Technische Überwachungseinrichtungen – und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer

Eine Betriebsvereinbarung über eine „Belastungsstatistik“, die durch eine technische Überwachungseinrichtung iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dauerhaft die Erfassung, Speicherung und Auswertung einzelner Arbeitsschritte und damit des wesentlichen Arbeitsverhaltens der Arbeitnehmer anhand quantitativer Kriterien während ihrer gesamten Arbeitszeit vorsieht, stellt einen schwerwiegenden Eingriff in deren Persönlichkeitsrecht dar. Ein solcher Eingriff ist nicht durch überwiegend schutzwürdige Belange des Arbeitgebers gedeckt.

Technische Überwachungseinrichtungen – und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer

Die in der Betriebsvereinbarung (hier: Gesamtbetriebsvereinbarung – GBV) getroffenen Regelungen über die Erfassung und Speicherung der Bewegungsdaten der einzelnen Sachbearbeiter sowie deren Auswertung (Nr. 3.2 Abs. 1 und Abs. 2 iVm. Nr. 3.1 Abs. 2 GBV sowie Nr. 4.2 iVm. Nr. 4.1 GBV) verletzen die den Betriebsparteien nach § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG obliegende Pflicht, dem in Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen.

Der Spruch der Einigungsstelle ist allerdings nicht bereits deshalb unwirksam, weil diese ihrem Regelungsauftrag mangels in der GBV festzulegender „Maßnahmen des Gesundheitsschutzes“ nur unvollständig nachgekommen wäre. Das ist unzutreffend. Die Einigungsstelle war mangels eines entsprechenden Mitbestimmungsrechts gehindert, darauf gerichtete Regelungen zu beschließen.

Die Einigungsstelle ist nach § 87 Abs. 2 BetrVG befugt, in den Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG eine Regelung zu treffen. Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen. Das Mitbestimmungsrecht bezieht sich dabei auf Maßnahmen des Arbeitgebers zur Verhütung von Gesundheitsschäden, die Rahmenvorschriften konkretisieren. Es setzt ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv besteht und wegen Fehlens einer zwingenden Vorgabe betriebliche Regelungen verlangt, um das vom Gesetz vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen1.

Soweit der Gesamtbetriebsrat meint, die Einigungsstelle habe Regelungen über den Gesundheitsschutz auf Grundlage des § 3 ArbSchG treffen müssen, wird übersehen, dass die Anwendung dieser arbeitsschutzrechtlichen Generalklausel zumindest das Vorliegen von Gefährdungen verlangt, die entweder feststehen oder im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung festzustellen sind. Erst in einem solchen Fall werden konkrete gesetzliche Handlungspflichten des Arbeitgebers ausgelöst, deren Umsetzung einer Mitwirkung des Betriebsrats bedarf2.

Hiernach scheidet eine Regelungszuständigkeit der Einigungsstelle aus. Vorliegend fehlt es an einer Feststellung konkreter Gefährdungen, an denen die Einigungsstelle die getroffenen Regelungen hätte ausrichten müssen. Diese Beurteilung konnte die Einigungsstelle nicht vornehmen. Sie ist weder die nach § 13 Abs. 1 ArbSchG verantwortliche Person für die Erfüllung der sich ua. aus § 5 ArbSchG ergebenden Pflichten des Arbeitgebers noch können an sie Arbeitsschutzpflichten iSd. § 13 Abs. 2 ArbSchG delegiert werden3.

Der Spruch der Einigungsstelle ist aber deswegen unwirksam, weil er das nach Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer missachtet.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung garantiert. Zu den Normen, die es einschränken können, gehören auch die von den Betriebsparteien im Rahmen ihrer Regelungskompetenz geschlossenen Betriebsvereinbarungen. Damit einhergehende Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht sind am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen, der die den Betriebsparteien nach § 75 Abs. 2 BetrVG auferlegte Verpflichtung konkretisiert4.

