Die bei der Stufenzuordnung anlässlich einer Einstellung in § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L vorgesehene, anders als in Satz 2 dieser Tarifnorm, auf die Stufe 3 begrenzte Anrechnung einschlägiger Berufserfahrungszeiten verstößt gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit des Art. 45 Abs. 1 AEUV und ist unanwendbar, soweit der Arbeitnehmer diese Erfahrung in einem vorherigen Arbeitsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber in einem anderen Mitgliedstaat und damit im Anwendungsbereich des Unionsrechts erworben hat. Solche Berufserfahrungszeiten sind uneingeschränkt zu berücksichtigen.

Hat der Arbeitnehmer die einschlägige Berufserfahrung ausschließlich in einem vorherigen Arbeitsverhältnis zu einem anderen inländischen Arbeitgeber erworben, verbleibt es hingegen bei der Nichtberücksichtigung dieser Zeiten gemäß § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L, soweit sie über drei Jahre hinausgehen. Der differenzierten Behandlung dieser unterschiedlichen Sachverhalte sowohl innerhalb des § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L als auch im Verhältnis zu Satz 2 dieser Tarifnorm stehen weder Unionsrecht noch nationales Verfassungsrecht entgegen.
In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall war die klagende Lehrerin von 1997 bis 2014 ununterbrochen in Frankreich an verschiedenen Collèges-Lycée in den Klassen sechs bis zwölf als Lehrerin tätig. Weniger als sechs Monate nach dem Ende dieser Tätigkeit trat die Lehrerin im September 2014 als Lehrerin in den Schuldienst des beklagten Landes Niedersachsen ein. Im Arbeitsvertrag ist vereinbart, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der TV-L in seiner jeweils aktuellen Fassung anzuwenden ist. Die bei der Einstellung der Lehrerin vorzunehmende Stufenzuordnung richtete sich nach dem TV-L in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 7 vom 09.03.2013. Das Land erkannte die in Frankreich erworbene Berufserfahrung der Lehrerin als einschlägig an. Die Lehrerin erhielt darum ab dem Tag ihrer Einstellung Entgelt nach der Stufe 3 der Entgeltgruppe 11 TV-L und stieg im September 2017 regulär in die Stufe 4 dieser Entgeltgruppe auf. Bereits mit Schreiben vom 20.10.2014 bat sie um Überprüfung ihrer Stufenzuordnung und beanspruchte Entgelt nach der Stufe 5 der Entgelttabelle ab dem Tag ihrer Einstellung. Dies lehnte das beklagte Land ab. Die Lehrerin hat die Ansicht vertreten, die Privilegierung der beim selben Arbeitgeber erworbenen einschlägigen Berufserfahrung bei der Stufenzuordnung in § 16 Abs. 2 TV-L verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG und die unmittelbar wirkenden unionsrechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeitsbestimmungen in Art. 45 AEUV sowie Art. 7 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011.
Das erstinstanzlich hiermit befasste Arbeitsgericht Lüneburg hat dem Feststellungsantrag der Lehrerin stattgegeben1, das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat ihn auf die Berufung des beklagten Landes abgewiesen2. In dem von der Lehrerin angestrengten Revisionsverfahren, mit dem sie die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils erreichen möchte, hat das Bundesarbeitsgericht den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV um die Beantwortung einer Frage zur Auslegung von Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 ersucht3). Hierüber hat der Unionsgerichtshof mit Urteil vom 23.04.20204 entschieden; das Bundesarbeitsgericht setzte diese Vorabentscheidung nun im Streitfall um, hob das Berufungsurteil auf und stellte das klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg wieder her:
Lehrerin ist mit Beginn des Arbeitsverhältnisses am 8.09.2014 aus der Stufe 5 der Entgeltgruppe 11 TV-L zu vergüten. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts ist die bei einem anderen Arbeitgeber – hier die als Lehrerin in Frankreich von 1997 bis 2014 – erworbene einschlägige Berufserfahrung bei der Stufenzuordnung anlässlich einer Einstellung in vollem Umfang zu berücksichtigen. Insoweit ist die in § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L enthaltene Begrenzung auf drei Jahre mit Art. 45 Abs. 1 AEUV nicht vereinbar und unanwendbar.
