Es verstößt nicht gegen die unionsrechtlichen Freizügigkeitsvorschriften, dass § 16 Abs. 2 TV-L die beim selben Arbeitgeber erworbene einschlägige Berufserfahrung gegenüber entsprechenden Zeiten bei anderen Arbeitgebern privilegiert, wenn Arbeitnehmer nur in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt waren und keine Qualifikationen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erworben haben.

Nach der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 16 Abs. 2 TV-L ist einschlägige Berufserfahrung eine berufliche Erfahrung in der übertragenen oder einer auf die Aufgabe bezogen entsprechenden Tätigkeit. Die Protokollerklärung ist dahin zu verstehen, dass erworbene Berufserfahrung bei der Einstellung nur dann zu berücksichtigen ist, wenn die frühere Tätigkeit im Wesentlichen unverändert fortgesetzt wird oder zumindest gleichartig war. Das setzt grundsätzlich voraus, dass der Beschäftigte die Berufserfahrung in einer Tätigkeit erlangt hat, die in ihrer eingruppierungsrechtlichen Wertigkeit der Tätigkeit entspricht, die er nach seiner Einstellung auszuüben hat1.
Diesen Maßstäben entsprechen jedenfalls im vorliegenden Fall die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmerin, die sie in der Zeit vom 01.10.2001 bis 31.12 2013 ununterbrochen mit anderen Arbeitgebern als dem beklagten Land begründet hatte.
Diese Tätigkeiten waren inhaltlich gleichartig und entsprachen in ihrer eingruppierungsrechtlichen Wertigkeit der jetzigen Tätigkeit der Arbeitnehmerin als Erzieherin. Bei der vereinbarten Aufnahme der Arbeit mit dem beklagten Land hatte die Arbeitnehmerin deshalb einschlägige Berufserfahrung von zwölf Jahren und drei Monaten erworben. Damit hätte sie die erforderliche Zeit von zehn Jahren für die Zuordnung zu Stufe 5 am 6.01.2014 überschritten gehabt, wenn die Zeiten ihrer Arbeitsverhältnisse mit anderen Arbeitgebern aus Gründen des Unionsrechts oder des nationalen Verfassungsrechts anrechnungsfähigen Zeiten mit dem beklagten Land gleichzustellen wären.
Die Arbeitnehmerin erfüllt auch die weitere Voraussetzung, dass zwischen den früheren Arbeitsverhältnissen und dem Arbeitsverhältnis mit dem beklagten Land seit 1.10.2001 keine Unterbrechung von mehr als sechs Monaten lag. Der tariflich ungeregelte Fall, welche Unterbrechungen bei einem Wechsel von einem anderen Arbeitgeber unschädlich sind, verlangt nach der Rechtsfolge des geregelten Falls der erneuten Einstellung durch denselben Arbeitgeber. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, die beiden Personengruppen gleichzubehandeln. Die Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L ist daher auch auf § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L anzuwenden2.
Die Zuordnung der Arbeitnehmerin zunächst zu Stufe 2 der Entgeltgruppe 8 TV-L widerspricht jedoch weder dem Unionsrecht noch dem deutschen Verfassungsrecht.
§ 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L verstößt nicht gegen Art. 45 Abs. 2 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Freizügigkeitsverordnung, wenn Arbeitnehmer nur in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt waren und keine Qualifikationen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erworben haben. Der Anwendungsbereich der Freizügigkeitsvorschriften ist nicht eröffnet. Das ist durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt.
Die Regelungen über die Arbeitnehmerfreizügigkeit sind auf die Arbeitnehmerin persönlich anwendbar.
Sie ist unbedenklich Arbeitnehmerin iSd. autonom zu bestimmenden und nicht eng auszulegenden Arbeitnehmerbegriffs in Art. 45 AEUV. Als angestellte Erzieherin erbringt sie während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält3.