Den Schutz des Persönlichkeitsrechts gebietet weiterhin der Normzweck des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bei der Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Er ist darauf gerichtet, Arbeitnehmer vor solchen Beeinträchtigungen ihres Persönlichkeitsrechts durch den Einsatz technischer Überwachungseinrichtungen zu bewahren, die nicht durch schützenswerte Belange des Arbeitgebers zu rechtfertigen oder unverhältnismäßig sind. Die auf technischem Wege erfolgende Ermittlung und Aufzeichnung von Informationen über Arbeitnehmer bei der Erbringung ihrer Arbeitsleistung bergen die Gefahr in sich, dass sie zum Objekt einer Überwachungstechnik gemacht werden, die anonym personen- oder leistungsbezogene Informationen erhebt, speichert, verknüpft und sichtbar macht5. Die Möglichkeiten, Einzelangaben über eine Person zu erheben, sie zu speichern sowie jederzeit abzurufen, sind geeignet, bei den Betroffenen einen psychischen Anpassungsdruck zu erzeugen, durch den sie in ihrer Freiheit, ihr Handeln aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu gestalten, wesentlich gehemmt werden6.

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Das zulässige Maß einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugunsten schützenswerter Belange eines anderen Grundrechtsträgers richtet sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser verlangt eine Regelung, die geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten und legitimen Zweck zu erreichen. Hierzu dürfen die Betriebsparteien nur solche Regelungen treffen, mit deren Hilfe ein solcher Zweck gefördert werden kann. Zu dessen Erreichung dürfen keine anderen, gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkende Mittel zur Verfügung stehen. Eine Regelung ist verhältnismäßig im engeren Sinn, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht7.

Nach diesen Grundsätzen beeinträchtigen die in der GBV geregelten Datenerhebungen und Auswertungen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmer unverhältnismäßig.

Die GBV soll nach ihrem Nr. 2 Abs. 1 dazu dienen „Ungleichgewichte in der Belastungssituation der Schadenaußenstellen, der Gruppen und der Mitarbeiter zu erkennen, zu analysieren und steuernd eingreifen zu können“ sowie eine vergleichende Analyse der Schadenaußenstellen untereinander zu ermöglichen, um Produktivitätsunterschiede zu erkennen. Diese Zwecke werden in Nr. 2 Abs. 2 und Abs. 3 GBV näher erläutert. Zu deren Umsetzung werden auf Grundlage der nach Nr. 3.2 GBV erfassten und gespeicherten „Bewegungsdaten“, deren Merkmale sich aus der Anlage 2 zur GBV ergeben, nach Maßgabe der Nr. 3.3 GBV „Auswertungen“ vorgenommen, die in 1-Wochen, 4-Wochen- und 26-Wochensichten für die Ebene der einzelnen Sachbearbeiter wöchentlich fortgeschrieben werden (Nr. 3.3 Abs. 1, Nr. 4.1 GBV). Eine Anzeige von Kennzahlen erfolgt auf der Ebene der Sachbearbeiter allerdings nur, wenn sich erhebliche Abweichungen iSd. Nr. 3.2 Abs. 2 GBV ergeben (Nr. 4.2 Abs. 1 GBV). Dann werden zudem die der Hauptkennzahl zugeordneten Analysekennzahlen und nach Maßgabe der Nr. 4.1 Abs. 6 GBV ggf. weitere Details hinsichtlich einzelner Kennzahlen – eine sog.01. und 2. Dimensionsebene – ausgewertet. Diese Kennzahlen messen das quantitative Ergebnis der erbrachten Leistung durch die einzelnen Sachbearbeiter anhand von festgelegten Schwellenwerten (Nr. 3.1 Abs. 3 Satz 4 GBV iVm. Anlage 2 Spalte 4 GBV, „Mitarbeiter-Varianz“), die sich aus dem durchschnittlichen Ergebnis der übergeordneten Organisationseinheit der „Gruppe“ ergeben, der ein Sachbearbeiter zugeordnet ist (Nr. 4.2 GBV).

Unter Berücksichtigung des Zwecks der GBV erweisen sich die Regelungen über Erfassung und Speicherung der Bewegungsdaten (Nr. 3.2 Abs. 1 GBV) sowie die jeweils wöchentlich stattfindenden Auswertungen für die Ebene der Sachbearbeiter (Nr. 4.2 GBV) iVm. den in Nr. 3 GBV niedergelegten Grundsätzen zu den Bewegungsdaten (Nr. 3.2 iVm. Nr. 3.1 Abs. 3 GBV sowie den Kennzahlen der Anlage 2 GBV und den Details nach Nr. 4.1 Abs. 6 GBV) als nicht angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne).

