Überstundenvergütung – und der erforderliche Klagevortrag

Verlangt der Arbeitnehmer Überstundenvergütung, hat er im Prozess die Leistung solcher und deren Veranlassung durch den Arbeitgeber darzulegen. Vom Erfordernis der arbeitgeberseitigen Veranlassung ist nicht wegen der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Pflicht des Arbeitgebers zur Einrichtung eines Systems zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit1 abzurücken.

Überstundenvergütung – und der erforderliche Klagevortrag

Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf Vergütung von weiteren Überstunden nach § 611a Abs. 2 BGB (bzw. bis 31.03.2017 § 611 Abs. 1 BGB) oder § 612 Abs. 1 BGB, wenn er hat zwar den Umfang der geleisteten Überstunden schlüssig dargelegt hat, nicht jedoch deren Veranlassung durch die Arbeitgeberin.

So auch in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall: Der Arbeitnehmer hat die Leistung der geltend gemachten Überstunden ausreichend dargelegt.

Verlangt der Arbeitnehmer Arbeitsvergütung für Überstunden, hat er darzulegen und – im Bestreitensfall, zu beweisen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang verrichtet hat. Dabei genügt der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast, wenn er schriftsätzlich vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. Mit dem Vortrag, zu bestimmten Zeiten gearbeitet zu haben, behauptet der Arbeitnehmer regelmäßig zugleich, während der genannten Zeiten die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht zu haben. Das ist für die erste Stufe der Darlegung ausreichend2. Auf diesen Vortrag muss der Arbeitgeber im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast substantiiert erwidern und im Einzelnen vortragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat, und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen – nicht – nachgekommen ist. Trägt er nichts vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein, gelten die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Arbeitsstunden gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden3.

Diesen Anforderungen genügt der Sachvortrag des Arbeitnehmers. Er hat mit der Auflistung der Arbeitszeiten für jeden einzelnen Tag des Streitzeitraums angegeben, von wann bis wann er gearbeitet haben will. Der Arbeitnehmer hat vorgetragen, er habe keinerlei Pausen gemacht und damit behauptet, sämtliche von ihm angegebenen Zeiten seien zu vergütende Arbeitszeiten. Dabei hat er die behauptete Überstundenleistung auf die technische Zeitaufzeichnung der Arbeitgeberin gestützt4. Aus dieser ergibt sich ein Saldo zugunsten des Arbeitnehmers in Höhe von 348 Stunden. Dass der Arbeitnehmer behauptet hat, keinerlei Pausen gemacht zu haben, mag zwar „lebensfern“ sein, gleichwohl hat der Arbeitnehmer damit zunächst in ausreichender Weise behauptet, dass sämtliche von ihm angegebenen Zeiten Arbeitszeiten im vergütungsrechtlichen Sinne seien. Von der Substantiierung des Tatsachenvortrags zu trennen ist dessen Glaubhaftigkeit und die Glaubwürdigkeit des Arbeitnehmers. Auch ein substantiiertes Lügen änderte nichts an der Substanz des Tatsachenvortrags. Es obliegt vornehmlich den Tatsacheninstanzen, unbeschadet einer etwaigen Einlassung des Arbeitgebers im Rahmen des § 286 Abs. 1 ZPO die Glaubhaftigkeit des Sachvortrags des Arbeitnehmers und dessen Glaubwürdigkeit zu beurteilen5. Diesen Fragen mussten die Vorinstanzen im vorliegenden Fall nicht nachgehen, weil die Stundenzahl zwischen den Parteien nicht streitig ist.

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat in der Berufungsinstanz zutreffend angenommen, dass der Arbeitnehmer die Veranlassung der Überstundenleistung durch die Arbeitgeberin nicht dargelegt hat6. Eine solche Veranlassung ist erforderlich.

