Überstundenvergütung – und die Darlegungslast

Ist somit die Vergütung von Überstunden arbeitsvertraglich weder positiv noch negativ geregelt, richtet sich der Anspruch auf Überstundenvergütung nach § 612 Abs. 1 BGB1.

Überstundenvergütung – und die Darlegungslast

Nach § 612 Abs. 1 BGB gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Arbeitsleistung nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Die Norm bildet nicht nur in den Fällen, in denen überhaupt keine Vergütungsvereinbarung getroffen wurde, sondern auch dann die Rechtsgrundlage für den Anspruch auf die Vergütung, wenn der Arbeitnehmer auf Veranlassung des Arbeitgebers quantitativ mehr arbeitet als von der Vergütungsabrede erfasst2. Die nach § 612 Abs. 1 BGB erforderliche objektive Vergütungserwartung3 besteht regelmäßig insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer keine Dienste höherer Art schuldet und keine deutlich herausgehobene, über der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung liegende Vergütung erhält4.

Neben der objektiven Vergütungserwartung setzt der Anspruch auf Überstundenvergütung voraus, dass der Arbeitnehmer Arbeit in einem die vereinbarte Normalarbeitszeit – hier: 40 Wochenstunden – übersteigenden Umfang erbracht und der Arbeitgeber die Leistung von Überstunden veranlasst hat oder sie ihm zumindest zuzurechnen ist5. Für beides trägt der Arbeitnehmer nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entsprechend allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und im Streitfall die Beweislast.

Für die Darlegung der Leistung von Überstunden gelten dieselben Grundsätze wie für die Behauptung des Arbeitnehmers, die geschuldete Normalarbeit verrichtet zu haben6. Wie im Prozess auf Vergütung tatsächlich geleisteter Arbeit in der Normalarbeitszeit genügt der Arbeitnehmer seiner Vortragslast zur Leistung von Überstunden, indem er schriftsätzlich vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. Mit dem Vortrag, zu bestimmten Zeiten gearbeitet zu haben, behauptet der Arbeitnehmer regelmäßig zugleich, während der genannten Zeiten die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht zu haben. Das ist für die erste Stufe der Darlegung ausreichend7. Sodann ist es Sache des Arbeitgebers, im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast substantiiert zu erwidern und im Einzelnen vorzutragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen – nicht – nachgekommen ist. Trägt er nichts vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein, gelten die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Arbeitsstunden gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden8.

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Weil es insoweit (nur) auf den Leistungsumfang ankommt, ist auf dieser Stufe der Darlegung die genaue Lage der Pausen unerheblich. Vielmehr reicht es aus, wenn der Arbeitnehmer den jeweiligen zeitlichen Umfang der genommenen Pausen, also deren Dauer, angibt. Es ist sodann Sache des Arbeitgebers, sich konkret zur Dauer der grundsätzlich von ihm nach § 4 ArbZG festzulegenden Pausen zu äußern.

Mit seinem Vortrag, zu bestimmten Zeiten gearbeitet zu haben, hat der Arbeitnehmer zugleich behauptet, während der genannten Zeiten die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht zu haben. Darüber hinaus hat er die Ursachen für das Überschreiten der Normalarbeitszeit spezifiziert, indem er vorbringt, neben seiner „üblichen“ Tätigkeit seien zusätzliche Arbeiten angefallen bei Urlaub und Krankheit der anderen im Innendienst Beschäftigten oder wenn außerplanmäßige Fahrten zu Kunden unternommen werden mussten.

Hinsichtlich des Vortrags zur Veranlassung der Überstundenleistung durch die Arbeitgeberin  ist an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Darlegungslast des Arbeitnehmers (auch) für diese Voraussetzung der Überstundenvergütung festzuhalten.

Im nationalen Zivilprozessrecht gilt seit jeher der Grundsatz, dass derjenige, der von einem anderen etwas fordert, die seinen Anspruch begründenden Tatsachen darlegen und im Streitfall beweisen muss. Deshalb kann es für Arbeitnehmer schwierig sein, Überstundenvergütung gerichtlich durchzusetzen. Dem hat das Bundesarbeitsgericht im Rahmen des prozessrechtlich Möglichen durch eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast Rechnung getragen. Das Unterliegen von Arbeitnehmern in Überstundenvergütungsprozessen findet seine Ursache nicht selten darin, dass diese bis zur gerichtlichen Geltendmachung von Überstunden über einen längeren Zeitraum abwarten und keine aussagekräftigen Unterlagen (mehr) zur Begründung ihres Anspruchs in Händen haben. Stellt ein Arbeitnehmer aber fest, dass er unbezahlte Überstunden leisten muss, gebietet es schon die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten, sich – wie im Streitfall – Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitszeiten zu machen. Der Arbeitnehmer kann aus eigener Wahrnehmung vortragen, auf welche Art und Weise der Arbeitgeber die entstandenen Überstunden veranlasst hat. Es besteht kein sachlicher Grund, dem Arbeitgeber insoweit eine sekundäre Darlegungslast zuzuweisen. Dies kommt nur in Betracht, wenn der darlegungs- und beweispflichtigen Partei die nähere Darlegung der erforderlichen Tatsachen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen9. Die darlegungspflichtige Partei müsste also, obwohl sie alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft hat, ihrer primären Darlegungslast – objektiv – nicht nachkommen können. Nur dann genügt nach den Grundsätzen der sekundären Behauptungslast das einfache Bestreiten des Gegners der primär darlegungspflichtigen Partei nicht. In einer solchen Situation befindet sich der Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit über die Vergütung von Überstunden jedoch nicht.