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Grundsätzlich handelt es sich um ein legitimes Anliegen eines Arbeitgebers, eine unterschiedliche Belastungssituation der Arbeitnehmer und deren Ursachen in Erfahrung zu bringen, um eine sach- und mitarbeitergerechte Arbeitssteuerung zu ermöglichen und die Effizienz der Arbeitsorganisation zu verbessern.

Es ist aber bereits zweifelhaft, ob das von der GBV eingesetzte Mittel der „Belastungsstatistik“ auf dieses Ziel gerichtet ist. Vielmehr wird die Erhebung solcher Daten gestattet, die ausschließlich die Erledigung von Arbeitsaufgaben erfassen, ohne Berücksichtigung des Schweregrads der konkreten Aufgabe und der Qualität des Arbeitsergebnisses. Es spricht daher schon Vieles dafür, dass die von der GBV eingesetzten Mittel als solche untauglich sind, den vorgegebenen Zweck zu fördern. Anhand der Kennzahlen wird nicht die „Belastungssituation“ der einzelnen Ebene, sondern deren Produktivität, das erzielte oder nicht erreichte (Anzahl der „Rückstände“ und „Zwangsabmeldungen“) Arbeitsergebnis, also die Leistung des einzelnen Sachbearbeiters ermittelt. Das verdeutlicht auch Nr. 1 der Anlage 2 GBV, wenn dort von „Transparenz über die erbrachten Leistungen“ und einer „unterdurchschnittlichen Leistung“ die Rede ist. Zudem erfolgen rein quantitative Erhebungen. Soweit bei der Hauptkennzahl Nr. 1 und der Analysekennzahl Nr. 10 die schriftlichen Arbeitsanstöße und die Summe der zugeteilten Vorgänge „gewichtet“ werden sollen, enthält die GBV hierzu keine Regelungen. Es bleibt weiterhin offen, wie unterschiedliche qualitative Arbeitsanforderungen und die Rahmenbedingungen (Nr. 2 Abs. 3 Satz 2 GBV) berücksichtigt werden. Gründe statistisch ermittelter Leistungsunterschiede erschließen sich aus der von der GBV erlaubten Datenerhebung und -verarbeitung nicht. Auch die Beteiligten konnten in der mündlichen Anhörung auf Nachfrage des Bundesarbeitsgerichts nicht erklären, dass die GBV Rückschlüsse auf deren Ursachen zulasse.

Zugunsten der Arbeitgeberin kann weiterhin davon ausgegangen werden, die erhobenen „Belastungsstatistiken“ seien für den Zweck der GBV erforderlich, auch wenn sich nicht erschließt, weshalb sich die GBV nicht auf deren stichprobenartigen Einsatz beschränkt und damit die von einer dauerhaften Überwachung ausgehenden Gefahren für das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer mildert. Allerdings steht der Erforderlichkeit der Maßnahme – anders als es der Gesamtbetriebsrat anführt – nicht entgegen, dass es den Gruppenleitern auch ohne die Sachbearbeiterberichte möglich sei, die ihnen zugeordneten Mitarbeiter auf Grundlage der Arbeitszeiterfassung und des jeweiligen „digitalen Arbeitskorbs“ zu überwachen und zu steuern. Dies trifft nicht zu. Der Gruppenleiter kann den „Arbeitskorb“ des einzelnen Sachbearbeiters mit den ihm zugewiesenen schriftlichen Arbeitsanstößen nur „tagesaktuell“ einsehen. Die Kennzahlen der Belastungsstatistik sollen jedoch eine Einschätzung der Gesamtarbeitssituation eines Sachbearbeiters über einen längeren Zeitraum (1 Woche, 4 und 26 Wochen) ermöglichen und weiterhin die der übergeordneten Arbeitsebenen erfassen. Ebenso kann nicht aufgrund der bestehenden Gesamtbetriebsvereinbarung „Telefoniemodell Schaden“ (GBV Telefonie) von einer fehlenden Erforderlichkeit der Maßnahme ausgegangen werden. Regelungszweck der GBV Telefonie ist die „Zusteuerung der Telefonate auf die anwesenden Mitarbeiterkapazitäten“ in den jeweiligen Schadenaußenstellen. Dem Gruppenleiter soll anhand des Monitoring ein Überblick über die aktuelle Telefonsituation gegeben werden (Nr. 7 GBV Telefonie), um bei Bedarf steuernd eingreifen zu können. Das Berichtswesen nach Nr. 8 Abs. 4 Satz 2 GBV Telefonie ist zudem grundsätzlich nur „gruppenbezogen“ ausgestaltet.