Der Arbeitgeber ist nach § 611a Abs. 2 BGB (bzw. bis 31.03.2017 nach § 611 Abs. 1 BGB) zur Gewährung der vereinbarten Vergütung für die vereinbarte Arbeitsleistung verpflichtet. Legen die Parteien einen bestimmten zeitlichen Umfang der zu erbringenden Arbeitsleistung fest, betrifft die Entgeltzahlungspflicht zunächst (nur) die Vergütung der vereinbarten Normalarbeitszeit. Erbringt der Arbeitnehmer Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang, ist der Arbeitgeber zu deren Vergütung nur verpflichtet, wenn er die Leistung von Überstunden veranlasst hat oder sie ihm zumindest zuzurechnen ist. Denn der Arbeitgeber muss sich Leistung und Vergütung von Überstunden nicht aufdrängen lassen, und der Arbeitnehmer kann nicht durch überobligatorische Mehrarbeit seinen Vergütungsanspruch selbst bestimmen7. Es ist vielmehr grundsätzlich Sache des Arbeitgebers, im Rahmen der vertraglichen Vereinbarungen und seines Direktionsrechts nach § 106 GewO dem Arbeitnehmer in qualitativer und quantitativer Hinsicht die zu erbringende Arbeitsleistung zuzuweisen. Der Arbeitnehmer kann sich nicht über die vertraglichen Vereinbarungen hinaus selbst Arbeit „geben“ und seinen Arbeitsumfang erhöhen8. Für die arbeitgeberseitige Veranlassung und Zurechnung als – neben der Überstundenleistung – weitere Voraussetzung eines Anspruchs auf Überstundenvergütung müssen Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sein9. Auch für diese Voraussetzung trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast10.

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An dieser Rechtsprechung ist trotz der im Schrifttum geäußerten Kritik11 festzuhalten.

Das Erfordernis der Zurechnung folgt aus der synallagmatischen Verknüpfung von Arbeitspflicht und Vergütungspflicht, wie sie in § 611a BGB (bzw. für Vergütungsansprüche bis zum 31.03.2017 in § 611 Abs. 1 BGB) zum Ausdruck kommt. Der einem Arbeitsverhältnis zugrundeliegende Arbeitsvertrag ist ein Austauschvertrag, dessen Hauptleistungspflichten im Synallagma stehen12. Dabei ist der Arbeitnehmer nach § 611a Abs. 1 BGB zur Leistung weisungsgebundener Arbeit und der Arbeitgeber nach § 611a Abs. 2 BGB zur Leistung der versprochenen Vergütung verpflichtet. Der Arbeitgeber verspricht die Vergütung aller Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Weisungsrechts abverlangt13. Die Zurechenbarkeit der erbrachten Arbeitsleistung steht deshalb in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers14.

Das Erfordernis der Zurechenbarkeit zeigt sich auch in der Regelung des § 612 Abs. 1 BGB. Danach gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Ohne dass die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung vom Arbeitgeber durch Anordnung, Duldung, Billigung oder zugewiesene Arbeitsmenge veranlasst ist und ihm deshalb zugerechnet werden kann, bestehen keine Umstände, die eine berechtigte Vergütungserwartung des Arbeitnehmers begründen, weil sich der Arbeitgeber keine zu vergütende Arbeitsleistung aufdrängen lassen muss15. Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass jede (Mehr-)Leistung zu vergüten ist, gibt es nicht16. Entscheidet sich der Arbeitnehmer aus freien Stücken ohne jede arbeitgeberseitige Veranlassung zu einer überobligatorischen Leistung, entspricht dies nicht dem vertraglich Vereinbarten und dem Konzept des Arbeitgebers, der den Betriebsablauf gestaltet, weshalb der Arbeitnehmer für eine solche Leistung keine zusätzliche Vergütung erwarten kann17.

Vom Erfordernis der arbeitgeberseitigen Veranlassung und Zurechnung von Überstunden ist auch nicht vor dem Hintergrund der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Pflicht des Arbeitgebers zur Einrichtung eines Systems zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit1 abzurücken. Die Pflicht zur Messung der Arbeitszeit hat keine Auswirkung auf die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess.