Die Klage ist zulässig. Das für den Feststellungsantrag nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. Der Vorrang der Leistungsklage steht ihm nicht entgegen. Dieser Rechtsgedanke ist kein Selbstzweck, sondern dient dazu, Rechtsstreitigkeiten prozesswirtschaftlich sinnvoll zu erledigen. Für eine Feststellungsklage kann trotz der Möglichkeit einer vorrangigen Leistungsklage ein Feststellungsinteresse bestehen, wenn durch sie der Streit insgesamt beseitigt und das Rechtsverhältnis der Parteien abschließend geklärt werden kann5. Das ist hier der Fall. Zwischen den Parteien besteht lediglich Streit über die Stufenzuordnung, nicht aber über die Höhe der sich daraus ergebenden Zahlungsdifferenz. Bereits das von der Lehrerin erstrebte, der Vollstreckung nicht zugängliche Feststellungsurteil ist geeignet, den rechtlichen Konflikt der Parteien endgültig zu lösen und weitere Prozesse zu vermeiden. Das gilt auch, soweit die Feststellungsklage Zinsforderungen zum Gegenstand hat6.
Die Klage ist begründet. Die Lehrerin war gemäß § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L mit Beginn ihres Arbeitsverhältnisses zum beklagten Land am 8.09.2014 der Stufe 5 der Entgelttabelle zuzuordnen. Die in dieser Tarifnorm enthaltene Deckelung der Anrechnung einschlägiger Berufserfahrung aus vorherigen Arbeitsverhältnissen mit anderen Arbeitgebern verstößt im Anwendungsbereich des Unionsrechts gegen Art. 45 Abs. 1 AEUV und ist insoweit unanwendbar. Das hat der für die Auslegung des Unionsrechts zuständige EuGH im Rahmen des vom Bundesarbeitsgericht angestrengten Vorabentscheidungsverfahrens entschieden. Die in einem anderen Mitgliedstaat erworbene einschlägige (in der Terminologie des EuGH gleichwertige)7 Berufserfahrung ist daher unter Außerachtlassen der tarifvertraglich vorgesehenen Begrenzung auf die Stufe 3 in vollem Umfang bei der anlässlich einer Einstellung vorzunehmenden Stufenzuordnung anzurechnen.
Die Stufenzuordnung bei Einstellung der Lehrerin richtete sich kraft einzelvertraglicher Bezugnahme nach § 16 Abs. 2 TV-L. Dieser sieht eine Stufenzuordnung unter vollständiger Anrechnung der Zeiten einschlägiger Berufserfahrung von mindestens einem Jahr aus einem vorherigen befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber vor (§ 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L). Ein vorheriges Arbeitsverhältnis iSd. § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L besteht, wenn zwischen dem Ende des vorherigen und dem Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses ein Zeitraum von längstens sechs Monaten liegt8. Bei Lehrkräften an allgemeinbildenden Schulen und Berufsschulen werden für ab 1.04.2011 neu zu begründende Arbeitsverhältnisse Zeiten einschlägiger Berufserfahrung aus mehreren Arbeitsverhältnissen zum selben Arbeitgeber zusammengerechnet, wobei die Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L unberührt bleibt (§ 44 Nr. 2a TV-L).
Ist die einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber erworben worden, sieht der Tarifvertrag bei Einstellung nach dem 31.01.2010 und Vorliegen einschlägiger Berufserfahrung von mindestens drei Jahren die Zuordnung zur Stufe 3 vor (§ 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L). Dabei werden – wie bei Satz 2 – nur Zeiten aus „vorherigen“ Arbeitsverhältnissen iSd. Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L berücksichtigt9.
Nach der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 16 Abs. 2 TV-L ist einschlägige Berufserfahrung eine berufliche Erfahrung in der übertragenen oder einer auf die Aufgabe bezogen entsprechenden Tätigkeit10.
Die Zuordnung der Lehrerin zur Stufe 5 folgt nicht aus § 16 Abs. 2 Satz 2, § 44 Nr. 2a Ziff. 1 TV-L, weil sie ihre einschlägige Berufserfahrung bei einem anderen Arbeitgeber als dem beklagten Land erworben hat. Die Lehrerin war aber gemäß § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L zum 8.09.2014 dieser Stufe der Entgelttabelle zuzuordnen.