Die Arbeitnehmerin ist auch nicht in der öffentlichen Verwaltung iSd. Ausnahmeregelung des Art. 45 Abs. 4 AEUV beschäftigt.
Der Begriff der öffentlichen Verwaltung iSv. Art. 45 Abs. 4 AEUV ist unionsweit einheitlich auszulegen. Er betrifft diejenigen Stellen, die eine unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und an der Wahrnehmung von Aufgaben mit sich bringen, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staats oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind. Solche Belange setzen ein Verhältnis besonderer Verbundenheit des jeweiligen Stelleninhabers zum Staat sowie die Gegenseitigkeit der Rechte und Pflichten voraus, die der Staatsangehörigkeit zugrunde liegen. Die Ausnahme in Art. 45 Abs. 4 AEUV gilt dagegen nicht für Stellen, die zwar dem Staat oder anderen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen zuzuordnen sind, jedoch keine Mitwirkung bei der Erfüllung von Aufgaben mit sich bringen, die zur öffentlichen Verwaltung im eigentlichen Sinn gehören4.
Der als Erzieherin beschäftigten Arbeitnehmerin sind beim beklagten Land keine hoheitlichen Aufgaben übertragen. Ihre Tätigkeit ist deswegen nicht nach Art. 45 Abs. 4 AEUV von den Bestimmungen über die Arbeitnehmerfreizügigkeit ausgenommen.
Der sachliche Anwendungsbereich des Art. 45 Abs. 2 AEUV und des ihn ausformenden Art. 7 Abs. 1 der Freizügigkeitsverordnung ist demgegenüber nicht eröffnet. Der Anwendung von Art. 45 AEUV steht zwar nicht entgegen, dass es sich bei § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L um eine Tarifnorm handelt. Art. 45 AEUV erstreckt sich nicht nur auf behördliche Maßnahmen, sondern auch auf Vorschriften anderer Art, die dazu dienen, unselbständige Arbeit kollektiv zu regeln5. Art. 45 Abs. 2 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Freizügigkeitsverordnung sind aber nicht anzuwenden, weil der Sachverhalt den erforderlichen Auslandsbezug nicht aufweist. Die Arbeitnehmerin war nie in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als in der Bundesrepublik Deutschland und auch nicht im Europäischen Wirtschaftsraum beschäftigt. Sie hat in anderen Staaten keine Qualifikationen erworben. Das Bundesarbeitsgericht darf den grenzüberschreitenden Bezug selbst verneinen. Die Frage ist durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt.
Ein nationales letztinstanzliches Gericht muss seiner Vorlagepflicht aus Art. 267 Unterabs. 3 AEUV nachkommen, wenn sich in einem Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, die entscheidungserheblich ist und nicht bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union war, wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt6.
Das letztinstanzliche Hauptsachegericht muss sich hinsichtlich des materiellen Unionsrechts hinreichend kundig machen. Etwaige einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hat es auszuwerten und seine Entscheidung daran zu orientieren. Auf dieser Grundlage muss sich das Fachgericht unter Anwendung und Auslegung des materiellen Unionsrechts die vertretbare Überzeugung bilden, dass die Rechtslage entweder von vornherein eindeutig (sog. acte clair) oder durch die Rechtsprechung des EuGH in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel lässt (sog. acte éclairé). Hinsichtlich der Voraussetzungen eines acte clair oder acte éclairé kommt dem letztinstanzlichen Hauptsachegericht ein Beurteilungsrahmen zu7.
Danach besteht keine Vorlagepflicht. Die Frage des Auslandsbezugs im Zusammenhang mit Art. 45 Abs. 2 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Freizügigkeitsverordnung ist durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt.
AEUV verbietet jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Art. 7 Abs. 1 der Freizügigkeitsverordnung stellt nur eine besondere Ausprägung des in Art. 45 Abs. 2 AEUV enthaltenen Diskriminierungsverbots auf dem speziellen Gebiet der Beschäftigungsbedingungen und der Arbeit dar. Die Verordnungsnorm ist ebenso auszulegen wie Art. 45 Abs. 2 AEUV8.