Die genannten Regelungen der GBV sind allerdings unverhältnismäßig im engeren Sinne. Sie stellen einen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmer dar, der durch schützenswerte Interessen der Arbeitgeberin nicht gerechtfertigt wird.

Die GBV regelt die lückenlose und dauerhafte sowie sehr detaillierte automatisierte Erfassung des wesentlichen Arbeitsspektrums der Sachbearbeiter (Nr. 1 Spiegelstrich 4 Anlage 2 GBV) anhand der in der Tabelle in der Anlage 2 GBV aufgeführten Haupt- und Analysekennzahlen. Erfasst werden sämtliche schriftlichen Bearbeitungsanstöße, also Schriftstücke, die gescannt dem „Arbeitskorb“ eines Sachbearbeiters zugewiesen werden, und die er bearbeitet hat (Hauptkennzahl 1). Zugleich wird die Anzahl der „rückständigen Korbtermine“, also die dem jeweiligen Sachbearbeiter zugewiesenen Vorgänge, zum jeweiligen Stichtag iSd. Nr. 3.3 Abs. 1 Satz 1 GBV erfasst und wöchentlich deren Altersstruktur („älter als zwei Wochen“, Analysekennzahl 6.2) festgehalten. Zudem wird bei den Kennzahlen 6.1 und 6.2 der Anlage 2 GBV nach der „1. Dimensionsebene“ iSd. Nr. 4.1 Abs. 6 GBV gespeichert, ob es sich um Neu, Team- oder Sachbearbeiterschäden handelt. Weitergehend wird die Summe der von ihm angelegten Teamschäden (Hauptkennzahl 2) sowie die der von ihm durchgeführten „Teamschäden-Schließungen“ (Analysekennzahl 7.1) und die Anzahl der Sachbearbeiterschäden (SB-Schäden) im eigenen Bestand (Hauptkennzahl 5) erhoben. Ebenfalls werden die Anzahl der „SSP-Vermittlungen“, also solcher, die im Bereich des bei der Arbeitgeberin bestehenden und als aufwändig eingestuften „Schadenservice PLUS“ (Hauptkennzahl 3.2) vorkommen, und die „SSP-Quote“ (Hauptkennzahl 3.1) des einzelnen Sachbearbeiters ermittelt. Noch detaillierter erfolgt die Datenerhebung im Bereich „Telefon“ als „Hauptauslöser der Bearbeitung“ (Nr. 1 Spiegelstrich 4 der Anlage 2 GBV). Die Datenerhebung und Auswertung erfasst weiterhin die Anzahl der geführten Telefongespräche und unterscheidet zwischen Servicegesprächen und nicht servicebezogenen externen Telefonaten (ODN) (Hauptkennzahl 4). Dabei wird zusätzlich die Telefonverfügbarkeitszeit (Analysekennzahl 8.1), die Dauer von beantworteten Gesprächen (Analysekennzahl 8.3), die Anzahl ausgehender Gespräche (Analysekennzahl 8.4), deren Dauer (Analysekennzahl 8.5), die Nachbearbeitungszeit je Gespräch (Analysekennzahl 8.2), die Anzahl der Zwangsabmeldungen (Analysekennzahl 8.6) sowie die Anzahl der Freistellungen (Analysekennzahl 8.7) im Zentraldialog (Nr. 3.1 Abs. 1 GBV) ermittelt. Bei der Hauptkennzahl 4 sowie den Analysekennzahlen 8.2 und 8.3 der Anlage 2 GBV wird nach Nr. 4.1 Abs. 6 GBV zusätzlich auf der „1. Dimensionsebene“ erfasst, ob es sich um Service- oder Direkttelefonie (ODN) handelt und auf der „2. Dimensionsebene“, ob eine Neuschaden- oder Folgebearbeitung vorliegt.