Die Lehrerin war ununterbrochen von 1997 bis 2014, dh. mehr als zehn Jahre, als Lehrerin an verschiedenen Collèges-Lycée in Frankreich und damit unabhängig davon, ob es sich dabei rechtlich um verschiedene Arbeitsverhältnisse für mehrere Arbeitgeber handelte, im Tarifsinn „in einem Arbeitsverhältnis“ zu „einem anderen Arbeitgeber“ tätig11. Dabei handelte es sich auch um ein „vorheriges“ Arbeitsverhältnis iSd. Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L. Nach einer Unterbrechung von weniger als sechs Monaten trat sie am 8.09.2014 in die Dienste des beklagten Landes ein.
Die in Frankreich erworbene Berufserfahrung ist einschlägig iSd. Protokollerklärung Nr. 1 zu § 16 Abs. 2 TV-L. Das hat das Landesarbeitsgericht für das Bundesarbeitsgericht bindend festgestellt (§ 559 ZPO). Die Parteien haben hiergegen keine Verfahrensrügen erhoben. Soweit das beklagte Land erstmals in der Revisionserwiderung vorbringt, es sei nicht erkennbar und von der Lehrerin nicht im Einzelnen vorgetragen, ob die in einem ausländischen Schulsystem erworbene Berufserfahrung einschlägig iSd. § 16 Abs. 2 TV-L sei, kann dieser neue, dem bisherigen Vorbringen zudem widersprechende Sachvortrag in der Revisionsinstanz nicht mehr berücksichtigt werden.
Nach Maßgabe der gestaffelten Stufenlaufzeitregelung in § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L war die Lehrerin aufgrund ihrer in Frankreich erworbenen einschlägigen Berufserfahrung bereits im Zeitpunkt ihrer Einstellung der Stufe 5 ihrer Entgeltgruppe zuzuordnen. Die in § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L enthaltene, auf die Stufe 3 begrenzte Anrechnung einschlägiger Berufserfahrung aus einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber steht dem nicht entgegen. Diese Begrenzung ist bei der Einstellung von Arbeitnehmern, die sich auf die unionsrechtliche Gewährleistung der Freizügigkeit (Art. 45 AEUV, Art. 7 Abs. 1, Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011) berufen können (Wanderarbeitnehmer), unanwendbar.
Das folgt vorliegend zwar nicht aus Art. 7 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011. Es liegt keine auf der Staatsangehörigkeit der Lehrerin beruhende Diskriminierung iSd. Art. 45 Abs. 2 AEUV, Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 vor12. Die Lehrerin, die deutsche Staatsangehörige ist, hat sich vor ihrer Einstellung bei dem beklagten Land in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten und dort an verschiedenen Schulen unterrichtet. Sie wurde daher nicht wegen ihrer Staatsangehörigkeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats – vorliegend Deutschland – in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen anders behandelt.
Die in § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L vorgesehene Anrechnung einschlägiger Berufserfahrung schränkt jedoch die Arbeitnehmerfreizügigkeit des Art. 45 Abs. 1 AEUV ungerechtfertigt ein, soweit sie lediglich im Umfang von drei Jahren erfolgt13.
Die Regelungen über die Arbeitnehmerfreizügigkeit sind auf die Lehrerin persönlich und sachlich anwendbar. Der erforderliche Unionsbezug ist gegeben14.
Die Gewährleistung der Freizügigkeit erfordert weder die vollständige Anrechnung aller in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Zeiten einschlägiger Berufserfahrung noch steht sie einem Entgeltsystem, das wie der TV-L den Zuwachs an Berufserfahrung durch den Aufstieg in einem Stufensystem und damit einem höheren Entgelt honoriert, grundsätzlich entgegen15. Ein solches System darf aber nicht zur Diskriminierung von Arbeitnehmern, die die Freizügigkeit in Anspruch nehmen, führen. Darum ist nach der Auslegung des EuGH jegliche Differenzierung zwischen Zeiten einschlägiger (gleichwertiger) Berufserfahrung danach, ob sie im Inland bei demselben Arbeitgeber oder im Ausland bei einem anderen Arbeitgeber erworben worden sind, ausgeschlossen16.