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Der Gerichtshof der Europäischen Union hat nur im Bereich des unionsrechtlichen Arbeitszeitschutzrechts eine – nicht ausdrücklich normierte – Pflicht des Arbeitgebers angenommen, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“10. Diese Entscheidung gibt aber weder Anlass noch Legitimation, entgegen nationalen prozessrechtlichen Grundsätzen die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Darlegungslast im Überstundenvergütungprozess zu ändern. Das hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom heutigen Tag, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, entschieden und im Einzelnen begründet11.

Es ist daher auch weiterhin  von den vom Bundesarbeitsgericht zur Darlegungslast des Arbeitnehmers für die arbeitgeberseitige Veranlassung und Zurechnung der Überstundenleistung aufgestellten Rechtssätzen auszugehen12. Diese sind allerdings mit ausreichender Rücksicht auf die konkreten Umstände des Streitfalls anzuwenden. Für die Darlegungslast zur Überstundenleistung hat das Bundesarbeitsgericht bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen, die von ihm entwickelten Grundsätze dürften nicht gleichsam schematisch ohne Rücksicht auf die im jeweiligen Streitfall zu verrichtende Tätigkeit und die konkreten betrieblichen Abläufe angewandt werden13. Nichts Anderes gilt für die – abgestufte – Darlegungslast zur arbeitgeberseitigen Veranlassung der Überstundenleistung.

Die Darlegung einer Überstundenleistung und die Darlegung ihrer arbeitgeberseitigen Veranlassung können nicht stets strikt voneinander getrennt betrachtet werden, sie können sich im Einzelfall auch „überlappen“ und gegenseitig bedingen. Hat der Arbeitnehmer – wie hier der Arbeitnehmer – die Leistung von Überstunden substantiiert vorgetragen und die in den betrieblichen Verhältnissen liegenden Ursachen des Überschreitens der Normalarbeitszeit im Einzelnen geschildert, macht er zugleich – und im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast zunächst ausreichend – geltend, die Überstundenleistung sei zur Erledigung der ihm obliegenden Arbeiten erforderlich und damit zumindest konkludent angeordnet gewesen. Es ist dann Sache des Arbeitgebers, konkret darzulegen, aus welchen Gründen die vom Arbeitnehmer vorgebrachten Ursachen für die Überstundenleistung nicht vorgelegen hätten oder aus welchen Gründen der Arbeitnehmer gleichwohl die ihm obliegenden Arbeiten in der Normalarbeitszeit hätte verrichten können. Dementsprechend hat das Bundesarbeitsgericht zB im Fall eines Kraftfahrers für die arbeitgeberseitige Veranlassung von Überstunden den Vortrag des Arbeitnehmers, die angewiesenen Touren seien nur unter Leistung von Überstunden auszuführen gewesen, auf der ersten Stufe der Darlegung ausreichen lassen. Es müsse dann der Arbeitgeber darlegen, dass die dem Arbeitnehmer zugewiesene Tour unter Beachtung der Rechtsordnung innerhalb der Normalarbeitszeit gefahren werden konnte14. Auch insoweit kommt es jedoch auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Hat ein Auslieferungsfahrer an einem Tag mehrere Touren innerhalb eines engen räumlichen Bereichs zu erledigen und muss das Fahrzeug immer wieder neu beladen werden, hat er zur Darlegung der arbeitgeberseitigen Veranlassung zu den einzelnen Arbeitsaufgaben näher vorzutragen, wenn er behauptet, er habe den ganzen Tag ohne Pause gearbeitet, weil er nur so alle Kunden habe beliefern können15.