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Der einzelne Arbeitnehmer muss folglich während der gesamten Dauer seiner Arbeitszeit in der Schadenaußenstelle davon ausgehen, dass sein wesentliches Aufgabenspektrum auf elektronischem Wege anhand einer Vielzahl von quantitativen Kriterien (Haupt- und Analysekennzahlen) im Rahmen der einzelnen „Arbeitsauslöser“ durchgehend detailliert erfasst und einer Auswertung auf den Ebenen einer 1-Wochen, 4-Wochen- und 26-Wochensicht (Nr. 4.1 Abs. 3 GBV) zugeführt wird. Sämtliche Auswertungen werden wochenweise fortgeschrieben und stehen jeweils am Ende einer Arbeitswoche zur Verfügung (Nr. 3.3 Abs. 1 GBV). Dies führt zu einem ständigen Überwachungs- und daran anknüpfenden Anpassungs- und Leistungsdruck in allen wesentlichen Arbeitsbereichen.

Durch die in der GBV vorgesehene Auswertung im Rahmen eines Sachbearbeiterberichts nach Nr. 4.2 GBV werden anhand der Hauptkennzahlen die Arbeitsergebnisse seiner Tätigkeit abgebildet und entsprechend der Kennzahlen quantifiziert dargestellt. Gemäß Nr. 3.2 Abs. 2 Satz 2 GBV wird zudem „der individuell von einem Sachbearbeiter erreichte Wert in ein Verhältnis zu dem entsprechenden Durchschnittswert aller Sachbearbeiter der Gruppe“ gesetzt und damit anhand des jeweiligen Gruppendurchschnitts der Hauptkennzahlen bewertet („erhebliche Abweichung“). Zwar werden nach Nr. 4.2 Abs. 2 GBV im Sachbearbeiterbericht zunächst alle Kennziffern „leer dargestellt“. Kommt es aber zu „erheblichen Abweichungen“ in einer Hauptkennzahl vom Gruppendurchschnitt, wird dem Gruppenleiter diese einschließlich der Analysekennzahlen und ggf. der in Nr. 4.1 Abs. 6 GBV beschriebenen Details angezeigt. Diese sind dann auch „Indikatoren für die Leistung und das Verhalten des einzelnen Mitarbeiters im Kontext seiner Arbeitsbedingungen“ (Nr. 5 Abs. 2 Satz 1 GBV) und können nach den in Nr. 5.1 Abs. 1 GBV beschriebenen Maßgaben dazu führen, dass der Gruppenleiter ein Mitarbeitergespräch mit dem betreffenden Sachbearbeiter zu führen hat (Nr. 5.1 Abs. 2 GBV). Werden in diesem Zusammenhang Maßnahmen festgelegt, kann zudem die Auswertung der 1-Wochensicht herangezogen werden. Unabhängig davon können der Gruppenleiter und der jeweilige Sachbearbeiter auf diese 1-Wochensicht zugreifen (Nr. 3.2 Abs. 3 GBV). Es ist weiterhin nicht ausgeschlossen, dass ungeachtet der Voraussetzungen der Nr. 5.1 Abs. 1 GBV der Gruppenleiter „erhebliche Abweichungen“ zum Anlass nimmt, diese mit dem betroffenen Sachbearbeiter, auch iSd. Nr. 5.1 Abs. 2 GBV, zu besprechen.

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Das wesentliche Arbeitsverhalten und die Arbeitsleistung des einzelnen Sachbearbeiters unterliegt damit durch die Kennzahlen einer detaillierten quantitativen Beobachtung, die am Ende jeder Arbeitswoche anhand der zu erstellenden 1-Wochen, 4-Wochen- und 26-Wochensichten stets eine erneute – mit den Ergebnissen der Gruppe vergleichende – Auswertung erfährt. Dadurch steht der Sachbearbeiter unter ständiger Beobachtung. Dies erzeugt einen schwerwiegenden und zudem dauerhaften Anpassungsdruck, möglichst in allen maßgebenden Arbeitsbereichen in Bezug auf die Kennzahlen unauffällig zu arbeiten, um nicht aufgrund „erheblicher Abweichungen“ später Personalgesprächen oder gar personellen Maßnahmen ausgesetzt zu sein8. Dieser „Druck“ wird nicht durch Nr. 5 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 GBV relativiert, weil der jeweilige Sachbearbeiter zunächst allein aufgrund der ausgewiesenen „erheblichen Abweichung“ iSd. GBV „auffällig“ wird.

