Tarifvertraglicher Anspruch auf Altersteilzeit

Der „Tarifvertrag Altersteilzeit“ zwischen der Tarifgemeinschaft Technischer Überwachungs-Vereine und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di vom 21.02.2011 (TV ATZ) begründet grundsätzlich einen Anspruch der Arbeitnehmer auf Abschluss von Altersteilzeitarbeitsverträgen.

Tarifvertraglicher Anspruch auf Altersteilzeit

Dem Hinweis auf die Freiwilligkeit des Abschlusses von Altersteilzeitarbeitsverträgen in Abs. 4 der Präambel des TV ATZ könnten mehrere Bedeutungen beigemessen werden. Denn es heißt dort nicht, der Abschluss von Altersteilzeitarbeitsverträgen sei für den Arbeitgeber freiwillig. Deshalb sind mehrere Auslegungen möglich. So könnte auch gemeint sein, der Abschluss sei für den Arbeitnehmer freiwillig. Ebenso ist es möglich, dass die Tarifvertragsparteien zum Ausdruck bringen wollten, es bestehe kein gesetzlicher Anspruch auf den Abschluss von Altersteilzeitarbeitsverträgen.

§ 1 Nr. 3 Satz 1 TV ATZ lässt ebenso wenig die Auslegung zu, es gebe grundsätzlich keinen Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über sein Angebot auf Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsvertrags. Diese Tarifvorschrift schränkt den Anwendungsbereich des TV ATZ und damit seines § 2 nicht auf die Arbeitnehmer ein, die bereits einen Altersteilzeitarbeitsvertrag abgeschlossen haben. § 1 Nr. 3 Satz 1 TV ATZ bestimmt lediglich den zeitlichen Geltungsbereich des TV ATZ und korrespondiert insoweit mit Abs. 2 seiner Präambel. Danach soll der TV ATZ in der Fassung vom 21.02.2011 nur für die Arbeitnehmer Anwendung finden, deren Altersteilzeitarbeitsverhältnis nach seinem Inkrafttreten begründet wird. Für bereits abgeschlossene Altersteilzeitarbeitsverträge soll gemäß Abs. 3 der Präambel des TV ATZ der bis zum 31.12 2009 geltende TV ATZ vom 29.06.2005 Anwendung finden. Diese Regelung zum zeitlichen Geltungsbereich in Abs. 2 der Präambel des TV ATZ wiederholt § 1 Nr. 3 Satz 1 TV ATZ lediglich.

Schließlich steht § 2 Abs. 2 TV ATZ der Auslegung entgegen, der Arbeitgeber dürfe freiwillig und damit nach Belieben entscheiden, ob er mit einem Arbeitnehmer einen Altersteilzeitarbeitsvertrag abschließt. Danach können Altersteilzeitarbeitsverträge abgeschlossen werden, soweit betriebliche Belange nicht entgegenstehen und die Überlastquote des § 3 Abs. 1 Nr. 3 AltTZG nicht überschritten ist (negative Anspruchsvoraussetzungen). Diese Anspruchsbeschränkungen wären sinnlos, wenn der Arbeitgeber ohnehin frei über den Abschluss von Altersteilzeitarbeitsverträgen entscheiden dürfte. Im Übrigen wäre es widersprüchlich, wenn die Tarifvertragsparteien einerseits, wie hier in den §§ 4 bis 13 TV ATZ, detailliert regelten, welchen Inhalt Altersteilzeitarbeitsverhältnisse haben sollen, andererseits aber deren Umsetzung in das Belieben des jeweiligen Arbeitgebers gestellt hätten1.

Schließlich beschäftigt sich das Bundesarbeitsgerich auch mit den betrieblichen Gründe, die der Altersteilzeit des Arbeitnehmers entgegenstehen könnten (§ 2 Abs. 2 TV ATZ).

Die Arbeitgeberin beruft sich darauf, es sei schwieriger geworden, neue Mitarbeiter mit entsprechender Qualifikation zu gewinnen und die Stelle des Arbeitnehmers nachzubesetzen. Auch werde der Arbeitnehmer als guter Mitarbeiter weiter benötigt.

