Auszubildende eines reinen Ausbildungsbetriebs, die ihre praktische Ausbildung vollständig oder teilweise in dem Betrieb eines anderen Unternehmens des Konzerns absolvieren, sind berechtigt, an Betriebsversammlungen in diesem Einsatzbetrieb teilzunehmen.

Die der Einsatzarbeitgeberin zur praktischen Ausbildung zugewiesenen Auszubildenden sind berechtigt, an den von den jeweils für ihren Standort zuständigen Betriebsräten einberufenen Betriebsversammlungen teilzunehmen. Ein solches Recht folgt allerdings nicht unmittelbar aus §§ 42, 44 BetrVG. Die der Einsatzarbeitgeberin zugeordneten Auszubildenden gehören mangels eines mit ihr geschlossenen Vertragsverhältnisses nicht im Sinne von § 42 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BetrVG zu den Arbeitnehmern des Einsatzbetriebs. Es besteht insoweit jedoch eine gesetzliche Regelungslücke, die durch eine entsprechende Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 AÜG zu schließen ist.
Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Halbs 1 BetrVG besteht die Betriebsversammlung aus den Arbeitnehmern des Betriebs. Arbeitnehmer im Sinne der Vorschrift sind nach § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG Arbeiter und Angestellte einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG umfasst nur solche Personen, mit denen der Ausbildende einen auf die Ausbildung gerichteten Vertrag geschlossen hat1. Daneben setzt die Arbeitnehmereigenschaft eines zu seiner Berufsausbildung Beschäftigten im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG voraus, dass dieser in den Betrieb des Ausbildenden eingegliedert ist2. Hiernach gehören die der Einsatzarbeitgeberin zur praktischen Ausbildung zugewiesenen Auszubildenden nicht zu deren Arbeitnehmern. Es fehlt an dem hierzu erforderlichen Vertragsverhältnis zwischen ihnen und der Einsatzarbeitgeberin.
Das BetrVG enthält für Auszubildende, die zu dem Inhaber eines reinen Ausbildungsbetriebs in einem Vertragsverhältnis stehen und von diesem zur praktischen Ausbildung in den Betrieb eines anderen Betriebsinhabers entsandt werden, hinsichtlich der dort stattfindenden Betriebsversammlungen eine unbewusste, planwidrige Regelungslücke. Diese ist durch die entsprechende Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 AÜG zu schließen.
Der Gesetzgeber hat die atypische Situation, in welcher der Inhaber eines reinen Ausbildungsbetriebs die Auszubildenden zur praktischen Ausbildung zeitweilig in den Betrieb eines anderen Arbeitgebers entsendet, hinsichtlich der dort stattfindenden Betriebsversammlungen nicht geregelt. Er hat zwar in § 51 Abs. 1 BBiG die Möglichkeit der Wahl einer besonderen Interessenvertretung vorgesehen3. Dies betrifft aber nicht die Frage der Teilnahme von Auszubildenden an Betriebsversammlungen in Betrieben, in die sie zur praktischen Ausbildung entsendet werden.
Die Regelungslücke ist planwidrig und ersichtlich vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt.
Betriebsversammlungen dienen vor allem der Kommunikation zwischen Betriebsrat und Belegschaft4. Auf ihnen können alle in § 45 Satz 1 BetrVG genannten Angelegenheiten behandelt werden. Nach § 45 Satz 2 BetrVG können dem Betriebsrat Anträge unterbreitet, und es kann zu seinen Beschlüssen Stellung genommen werden. Das Erfordernis der wechselseitigen Kommunikation zwischen Betriebsrat und Belegschaft betrifft nach der gesetzlichen Konzeption auch Arbeitnehmer, die zwar nicht in einem Vertragsverhältnis zum Arbeitgeber stehen, aber zum Zwecke der Arbeitsleistung in dessen Betrieb eingegliedert sind. Das macht insbesondere § 14 Abs. 2 Satz 2 AÜG deutlich. Danach sind Leiharbeitnehmer ua. berechtigt, an den Betriebsversammlungen im Entleiherbetrieb teilzunehmen. Damit trägt der Gesetzgeber ersichtlich dem Umstand Rechnung, dass es im Entleiherbetrieb zahlreiche Themen gibt, die zu den in § 45 Satz 1 BetrVG genannten Angelegenheiten gehören und die nicht nur für die Vertragsarbeitnehmer des Inhabers des Entleiherbetriebs, sondern ebenso für die dort beschäftigten Leiharbeitnehmer von Bedeutung sind. Dazu gehören zB Fragen der Ordnung des Betriebs (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG), der betrieblichen Arbeitszeitgestaltung (§ 87 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 BetrVG), die Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen zur Überwachung von Verhalten und Leistung der Arbeitnehmer (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG) sowie Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten und über den Gesundheitsschutz (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG).