Die in § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L – anders als in Satz 2 dieser Tarifnorm – vorgesehene nur begrenzte Anrechnung der in einem anderen Mitgliedstaat als dem Herkunftsmitgliedstaat eines Wanderarbeitnehmers erworbenen einschlägigen Berufserfahrung verletzt darum die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Diese Begrenzung ist nämlich geeignet, die Inanspruchnahme der Grundfreiheit unter Verstoß gegen Art. 45 Abs. 1 AEUV weniger attraktiv zu machen, weil – anders als in § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L – nicht sämtliche einschlägigen Berufserfahrungszeiten angerechnet werden17. Rechtfertigungsgründe für diese Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit des Art. 45 Abs. 1 AEUV hat der EuGH nicht erkannt18.
Die nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung der unionsrechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeit durch die in § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L enthaltene Begrenzung der Anrechnung einschlägiger Berufserfahrung hat, soweit sie im Geltungsbereich dieser Grundfreiheit erfolgt, zur Folge, dass die Begrenzung aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts unanwendbar ist19. Das gilt im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit auch für Tarifverträge20. Die Artikel des Vertrags über den freien Warenverkehr, die Freizügigkeit sowie den freien Dienstleistungs- und Kapitalverkehr stellen grundlegende Bestimmungen für die Union dar. Jede Beeinträchtigung dieser Freiheit, mag sie auch unbedeutend sein, ist verboten21. Darauf kann sich die Lehrerin unmittelbar berufen22.
Hat die Begrenzung auf die Stufe 3 in § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L unangewendet zu bleiben, sind sämtliche von dem betreffenden Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten einschlägigen Berufserfahrungszeiten zu berücksichtigen. Die bei der Einstellung vorzunehmende Stufenzuordnung hat unter Fortschreibung über die Stufe 3 hinaus nach Maßgabe der Staffelung der Stufenlaufzeiten in § 16 Abs. 3 TV-L zu erfolgen, wobei auch etwaige angebrochene Stufenlaufzeiten erhalten bleiben müssen. Allein auf diese Weise kann eine Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit vermieden und die volle Wirksamkeit des Unionsrechts gewährleistet werden23. Im Ergebnis kommt es dadurch im Anwendungsbereich des Art. 45 AEUV zu einem Gleichlauf mit der Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L. Dies führt im Fall der Lehrerin aufgrund ihrer mindestens zehnjährigen einschlägigen Berufserfahrung zu der von ihr begehrten Zuordnung zur (damaligen End-)Stufe 5 der Entgeltgruppe 11 TV-L im Zeitpunkt der Einstellung am 8.09.2014.
Die Frage, ob durch die unbegrenzte Berücksichtigung einschlägiger Berufserfahrungszeiten bei der Einstellung von Wanderarbeitnehmern die Tarifautonomie (Art. 28 GRC, Art. 9 Abs. 3 GG) verletzt ist24, stellt sich vorliegend nicht. Die Tarifvertragsparteien haben sowohl im Anwendungsbereich des Art. 28 GRC25 als auch im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG nach ständiger Rechtsprechung26 die Vorgaben höherrangigen Rechts – hier der Arbeitnehmerfreizügigkeit des Art. 45 Abs. 1 AEUV – uneingeschränkt zu beachten, soweit es nicht tarifdispositiv ausgestaltet ist. Insoweit besteht für sie kein Gestaltungsspielraum. Entgegenstehende Tarifnormen wie § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L sind unwirksam, weil sie die Schutz- und Ordnungsfunktion des Tarifvertrags nicht gewährleisten27.
Auf die Unanwendbarkeit der Begrenzung der Berücksichtigung einschlägiger Berufserfahrungszeiten in § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L können sich Arbeitnehmer, die ausschließlich über einschlägige Berufserfahrungszeiten aus einem vorherigen Arbeitsverhältnis zu einem anderen inländischen Arbeitgeber verfügen, nicht berufen. Im Fall eines Wechsels im Inland zu einem Bundesland bleibt bei der Einstellung die Begrenzung der Berücksichtigung einschlägiger Berufserfahrung auf die Stufe 3 darum weiter anwendbar.