Darüber hinaus ist der Sachbearbeiter einem Erfassungs- und Auswertungssystem unterworfen, bei dem er nicht einmal erkennen kann, ob sein Arbeitsergebnis bei den Hauptkennzahlen erheblich abweicht. Durch die Orientierung des Schwellenwertes, der zur Ermittlung von erheblichen Abweichungen maßgebend ist, an das Durchschnittsergebnis bei der jeweiligen Kennzahl „seiner“ Gruppe kann er nicht verlässlich einschätzen, ob bei ihm eine Abweichung vorliegt, die zu einer Anzeige iSd. Nr. 4.2 Abs. 2 Satz 2 GBV führt. Die wöchentliche Fortschreibung der für Abweichungen maßgebenden 1-Wochen, 4-Wochen- und 26-Wochen-Auswertungen (Nr. 3.3 Abs. 1 iVm. Nr. 4.2 Abs. 2 GBV) erfolgt jeweils retrospektiv am Ende der jeweiligen Arbeitswoche „mit den Werten dieser Woche“, die dem Sachbearbeiter nicht bekannt sind. Er kann auch anhand seiner eigenen Bewegungsdaten aus der Vorwoche (Nr. 3.2 Abs. 3 GBV) nicht erkennen, ob er sich mit seinem Arbeitsergebnis bei der jeweiligen Hauptkennzahl innerhalb des für ihn maßgebenden Schwellenwertes der Gruppe für den Auswertungszeitraum bewegt, selbst wenn ihm eine Abweichung angezeigt wurde, weil die Auswertung retrospektiv erfolgt. Weiterhin ist eine „erhebliche Abweichung“ nicht von einem fest bestimmten Wert abhängig, sondern von der jeweiligen Zusammensetzung der Gruppe und deren Ergebnissen. Weder auf deren Größe noch auf ihre Zusammensetzung hat der Arbeitnehmer einen Einfluss. Eine Veränderung der Gruppenzusammensetzung kann aber dazu führen, dass bei einem Sachbearbeiter trotz gleichbleibender Leistung „erhebliche Abweichungen“ vorliegen. Soweit die Arbeitgeberin anführt, der Sachbearbeiter kenne „seine“ Gruppe als Arbeitsumfeld und er könne die erbrachte Leistung einschätzen, bleibt offen, wie ihm dies möglich sein soll. Ihr weiteres Argument, der Sachbearbeiter werde in „seiner Gruppe“ an seinen Leistungen gemessen und es entstünden Konflikte, wenn ein Mitarbeiter permanent unterstützt werden müsse, wird von den Zwecken der GBV nicht getragen. Diese soll neben dem Erkennen von Ungleichgewichten in der Belastungssituation der einzelnen Ebenen eine sach- und mitarbeitergerechte Arbeitssteuerung ermöglichen (Nr. 2 Abs. 1 GBV), nicht aber eine Gruppenerwartung an ein quantitatives Ergebnis eines Gruppenmitglieds.

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Es werden zudem nur die „Abweichungen“ ausgewiesen, nicht aber die Durchschnittswerte aller Hauptkennzahlen. Das hat zur Folge, dass ein Sachbearbeiter, der nur in einer Hauptkennzahl erheblich abweicht, in den anderen Hauptkennzahlen aber über dem Gruppendurchschnitt liegt, im Sachbearbeiterbericht ausgewiesen wird, während derjenige, der in allen Hauptkennzahlen deutlich unterhalb des Gruppendurchschnitts liegt, ohne hierbei erheblich iSv. Nr. 3.2 Abs. 2 GBV abzuweichen, dem Gruppenleiter überhaupt nicht „angezeigt“ wird (Nr. 4.2 Abs. 2 GBV). Dem einzelnen Sachbearbeiter erschließt sich aufgrund des Berichts außerdem nicht, wie sich „seine“ anderen Hauptkennzahlen im Verhältnis zum Gruppendurchschnitt darstellen.

Für diesen schwerwiegenden dauerhaften Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer gibt es keine hinreichende Rechtfertigung. Er wird nicht durch überwiegend schutzwürdige Belange der Arbeitgeberin gedeckt.