Dahinstehen kann, ob und inwieweit nach dieser Rechtsprechung eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung unmittelbar aus Art. 31 Abs. 2 GRC iVm. Vorschriften der Richtlinie 2003/88/EG folgt und nationale Vorschriften, die bisher kein System zur Messung aller Arbeitszeiten vorsehen, unangewendet bleiben müssen oder ob die unionsrechtlichen Vorgaben wegen des Gestaltungsspielraums der Mitgliedstaaten erst der Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber bedürfen18 und ob § 16 Abs. 2 Satz 1 ArbZG, der eine Aufzeichnungspflicht für die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit statuiert, einer unionsrechtskonformen Auslegung zugänglich ist19, denn die Verpflichtung zur Arbeitszeitmessung hat keine Auswirkungen auf die in ständiger Rechtsprechung angewandten Grundsätze der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess. Dem steht entgegen, dass zwischen arbeitsschutzrechtlicher und vergütungsrechtlicher Einordnung als Arbeitszeit zu unterscheiden ist und unionsrechtliche Regelungen aus der Arbeitszeitrichtlinie grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung von Arbeitnehmern finden. Selbst wenn man daher – entsprechend der Auffassung des Arbeitsgerichts – davon ausginge, aus Art. 31 Abs. 2 GRC ergebe sich unmittelbar die Pflicht des Arbeitgebers zur Arbeitszeitaufzeichnung, hätte diese unionsrechtliche Verpflichtung keine Auswirkungen auf das System der abgestuften Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess.

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Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gilt die Charta nach ihrem Art. 51 Abs. 1 für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Gemäß ihrem Art. 51 Abs. 2 dehnt die Charta den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Europäischen Union hinaus aus und begründet weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union, noch ändert sie die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben20. Der Begriff „Durchführung des Rechts der Union“ iSd. Art. 51 Abs. 1 GRC setzt dabei das Vorliegen eines Zusammenhangs zwischen einem Unionsrechtsakt und der fraglichen nationalen Maßnahme voraus, der darüber hinausgeht, dass die fraglichen Sachbereiche benachbart sind oder der eine von ihnen mittelbare Auswirkungen auf den anderen haben kann21.

Hiervon ausgehend ist zu prüfen, ob die vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Regeln zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Prozess über die Vergütung von Überstunden als Durchführung der Richtlinie 2003/88/EG iSv. Art. 51 Abs. 1 GRC anzusehen sind, so dass Art. 31 Abs. 2 GRC anwendbar wäre. Das ist nicht der Fall. Das Recht eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs in Art. 31 Abs. 2 GRC ausdrücklich verbürgt. Die Regelungen der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG konkretisieren dieses Recht aus Art. 31 Abs. 2 GRC und sind daher in dessen Licht auszulegen22. Diese Richtlinie beschränkt sich jedoch mit Ausnahme des in ihrem Art. 7 Abs. 1 geregelten besonderen Falls des bezahlten Jahresurlaubs darauf, bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zu regeln, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Damit findet die Richtlinie nach gefestigter Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer23. Zweck der Arbeitszeitrichtlinie ist kein vergütungsrechtlicher, dieser liegt vielmehr allein in den Belangen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes von Arbeitnehmern begründet24. Dies zeigt sich bereits in Art. 1 Abs. 1 Arbeitszeitrichtlinie, wonach diese Richtlinie Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung enthält, und spiegelt sich im Erwägungsgrund 4 wider, der als Zielsetzung die Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit benennt25. Auch Art. 31 Abs. 2 GRC selbst befasst sich mit dem Gesundheitsschutz, nicht hingegen mit der Vergütung geleisteter Arbeit26. Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess betrifft auch offensichtlich nicht den Normbereich des Art. 7 Arbeitszeitrichtlinie, der die Urlaubsvergütung regelt27.

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Wenn die unionsrechtlichen Vorschriften in dem betreffenden Bereich einen bestimmten Aspekt nicht regeln und den Mitgliedstaaten im Hinblick auf einen bestimmten Sachverhalt keine bestimmten Verpflichtungen auferlegen, hat das zur Folge, dass die nationale Regelung eines solchen Aspekts durch einen Mitgliedstaat nicht in den Anwendungsbereich der Charta fällt. Deren Bestimmungen können dann für die Beurteilung des betreffenden Sachverhalts nicht herangezogen werden28. Das bedeutet, dass die Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs zur Verpflichtung des Arbeitgebers, die Arbeitszeit zu erfassen, für die Beurteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess rechtlich ohne Belang ist. Zwischen dem durch das Unionsrecht verbürgten Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer und der Überstundenvergütung besteht auch kein funktionaler Zusammenhang in Gestalt eines Abhängigkeitsverhältnisses. Denn der Anspruch auf Überstundenvergütung besteht auch dann, wenn die Höchstarbeitszeit überschritten wird29.

