breite der aktuellen Beschäftigung abdecke und deshalb einschlägig sei3.

Hieraus ist aber nicht zu schließen, dass einschlägige Berufserfahrung nur in derselben Entgeltgruppe erworben werden kann. Dies hat das Bundesarbeitsgericht bereits klargestellt und hält daran fest.

Die Beurteilung, ob einschlägige Berufserfahrung vorliegt, bezieht sich stets auf die in Aussicht genommene Tätigkeit beim neuen Arbeitgeber. Bei dieser Prüfung ist ein tätigkeitsbezogener Vergleich zwischen den in der Vergangenheit erlangten Kenntnissen und Fähigkeiten mit den nach der Einstellung künftig zu bewältigenden Aufgaben erforderlich. Diese eigenständige Prüfung weist nur bezüglich der Wertigkeit der zu vergleichenden Tätigkeiten einen Bezug zum Eingruppierungsrecht auf. Im Übrigen ist Beurteilungsmaßstab allein der Vergleich der fachlichen Anforderungen der bisherigen und der nunmehr auszuübenden Tätigkeit5. Eine eingruppierungsrechtlich geprägte Betrachtung wird dem Zweck des § 16 Abs. 2 TV-L, der den Entfall einer Einarbeitungszeit honoriert, nicht gerecht. Entscheidend ist, dass der Beschäftigte unmittelbar nach der Einstellung seine neue Tätigkeit vollumfänglich ohne nennenswerte Einarbeitungszeit aufnehmen kann6. Das Vorhandensein einschlägiger Berufserfahrung indiziert nach Einschätzung der Tarifvertragsparteien bei typisierter Betrachtung, dass eine Einarbeitungszeit entfallen wird. Ob sich diese Erwartung tatsächlich erfüllt oder ob trotz der Berufserfahrung im Einzelfall tatsächlich eine (längere) Einarbeitung erforderlich ist, ist für die Stufenzuordnung ohne Belang. Die Rechtsfolge der Anrechnung wird allein durch das Vorliegen einer mindestens einjährigen einschlägigen Berufserfahrung als Tatbestandsvoraussetzung ausgelöst. Es kommt daher nicht auf die persönlichen Fähigkeiten des Beschäftigten, die trotz fehlender einschlägiger Berufserfahrung zu einer kurzen Einarbeitungszeit führen können, an7.

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Im Gegensatz zum Eingruppierungsrecht ist die zeitliche Zusammensetzung der früheren Tätigkeit für das Stufenzuordnungsrecht nicht von entscheidender Bedeutung. Erhöht sich nur der Zeitanteil einer bereits zuvor ausgeübten Tätigkeit und führt das eingruppierungsrechtlich zu einer höheren Entgeltgruppe, liegt darum grundsätzlich einschlägige Berufserfahrung auch in der neuen Entgeltgruppe vor.

Nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TV-L ist die/der Beschäftigte in die Entgeltgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihr/ihm nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. Dies ist nach § 12 Abs. 1 Satz 4 TV-L der Fall, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Entgeltgruppe erfüllen.

Für die Prüfung des Vorliegens einschlägiger Berufserfahrung im Rahmen der Stufenzuordnung kommt es hingegen nicht darauf an, ob in der alten und neuen Entgeltgruppe zeitlich mindestens zur Hälfte gleichwertige Arbeitsvorgänge anfallen. Die Stufenzuordnung stellt nicht auf Arbeitsvorgänge ab. Auch ein zeitlicher Vergleich der Tätigkeitsbestandteile ist § 16 Abs. 2 TV-L grundsätzlich fremd8. So gibt § 16 Abs. 2 TV-L keinen zeitlichen Mindestbeschäftigungsumfang für die Anerkennung von Vorbeschäftigungszeiten vor9. Grundsätzlich können darum auch eine mit weniger als der Hälfte der regulären Arbeitszeit ausgeübte Vorbeschäftigung oder weniger als die Hälfte der bisherigen Tätigkeit einnehmende Aufgaben einschlägige Berufserfahrung iSv. § 16 Abs. 2 TV-L vermitteln. Es muss dann im Einzelfall beurteilt werden, ob der zeitliche Umfang der Vorbeschäftigung oder Aufgaben so gering war, dass der Erwerb einschlägiger Berufserfahrung nicht mehr angenommen werden kann, weil das volle Spektrum der Anforderungen der neuen Tätigkeit nicht abgebildet worden ist10.

