Tarifvertragliche Ausschlussfrist – und ihre Wahrung durch ein Anspruchsschreiben

Sinn und Zweck tariflicher Ausschlussfristen ist es, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu schaffen. Der Anspruchsgegner soll sich auf die aus Sicht des Anspruchstellers noch offene Forderung rechtzeitig einstellen, Beweise sichern und gegebenenfalls Rücklagen bilden können. Er soll vor der Verfolgung von Ansprüchen, mit deren Geltendmachung er nicht rechnet und auch nicht rechnen muss, geschützt werden1.

Tarifvertragliche Ausschlussfrist – und ihre Wahrung durch ein Anspruchsschreiben

Für eine ordnungsgemäße Geltendmachung im Sinne des § 37 Abs. 1 TVöD-V ist daher erforderlich, dass der Anspruchsgegner zur Erfüllung eines bestimmten Anspruchs aufgefordert wird. Der Anspruchsteller muss unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er Inhaber einer nach Grund und Höhe spezifizierten Forderung ist und auf der Erfüllung dieser Forderung besteht.

Allein die Aufforderung, die bisherige Nichterfüllung „zu überdenken“ oder „zu überprüfen“, ist noch keine Geltendmachung im Tarifsinn, weil ihr das eindeutige Erfüllungsverlangen fehlt2. Der Erklärende bringt damit nicht zum Ausdruck, den Arbeitgeber auch unabhängig vom Ergebnis der Prüfung in Anspruch nehmen zu wollen3.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erfordert eine Geltendmachung keine Substantiierung, sondern nur eine Spezifizierung des Anspruchs, die der Gegenseite eine Prüfung der gegen sie erhobenen Forderung erlaubt4. Der Anspruchsgegner muss ausgehend von seinem Empfängerhorizont erkennen können, um welche Forderung es sich handelt5. Die Art des Anspruchs und die Tatsachen, auf die dieser gestützt wird, müssen erkennbar sein. Eine rechtliche Begründung ist jedoch nicht erforderlich6. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist eine Bezifferung nicht zwingend erforderlich7.

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Dem genügte das Schreiben im hier entschiedenen Fall nicht: Es lässt zunächst eine hinreichende Spezifizierung in zeitlicher Hinsicht vermissen. Entgegen der Ansicht der Revision kann dem Schreiben gerade nicht entnommen werden, dass Ansprüche sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft geltend gemacht werden sollen. In ihm heißt es wörtlich: „sollten den hauptamtlichen Kräften im Hinblick auf das Urteil des Verwaltungsgerichtes in Cottbus vom 28.02.20138 etwaige Ansprüche entstehen“. Durch die zukunftsorientierte Formulierung „entsteht“ – und nicht „besteht“ – wird nicht klar, ab welchem Zeitpunkt Ansprüche geltend gemacht werden sollen. Unklar ist, ob der Arbeitnehmer mit dieser Formulierung auf eine etwaige Entscheidung in dem von der städtischen Arbeitgeberin angesprochenen Berufungsverfahren abstellen will, gegebenenfalls die Rechtskraft einer solchen Entscheidung abgewartet werden soll oder alle Ansprüche, die von der Ausschlussfrist noch erfasst werden können, geltend gemacht werden sollen. Angesichts dieser Unklarheiten konnte die Arbeitgeberin nicht erkennen, welche Ansprüche sie aus Sicht des Arbeitnehmers erfüllen sollte, und konnte sich darum auf derartige Ansprüche nicht einstellen.