Die Entscheidungen des Unionsgerichtshofs zeigen damit mit hinreichender Klarheit, dass unionsrechtliche Regelungen, die allein den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bezwecken, keine Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislastverteilung in einem Vergütungsrechtsstreit haben, der sich nach nationalem Prozessrecht und materiellem Recht gestaltet. Ein hierauf bezogenes Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV ist nicht geboten. Die vergütungsrechtliche Arbeitszeit bestimmt sich unabhängig davon, ob es sich um Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne handelt30. Dies hat das Arbeitsgericht rechtsfehlerhaft verkannt und das Landesarbeitsgericht dagegen zutreffend angenommen.

Unbeschadet der Frage, ob eine Änderung der Rechtsprechung zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess aufgrund der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs zur Arbeitszeiterfassung22 rechtlich geboten ist, verlangt auch die Interessenlage der Arbeitsvertragsparteien keine Revision dieser Rechtsprechung. Im nationalen Zivilprozessrecht gilt seit jeher der Grundsatz, dass derjenige, der von einem anderen etwas fordert, die seinen Anspruch begründenden Tatsachen darlegen und im Streitfall beweisen muss. Deshalb kann es für Arbeitnehmer schwierig sein, Überstundenvergütung gerichtlich durchzusetzen. Dem hat das Bundesarbeitsgericht im Rahmen des prozessrechtlich Möglichen durch eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast Rechnung getragen. Das Unterliegen von Arbeitnehmern in Überstundenvergütungsprozessen findet seine Ursache nicht selten darin, dass diese bis zur gerichtlichen Geltendmachung von Überstunden über einen längeren Zeitraum abwarten und keine aussagekräftigen Unterlagen (mehr) zur Begründung ihres Anspruchs in Händen haben. Stellt ein Arbeitnehmer aber fest, dass er unbezahlte Überstunden leisten muss, gebietet es schon die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten, sich Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitszeiten zu machen. Der Arbeitnehmer kann aus eigener Wahrnehmung vortragen, auf welche Art und Weise der Arbeitgeber die entstandenen Überstunden veranlasst hat.

Es besteht kein sachlicher Grund, dem Arbeitgeber insoweit eine sekundäre Darlegungslast zuzuweisen. Dies kommt nur in Betracht, wenn der darlegungs- und beweispflichtigen Partei die nähere Darlegung der erforderlichen Tatsachen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen31. Die darlegungspflichtige Partei müsste also, obwohl sie alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft hat, ihrer primären Darlegungslast – objektiv – nicht nachkommen können. Nur dann genügt nach den Grundsätzen der sekundären Behauptungslast das einfache Bestreiten des Gegners der primär darlegungspflichtigen Partei nicht. In einer solchen Situation befindet sich der Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit über die Vergütung von Überstunden jedoch nicht.

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Der Arbeitnehmer hat die Veranlassung der geltend gemachten Überstunden nicht ausreichend dargelegt. Dies hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei angenommen.

Für eine ausdrückliche Anordnung von Überstunden muss der Arbeitnehmer vortragen, wer wann auf welche Weise wie viele Überstunden angeordnet hat32. Zu einer ausdrücklichen Anordnung der Arbeitgeberin hat der Arbeitnehmer keinen Vortrag gehalten.

Konkludent ordnet der Arbeitgeber Überstunden an, wenn er dem Arbeitnehmer Arbeit in einem Umfang zuweist, der unter Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers nur durch die Leistung von Überstunden zu bewältigen ist. Dazu muss der Arbeitnehmer darlegen, dass eine bestimmte angewiesene Arbeit innerhalb der Normalarbeitszeit nicht zu leisten oder ihm zur Erledigung der aufgetragenen Arbeiten ein bestimmter Zeitrahmen vorgegeben war, der nur durch die Leistung von Überstunden eingehalten werden konnte. Dabei begründet allein die Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb oder an einem Arbeitsort außerhalb des Betriebs keine Vermutung dafür, Überstunden seien zur Erbringung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen33.

