Tarifpluraler Betrieb – und der gewerkschaftliche Unterlassungsanspruch

Der gewerkschaftliche Anspruch auf Unterlassung der Durchführung tarifwidriger Betriebsvereinbarungen nach § 1004 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 9 Abs. 3 GG erfordert eine unmittelbare und zwingende Tarifgebundenheit des in Anspruch genommenen Arbeitgebers an die maßgebenden Tarifbestimmungen. Endet diese, kann das Recht auf koalitionsgemäße Betätigung durch von diesem Tarifvertrag abweichende betriebliche Regelungen nicht mehr beeinträchtigt werden.

Tarifpluraler Betrieb – und der gewerkschaftliche Unterlassungsanspruch

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Beschlussverfahren betreibt die Arbeitgeberin ein Eisenbahnverkehrsunternehmen und ist Mitglied in einem Arbeitgeberverband. Dieser vereinbarte mit der antragstellenden und einer weiteren Gewerkschaft Tarifverträge, die unter anderem Regelungen zur Dienst- und Schichtplanung mit unterschiedlich ausgestalteten Tariföffnungsklauseln vorsahen. Die Tarifvertragsparteien hatten eine Anwendung des § 4a Abs. 2 TVG bis zum 31. Dezember 2020 abbedungen. Im Jahr 2019 schloss die Arbeitgeberin mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zur Schicht- und Einsatzplanung. Die antragstellende Gewerkschaft hat die Arbeitgeberin auf Unterlassung der Durchführung dieser Betriebsvereinbarung in Anspruch genommen. Die Betriebsvereinbarung verstoße gegen § 77 Abs. 3 BetrVG und verletze ihre Koalitionsfreiheit.

In den Vorinstanzen haben sowohl das Arbeitsgericht wie auch das Landesarbeitsgbericht München1 die Anträge abgewiesen. Im Verlauf des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat die antragstellende Gewerkschaft mit der Arbeitgeberin im Februar 2022 Nachfolgetarifverträge vereinbart. Die Rechtsbeschwerde der Gewerkschaft hatte vor dem Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg:

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Die Tarifverträge, auf welche die Gewerkschaft ihren Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 9 Abs. 3 GG gestützt hat, gelten aufgrund ihrer Ablösung durch die Nachfolgetarifverträge nicht mehr unmittelbar und zwingend. Die Gewerkschaft konnte den Unterlassungsanspruch auch nicht auf § 23 Abs. 3 in Verbindung mit § 77 Abs. 3 BetrVG stützen. Der Senat musste nicht entscheiden, ob ein Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG einen Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG begründen kann. Die Betriebsvereinbarung verstößt zwar gegen § 77 Abs. 3 BetrVG, da die Schicht- und Einsatzplanung bereits im Tarifvertrag der antragstellenden Gewerkschaft geregelt war. In Anbetracht der schwierigen und ungeklärten Rechtsfragen, die sich im Fall der Anwendbarkeit kollidierender Tarifverträge mit unterschiedlichen Öffnungsklauseln für betriebliche Regelungen stellen, hat das Landesarbeitsgericht aber einen groben Verstoß in nicht zu beanstandender Weise verneint. Auf die von der Gewerkschaft angeführte Verfassungswidrigkeit des § 4a TVG kam es für die Entscheidung des Senats nicht an.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 25. Januar 2023 – 4 ABR 4/22

  1. LAG München, Beschluss vom 28.04.2021 – 10 TaBV 51/20[]