Das Argument, der Arbeitnehmer werde als guter Mitarbeiter weiter benötigt, trägt nicht. Das allgemeine Interesse des Arbeitgebers an Vertragskontinuität begründet keinen Ablehnungsgrund2. Der pauschale Vortrag, die Nachbesetzung sei schwierig, ist nicht ausreichend substanziiert. Allerdings ist der Arbeitgeberin nicht durch einen richterlichen Hinweis Gelegenheit gegeben worden, diesen Vortrag zu substanziieren und die der Altersteilzeit gegebenenfalls entgegenstehenden betrieblichen Belange zu konkretisieren. Nach Auffassung beider Vorinstanzen kam es hierauf nicht an, da sie schon einen tariflichen Anspruch verneint haben. Das Arbeitsgericht hat die Parteien bereits in der mündlichen Verhandlung vom 06.12 2012 darauf hingewiesen, dass der Abschluss von Altersteilzeitarbeitsverträgen freiwillig sei. Der Arbeitgeberin ist daher Gelegenheit zu geben, ihren Vortrag zu den entgegenstehenden betrieblichen Belangen zu konkretisieren.

Dasselbe gilt für die Frage, ob die Ablehnung der Arbeitgeberin billigem Ermessen gemäß § 315 BGB widerspricht.

Nach § 2 Abs. 1 TV ATZ können Arbeitnehmer, die das 55. Lebensjahr vollendet haben und die zusätzlichen dort genannten Voraussetzungen erfüllen, die Änderung des Arbeitsverhältnisses in ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber vereinbaren. Mit dem Begriff „können“ bringen die Tarifvertragsparteien regelmäßig zum Ausdruck, dass dem Arbeitnehmer kein uneingeschränkter Anspruch eingeräumt werden soll. Er hat lediglich Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber seinen Antrag auf Wechsel in die Altersteilzeit nach den Grundsätzen billigen Ermessens iSv. § 315 Abs. 1 BGB überprüft3.

Die Prüfung der angemessenen Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen ist in erster Linie Aufgabe der Tatsachengerichte, die dazu die Umstände des Einzelfalls abzuwägen und die hierfür erforderlichen Feststellungen zu treffen haben. Es spricht deshalb viel dafür, dass die Überprüfung der Ermessensentscheidung des Arbeitgebers durch das Tatsachengericht nur einer eingeschränkten Kontrolle des Revisionsgerichts unterliegt, nämlich dahin, ob der Rechtsbegriff „billiges Ermessen“ verkannt, der äußere Ermessensrahmen überschritten, innere Ermessensfehler begangen, unsachliche Erwägungen zugrunde gelegt oder wesentlicher Tatsachenstoff außer Acht gelassen worden ist4.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. Juni 2015 – 9 AZR 125/14

  1. zu diesem Argument vgl. BAG 20.01.2009 – 9 AZR 677/07, Rn. 48, BAGE 129, 131[]
  2. vgl. BAG 10.05.2005 – 9 AZR 294/04, Rn. 58[]
  3. BAG 10.05.2005 – 9 AZR 294/04, zu B II 2 b der Gründe; 3.12 2002 – 9 AZR 457/01, zu A II 2 a cc (2) und A II 2 a dd (1) der Gründe, BAGE 104, 55; 26.06.2001 – 9 AZR 244/00, zu II 2 der Gründe, BAGE 98, 114; 12.12 2000 – 9 AZR 706/99, zu B II 1 a der Gründe, BAGE 96, 363[]
  4. BAG 30.10.2001 – 9 AZR 426/00, zu II 4 b aa der Gründe, BAGE 99, 274; für uneingeschränkte Überprüfung: BAG 23.09.2004 – 6 AZR 567/03, zu IV 2 a der Gründe, BAGE 112, 80; 3.12 2002 – 9 AZR 457/01, zu A II 2 a cc (2) und A II 2 a dd (1) der Gründe, BAGE 104, 55[]