Die Vorschriften des AEUV über die Freizügigkeit und die zu ihrer Durchführung ergangenen Verordnungen sind jedoch nicht auf Tätigkeiten anzuwenden, die keinerlei Berührungspunkte mit einem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Unionsrecht abstellt und die mit keinem Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen9. Anderes gilt, wenn berufliche oder akademische Qualifikationen in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen erworben wurden, dessen Staatsangehöriger der Betroffene ist10. Art. 45 AEUV erfasst dagegen keine rein internen, auf einen Mitgliedstaat beschränkten Sachverhalte11. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit kann deshalb nicht auf die Situation von Personen angewandt werden, die von dieser Freiheit nie Gebrauch gemacht haben12. Die rein hypothetische Aussicht, das Recht auf Freizügigkeit auszuüben, stellt keinen Bezug zum Unionsrecht her, der eng genug wäre, um die Unionsbestimmungen anzuwenden13. Gleiches gilt für die rein hypothetische Aussicht einer Beeinträchtigung dieses Rechts14.
Ein Unionsbürger kann sich gegenüber nationalen Normen daher nicht auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen, wenn er – wie die Arbeitnehmerin – niemals in einem anderen Mitgliedstaat gewohnt, gearbeitet, studiert, ein Hochschuldiplom oder einen Berufsabschluss erworben oder anderweitig von seinem Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch gemacht hat15. Die Unionsbürgerschaft bezweckt nicht, den sachlichen Anwendungsbereich der Verträge auf interne Sachverhalte auszudehnen, die keinerlei Bezug zum Unionsrecht aufweisen16. Das gilt auch für die mittlerweile in Art.20 AEUV geregelte Unionsbürgerschaft nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1.12 2009.
Die Rechtsprechungslinie des Gerichtshofs der Europäischen Union zu dem für die Freizügigkeitsbestimmungen nötigen grenzüberschreitenden Bezug ist durch dessen Entscheidung vom 05.12 201317 nicht aufgegeben worden.
Die in der Sache Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH behandelte kollektive Streitigkeit zwischen dem Zentralbetriebsrat und der österreichischen Krankenhausgesellschaft wies ohne Weiteres einen Auslandsbezug auf. 113 der 716 Ärzte und 340 der 2.850 nicht-ärztlichen Beschäftigten stammten aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder dem Europäischen Wirtschaftsraum18.
Der Annahme, die Frage des Auslandsbezugs sei durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt, steht nicht entgegen, dass die Gründe, aus denen sich ein Wanderarbeitnehmer dafür entscheidet, von seinem Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Union Gebrauch zu machen, bei der Beurteilung des diskriminierenden Charakters einer nationalen Vorschrift nicht berücksichtigt werden dürfen. Die Möglichkeit, sich auf eine so grundlegende Freiheit wie die Freizügigkeit zu berufen, kann zwar nicht durch Überlegungen rein subjektiver Art eingeschränkt werden19. Sowohl in der Sache Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH als auch in der Sache O’Flynn waren aber, zumindest auch – Wanderarbeitnehmer betroffen20. Voraussetzung des sachlichen Anwendungsbereichs der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist ein grenzüberschreitender Bezug. Ist ein Auslandsbezug zu bejahen, kommt es dagegen nicht auf die Beweggründe des Wanderarbeitnehmers oder Grenzgängers an, von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen21.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat seine Rechtsprechungslinie zu dem für die Anwendbarkeit der Arbeitnehmerfreizügigkeit notwendigen Auslandsbezug auch nach dem Urteil vom 05.12 2013 in der Sache Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH22 bekräftigt.