Anders als in dem vom Bundesarbeitsgericht am selben Tag verhandelten Fall34 hat der Arbeitnehmer nicht vorgetragen, aus welchen konkreten in den Arbeitsabläufen liegenden Gründen er keine Pausen machen konnte. Er behauptet lediglich pauschal, keinerlei Pausen gemacht zu haben, weil sonst die Auslieferungsaufträge nicht hätten abgearbeitet werden können. Das genügt nicht. Einer Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht bedarf es insoweit nicht. Das Berufungsgericht hat angenommen, es sei nicht erkennbar, dass die Arbeit nur unter Ableistung von Überstunden zu bewältigen gewesen wäre, dazu fehle die Beschreibung der Arbeit im Detail. Diese Feststellung hat der Arbeitnehmer in der Revision nicht mit Verfahrensrügen angegriffen.

Mit der Billigung von Überstunden ersetzt der Arbeitgeber gleichsam durch eine nachträgliche Genehmigung die fehlende vorherige Anordnung schon geleisteter Überstunden. Die Billigung von Überstunden setzt deshalb voraus, dass der Arbeitgeber zu erkennen gibt, mit der schon erfolgten Leistung bestimmter Überstunden einverstanden zu sein. Das muss nicht ausdrücklich erfolgen. Eine solche Billigung kann anzunehmen sein, wenn der Arbeitgeber oder ein für ihn handelnder Vorgesetzter des Arbeitnehmers eine bestimmte Anzahl von Stunden abzeichnet und damit sein Einverständnis mit einer Überstundenleistung ausdrückt35. So wie die widerspruchslose Entgegennahme der vom Arbeitnehmer gefertigten Arbeitszeitaufzeichnungen nicht ausreicht36, genügt es nicht, dass sich der Arbeitnehmer auf die Zeitaufzeichnungen beruft.

Unstreitig konnte der Arbeitnehmer lediglich Kommt- und Geht-Zeiten aufzeichnen, die Zeiterfassung jedoch nicht für etwaige Pausenzeiten unterbrechen. Dies war den Arbeitsvertragsparteien auch während der gesamten Zeit der Nutzung der Zeitaufzeichnung bekannt und bewusst. Die Nichtvornahme einer Korrektur unter Berücksichtigung von Pausenzeiten durch die Arbeitgeberin stellt keine Billigung von Überstunden dar, weil die bloße Erfassung von Kommt- und Geht-Zeiten keinen Erklärungswert dahingehend beinhaltet, die Arbeitgeberin genehmige etwaige geleistete Überstunden. Ein mit einer Abzeichnung von Überstunden vergleichbarer Sachverhalt liegt nicht vor. Deshalb hätte der Arbeitnehmer darlegen müssen, wer wann auf welche Weise zu erkennen gegeben habe, mit der Leistung welcher Überstunden einverstanden zu sein35. Daran fehlt es. Hierfür genügt es auch nicht, dass die Arbeitgeberin zum Ende des Arbeitsverhältnisses Vergütung für insgesamt 78, 25 Überstunden an den Arbeitnehmer ausgezahlt hat. Damit gesteht die Arbeitgeberin nicht zu, sämtliche von der Zeitaufzeichnung dokumentierten Zeiten seien als Arbeitszeiten von ihr veranlasst und deshalb zu vergüten.

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Die Duldung von Überstunden bedeutet, dass der Arbeitgeber in Kenntnis einer Überstundenleistung diese hinnimmt und keine Vorkehrungen trifft, die Leistung von Überstunden künftig zu unterbinden, er also nicht gegen die Leistung von Überstunden einschreitet, sie vielmehr weiterhin entgegennimmt. Dazu muss der Arbeitnehmer darlegen, von welchen wann geleisteten Überstunden der Arbeitgeber auf welche Weise wann Kenntnis erlangt haben soll und dass es im Anschluss daran zu einer weiteren Überstundenleistung gekommen ist. Erst wenn dieses feststeht, ist es Sache des Arbeitgebers, darzulegen, welche Maßnahmen er zur Unterbindung der von ihm nicht gewollten Überstundenleistung ergriffen hat37. Allein die technische Aufzeichnung der Kommt- und Geht-Zeiten des Arbeitnehmers begründet keine Kenntnis der Arbeitgeberin von einer bestimmten Überstundenleistung. Erst wenn der Arbeitnehmer diese Aufzeichnungen mit einem Hinweis auf eine Überstundenleistung verbunden hätte, insbesondere darüber informiert hätte, dass die Inanspruchnahme von Pausen nicht möglich gewesen sei, wäre die Arbeitgeberin gehalten gewesen, dem nachzugehen und ggf. gegen nicht gewollte Überstunden einzuschreiten.