Auszubildende, die mit dem Inhaber eines reinen Ausbildungsbetriebs ein Vertragsverhältnis haben und von diesem zur praktischen Ausbildung in den Betrieb eines anderen Betriebsinhabers entsandt werden, befinden sich – jedenfalls unter den vorliegenden Umständen – hinsichtlich der Teilnahme an Betriebsversammlungen im Einsatzbetrieb in einer vergleichbaren Lage wie Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb. Auch sie nehmen in erheblichem Umfang am betrieblichen Geschehen teil, ohne zu den Arbeitnehmern im Sinne von § 42 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BetrVG zu gehören. Auch sie sind in erheblichem Umfang von Themen betroffen, die in Betriebsversammlungen erörtert werden können. Bereits der Einsatz des Auszubildenden im Einsatzbetrieb stellt sich für diesen als mitbestimmungspflichtige Einstellung im Sinne von § 99 Abs. 1 BetrVG dar5. Der Inhaber des Einsatzbetriebs nimmt während des praktischen Einsatzes der Auszubildenden in seinem Betrieb diesen gegenüber jedenfalls einen Teil der Arbeitgeberstellung wahr. Er besitzt zumindest insoweit Personalhoheit, wie er den Auszubildenden durch seine betrieblichen Fachkräfte Anweisungen hinsichtlich Ort und Zeit ihrer Tätigkeit erteilt6. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 MTV Azb richtet sich die regelmäßige wöchentliche Ausbildungszeit nach der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der vollbeschäftigten Arbeitnehmer des jeweiligen Betriebs. Nach § 25 Abs. 2 MTV Azb werden Beginn und Ende der täglichen Ausbildungszeit und der Pausen betrieblich im Einvernehmen mit dem Betriebsrat des jeweiligen Einsatzbetriebs entsprechend § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG geregelt. Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 MTV Azb können durch Betriebsvereinbarung des Einsatzbetriebs Regelungen zur Ausbildungszeit geschlossen werden. Demgemäß haben der ehemals für die Region NordWest errichtete Betriebsrat und die Arbeitgeberin die BV Az vom 24.10.2007 geschlossen, die Regelungen zur Arbeitszeit der Auszubildenden enthält. Auch die Überwachungspflicht des Betriebsrats des Einsatzbetriebs nach § 75 Abs. 1 BetrVG erstreckt sich auf die im Einsatzbetrieb beschäftigten Auszubildenden.
Der Gesetzgeber hat diese planwidrige Regelungslücke ersichtlich nicht beabsichtigt. Er hat erkennbar die außergewöhnliche Situation eines auf diese Weise „aufgespaltenen Ausbildungsverhältnisses“ nicht im Auge gehabt.
Die Regelungslücke ist durch die entsprechende Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 AÜG zu schließen. Diese für Leiharbeitnehmer geltende Regelung entspricht unter den vorliegenden Umständen der Interessenlage im Verhältnis von Stammarbeitgeberin, Einsatzarbeitgeberin, Betriebsrat im Einsatzbetrieb und Auszubildenden. Die Ausfüllung der gesetzlichen Regelungslücke ist nicht wegen des TV 122 entbehrlich. Zum einen ist ein Tarifvertrag rechtssystematisch nicht geeignet, eine gesetzliche Regelungslücke zu schließen. Zum anderen regelt der TV 122 kein Teilnahmerecht der Auszubildenden im Einsatzbetrieb. Der TV 122 schafft allerdings in einem gesetzlich nicht geregelten Bereich eigene Vertretungsstrukturen und Kompetenzen. Er greift dazu nicht in gesetzliche Organisationsstrukturen und Befugnisse von Vertretungsgremien ein und begegnet deshalb keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken7. Er sieht die Bildung eines Vertretungsgremiums für die Auszubildenden im Stammbetrieb vor und schließt damit die Vertretungslücke, die dadurch entsteht, dass die Auszubildenden – mangels Eingliederung – nicht zu den Arbeitnehmern dieses reinen Ausbildungsbetriebs gehören. Auch haben die Auszubildendenvertretungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 TV 122 grundsätzlich die gleichen Rechte wie die Jugend- und Auszubildendenvertretungen nach dem BetrVG und daher auch das Recht, Auszubildendenversammlungen durchzuführen (vgl. § 71 BetrVG). Das Teilnahmerecht an Versammlungen der Auszubildendenvertretungen kann jedoch ein Recht zur Teilnahme an Betriebsversammlungen im Einsatzbetrieb nicht ersetzen. Hierdurch wird keine betriebsöffentliche Kommunikation zwischen den Auszubildenden und dem Betriebsrat des Einsatzbetriebs ermöglicht.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 24. August 2011 – 7 ABR 8/10
- vgl. BAG 13.06.2007 – 7 ABR 44/06, Rn. 13 mwN, AP BetrVG 1972 § 5 Nr. 12 = EzA BetrVG 2001 § 5 Nr. 2[↩]
- vgl. BAG 13.06.2007 – 7 ABR 44/06, Rn. 14 mwN, aaO[↩]
- vgl. dazu BAG 13.06.2007 – 7 ABR 44/06, Rn 21 ff. mwN, AP BetrVG 1972 § 5 Nr. 12 = EzA BetrVG 2001 § 5 Nr. 2[↩]
- vgl. BAG 27.06.1989 – 1 ABR 28/88 – zu B II 2 b aa der Gründe, BAGE 62, 192[↩]
- vgl. BAG 30.09.2008 – 1 ABR 81/07, Rn. 18 f., EzA BetrVG 2001 § 99 Einstellung Nr. 10[↩]
- vgl. BAG 30.09.2008 – 1 ABR 81/07, Rn.19, aaO[↩]
- vgl. BAG 24.08.2004 – 1 ABR 28/03 – zu B I 1 b der Gründe, BAGE 111, 350; 13.08.2008 – 7 AZR 450/07, Rn. 32[↩]