Die Arbeitgeberin hat zwar grundsätzlich ein berechtigtes Interesse daran, die Belastungssituation der Arbeitnehmer zu erfassen und zu analysieren, um ihre Arbeitsabläufe umzugestalten und zu effektuieren.

Vorliegend führt aber die in der GBV vorgesehene Überwachung durch eine technische Einrichtung dauerhaft zu einer nahezu lückenlosen Erfassung einzelner Arbeitsschritte des betreffenden Sachbearbeiters während seiner gesamten Arbeitszeit. Anders als die Arbeitgeberin meint, wird dieser Eingriff nicht durch den zeitlich befristeten Zugriff auf die einzelnen Auswertungen (Nr. 4.7 GBV) und die grundsätzlich gebotene Vernichtung von Gesprächsprotokollen (Nr. 5.1 Abs. 4 GBV) entsprechend der Fristen nach Nr. 4.7 Abs. 1 und Abs. 3 GBV sowie die Löschung aller mitarbeiterbezogenen Daten und der daraus generierten Berichte spätestens nach 400 Tagen (Nr. 9 Abs. 1 GBV) (teilweise) kompensiert. Dies übersieht, dass die betroffenen Arbeitnehmer durch Aufzeichnung der Bewegungsdaten und deren Auswertung anhand der Haupt- und Analysekennzahlen dem geschilderten Überwachungs- und Anpassungsdruck aufgrund der wöchentlich fortgeschriebenen Auswertungen zeitlich unbefristet ausgesetzt sind. Auch das Berechtigungskonzept hindert nicht die Schwere des Eingriffs. Jedenfalls dem Gruppenleiter als unmittelbaren Vorgesetzten werden Abweichungen bei einer Hauptkennzahl stets angezeigt (Nr. 3.2 Abs. 3 GBV).

Die Einigungsstelle hat sich – ausgehend von der Zielsetzung der GBV – nicht etwa darauf beschränkt, zeitlich befristet und beispielsweise begrenzt auf Schadenaußenstellen, bei denen für einen konkreten Zeitraum erhebliche Abweichungen zur durchschnittlichen oder einer von ihr erwarteten Produktivität ausgemacht wurden, spezifische Erhebungen durchzuführen, die hätten geeignet sein können, einen damit verbundenen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht aller Arbeitnehmer zu begrenzen. Durch die von ihr gewählte Methode werden sämtliche Arbeitnehmer, unabhängig davon, ob ihre Belastung und ihre Leistung der Zielsetzung einer „mitarbeitergerechten Arbeitssteuerung“ (Nr. 2 Abs. 1 Satz 2 GBV) bereits entsprechen würde, einer umfassenden Überwachung durch das Erfassen und das Speichern ihrer Bewegungsdaten und deren Auswertung ausgesetzt.

Die Unwirksamkeit der Regelung über die Erfassung und Speicherung der einzelnen „Bewegungsdaten“ iSd. Nr. 3.2 Abs. 1 GBV führt zugleich dazu, dass die darauf gestützten Bestimmungen der GBV über die weiteren Auswertungen gemäß Nr. 4.3 bis Nr. 4.5 GBV (Gruppenbericht, SAS-Bericht, DB-Bericht) unwirksam sind. Nr. 4 GBV führt zu keinem anderen Ergebnis. Soweit dort geregelt ist, dass eine „weitgehende Anonymisierung der mitarbeiterbezogenen Daten“ erfolgt, erfasst dies, wie die Auslegung der GBV ergibt, nicht die Erfassung und das Speichern der Bewegungsdaten iSd. Nr. 3.2 Abs. 1 GBV, weil anderenfalls eine Auswertung für einen Sachbearbeiterbericht nach Nr. 4.2 GBV nicht möglich wäre. Das zeigt neben Nr. 3.2 Abs. 1 Satz 3 GBV die systematische Stellung von Nr. 4 GBV – „Auswertungsdetails“ – sowie Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 GBV. Danach bezieht sich die „weitgehende“ und nicht im Einzelnen festgelegte Anonymisierung auf die „Gruppe“ als „kleinste Auswertungsdimension“. Lediglich bei den Auswertungen auf der Ebene der Gruppe – dort mit Ausnahme der Regelung in Nr. 4.3 Abs. 2 Spiegelstrich 3 GBV, der Schadenaußenstellen und des Direktionsberichts (Nr. 4.3 bis Nr. 4.5 GBV) kommt es zu einer Anonymisierung der Darstellung in den einzelnen Berichten, die die Auswertungen in Bezug auf einzelne Sachbearbeiter nicht zum Gegenstand haben.