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Nach diesen Grundsätzen musste der Arbeitnehmer im vorliegenden zur Darlegung der arbeitgeberseitigen Veranlassung der Überstundenleistung nicht – wie vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg verlangt16 – für die behaupteten Transport- und Abholfahrten jeweils gesondert vortragen, wer ihn in jedem Einzelfall dazu angewiesen oder wer für Abwesenheit wegen Urlaub oder Krankheit die Vertretung der Mitarbeiter im Innendienst organisiert habe, welche Arbeiten er im jeweiligen konkreten Vertretungsfall ausgeführt und wer explizit für die Erledigung „alltäglicher Aufgaben“ Überstunden angeordnet habe. Maßgeblich und ausreichend ist vielmehr zunächst allein die Behauptung des Arbeitnehmers, die nach seiner substantiierten Schilderung von ihm zu erledigenden Arbeiten seien nur unter Leistung von Überstunden auszuführen gewesen. Im Rahmen der abgestuften Darlegungslast obliegt es der Arbeitgeberin als Arbeitgeberin, sich dazu substantiiert einzulassen und konkret aufzuzeigen, dass die vorgebrachten Ursachen für die Überstundenleistung nicht vorgelegen hätten – etwa, weil der Arbeitnehmer bei Krankheit und Urlaub von Mitarbeitern des Innendienstes deren Arbeit gar nicht miterledigen musste oder eigene Aufgaben hintanstellen durfte, weil er die behaupteten Transport- und Abholfahrten nicht habe durchführen müssen oder weil und warum alle vom Arbeitnehmer geschilderten Arbeiten in der vereinbarten Normalarbeitszeit hätten erledigt werden können.

Hinzu kommt im hier entschiedenen Streitfall eine weitere Besonderheit. Die Arbeitgeberin wollte sich mit einer – wenngleich unwirksamen – arbeitsvertraglichen Regelung dagegen absichern, Überstunden „extra“ vergüten zu müssen. Dies deutet darauf hin, dass sie bei den dem Arbeitnehmer obliegenden Arbeiten mit dem Anfall von Überstunden durchaus rechnete und „bei Bedarf“ die Leistung von Überstunden auch erwartete. Damit war die Klausel geeignet, beim Arbeitnehmer den Eindruck zu erwecken, die Arbeitgeberin billige grundsätzlich die Leistung von Überstunden bei einer Position wie derjenigen, die der Arbeitnehmer innehatte. Dass sie den mit der Klausel verfolgten Zweck, Überstunden nicht gesondert vergüten zu müssen, nicht erreichte, liegt im Risikobereich der Arbeitgeberin als Verwenderin der Klausel.

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Steht fest (§ 286 ZPO), dass Überstunden auf Veranlassung der Arbeitgeberin geleistet worden sind, kann aber der Arbeitnehmer seiner Darlegungs- oder Beweislast für jede einzelne Überstunde nicht in jeder Hinsicht genügen, darf das Gericht den Umfang geleisteter Überstunden nach § 287 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO schätzen17.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 4. Mai 2022 – 5 AZR 474/21

  1. st. Rspr., vgl. zB BAG 26.06.2019 – 5 AZR 452/18, Rn. 37 mwN, BAGE 167, 158[]
  2. st. Rspr., vgl. zB BAG 25.03.2015 – 5 AZR 602/13, Rn. 17 mwN, BAGE 151, 180[]
  3. BAG 17.08.2011 – 5 AZR 406/10, Rn.20, BAGE 139, 44[]
  4. BAG 21.12.2016 – 5 AZR 362/16, Rn. 15, BAGE 157, 347[]
  5. BAG 10.04.2013 – 5 AZR 122/12, Rn. 9, 13 ff.; 21.12.2016 – 5 AZR 362/16, Rn. 21, BAGE 157, 347 – jeweils mwN[]
  6. BAG 16.05.2012 – 5 AZR 347/11, Rn. 25 f., BAGE 141, 330[]
  7. vgl. BAG 10.04.2013 – 5 AZR 122/12, Rn. 10[]
  8. st. Rspr., vgl. zB BAG 26.06.2019 – 5 AZR 452/18, Rn. 39, BAGE 167, 158; 21.12.2016 – 5 AZR 362/16, Rn. 23, BAGE 157, 347 – jeweils mwN[]
  9. st. Rspr., vgl. nur BGH 18.01.2018 – I ZR 150/15, Rn. 30; BAG 27.05.2015 – 5 AZR 88/14, Rn. 31, BAGE 152, 1[]
  10. EuGH 14.05.2019 – C-55/18 – [CCOO] Rn. 60[]
  11. BAG 4.05.2022 – 5 AZR 359/21, Rn. 22 ff.[]
  12. BAG 10.04.2013 – 5 AZR 122/12, Rn. 15 ff.; sh. speziell zur Duldung von Überstunden auch BAG 28.07.2020 – 1 ABR 18/19, Rn. 18 f., BAGE 171, 378[]
  13. BAG 21.12.2016 – 5 AZR 362/16, Rn. 23, BAGE 157, 347; darauf weist auch Reinfelder AuR 2018, 335, 338 zu Recht hin[]
  14. BAG 21.12.2016 – 5 AZR 362/16, Rn. 32, BAGE 157, 347[]
  15. dazu BAG 4.05.2022 – 5 AZR 359/21, Rn. 37[]
  16. LAG Berlin-Brandenburg 03.08.2021 – 16 Sa 875/20[]
  17. vgl. BAG 25.03.2015 – 5 AZR 602/13, Rn. 18, BAGE 151, 180[]
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