Besonders augenfällig wird das in der Sache Brouillard23. Dort führt der EuGH in Rn. 26 zu Art. 45 AEUV zunächst aus, dass die Vorschriften des AEUV über die Freizügigkeit nach ständiger Rechtsprechung nicht auf Tätigkeiten anwendbar seien, die keinerlei Berührungspunkte mit irgendeinem der Sachverhalte aufwiesen, auf die das Unionsrecht abstelle, und die mit keinem Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinauswiesen. Dazu nimmt der Gerichtshof ua. Bezug auf die Sache Uecker und Jacquet24. In Rn. 27 der Sache Brouillard präzisiert der Gerichtshof diese Aussage unter Hinweis auf die Sache Kraus25. Er weist darauf hin, dass die Freizügigkeit nicht voll verwirklicht wäre, wenn die Mitgliedstaaten die Anwendung der Vorschriften des AEUV denjenigen Staatsangehörigen versagen dürften, die dank der Erleichterungen der Freizügigkeit berufliche Qualifikationen oder die Grundausbildung ergänzende akademische Qualifikationen in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Herkunftsstaat erworben hätten.
Auch in der Sache Kohll und Kohll-Schlesser ist der grenzüberschreitende Bezug deutlich ausgedrückt26. Der Gerichtshof weist dort darauf hin, dass jeder Unionsbürger, der vom Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch gemacht und in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Wohnsitzstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt habe, unabhängig von seinem Wohnort und seiner Staatsangehörigkeit in den Anwendungsbereich des Art. 45 AEUV falle. Er nimmt hierfür Bezug auf die Sache Petersen27.
In allen Individualstreitigkeiten im Rahmen von Vorabentscheidungsersuchen, die in jüngerer Vergangenheit die Arbeitnehmerfreizügigkeit zum Gegenstand hatten, handelte es sich um Wanderarbeitnehmer oder Grenzgänger oder es bestand zB durch eine Angehörigeneigenschaft ein Bezug zu mindestens zwei Mitgliedstaaten28. Ein grenzüberschreitender Bezug war auch in zwei jüngeren Vertragsverletzungsverfahren vorhanden, in denen Verstöße gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit bejaht wurden29.
Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist geklärt, dass sich die Arbeitnehmerin nicht auf die Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen kann, um die Zuordnung zu Stufe 5 der Entgeltgruppe 8 TV-L zu erlangen. Dem steht entgegen, dass sie weder in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland oder im Europäischen Wirtschaftsraum gearbeitet noch dort eine Qualifikation erlangt hat. Dieser Fall unterscheidet sich insofern auch von der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Sache Casteels30. Dort verstieß eine Tarifnorm gegen Art. 45 AEUV, die in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zurückgelegte Dienstjahre bei demselben Arbeitgeber für eine tarifliche Zusatzrente nicht berücksichtigte. Der klagende Arbeitnehmer war in verschiedenen Mitgliedstaaten beschäftigt.
Das Bundesarbeitsgericht ist deshalb an einem Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 Unterabs. 3 AEUV gehindert. Eine eigene abschließende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist auf der Grundlage der geklärten Rechtslage sogar geboten, weil der Gerichtshof der Europäischen Union den nationalen Gerichten im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV keine Auslegungshinweise geben kann, wenn die innerstaatliche Regelung einen Fall betrifft, der nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt31.
Wegen des fehlenden grenzüberschreitenden Bezugs des Sachverhalts und des aus diesem Grund nicht eröffneten Anwendungsbereichs von Art. 45 Abs. 2 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Freizügigkeitsverordnung stellt sich die Frage einer mittelbaren Diskriminierung der Arbeitnehmerin durch § 16 Abs. 2 TV-L aus Gründen des Unionsrechts nicht.