Ein Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 Abs. 1 AEUV) scheidet für diesen Personenkreis mangels Unionsbezug aus. Art. 45 AEUV erfasst keine rein internen, auf einen Mitgliedstaat beschränkten Sachverhalte. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit kann deshalb nicht auf die Situation von Personen angewandt werden, die von dieser Freiheit nie Gebrauch gemacht haben. Die rein hypothetische Aussicht, das Recht auf Freizügigkeit auszuüben, stellt keinen Bezug zum Unionsrecht her, der eng genug wäre, um die Unionsbestimmungen anzuwenden. Sämtliche Elemente der Tätigkeit weisen in diesem Fall nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinaus. Auch die Unionsbürgerschaft bezweckt nicht, den sachlichen Anwendungsbereich der Verträge auf interne Sachverhalte auszudehnen, die keinerlei Bezug zum Unionsrecht aufweisen28.
Dem Unionsrecht lässt sich auch kein Verbot einer „umgekehrten Diskriminierung“ (sog. Inländerdiskriminierung) entnehmen. Wie ausgeführt, können die unionsrechtlichen Bestimmungen über die Freizügigkeit von Arbeitnehmern nicht auf einen national beschränkten („internen“) Sachverhalt angewandt werden. Die unterschiedliche Behandlung von Beschäftigten, deren Erwerbsbiografie keine Bezüge zum EU-Ausland aufweist („Inländer“), und Beschäftigten, bei denen dies der Fall ist („Wanderarbeitnehmer“), fällt darum nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts29. Ob die Differenzierung zwischen rein innerstaatlichen Sachverhalten und Sachverhalten mit Auslandsbezug wirksam ist, bestimmt sich allein nach der nationalen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten30. Daran hat sich durch die Einführung einer Unionsbürgerschaft (Art. 9 Satz 2 EUV, Art.20 AEUV) nichts geändert, weil diese nicht bezweckt, den sachlichen Anwendungsbereich der Verträge über die Europäische Union und deren Arbeitsweise auf interne Sachverhalte auszudehnen, die keinerlei Bezug zum Unionsrecht aufweisen31.
Die infolge unionsrechtskonformer Anwendung des § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L uneingeschränkte Berücksichtigung der bei anderen Arbeitgebern erworbenen einschlägigen Berufserfahrung nur bei der Einstellung von Wanderarbeitnehmern verletzt den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 GG nicht.
Der Schutzbereich von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ist nicht berührt. Die Frage der Berücksichtigung einschlägiger Berufserfahrung bei der Stufenzuordnung im Rahmen einer Einstellung weist keinen Bezug zu Heimat und Herkunft des Betroffenen auf. Dessen identitätsstiftende örtliche Herkunft nach Geburt oder Ansässigkeit ist dabei ebenso ohne Belang wie seine soziale Abstammung32. Maßgebliches Entscheidungskriterium ist der (vorherige) Arbeitgeber, bei dem die Berufserfahrung erworben wurde.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, der als grundlegende Gerechtigkeitsnorm auch von den Tarifvertragsparteien zu beachten ist33, ist nicht verletzt.
3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln sowie wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Verboten ist auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis dagegen vorenthalten wird. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reicht er vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse34.
An diesem Maßstab gemessen, verlangt Art. 3 Abs. 1 GG keine vollständige Gleichstellung von Inländern mit Wanderarbeitnehmern. Bei der Einstellung von Wanderarbeitnehmern und der von Inländern handelt es sich bereits nicht um vergleichbare Sachverhalte, die gleich behandelt werden müssten. Es besteht hinsichtlich des Berufswegs keine vergleichbare Situation. Die betroffenen Personengruppen unterscheiden sich dadurch, dass nur die Wanderarbeitnehmer wegen ihrer Mobilität der mit den unionsrechtlichen Freizügigkeitsvorschriften verfolgten Zielsetzung der Schaffung eines Binnenmarkts entsprechen und sich deshalb auf die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit berufen können. Bei Inländern ist diese grenzüberschreitende Mobilität, welche einem Zusammenwachsen des Binnenmarkts dienlich ist, nicht vorhanden35.
