Tarifgebundenheit – und das Bestreiten des Betriebsübernehmers

Nach einem Betriebsübergang kann der Übernehmer den Vortrag des Arbeitnehmers, die frühere Arbeitgeberin sei tarifgebunden gewesen, nicht zulässig mit Nichtwissen gemäß § 138 Abs. 4 ZPO bestreiten. 

Tarifgebundenheit – und das Bestreiten des Betriebsübernehmers

Art. 103 Abs. 1 GG sichert – i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG und dem in Art. 20 Abs. 3 GG gewährleisteten Rechtsstaatsprinzip – den Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht und das mit ihm im Zusammenhang stehende Recht auf Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes. Dies gebietet ein Ausmaß an rechtlichem Gehör, das sachangemessen ist, um den in bürgerlich rechtlichen Streitigkeiten – wie hier eine vorliegt – aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Erfordernissen eines wirkungsvollen Rechtschutzes gerecht zu werden. Zu den für einen fairen Prozess und einen wirkungsvollen Rechtsschutz in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten unerlässlichen Verfahrensregeln gehört, dass das Gericht über die Richtigkeit bestrittener Tatsachenbehauptungen nicht ohne hinreichende Prüfungen entscheidet. Ohne eine solche Prüfung fehlt es an einer dem Rechtsstaatsprinzip genügenden Entscheidungsgrundlage.

Mit diesen Grundsätzen wäre es nicht vereinbar, würde man einen Grad des Bestreitens erfordern, der es einer Partei unmöglich machen würde, unter zumutbaren Voraussetzungen einen Sachverhalt, für den sie nicht die Beweislast trägt, zum Gegenstand einer Beweisaufnahme zu machen. Es ist deshalb zwar verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn § 138 Abs. 2 und Abs. 4 ZPO von einer Partei verlangt, sich über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären und eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig ist, die weder eigene Handlung der Partei betreffen noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen ist es aber erforderlich, dass es für die Beurteilung, ob ein Bestreiten mit Nichtwissen zulässig ist, grundsätzlich auf den Zeitpunkt ankommt, in dem sich eine Partei im Prozess zu erklären hat. Auch von Verfassungs wegen ist deshalb gefordert, einer Partei nur aufzuerlegen sich darüber zu erklären, was sie zum Zeitpunkt der notwendigen Erklärung tatsächlich weiß oder – hier nicht entscheidungserheblich – über zumutbare Voraussetzungen durch Erkundigungen feststellen kann1.

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Bestimmung des zuständigen Gerichts - und die Zusammenhangsklage

Von diesen Grundsätzen ausgehend kann sich die Betriebsübernehmerin nicht auf das Bestreiten mit Nichtwissen zurückziehen.

Als Vertragspartnerin der früheren Betriebsinhaberin im Rahmen des Betriebsüberganges ist davon auszugehen, dass sich die Betriebsübernehmerin über den Inhalt der arbeitsvertraglichen Beziehungen bei der früheren Betriebsinhaberin Kenntnis verschafft hat. Hierzu gehört auch die Anwendbarkeit der Tarifverträge. Die Betriebsübernehmerin hat ebenso das Unterrichtungsschreiben gem. § 613a Abs. 5 BGB aus Anlass des Betriebsüberganges mit verantwortet. Selbst wenn sie es in diesem Zusammenhang unterlassen haben sollte, sich Kenntnis über die Tarifsituation bei der früheren Betriebsinhaberin zu verschaffen, ist nicht ersichtlich, warum es ihr nunmehr, da diese Frage im Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, nicht möglich und zumutbar sein soll, entsprechende Erkundigungen bei der früheren Betriebsinhaberin nachzuholen.

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 20. September 2021 – 15 Sa 1095/20

  1. BAG, 13.11.2007 – 3 AZN 449/07, Rn. 18[]

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