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Die Unwirksamkeit der genannten Bestimmungen der GBV hat die des gesamten Einigungsstellenspruchs zur Folge9. Der verbleibende Teil der GBV stellt ausgehend von ihrer Zielsetzung ohne die Ausgestaltung über die Erfassung und Speicherung der Bewegungsdaten der einzelnen Sachbearbeiter und die darauf gestützten Auswertungsberichte keine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung mehr dar. Die Bestimmungen über die Eskalationsstufen (Nr. 4.6 GBV) sowie diejenigen über die Personalsteuerung und die Führungsverantwortungen von Gruppen- und Schadenaußenstellenleitern sowie der Direktionsbevollmächtigten (Nr. 5 GBV) einschließlich der damit verbundenen Konfliktregelung nach Nr. 7 GBV ebenso wie die in Nr. 6 GBV vorgesehene Qualifizierung anlässlich der Einführung der GBV bauen auf den Berichten nach Nr. 4.2 bis Nr. 4.5 GBV auf. Deshalb kann vorliegend dahinstehen, ob für die nachfolgenden Regelungen der GBV jeweils ein zwingendes Mitbestimmungsrecht des Gesamtbetriebsrats besteht.

Ist die GBV bereits aus Rechtsgründen unwirksam, bedarf es keiner Entscheidung, ob der Gesamtbetriebsrat die Zwei-Wochen-Frist des § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG gewahrt hat und zur Geltendmachung eines Ermessensfehlgebrauchs der Einigungsstelle berechtigt war. Deshalb muss das Bundesarbeitsgericht nicht darüber befinden, ob der Gesamtbetriebsrat am 21.06.2012 einen unwirksamen „Vorratsbeschluss“ gefasst haben soll, weil – wie es das Landesarbeitsgericht angenommen hat – die Anfechtung eines Spruchs der Einigungsstelle erst ab dessen „Existenz“ beschlossen werden könne. Weiterhin kann offenbleiben, ob die Auffassung der Beschwerdeinstanz zutreffend ist, durch den nachfolgenden Beschluss des Gesamtbetriebsrats vom 01.08.2012 werde die zweiwöchige Frist des § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG trotz rechtzeitig eingegangener Antragsbegründungsschrift nicht gewahrt. Dagegen spricht, dass der Zweck der materiell-rechtlichen Ausschlussfrist, binnen kurzer Zeit Klarheit darüber zu erlangen, ob eine Anfechtung auf Ermessensfehler gestützt wird10, auch in den Fällen gewahrt wird, in denen eine entsprechend begründete und innerhalb der Zwei-Wochen-Frist eingehende Antragsschrift Ermessensfehler benennt.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 25. April 2017 – 1 ABR 46/15

  1. st. Rspr., etwa BAG 30.09.2014 – 1 ABR 106/12, Rn. 13 mwN[]
  2. ausführlich BAG 28.03.2017 – 1 ABR 25/15, Rn.20 ff.[]
  3. BAG 28.03.2017 – 1 ABR 25/15, Rn. 23[]
  4. BAG 15.04.2014 – 1 ABR 2/13 (B), Rn. 40 mwN, BAGE 148, 26[]
  5. BAG 13.12 2016 – 1 ABR 7/15, Rn. 21 mwN[]
  6. BAG 26.08.2008 – 1 ABR 16/07, Rn. 15 mwN, BAGE 127, 276[]
  7. BAG 15.04.2014 – 1 ABR 2/13 (B), Rn. 41 mwN, BAGE 148, 26[]
  8. sh. auch BAG 26.08.2008 – 1 ABR 16/07, Rn. 29 mwN, BAGE 127, 276[]
  9. BAG 9.07.2013 – 1 ABR 19/12, Rn. 39 mwN, BAGE 145, 330[]
  10. BAG 26.05.1988 – 1 ABR 11/87, zu B I 2 d bb der Gründe[]