Das Bundesarbeitsgericht kann mit Blick auf den nicht gegebenen Auslandsbezug offenlassen, ob nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hinreichend sicher im Sinn eines acte éclairé geklärt ist, dass es durch § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L zu einer mittelbaren Ungleichbehandlung von Wanderarbeitnehmern und Grenzgängern kommt. Vor allem kann dahinstehen, ob geklärt ist, dass eine etwaige mittelbare Benachteiligung dieser Personengruppen gerechtfertigt wäre und es daher nicht zu einer Diskriminierung käme.
Der Entscheidung in der Sache Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH32 ging zwar eine schon etwas ältere Rechtsprechungslinie des Gerichtshofs der Europäischen Union voraus. Sie lässt gewisse Rückschlüsse auf die unionsrechtlichen Rechtfertigungserfordernisse für die unterbleibende Anrechnung von Dienstzeiten und Berufserfahrungszeiten bei Verstößen gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu33.
Die sehr unterschiedlichen Gründe, die zur Rechtfertigung der mittelbaren Benachteiligungen in den zitierten Entscheidungen angeführt wurden, könnten jedoch für ein nötiges Vorabentscheidungsersuchen in Fällen eines grenzüberschreitenden Bezugs sprechen. Ein acte éclairé setzt voraus, dass die Fragen des Unionsrechts in einer Weise geklärt sind, die keinen vernünftigen Zweifel an der Beantwortung der Frage der Rechtfertigung eines möglichen Verstoßes von § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit lässt34.
In der Sache Köbler hat der Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen einer Staatshaftungsprüfung selbst die Annahme eines acte éclairé durch das nationale Fachgericht gerügt35. Der Verwaltungsgerichtshof habe nicht davon ausgehen dürfen, die Frage, ob die mit einer Treueprämie einhergehende Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit gerechtfertigt sein könne, sei einer gesicherten Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entnehmen und lasse keinen Raum für einen vernünftigen Zweifel. Selbst wenn die Dienstalterszulage als Treueprämie qualifiziert werden könne, handle es sich um eine Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit36.
Die Regelungen in Satz 2 und Satz 3 des § 16 Abs. 2 TV-L sind auch anders gestaltet als die Bestimmung des BAT, die der Entscheidung des Gerichtshofs der damaligen Europäischen Gemeinschaften in der Sache Schöning-Kougebetopoulou zugrunde lag37. Die Vorschrift des BAT nahm Zeiten in einem vergleichbaren Betätigungsfeld im öffentlichen Dienst eines anderen Mitgliedstaats von einem Zeitaufstieg nach achtjähriger Tätigkeit in einer bestimmten Vergütungsgruppe aus. Zeiten in einer vergleichbaren Betätigung in der gesamten Bundesrepublik wurden im Unterschied dazu – abweichend von § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L – angerechnet. Der Gerichtshof hielt die Benachteiligung der Wanderarbeitnehmerin für ungerechtfertigt38.
