Übertarifliche Vergütung – und der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz

Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regel gleich zu behandeln. Er wurzelt in dem überpositiven Ideal der Gerechtigkeit, die es gebietet, Gleiches gleich und Ungleiches entsprechend seiner Eigenart ungleich zu behandeln.

Übertarifliche Vergütung – und der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz

Der Gleichbehandlungsgrundsatz beschränkt die Gestaltungsmacht des Arbeitgebers. Wird er verletzt, muss der Arbeitgeber die von ihm gesetzte Regel entsprechend korrigieren. Der benachteiligte Arbeitnehmer hat Anspruch auf die vorenthaltene Leistung1.

Im Bereich der Arbeitsvergütung ist der Gleichbehandlungsgrundsatz unter Beachtung der Vertragsfreiheit anwendbar, wenn Arbeitsentgelte durch eine betriebliche Einheitsregelung generell angehoben werden und der Arbeitgeber die Leistungen nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem er bestimmte Voraussetzungen oder Zwecke festlegt2.

So war auch im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall eines Berliner Lehrers der Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes eröffnet:

Das Land Berlin hat als Arbeitgeberin freiwillig, dh. ohne hierzu arbeits- oder tarifvertraglich verpflichtet zu sein, die Vergütung bestimmter Lehrkräfte um eine Zulage in Höhe der Differenz zur Erfahrungsstufe 5 der jeweiligen Entgeltgruppe kollektiv nach einem generalisierenden Prinzip angehoben und für diese freiwillige Leistung vorausgesetzt, dass es sich bei dem/der Begünstigten um eine nach dem 31.08.2008 neu eingestellte Lehrkraft handeln muss, die zudem die fachlichen und pädagogischen Voraussetzungen für ein Beamtenverhältnis erfüllt.

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Mit der Anknüpfung an die Erfüllung fachlicher und pädagogischer Voraussetzungen für ein Beamtenverhältnis hat das Land Berlin eine Gruppenbildung vorgenommen, denn neben diesen Lehrkräften werden auch Lehrer beschäftigt, für die keine Beamtenlaufbahn mehr besteht.

Der Kläger und die nach dem 31.08.2008 eingestellten Lehrkräfte mit voller Lehrbefähigung, die nicht verbeamtet werden, befinden sich in „vergleichbarer Lage“. Beiden Gruppen ist beim Land Berlin die Beamtenlaufbahn verschlossen. Trotz dieser vergleichbaren Lage gewährt das Land Berlin nur den Lehrern mit voller Lehrbefähigung eine Zulage, nicht jedoch den Lehrern für Fachpraxis.

Die Ungleichbehandlung der beiden Arbeitnehmergruppen ist sachlich gerechtfertigt.

Eine sachfremde Benachteiligung liegt dann nicht vor, wenn sich nach dem Leistungszweck Gründe ergeben, die es unter Berücksichtigung aller Umstände rechtfertigen, einer Gruppe die der anderen gewährte Leistung vorzuenthalten. Die Zweckbestimmung ergibt sich vorrangig aus den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen, von deren Vorliegen und Erfüllung die Leistung abhängig gemacht wird3. Die Differenzierung zwischen der begünstigten Gruppe und den benachteiligten Arbeitnehmern ist dann sachfremd, wenn es für die unterschiedliche Behandlung keine billigenswerten Gründe gibt. Die Gründe müssen auf vernünftigen, einleuchtenden Erwägungen beruhen und dürfen nicht gegen höherrangige Wertentscheidungen verstoßen. Die Gruppenbildung ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Unterscheidung einem legitimen Zweck dient und zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich und angemessen ist. Somit muss die unterschiedliche Leistungsgewährung stets im Sinne materieller Gerechtigkeit sachgerecht sein4.

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Eine Zulage ist ua. sachlich gerechtfertigt, wenn sie gewährt wird, weil sonst bestimmte Arbeitsplätze nicht besetzt werden können, oder Angehörige einer bestimmten Gruppe überhaupt oder stärker an den Betrieb gebunden werden sollen5.

Die vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg6 festgestellte Zweckbestimmung der streitgegenständlichen Leistung hat der Kläger nicht in Frage gestellt. Sie liegt einerseits in der Schaffung eines finanziellen Anreizes, um bei arbeitsmarktbedingtem Arbeitskräftemangel bzw. einem prognostizierten erhöhten Arbeitskräftebedarf über ausreichend gut qualifizierte Bewerber verfügen zu können, andererseits in dem Bemühen, einer „Abwanderung“ in Berlin ausgebildeter Lehrkräfte in andere Bundesländer entgegenzuwirken. Darüber hinaus verfolgt das Land Berlin den Zweck, sich die Vorteile seiner Investitionen in die Ausbildung dieser Lehrkräfte zu erhalten.