Die unionsrechtlich gebotene uneingeschränkte Berücksichtigung der einschlägigen Berufserfahrung bei der Einstellung von Wanderarbeitnehmern gibt dem Bundesarbeitsgericht keine Veranlassung, seine ständige Rechtsprechung zur Vereinbarkeit der unterschiedlichen Regelungen in § 16 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 TV-L mit Art. 3 Abs. 1 GG36 für reine Inlandssachverhalte aufzugeben. Die Differenzierung in § 16 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 TV-L zwischen Arbeitnehmern, die ein neues Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber nach einer gemäß der Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L unschädlichen Unterbrechung begründen, und den Arbeitnehmern, die von einem anderen inländischen Arbeitgeber in ein Arbeitsverhältnis zum betreffenden Land gewechselt sind, bleibt aus nationaler Sicht mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Insoweit hat das Konzept der Tarifvertragsparteien, nach dem hinsichtlich der von § 16 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 TV-L erfassten Personengruppen keine wesentlich gleichen Sachverhalte vorliegen, weiter Bestand. Wegen der in der Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L enthaltenen zeitlichen Beschränkung erfasst § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L bei typisierter Betrachtung nur befristet Beschäftigte, die bereits zuvor beim selben Arbeitgeber beschäftigt waren, und bezweckt deren Schutz37. Nur mit einer solchen Regelung konnten die Tarifvertragsparteien sicherstellen, dass bei wiederholten Befristungen, wie sie im öffentlichen Dienst verbreitet üblich sind, dieser Personenkreis überhaupt die Chance zum Stufenaufstieg erhält. Beschäftigte, die von einem anderen Arbeitgeber zum betreffenden Land wechseln, weisen einen solchen, von den Tarifvertragsparteien als schutzwürdig angesehenen Besitzstand hingegen nicht auf38.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. April 2021 – 6 AZR 232/17
- ArbG Lüneburg 3.12.2015 – 4 Ca 150/15 E[↩]
- LAG Niedersachsen 9.03.2017 – 4 Sa 86/16 E[↩]
- BAG 18.10.2018 – 6 AZR 232/17 (A[↩]
- EuGH 23.04.2020 – C-710/18[↩]
- BAG 18.02.2021 – 6 AZR 205/20, Rn. 15 mwN[↩]
- BAG 3.07.2014 – 6 AZR 1088/12, Rn. 12[↩]
- vgl. EuGH 23.04.2020 – C-710/18, Rn. 28, 31 f.[↩]
- Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L[↩]
- BAG 23.02.2017 – 6 AZR 244/16, Rn. 24; 3.07.2014 – 6 AZR 1088/12, Rn. 24[↩]
- dazu zuletzt BAG 18.02.2021 – 6 AZR 205/20, Rn. 18 ff. mwN[↩]
- vgl. BAG 3.07.2014 – 6 AZR 1088/12, Rn. 16; 21.02.2013 – 6 AZR 524/11, Rn. 14, BAGE 144, 263[↩]
- EuGH 23.04.2020 – C-710/18, Rn. 21[↩]
- EuGH 23.04.2020 – C-710/18, Rn. 24 ff., 33 ff.[↩]
- ausführlich BAG 18.10.2018 – 6 AZR 232/17 (A), Rn. 27 ff., 30 ff., BAGE 164, 64[↩]
- EuGH 10.10.2019 – C-703/17 – [Krah] Rn. 67[↩]