Die Unterscheidung zwischen verschiedenen Vorbeschäftigungszeiten in § 16 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 TV-L ist mit innerstaatlichem Recht, insbesondere mit Art. 3 Abs. 1 GG, vereinbar. Der weite Gestaltungsspielraum, den die von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie den Tarifvertragsparteien einräumt, ist nicht überschritten. Das hat das Bundesarbeitsgericht mit ausführlicher Begründung entschieden39. Daran hält er fest.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. Februar 2017 – 6 AZR 843/15
- vgl. BAG 17.12 2015 – 6 AZR 432/14, Rn. 40; 5.06.2014 – 6 AZR 1008/12, Rn. 31, BAGE 148, 217[↩]
- vgl. BAG 3.07.2014 – 6 AZR 1088/12, Rn. 24[↩]
- vgl. zB EuGH 10.09.2014 – C-270/13 – [Haralambidis] Rn. 27 f.; 28.02.2013 – C-544/11 – [Petersen] Rn. 30; BAG 15.12 2016 – 6 AZR 430/15, Rn. 54 mwN[↩]
- vgl. EuGH 10.09.2014 – C-270/13 – [Haralambidis] Rn. 42 bis 45 mwN[↩]
- vgl. EuGH 10.03.2011 – C-379/09 – [Casteels] Rn.19 mwN, Slg. 2011, I-1379; 16.03.2010 – C-325/08 – [Olympique Lyonnais] Rn. 30 mwN, Slg. 2010, I-2177[↩]
- vgl. in jüngerer Vergangenheit etwa: EuGH 9.09.2015 – C-72/14 und – C-197/14 – [van Dijk] Rn. 55 ff.; 9.09.2015 – C-160/14 – [João Filipe Ferreira da Silva e Brito ua.] Rn. 38 ff.; grundlegend EuGH 6.10.1982 – 283/81 – [C.I.L.F.I.T.] Rn. 21, Slg. 1982, 3415; weiterentwickelt von EuGH 15.09.2005 – C-495/03 – [Intermodal Transports] Rn. 33 ff., Slg. 2005, I-8151[↩]
- vgl. BVerfG 15.12 2016 – 2 BvR 221/11, Rn. 36 f. mwN; 15.01.2015 – 1 BvR 499/12, Rn. 8 f. mwN[↩]
- vgl. EuGH 15.12 2016 – C-401/15 – [Depesme] Rn. 35 mwN[↩]
- vgl. EuGH 6.10.2015 – C-298/14 – [Brouillard] Rn. 26; 15.11.2011 – C-256/11 – [Dereci ua.] Rn. 60 mwN, Slg. 2011, I-11315; 11.07.2002 – C-60/00 – [Carpenter] Rn. 28, Slg. 2002, I-6279[↩]
- vgl. EuGH 6.10.2015 – C-298/14 – [Brouillard] Rn. 27; 31.03.1993 – C-19/92 – [Kraus] Rn. 16 f.[↩]
- vgl. noch zu Art. 39 EG: EuGH 16.12 2004 – C-293/03 – [My] Rn. 40, Slg. 2004, I-12013; 5.06.1997 – C-64/96 und – C-65/96 – [Uecker und Jacquet] Rn. 16 f.[↩]
- vgl. EuGH 25.07.2002 – C-459/99 – [MRAX] Rn. 39, Slg. 2002, I-6591[↩]
- vgl. EuGH 8.11.2012 – C-40/11 – [Iida] Rn. 77; 29.05.1997 – C-299/95 – [Kremzow] Rn. 16, Slg. 1997, I-2629; 28.06.1984 – 180/83 – [Moser] Rn. 18, Slg. 1984, 2539[↩]
- vgl. EuGH 8.11.2012 – C-40/11 – [Iida] aaO; ErfK/Wißmann 17. Aufl. Art. 45 AEUV Rn. 14[↩]
- vgl. EuGH 2.07.1998 – C-225/95, – C-226/95, – C-227/95 – [Kapasakalis ua.] Rn. 21, Slg. 1998, I-4239[↩]
- vgl. noch zu Art. 17 EG EuGH 1.04.2008 – C-212/06 – [Gouvernement de la Communauté française] Rn. 39 mwN, Slg. 2008, I-1683[↩]
- - C-514/12 – [Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH][↩]