Der Vortrag des Arbeitnehmers lässt auch nicht erkennen, dass die geltend gemachten Überstunden zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig waren. Der pauschale Hinweis, sämtliche Zeiten seien für die Erledigung der Auslieferungsaufträge erforderlich gewesen, erfüllt nicht die Voraussetzungen an einen substantiierten Sachvortrag. Zwar kann ein Kraftfahrer, dem vom Arbeitgeber bestimmte Touren zugewiesen werden, seiner Darlegungslast bereits dadurch genügen, dass er vorträgt, an welchen Tagen er welche Tour wann begonnen und wann beendet hat. Diese Grundsätze dürfen aber nicht gleichsam schematisch angewandt werden, sondern bedürfen stets der Berücksichtigung der im jeweiligen Streitfall zu verrichtenden Tätigkeit und der konkreten betrieblichen Abläufe38. Da dem Arbeitnehmer nicht nur eine Tour täglich zugeteilt wurde, sondern zwischen vier und acht Touren, durfte er sich nicht darauf beschränken, lediglich die Uhrzeiten des Beginns und des Endes der Arbeit zu benennen. Der Arbeitnehmer hätte vielmehr aufzeigen können und müssen, wie sich das jeweilige neue Beladen des Fahrzeugs gestaltet hat, inwieweit er selbst daran mitgewirkt hat und warum er aufgrund des Tourenplans nicht in der Lage war, Pausen zu nehmen. Zu all diesen Punkten hat er keinen substantiierten Vortrag gehalten.