- vgl. Vinzenz/Burger EuZA 2020, 522, 530; Erler Anm. ZESAR 2020, 185, 187; Pfeil FS Fuchs 2020 S. 265, 275; Cranshaw jurisPR-IWR 4/2020 Anm. 1 unter C IV[↩]
- EuGH 23.04.2020 – C-710/18, Rn. 24 ff.; vgl. auch EuGH 10.10.2019 – C-703/17 – [Krah] Rn. 40 ff.; 30.09.2003 – C-224/01 – [Köbler] Rn. 74[↩]
- EuGH 23.04.2020 – C-710/18, Rn. 34 ff.[↩]
- EuGH 11.09.2018 – C-68/17 – [IR] Rn. 68; 17.04.2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 79; 19.01.2010 – C-555/07 – [Kücükdeveci] Rn. 54 f.; BAG 10.03.2005 – 6 AZR 317/01, zu 2 b der Gründe, BAGE 114, 60[↩]
- vgl. EuGH 15.12.1995 – C-415/93 – [Bosman] Rn. 82 ff.; 12.12.1974 – C-36/74 – [Walrave] Rn. 16 ff.; EuArbRK/Schubert 3. Aufl. EUV Art. 6 Rn. 44[↩]
- vgl. EuGH 5.12.2013 – C-514/12 – [Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken] Rn. 34 mwN[↩]
- EuGH 15.12.1995 – C-415/93 – [Bosman] Rn. 82 ff.; 5.02.1963 – C-26/62 – [van Gend en Loos][↩]
- vgl. dazu EuGH 19.04.2016 – C-441/14 – [DI] Rn. 35; 19.01.2010 – C-555/07 – [Kücükdeveci] Rn. 51; vgl. auch EuGH 19.11.2019 – C-585/18 ua., Rn. 157 ff.[↩]
- dazu Geyer Anm. ZTR 2020, 277, 278[↩]
- dazu EuGH 8.09.2011 – C-297/10 ua. – [Hennigs] Rn. 67 mwN[↩]
- vgl. nur BAG 22.10.2019 – 9 AZR 71/19, Rn. 33; 20.09.2016 – 3 AZR 273/15, Rn. 33; 15.04.2015 – 4 AZR 796/13, Rn. 44, BAGE 151, 235; 21.02.2013 – 6 AZR 524/11, Rn.19, BAGE 144, 263; 6.09.1995 – 5 AZR 744/94, zu III 1 der Gründe[↩]
- BAG 17.02.2009 – 9 AZR 611/07, Rn. 28[↩]
- vgl. zu dieser Problematik insgesamt BAG 25.01.2018 – 6 AZR 791/16, Rn. 18 ff., BAGE 161, 356; 21.12.2017 – 6 AZR 245/16, Rn. 44 ff.; 23.02.2017 – 6 AZR 843/15, Rn. 26 ff., BAGE 158, 230[↩]
- vgl. EuGH 25.07.2008 – C-127/08 – [Metock ua.] Rn. 77 f.; 16.06.1994 – C-132/93 – [Steen] Rn. 7 ff.; BAG 21.12.2017 – 6 AZR 245/16, Rn. 51[↩]
- vgl. EuGH 1.04.2008 – C-212/06 – [Gouvernement de la Communauté française und gouvernement wallon] Rn. 40[↩]
- ausführlich BAG 25.01.2018 – 6 AZR 791/16, Rn. 23 ff., BAGE 161, 356[↩]
- BAG 21.12.2017 – 6 AZR 245/16, Rn. 54[↩]
- vgl. BAG 9.12.2020 – 10 AZR 334/20, Rn. 31; 19.11.2020 – 6 AZR 449/19, Rn. 21; 29.09.2020 – 9 AZR 364/19, Rn. 47; 2.09.2020 – 5 AZR 168/19, Rn. 21; 19.12.2019 – 6 AZR 563/18, Rn. 25 mwN, BAGE 169, 163[↩]
- vgl. für die st. Rspr. BVerfG 8.06.2016 – 1 BvR 3634/13, Rn. 16 und Rn.19; BAG 19.11.2020 – 6 AZR 449/19, Rn. 24; 19.12.2019 – 6 AZR 59/19, Rn. 18, BAGE 169, 190; 15.11.2018 – 6 AZR 240/17, Rn. 31; 21.12.2017 – 6 AZR 245/16, Rn. 55; 29.06.2017 – 6 AZR 364/16, Rn. 21, BAGE 159, 294[↩]
- BAG 25.01.2018 – 6 AZR 791/16, Rn. 27, BAGE 161, 356; 21.12.2017 – 6 AZR 245/16, Rn. 56[↩]
- seit 23.09.2010 – 6 AZR 180/09, BAGE 135, 313[↩]
- vgl. Geyer Anm. ZTR 2020, 277, 277 f.[↩]
- BAG 23.02.2017 – 6 AZR 843/15, Rn. 48, BAGE 158, 230; 23.09.2010 – 6 AZR 180/09, Rn. 13, BAGE 135, 313; zu § 16 TVöD-AT (Bund) BAG 25.01.2018 – 6 AZR 791/16, Rn. 25 ff., BAGE 161, 356[↩]