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Dementsprechend kann bei Aufbaufallgruppen einschlägige Berufserfahrung auch in einer niedrigeren Entgeltgruppe erlangt werden, wenn die höhere Bewertung der neuen Tätigkeit allein daraus resultiert, dass der Zeitanteil eines Arbeitsvorgangs gestiegen ist. Aufbaufallgruppen liegen vor, wenn das Tätigkeitsmerkmal ein „Herausheben“ aus dem in Bezug genommenen Tätigkeitsmerkmal der niedrigeren Entgeltgruppe durch eine zusätzliche Anforderung ausdrücklich vorsieht11. Diese Anforderung kann sich auf den Anteil der Erfüllung eines Tätigkeitsmerkmals bezogen auf die Gesamttätigkeit beziehen. Steigert sich der Anteil zB von Tätigkeiten mit besonderer Schwierigkeit und Bedeutung, rechtfertigt dies – ggf. ab einem bestimmten zeitlichen Schwellenwert – eine höhere Eingruppierung. Dessen ungeachtet kann die Verrichtung solcher qualifizierten Tätigkeiten bereits in der niedrigeren Entgeltgruppe die einschlägige Berufserfahrung vermitteln, welche nach der Vorstellung der Tarifvertragsparteien eine Einarbeitungszeit in der höheren Entgeltgruppe entfallen lassen wird. Etwas anderes gilt allerdings, wenn der Zeitanteil der qualifizierten Tätigkeit bisher so gering war, dass er nicht die gesamte inhaltliche Breite der nunmehr geforderten Heraushebungstätigkeit abdeckte.

Dieses vom Eingruppierungsrecht gelöste Verständnis der einschlägigen Berufserfahrung gebietet auch der Umstand, dass nach § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L einschlägige Berufserfahrung auch in Tätigkeiten bei anderen Arbeitgebern erworben werden kann, die einem von den Bewertungsgrundsätzen des TV-L abweichenden Entgeltsystem unterfallen. Eine solche Vorbeschäftigung kann qualitativ dennoch im Wesentlichen die gesamte inhaltliche Breite der aktuellen Beschäftigung abdecken und deshalb einschlägig sein12. Ebenso verhält es sich bei einer Änderung der Eingruppierungsregeln durch die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes.

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Der Umstand, dass die Arbeitnehmerin im Rahmen der befristeten Arbeitsverhältnisse in Teilzeit beschäftigt war, steht einer Anrechnung ihrer einschlägigen Berufserfahrung nicht entgegen. Dies wäre allenfalls bei einem sehr geringen Beschäftigungsumfang denkbar13. Bei einer Teilzeitquote von 40 bzw. 62, 5 % kann hiervon nicht die Rede sein.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. Juni 2020 – 6 AZR 475/21

  1. vgl. zu § 16 Abs. 2 TV-L: BAG 17.12.2015 – 6 AZR 432/14, Rn. 17 ff.; 3.07.2014 – 6 AZR 1088/12, Rn. 24; 24.10.2013 – 6 AZR 964/11, Rn. 15 ff.; 21.02.2013 – 6 AZR 524/11, Rn. 8 ff., BAGE 144, 263; zu § 16 Abs. 2 TVöD-AT (VKA): BAG 16.04.2015 – 6 AZR 142/14, Rn. 35, BAGE 151, 263; 27.01.2011 – 6 AZR 382/09, Rn. 17 ff.; zu § 16 Abs. 2 TVöD-V BAG 27.04.2017 – 6 AZR 459/16, Rn. 11; vgl. auch Breier/Dassau/Kiefer/Thivessen TV-L § 16 Stand Juli 2016 Rn.19; Günther in Sponer/Steinherr TV-L § 16 Stand August 2015 Rn. 3; Spelge in Groeger Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst 3. Aufl. § 24 Rn. 24.8[]
  2. zu § 18 Abs. 3 TV-BA aF vgl. BAG 8.05.2014 – 6 AZR 578/12, Rn.19[]
  3. BAG 18.02.2021 – 6 AZR 205/20, Rn. 18 mwN[][]
  4. vgl. bereits BAG 20.09.2012 – 6 AZR 211/11, Rn. 23[]
  5. BAG 18.02.2021 – 6 AZR 205/20, Rn. 32 mwN; BeckOK TV-L/Felix Stand 1.03.2022 TV-L § 16 Rn. 70d[]
  6. BAG 18.02.2021 – 6 AZR 205/20, Rn. 35 mwN[]
  7. vgl. LAG Rheinland-Pfalz 18.01.2022 – 8 Sa 150/21, zu II 2 b cc der Gründe[]
  8. aA wohl Breier/Dassau/Kiefer/Thivessen TV-L § 16 Stand Juli 2016 Rn. 43[]
  9. BAG 27.03.2014 – 6 AZR 571/12, Rn.20, BAGE 148, 1[]
  10. BAG 18.02.2021 – 6 AZR 205/20, Rn. 35 mwN; zur Teilzeitbeschäftigung vgl. BAG 27.03.2014 – 6 AZR 571/12, Rn. 27 ff., aaO[]
  11. BAG 28.02.2018 – 4 AZR 678/16, Rn. 37[]
  12. BAG 15.10.2021 – 6 AZR 268/20, Rn.19; vgl. auch BAG 3.07.2014 – 6 AZR 1088/12, Rn. 22[]
  13. vgl. BAG 27.03.2014 – 6 AZR 571/12, Rn. 30, BAGE 148, 1[]
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