Bundesarbeitsgericht, URteil vom 4. Mai 2022 – 5 AZR 359/21

  1. EuGH 14.05.2019 – C-55/18 – [CCOO][][]
  2. vgl. BAG 10.04.2013 – 5 AZR 122/12, Rn. 10[]
  3. st. Rspr., vgl. zB BAG 26.06.2019 – 5 AZR 452/18, Rn. 39, BAGE 167, 158; 21.12.2016 – 5 AZR 362/16, Rn. 23, BAGE 157, 347 – jeweils mwN[]
  4. vgl. zur ausreichenden Darlegung durch Bezugnahme auf vom Arbeitgeber abgezeichnete elektronische Arbeitszeitnachweise BAG 26.06.2019 – 5 AZR 452/18, Rn. 40, BAGE 167, 158[]
  5. vgl. BAG 10.04.2013 – 5 AZR 122/12, Rn. 11[]
  6. LAG Niedersachsen 06.05.2021 – 5 Sa 1292/20[]
  7. vgl. BAG 10.04.2013 – 5 AZR 122/12, Rn. 13[]
  8. zutr. Reinfelder AuR 2018, 335, 338[]
  9. st. Rspr., vgl. nur BAG 10.04.2013 – 5 AZR 122/12, Rn. 14 mwN[]
  10. vgl. BAG 25.03.2015 – 5 AZR 602/13, Rn. 18, BAGE 151, 180; 10.04.2013 – 5 AZR 122/12, Rn. 15 ff.; teilweise kritisch zu den gestellten Anforderungen im Einzelfall Reinfelder AuR 2018, 335, 339[]
  11. vgl. Heuschmid NJW 2019, 1853 f.; Temming NZA 2021, 1433, 1438 f.; ders. Anm. LAGE § 612 BGB 2002 Nr. 3 S. 28 ff.[]
  12. vgl. nur ErfK/Preis 22. Aufl. BGB § 611a Rn. 1; MHdB ArbR/Krause 5. Aufl. § 60 Rn. 1[]
  13. vgl. BAG 27.07.2021 – 9 AZR 449/20, Rn. 18; 12.12.2012 – 5 AZR 355/12, Rn. 17[]
  14. ebenso im Grundsatz Reinfelder AuR 2018, 335, 338[]
  15. vgl. MünchKomm-BGB/Müller-Glöge 8. Aufl. § 612 Rn. 15; Staudinger/Richardi/Fischinger [2020] § 612 Rn. 36[]
  16. vgl. zur Vergütung von Mehrarbeit BAG 15.11.2018 – 6 AZR 385/17, Rn. 25; 23.09.2015 – 5 AZR 626/13, Rn. 21[]
  17. vgl. BAG 15.11.2018 – 6 AZR 385/17, Rn. 34[]
  18. pars pro toto eine Direktwirkung bejahend Riegel RdA 2021, 152, 154; Heuschmid NJW 2019, 1853 f.; verneinend Bayreuther NZA 2020, 1, 3; Thüsing DB 2020, 1343 ff.; Giesen DB 2020, Nr.20 M18 f.; Boemke jurisPR-ArbR 24/2020 Anm. 4; Fuhlrott NZA-RR 2020, 279; Methfessel/Weck DB 2020, 1346 f.; Richter/Schreynemackers ArbRB 2019, 288 f.; Sittard/Esser jM 2019, 284, 286 f.[]
  19. bejahend etwa Oberthür MDR 2019, 1029 f.; zweifelnd Ulber NZA 2019, 677, 680; verneinend Bayreuther NZA 2020, 1 ff.; Baeck/Winzer/Launer NZG 2019, 858 f.; EuArbRK/Gallner 4. Aufl. RL 2003/88/EG Art. 1 Rn. 8 f.; dies. FS Preis 2021 S. 271, 287; Höpfner/Daum RdA 2019, 270, 276 f.; Riegel RdA 2021, 152, 153 f.; Richter/Schreynemackers ArbRB 2019, 288 f.; Sittard/Esser jM 2019, 284, 286[]
  20. EuGH 19.11.2019 – C-609/17 und – C-610/17 – [TSN, AKT] Rn. 42[]
  21. EuGH 28.10.2021 – C-319/19, Rn. 44[]
  22. EuGH 14.05.2019 – C-55/18 – [CCOO] Rn. 30 f.[][]
  23. st. Rspr., vgl. EuGH 9.03.2021 – C-344/19 – [Radiotelevizija Slovenija] Rn. 57; 9.03.2021 – C-580/19 – [Stadt Offenbach am Main] Rn. 56; 21.02.2018 – C-518/15 – [Matzak] Rn. 24[]
  24. vgl. Preis/Sagan/Ulber EuArbR 2. Aufl. Rn.07.93[]
  25. auch aus EuGH 24.02.2022 – C-262/20 – [Glavna direktsia „Pozharna bezopasnost i zashtita na naselenieto“] Rn. 29 f. folgt nichts anderes, selbst wenn die Vergütung eine Vorfrage ist[]
  26. EuArbRK/Schubert 4. Aufl. GRC Art. 31 Rn. 16a[]
  27. Sittard/Esser jM 2019, 284, 288[]
  28. EuGH 19.11.2019 – C-609/17 und – C-610/17 – [TSN, AKT] Rn. 53[]
  29. BAG 24.08.2016 – 5 AZR 129/16, Rn. 48, BAGE 156, 157[]
  30. vgl. auch BAG 10.11.2021 – 10 AZR 261/20, Rn. 24[]
  31. st. Rspr., vgl. nur BGH 18.01.2018 – I ZR 150/15, Rn. 30; BAG 27.05.2015 – 5 AZR 88/14, Rn. 31, BAGE 152, 1[]
  32. BAG 10.04.2013 – 5 AZR 122/12, Rn. 16[]
  33. vgl. BAG 10.04.2013 – 5 AZR 122/12, Rn. 17 mwN[]
  34. vgl. hierzu LAG Rheinland-Pfalz 19.02.2021 – 8 Sa 169/20, Revision – 5 AZR 451/21 – durch Vergleich erledigt[]
  35. vgl. BAG 10.04.2013 – 5 AZR 122/12, Rn.19[][]
  36. vgl. BAG 25.05.2005 – 5 AZR 319/04, zu II 1 c der Gründe; 3.11.2004 – 5 AZR 648/03, zu III 2 der Gründe[]
  37. vgl. BAG 10.04.2013 – 5 AZR 122/12, Rn. 21 mwN[]
  38. BAG 21.12.2016 – 5 AZR 362/16, Rn. 23, BAGE 157, 347[]
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