- vgl. EuGH 5.12 2013 – C-514/12 – [Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH] Rn. 10[↩]
- vgl. EuGH 5.12 2013 – C-514/12 – [Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH] Rn. 33; 23.05.1996 – C-237/94 – [O’Flynn] Rn. 21, Slg. 1996, I-2617[↩]
- vgl. EuGH 5.12 2013 – C-514/12 – [Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH] Rn. 10; 23.05.1996 – C-237/94 – [O’Flynn] Rn. 6, aaO[↩]
- vgl. EuGH 5.12 2013 – C-514/12 – [Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH] Rn. 33; 23.05.1996 – C-237/94 – [O’Flynn] Rn. 21, aaO[↩]
- - C-514/12[↩]
- EuGH 6.10.2015 – C-298/14, Rn. 26 f.[↩]
- EuGH 5.06.1997 – C-64/96 und – C-65/96, Rn. 16[↩]
- EuGH 31.03.1993 – C-19/92, Rn. 16 f.[↩]
- vgl. EuGH 26.05.2016 – C-300/15, Rn. 22[↩]
- EuGH 28.02.2013 – C-544/11, Rn. 34 mwN[↩]
- vgl. EuGH 15.12 2016 – C-401/15 – [Depesme] Rn. 17 ff.; 27.10.2016 – C-465/14 – [Wieland, Rothwangl] Rn. 24 ff.; 13.07.2016 – C-187/15 – [Pöpperl] Rn.19 ff. mit Besprechung Reinecke AuR 2016, 396; 12.04.2016 – C-561/14 – [Genc] Rn. 35 ff.; 7.04.2016 – C-284/15 – [ONEm] Rn. 9; 15.09.2015 – C-67/14 – [Alimanovic] Rn. 25 ff.; 23.04.2015 – C-382/13 – [Franzen, Giesen, van den Berg] Rn. 23 ff., 30 ff., 33 ff.; 26.02.2015 – C-623/13 – [de Ruyter] Rn. 39 ff.; 24.02.2015 – C-512/13 – [Sopora] Rn. 9; 18.12 2014 – C-523/13 – [Larcher] Rn. 34 ff.; 5.11.2014 – C-103/13 – [Somova] Rn. 1 f.; 20.06.2013 – C-20/12 – [Giersch] Rn. 37 ff.[↩]
- vgl. EuGH 21.01.2016 – C-515/14 – [Kommission/Republik Zypern] Rn. 1; 5.02.2015 – C-317/14 – [Kommission/Königreich Belgien] Rn. 22 f.[↩]
- EuGH 10.03.2011 – C-379/09, Rn. 6, 22 f., Slg. 2011, I-1379[↩]
- vgl. EuGH 29.05.1997 – C-299/95 – [Kremzow] Entscheidungsformel und Rn. 16 bis 19, Slg. 1997, I-2629[↩]
- EuGH 5.12 2013 – C-514/12, Rn. 36 ff.[↩]
- vgl. insbesondere EuGH 10.03.2005 – C-178/04 – [Marhold] Rn. 30 ff.; 30.09.2003 – C-224/01 – [Köbler] Rn. 108 ff., Slg. 2003, I-10239; 30.11.2000 – C-195/98 – [Österreichischer Gewerkschaftsbund] Rn. 45 ff., Slg. 2000, I-10497; 12.03.1998 – C-187/96 – [Kommission/Griechische Republik] Rn. 22 f., Slg. 1998, I-1095; 15.01.1998 – C-15/96 – [Schöning-Kougebetopoulou] Rn. 25 ff., Slg. 1998, I-47; 23.02.1994 – C-419/92 – [Scholz] Rn. 11; dazu im Einzelnen Resch ZESAR 2014, 155, 156 ff.[↩]
- vgl. zu dieser Anforderung: BVerfG 15.12 2016 – 2 BvR 221/11, Rn. 36 f. mwN; 15.01.2015 – 1 BvR 499/12, Rn. 8 f. mwN[↩]
- vgl. EuGH 30.09.2003 – C-224/01, Rn. 117 bis 119, Slg. 2003, I-10239[↩]
- vgl. EuGH 30.09.2003 – C-224/01 – [Köbler] aaO[↩]
- vgl. EuGH 15.01.1998 – C-15/96, Rn. 22 ff., Slg. 1998, I-47[↩]
- vgl. EuGH 15.01.1998 – C-15/96 – [Schöning-Kougebetopoulou] aaO[↩]
- vgl. BAG 23.09.2010 – 6 AZR 180/09, Rn. 11 ff., BAGE 135, 313; sh. auch 21.02.2013 – 6 AZR 524/11, Rn. 18 ff., BAGE 144, 263[↩]