Dem Schreiben ist zudem kein hinreichend eindeutiges Erfüllungsverlangen9 zu entnehmen. Der Arbeitnehmer bringt darin nicht unmissverständlich zum Ausdruck, dass er der Ansicht ist, er habe einen Anspruch gegen die Arbeitgeberin, auf dessen Erfüllung er bestehe. Er behauptet im Gegenteil nicht, bereits Inhaber einer bestimmten Forderung zu sein. Vielmehr überlässt er es der weiteren Prüfung des Urteils des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 28.02.2013 durch die höheren Instanzen, ob ihm ein Anspruch zusteht oder nicht, ohne deutlich zu machen, dass er die Arbeitgeberin auch unabhängig vom Ergebnis dieser Prüfung in Anspruch nehmen will. Inhaltlich stellt sein Begehren nur eine Bitte um Überprüfung der Rechtslage und Gleichbehandlung mit den hauptamtlichen (beamteten) Feuerwehrleuten, nicht jedoch eine ordnungsgemäße Geltendmachung iSd. § 37 Abs. 1 TVöD-V dar. Die insoweit von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen machen es in Fällen wie dem vorliegenden den Arbeitnehmern auch nicht unmöglich, ihre Ansprüche zu wahren und später gerichtlich durchzusetzen. Sie müssen lediglich deutlich machen, dass sie meinen, bestimmte, im Einzelnen zu bezeichnende Ansprüche zu besitzen und diese bis zur Klärung der Rechtslage vorsorglich geltend machen zu wollen. Dies wahrt die Ausschlussfrist10. An einer solchen vorsorglichen Geltendmachung fehlt es hier jedoch.

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Die vorstehenden Überlegungen gelten in gleicher Weise für das weitere Schreiben des Arbeitnehmers. Auch mit diesem bringt er nicht unmissverständlich zum Ausdruck, dass er Inhaber einer nach Grund, Höhe und zeitlicher Lage spezifizierten Forderung ist, auf deren Erfüllung er besteht.

Die Berufung der Arbeitgeberin auf den Verfall der streitgegenständlichen Ansprüche ist auch nicht deswegen rechtsmissbräuchlich, weil die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer nicht auf die Mängel seines Geltendmachungsschreibens hingewiesen hat.Die Arbeitgeber muss ihren Arbeitnehmer nicht darauf hinweisen, dass sie die Geltendmachung für nicht ausreichend erachtet. Dabei kann dahinstehen, ob die Ansicht des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg in der Vorinstanz zutrifft, der Arbeitnehmer habe aufgrund dessen, dass er seine Ansprüche nicht einmal annähernd konkretisiert habe – anders als in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16.01.201311 – von vornherein nicht damit rechnen dürfen, dass sein Geltendmachungsschreiben ausreichend sei12. Das Landesarbeitsgericht hat keine Umstände festgestellt, die darauf schließen ließen, dass die Arbeitgeberin offenkundig darauf gesetzt hätte, dass der Arbeitnehmer und andere Feuerwehrleute vor weiteren Geltendmachungen erkennbar verfolgter Ansprüche zurückschrecken würden, um so bewusst Ansprüche sukzessive verfallen zu lassen, und es deshalb rechtsmissbräuchlich unterlassen hätte, Umstände mitzuteilen, die den Arbeitnehmer zur Einhaltung der Ausschlussfrist veranlasst hätten13.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11. April 2019 – 6 AZR 104/18

  1. BAG 18.02.2016 – 6 AZR 628/14, Rn. 16[]
  2. BAG 23.11.2017 – 6 AZR 33/17, Rn. 26 mwN, BAGE 161, 122[]
  3. vgl. BAG 28.02.2018 – 4 AZR 816/16, Rn. 51, BAGE 162, 81[]
  4. BAG 11.12 2003 – 6 AZR 539/02, zu I 1 b der Gründe, BAGE 109, 100[]
  5. BAG 18.02.2016 – 6 AZR 700/14, Rn. 45, BAGE 154, 118; 18.03.1999 – 6 AZR 523/97, zu B II 3 a der Gründe[]
  6. BAG 22.04.2004 – 8 AZR 652/02, zu II 1 a der Gründe[]
  7. vgl. BAG 18.02.2016 – 6 AZR 628/14, Rn.20; 19.08.2015 – 5 AZR 1000/13, Rn. 24, BAGE 152, 221[]
  8. VG Cottbus 28.02.2013 – VG 5 K 914/11[]
  9. vgl. dazu BAG 23.11.2017 – 6 AZR 33/17, Rn. 26, BAGE 161, 122; 18.02.2016 – 6 AZR 700/14, Rn. 45 mwN, BAGE 154, 118[]
  10. vgl. die Konstellation in BAG 17.07.1984 – 3 AZR 510/83[]
  11. BAG 1.01.2013 – 10 AZR 863/11, BAGE 144, 210[]
  12. LAG Berlin-Brandenburg 23.11.2017 – 21 Sa 645/17[]
  13. vgl. BAG 16.01.2013 – 10 AZR 863/11, Rn. 38, aaO[]
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