Dem Kläger ist nicht darin zu folgen, die vom Land Berlin bezweckten Ziele könnten von der Regelung nicht erreicht werden, weil bei Bildung der Gruppen nicht die tatsächliche Beurteilung der konkreten Personalmangel- und Konkurrenzsituation der verschiedenen Lehrämter/Fächer berücksichtigt würden. Das Land Berlin durfte eine Betrachtung der allgemeinen Wettbewerbssituation zugrunde legen ohne Berücksichtigung der konkreten Personalmangelsituation einzelner Lehrämter/Fächer. Denn das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat vorliegend festgestellt, der prognostizierte Lehrereinstellungsbedarf habe das erwartete Lehrereinstellungsangebot im Land Berlin für alle Lehrämter mindestens bis zum Jahr 2012 überstiegen. Diese Feststellung wurde vom Kläger nicht angegriffen, womit sie für das Bundesarbeitsgericht bindend ist (§ 559 ZPO). Damit war ausgehend von einer Gesamtbetrachtung des Fächerspektrums von einer Personalmangelsituation auszugehen. Darüber hinaus blieb unbestritten, dass sich die Absagequote der Bewerber mit voller Lehrbefähigung nach Beendigung der Verbeamtung von 40 % auf 60 % erhöhte. Dieser Anstieg der Absagequote um die Hälfte zeigt das Ergebnis eines Wettbewerbs der Bundesländer um die Einstellung qualifizierten Lehrernachwuchses in Abhängigkeit auch von den finanziellen Rahmenbedingungen einer Verbeamtung. Dieser Anstieg ist zu hoch, um ihn mit je nach Einstellungstermin schwankenden Faktoren (wie unterschiedlichem Interesse am Ort und familiären Bindungen) erklären zu können.

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Des Weiteren wird die Differenzierung durch das berechtigte Interesse des Landes Berlin sachlich gerechtfertigt, den Vorteil seiner Investitionen in die Hochschulausbildung und den Vorbereitungsdienst der Berufsanfänger im Lehramt mit voller Lehrbefähigung im eigenen Bundesland zu halten. Diese Investitionen erweisen sich wirtschaftlich nur dann als sinnvoll, wenn das Land Berlin auch vom Ergebnis der Ausbildung durch Einstellung und Einsatz als Lehrer im eigenen Schulsystem Nutzen ziehen kann.

Weiterhin durfte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg6 berücksichtigen, dass – ebenfalls vom Kläger mit der Revision nicht angegriffen – Lehrer mit voller Lehrbefähigung zu rund 95 % in einem zentral gesteuerten Einstellungsverfahren mit Bildung eines Pools sämtlicher Bewerber eingestellt werden, während die Einstellung der Lehrer für Fachpraxis den Schulen selbst obliegt. Im Übrigen unterscheidet sich das in den einzelnen Bundesländern an die Lehrer für Fachpraxis gestellte Anforderungsprofil deutlich. Eine gleichartige Konkurrenzsituation zwischen den Bundesländern besteht aus diesem Blickwinkel nicht. Diese Unterschiede werden noch dadurch verstärkt, dass sich die Berufsbiografien der beiden Vergleichsgruppen, jedenfalls bezogen auf das Land Berlin, unterscheiden. Die Lehrer für Fachpraxis unter dem Anforderungsprofil des Land Berlines (Meisterprüfung, staatlich geprüfter Techniker) stehen in keiner gleichartigen Konkurrenzsituation wie Lehrkräfte mit beamtenrechtlicher Laufbahnbefähigung.

Auch die Tatsache, dass das Land Berlin diese Wettbewerbssituation durch seine Entscheidung, neu einzustellende Lehrer trotz Erfüllung der Voraussetzungen nicht mehr zu verbeamten, selbst geschaffen hat, gibt dem Kläger keinen Anspruch auf Gleichbehandlung. Dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ist darin zuzustimmen, dass keine gesetzliche Verpflichtung zur Verbeamtung von Lehrkräften besteht und diese Entscheidung des Land Berlines ist im Arbeitsgerichtsprozess nicht überprüfbar.

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Da sich die Situation der Lehrer für Fachpraxis in wesentlichen Punkten anders darstellt als die der Vergleichsgruppe angehörenden Lehrkräfte, war es sachlich gerechtfertigt, die Zulagengewährung auf die Gruppe der Lehrer mit voller Lehrbefähigung zu beschränken. Demzufolge hat der Feststellungsantrag des Klägers keinen Erfolg.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. Mai 2015 – 5 AZR 724/13

  1. BAG 3.09.2014 – 5 AZR 6/13, Rn. 18 mwN[]
  2. st. Rspr., BAG 3.09.2014 – 5 AZR 6/13, Rn.19[]
  3. BAG 17.03.2010 – 5 AZR 168/09, Rn. 15[]
  4. BAG 17.03.2010 – 5 AZR 168/09, Rn. 16[]
  5. BAG 21.03.2001 – 10 AZR 444/00, Rn. 32; hierzu auch BAG 7.02.2007 – 5 AZR 41/06, Rn. 27[]
  6. LAG Berlin-Brandenburg 27.02.2013 – 20 Sa 2514/11[][]